Tristan da Cunha

Zeit für die Insel: Urlaub an den einsamsten Orten der Welt

Immer mehr Menschen sehnen sich nach Ruhe. Für sie werden Inseln wie St. Helena, Napoleons größte Strafe, zu Sehnsuchtsorten.

Urlaub sieht immer öfter so aus: Überall drängen sich Scharen von Touristen. Verschwitzte Menschen in zu kurzen oder gar keinen T-Shirts gehen vor Kiosken und Kirchen, Ständen und Seufzerbrücken auf Körperkontakt, und sogar die herzlichsten Einheimischen werden zusehends mürrisch, fordern zu Recht Eintrittsgeld für ihr Zuhause. Dass auch Fernreisen nicht vor überlaufenen Destinationen schützen, zeigt der Hype, den aktuell die neue "White Lotus"-Staffel um thailändische Strände auslöst.

Nationale Umweltorganisationen sehen das mit Schrecken und erinnern eindringlich an das Schicksal der paradiesischen Bucht von Koh Phi Phi, die nach dem Erfolgsfilm "The Beach" (2000) ein Opfer des Overtourism wurde und sich von der Verschmutzung und entstandenen Zerstörung noch immer nicht gänzlich erholt hat.

Klar, Mitglieder im Team Reich & Schön mieten oder kaufen sich dann eben einfach eine eigene Insel oder laden sich bei ihrem Kumpel Richard Branson auf seinem hübschen Necker Island in der Karibik ein. Eine Option, die freilich eher wenigen Menschen zur Verfügung steht ...

Es geht aber auch ganz anders: Immer mehr Reisende suchen ganz bewusst nach Destinationen, die – oft schon aufgrund ihrer Lage oder durch entsprechende Gesetze – kaum größere Touristenmassen zulassen.  Was wiederum natürlich die Sache mit dem "Immer mehr" relativiert: Sie werden nie so gnadenlos trendy sein wie etwa Koh Samui. Zum Glück.

Davon ist auch der Schweizer Experte Urs Steiner (inselwelten.ch) überzeugt. Seit Jahren organisiert er Reisen zu entlegenen Inseln oder ungewöhnliche Schiffs- und Bahnfahrten. Der Markt ist stabil, die Nachfrage wächst, für manche Destinationen werden "die Wartezeiten länger", wie Steiner erklärt.

Eine der beliebtesten schwer zu erreichenden Inseln ist St. Helena.

"Ausgerechnet!", wird jetzt vielleicht so mancher sagen, und an Napoleon denken. Denn der unglückliche Ex-Kaiser ist nicht gerade dafür bekannt, dass er die sechs Jahre seines Ruhestands auf St. Helena besonders genossen hätte. Eher im Gegenteil. Aber: "Die Insel kann da nichts dafür", erklärt Steiner. Sondern?

St. Helena

Auch wenn Napoleon es hier gehasst hat: Die Insel ist eine echte Perle im Atlantik. Die "Saints", wie die Bewohner St. Helenas genannt werden, gelten als freundlichste Gastgeber der Welt, das Eiland selbst punktet mit zahllosen Wandermöglichkeiten durch mystische Wälder und Schluchten, das Meer birgt wahre Schätze für Schnorchler und Taucher. Seit 2007 besitzt die Insel einen Flughafen – die Landung kann ein wenig ruppig sein.

St. Helenas nächste Nachbarn? Weit weg!

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"Die Engländer." Denn nach seinem Kurzaufenthalt auf Elba wollten die sichergehen, dass er auf der Atlantikinsel doch ein wenig länger bleibt. Außerdem sollte er es auch nicht so gemütlich haben, wie heute Pensionisten aus England, Deutschland und Österreich, die auf Malle überwintern. 

Das Haus, das ihm zugewiesen wurde, war die ehemalige Sommer-Residenz des Gouverneurs, das sogenannte Longwood House, das heute mit dem Original-Mobiliar als Museum zu besichtigen ist und einen Fixpunkt für praktisch alle St. Helena-Touristen darstellt. 

Auf einem über 500 Meter hohen Hochplateau gelegen, war es als reine Sommerfrische gedacht. Was im Sommer allerdings als angenehme Brise empfunden wird, wird im Winter doch recht schnell ungemütlich. Feucht und ungemütlich.

Und wenn Touristen heute, wie Urs Steiner erklärt, auf St. Helena am liebsten "wandern und die Natur genießen" oder sich an der "bemerkenswerten Liebenswürdigkeit" der mittlerweile etwas über 4.000 Einheimischen erfreuen, blieben Napoleon diese positiven Aspekte verwehrt. Weder durfte er Kontakte schließen noch die hübsche Hauptstadt Jamestown besuchen, sogar für einen Spaziergang außerhalb seines eigenen Gartens musste er ein Ansuchen stellen, wurde von britischen Soldaten begleitet.

St. Helena

Nach außen schroff, im Inneren mystisch schön: St. Helena

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Ihm blieben damit natürlich auch die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt der Insel weitestgehend verborgen. Knapp 2.000 Kilometer vom nächsten Festland entfernt entwickelte sich auf der Insel eine Vielzahl von Pflanzenarten, die tatsächlich nur hier zu finden sind. 

St. Helena Redwood etwa, nicht verwandt mit dem berühmten kalifornischen Namensvetter, Zwerg-Ebenholz und Schwarzkohlbaum, dazu eine teils überwältigende Blütenpracht. Auch wenn viele, vor allem bodennahe, endemische Arten den Ziegen zum Opfer gefallen sind, die von den Portugiesen bereits im 16. Jahrhundert hier eingeführt wurden ...

Was der wütende Ex-Kaiser vor 210 Jahren "einen schrecklichen Felsen" genannt hat, als der sich St. Helena tatsächlich zum Meer hin präsentiert, sanfte Sandstrände sucht man hier vergebens, entpuppt sich oft nur wenige Meter ins Landesinnere hinein als grünes Juwel, vielseitig und im Zentrum oft beinahe mystisch nebelverhangen.    

Insel für Spezialisten

Aber nicht nur geschichtsinteressierte Wanderfreunde und Vogelbeobachter fühlen sich von St. Helena angezogen. "Auch für Taucher hat sich St. Helena zum echten Geheimtipp entwickelt", weiß Urs Steiner zu berichten. Der Grund: Jede Menge alter Schiffswracks sind hier zu entdecken – und die tierische Unterwasserwelt hat es ebenfalls in sich. Neben jeder Menge unterschiedlicher Delfinarten versammeln sich von Dezember bis März auch die so riesigen wie sanften Wal-Haie.

Und wer selbst lieber nicht untertaucht, hat unter Umständen das Glück, Wasserschildkröten-Babys auf ihrem gefährlichen Weg ins Meer zu beobachten. Oder mit der Riesenschildkröte Jonathan das älteste Landtier der Welt kennenzulernen: Satte 192 Jahre alt wird der Kerl heuer am 4. Dezember. 

Tristan da Cunha

Die Insel im südlichen Atlantik gilt als abgelegenste bewohnte Insel der Welt und besitzt unter Reisenden, die das Besondere suchen, gewissermaßen Kultstatus. 2.800 km sind’s bis zum nächstgelegenen – afrikanischen – Festland. Am Fuß des 2.000 Meter hohen Vulkans Queen Mary’s Peak liegt die malerische Hauptstadt Edinburgh of the Seven Seas. Sie ist die einzige Siedlung auf der Insel. Und hat 259 Einwohner.

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Noch etwas weiter südlich wartet mit Tristan da Cunha eine weitere Insel des Britischen Überseegebiets im Atlantik – und die ist ein Paradies "für echte Spezialisten", wie Urs Steiner erklärt. Hier ist es wirklich so kühl und feucht, wie uns St. Helena in Napoleons Schilderungen erscheint, dafür ist man dann aber tatsächlich an einem Ort, der per Eigendefinition der "entlegenste der Welt" ist. 

Etwa eineinhalb Jahre wartet man auf die Einreise-Erlaubnis, ein Insel-Rat der 250 Bewohner entscheidet individuell über jeden Besucher, man will das sensible Gleichgewicht zwischen Kultur und Natur hier auf keinen Fall gefährden. 

Tristan da Cunha

Ganz schön einsam. Und zwischen Tristan da Cunha und dem nächstgelegenen Festland ist noch viel mehr Wasser als zu den unbewohnten kleinen Nachbarinseln. Auf Tristan da Cunha leben knapp über 250 Menschen ...

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Und was "kann" Tristan da Cunha? 

Am Fuß eines gewaltigen, 2.000 Meter quasi direkt aus dem Meer aufsteigenden Vulkans, liegt Edinburgh of the Seven Seas, die einzige Siedlung der Insel. Auch hier steht eine vielfältige Fauna ganz oben, dazu natürlich Wanderungen um und auf den Vulkan Queen Mary’s Peak – und tatsächlich hat Tristan da Cunha einen, mittlerweile legendären, Golfplatz. 

Wegkommen ist so schwer wie hinzukommen

Legendär auch deshalb, weil es, wie schon erwähnt, recht schwierig ist, hinzukommen. Kreuzfahrtschiffe dürfen und können – die Hafeneinfahrt ist sehr "tricky" – keine Touristenströme an Land schicken, es gibt keinen Flughafen und das Frachtschiff von Kapstadt hat nur zwölf Passagierplätze frei. Die stehen in erster Linie Einheimischen zur Verfügung, Touristen stehen auf der Prioritätenliste der Kabinenzuteilung auf Platz 8 –  von acht Kategorien. 

Und wer angekommen ist, sollte sich auf einen längeren Aufenthalt einstellen, denn wegzukommen ist ebenso schwierig wie hinzukommen. Vielleicht ist es ja auch gerade das, was die Besucher reizt.

Montserrat

Hawaii-Feeling: Der gewaltige Vulkan Soufrière Hills dominiert mit 1.050 Metern Höhe den Süden der Insel, die aufgrund ihrer dichten Vegetation auch als "Smaragd der Karibik" gilt.  Nach dem Ausbruch von 1995 wurden sämtliche Siedlungen der Südhälfte aufgegeben, auch der alte Flughafen. Wer heute nach Montserrat will, landet mit einer der Propellermaschinen der FlyMontserrat Airlines nahe dem Dörfchen Gerald’s im Norden. 

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Wer, bei aller Liebe zur Einsamkeit, doch auch ein wenig Badeurlaub im Sinn hat, wenn er an Urlaub denkt, der richtet seinen Blick eventuell besser in die Karibik

Ausgerechnet? Da gibt’s doch täglich Charterflüge für Pauschaltouristen nach Domrep & Co.! Stimmt natürlich, aber sehr viele der vielen Inseln, egal ob Große oder Kleine Antillen, British West Indies oder Französisch-Westindien, Jungfern- oder ABC-Inseln – überall liegen beinahe unbekannte Perlen im türkisfarbenen Wasser des Atlantischen Ozeans.

Montserrat etwa, ein Paradies der Kleinen Antillen, das 1995 nach dem Ausbruch des Vulkans Soufrière Hills beinahe entvölkert war, ein Großteil der Einheimischen fand eine neue Heimat in England. Mit dem Rapper und Chemieprofessor Jahson The Scientist landete ein prominenter von ihnen über Umwege sogar in Wien. Heute ist die nördliche Hälfte der Insel wieder bewohnt, die Natur, wie so oft nach solchen Ereignissen, ist prachtvoller denn je. 

➤ Hier mehr lesen: Expedition ins Eis: Eine Reise ans Ende der Welt

Montserrat

Montserrat

©mauritius images / Hemis.fr / Aurélien Brusini/Hemis.fr / Aurélien Brusini/mauritius images

Nachdem die alte Hauptstadt Plymouth mit ihrem Flughafen aufgegeben und nicht wieder besiedelt wurde, ist Montserrat nur über den kleinen Flughafen John A. Osborne in der Nähe des Dorfs Gerald’s erreichbar. Dafür muss man zuvor erst einmal nach Antigua kommen, von wo die Propellermaschinen der FlyMontserrat Airlines starten ...

St. Vincent und die Grenadinen

Eine Tropeninsel wie aus dem Bilderbuch. Oder aus einer alten Piratengeschichte? Kein Wunder, dass hier Teile der erfolgreichen "Piraten der Karibik"-Filme gedreht wurden, was sie beinahe zu einer Berühmtheit machte. Der Flughafen bei Kingstown nennt sich zwar "international", wird aber nur von benachbarten Inseln wie Barbados oder St. Lucia angeflogen. Die Nebeninseln Bequia, Canouan und Mustique haben Landepisten für Kleinflugzeuge. 

St. Vincent und die Grenadinen

Hier sind die Piraten der Karibik zuhause: St. Vincent und die Grenadinen

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Nicht wesentlich einfacher kommt man auf das traumhaft schöne St. Vincent und  die Grenadinen. So verteilen sich jährlich knapp über 100.000 Besucher auf die 111.000 Bewohner, von Overtourism ist also trotz Johnny Depps Pirates of the Caribbean, das hier gedreht wurde, nicht die Rede. Noch.

St. Vincent und die Grenadinen

Karibikfeeling pur: St. Vincent und die Grenadinen

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Floreana

In den 1930ern hätte die Insel ein neues "Eden" für den Arzt und Philosophen Friedrich Adolf Ritter, seine Lebensgefährtin und eine weitere Familie aus Deutschland werden sollen. Dann kam eine österreichische "Baronesse" mit zwielichtigem Gefolge ... Mit Jude Law kommt die Geschichte demnächst ins Kino - wer sich selbst ein Bild machen will, hat eine mehr als komplizierte Anreise vor sich. 

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Wer zusätzlich zu Abgeschiedenheit und überwältigende Flora und Fauna noch ein wenig Thrill in Form einer mörderischen Geschichte um Auswanderer, eine österreichische Femme fatale und einen zwielichtigen Playboy erfahren möchte, ist auf der Galapagos-Insel Floreana bestens aufgehoben. 

Hier fand in den 1930ern die berüchtigte Galapagos-Affäre statt, die eben erneut mit Jude Law, Ana de Armas und Sydney Sweeney in den Hauptrollen verfilmt worden ist. 

Floreana

Paradiesisch? Vielleicht, für die Auswanderer der 1930er allerdings nicht wirklich: Floreana

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Die Nachfahren einer der beteiligten Familien führen vor Ort das Hotel Wittmer – für die Anreise muss man sich auf Galapagos eine Mitfahrgelegenheit auf einem Ausflugsboot checken.

Wer reist ans Ende der Welt? 

Bleibt die Frage, wer die Reisenden sind, die jahrelange Wartezeiten und tagelange Anreisen in Kauf nehmen, um dann – allein zu sein. 30-jährige Start-up-Erfolgstypen, die schon alles gesehen haben? 

"Nein, die buchen Luxus-Urlaube oder vielleicht eine Weltreise. Für die muss alles schnell gehen", erklärt Urs Steiner. "Die meisten Urlauber sind in ihren 50ern oder 60ern, viele Männer darunter, die sich schon immer für entlegene Orte interessiert haben – und jetzt endlich die Zeit finden, sie auch zu besuchen." 

Und vielleicht ist das in Wahrheit ja auch der einzige Luxus, der wirklich zählt: Zeit.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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