Mit dem Auto durch die Baja California: Der Sonne entgegen!

Kalifornien? Der amerikanische Bling-Bling-Bundesstaat ist nur Teil eines sonnigeren Ganzen. Höchste Zeit für einen Road-Trip durch die Baja California, seine mexikanische Schwester.

Die Sonne steht hoch am Himmel, ein gleißender Ball auf blauem Grund. Große schwarze Vögel drehen dort oben ihre Runden. Der Cowboystaat Arizona ist nahe, am Autofenster ziehen rötliche Felsformationen und die ersten großen Saguaros vorbei, die „Hands up!“-Kakteen aus den klassischen Western. 

Die Luft über dem Asphalt flirrt auch schon im Mai, an guten Tagen tut sie das übers ganze Jahr. Richtung Osten, nach Tucson, werden diese Kakteenmänner schon beinahe inflationär häufig, aber die Fahrt führt Richtung Süden: Die Baja California wartet mit endlosen Stränden, verzauberten alten Städten und bizarren Landschaften. 

Calexico ist quasi die kalifornische Hintertür nach Mexiko, oder vielleicht besser das Gartentor. Eine junge Stadt, erst 1908 gegründet, ihr Name besteht aus einer Verbindung aus California und Mexico, für Fans der gleichnamigen Band ist sie so etwas wie ein Pilgerort, den man nicht ohne Roadsign aus einem der Souvenirläden verlassen darf. Auch wenn die verehrten Musiker eigentlich aus dem "benachbarten" Tucson kommen...

©EPA/Miguel Gutiérrez
Calexico an der Grenze zwischen Californien und Mexiko

Must-Have,  vor allem für Fans der Band: Road Sign Calexico

©Hersteller

Das mexikanische Pendant zur Grenzstadt Calexico, das praktisch mit der amerikanischen Schwester zusammengewachsen ist, heißt passenderweise Mexicali. Mit knapp 700.000 Einwohnern ist die Hauptstadt der nördlichen mexikanischen Baja-Halbinsel zwar alles andere als ein verträumtes Nest, aber ein wesentlich entspannterer Einstieg ins Road-Trip-Abenteuer als das bekanntere Tijuana an der pazifischen Küste südlich von San Diego.

Arco bei Los Cabos

Markante Felsformation an der Südspitze der Halbinsel Baja California

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Bei San Felipe erreicht der Highway 5 erstmals das Meer, und der 15.000-Einwohner-Ort präsentiert sich gleich mit einem endlos goldenen Sandstrand, pittoresken Fischerbooten und hübschen kleinen Steinhäusern. Es soll bei Weitem nicht der letzte Strand sein, an dem man es sich auf der knapp 1.200 km langen Halbinsel mit einer Margarita in der Hand gut gehen lassen kann.

Diejenigen der Bahia de los Angeles etwa, wobei man hier ruhig den Cocktail weglassen kann. Es ist eine praktisch perfekte Bucht auf der Strecke Richtung Süden. Delfine, Grau- und Blauwale sind in der Bahia gern zu Gast, dementsprechend ist hier nicht Ballermann, sondern sanfter Öko-Tourismus angesagt.

Gut 200 Kilometer weiter wartet mit Santa Rosalia eine echte Überraschung auf den müden Reisenden. Der, da es in diesem Abschnitt an der Ostküste keine befahrbare Straße gibt, einiges mehr als 400 Kilometer durchs Gebirge in den Westen und dann wieder zurück abspulen muss. Immer begleitet von den majestätischen Freunden im endlosen Blau des Himmels, die, während sie geräuschlos ihre Bahnen ziehen, die langen Schwungfedern am Flügelende so elegant abspreizen, als würden sie gerade eine Tasse Tee trinken ...

Ein häufiger Begleiter in Nord-, Mittel- und Südamerika

Worauf warten die gefiederten Freunde nur, die uns hoch oben in den Lüften auf allen Wegen begleiten?

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Wie Eiffel nach Mexiko kam

Schon die ersten Schritte auf den schachbrettartig angelegten Straßen der Altstadt transportieren einen in eine andere Welt...

Wo sind die gewohnten kleinen Steinhäuser geblieben? Stattdessen: Gebäude aus Holz, dazu Balkone mit schmiedeeisernen Geländern – "französische Kolonialarchitektur", wie man erfährt, wenn man zufällig mit einer Architekturexpertin verreist. Sonst hilft Dr. Google. Ein Besuch in der Bäckerei "Boleo Panaderia" bestätigt die architektonische Vermutung: herrliche Croissants, wie direkt aus der Boulangerie. Und schließlich steht man tatsächlich vor einer mutig geschwungenen Stahlkirche, die kein geringerer als Gustave Eiffel geplant hat, der Erbauer des Pariser Wahrzeichens. 

Kirche von Santa Rosalia

Wie kommt eine von Gustave Eiffel geplante stählerne Kirche in ein Nest auf einer mexikanischen Halbinsel?

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Und nein, Monsieur Eiffel hat nie einen Fuß auf die staubigen Straßen der Baja California gesetzt, seine Kirche steht, auch wenn sie sich so wunderbar harmonisch ins Stadtbild fügt, gewissermaßen aus Versehen hier. Aber das ist eine etwas komplizierte Geschichte ... 

Mit der man sich herrlich auseinandersetzen kann, während man auf dem großzügigen Balkon des „Hotel Frances“ bei einem eiskalten Tecate Bier den Blick über die tiefblaue "Sea of Cortez" schweifen lässt. Und unweigerlich bei einer etwa 100-jährigen Lokomotive und einigen weiteren antiken Bahnutensilien hängen bleibt, die in Santa Rosalia, das einem malerisch zu Füßen liegt, stoisch der Zeit ein Schnippchen schlagen. Was ist das nur für ein Ort? 

Loreto, Baja California Sur

Eines der "pueblos magicos" auf der Baja: Loreto, südlich von Santa Rosalia

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Mitte des 19. Jahrhunderts wurde hier von Einheimischen Bauern Kupfer gefunden. Nach einigem Hin und Her übernahm die französische Bergbaufirma Compagnie du Boleo aus dem Hause Rothschild die Schürfrechte. Und die baute quasi aus dem Nichts eine Stadt, denn im Gegensatz zum weiter südlich gelegenen Mulegé ist Santa Rosalia keine natürliche "Oase". Nach französischem Vorbild. Das Holz dafür kam aus Oregon und Kanada, Lok und Eisenbahnschienen sorgten dafür, dass das Kupfer aus dem Bergwerk an den ebenfalls neu erbauten Hafen transportiert werden konnte. 

Die stählerne Eiffel-Kirche fand der damalige Direktor Charles Laforgue einige Jahre nach der Weltausstellung von 1989, auf der sie als Prototyp für Missionskirchen in Afrika gezeigt worden war, auf einer Geschäftsreise in einem Schuppen in Belgien. Sie war in ihre Einzelteile zerlegt, aber nie nach Afrika gebracht worden. Er kaufte sie kurzerhand.

Wird Dornröschen wachgeküsst?

Im 20. Jahrhundert wurde der Kupferabbau unrentabel, Santa Rosalia verfiel in einen Dornröschenschlaf, schaffte es aber, vieles von seinem alten Charme zu erhalten. Heute ist Kupfer wieder teuer, eine koreanische Firma hat die Schürfrechte erworben. Vielleicht wird die kleine Stadt demnächst ja wachgeküsst. 

Aber während man über die freundlich ächzenden dunklen Holzdielen des Hotels Frances geht und den würdevoll verblassenden Glanz der Täfelungen und stoffbespannten Wände bewundert, fragt man sich, ob das diesem speziellen Charme wohl gut tun wird...

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Magisches Dorf Mulege

Mulege, Baja California Sur eines der "pueblos magicos", der magischen Dörfer der Baja

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Auf nach Süden!

Keinesfalls wachgeküsst werden müssen hingegen die Hotspots im tiefen Süden der Baja: La Paz natürlich, die brodelnde Metropole mit ihren 250.000 Einwohnern, Bars, Clubs und Restaurants. Traumstrände? Na klar. Wobei es sich trotzdem lohnt,  auch den letzten Schritt nach Süden zu machen, nach "Los Cabos", zwei spektakuläre Kaps, an denen die "Sea of Cortez" und der Pazifik aufeinandertreffen. 

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Wasserski, Tauchen, Glasbodenboote, Kajak, Schnorcheln, Jetski, Segeln, Surfen, Wale schauen – von Cabo San Lucas aus lässt sich alles machen, was das Aktivurlauberherz begehrt. Das ehemalige Fischerdorf wird mittlerweile in einem Atemzug mit mexikanischen Top-Destinationen wie Cancún, Acapulco und Puerto Vallerta genannt. Zu Recht. 

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Etwas entspannter: die koloniale Schwesterstadt San José del Cabo, mit historischem Ortskern und hübschen kleinen Läden. Ein echter Traum: der Playa del Amor, der wahrscheinlich schönste der vielen schönen Strände der Baja. Und wenn man Glück hat, wird er auch einmal NICHT von Ausflugsbooten belagert ... 

Tritt man die Heimreise vom amerikanischen San Diego aus an, was man nicht unbedingt muss, weil es über Mexico City auch Flüge nach La Paz und San José del Cabo gibt (siehe "Anreise") empfiehlt sich auf dem Weg zurück nach Norden auf jeden Fall ein Stopp im Valle de Guadalupe, dem "Napa Valley" Mexikos

Weinanbau in Mexiko

Das Valle de Guadalupe gilt als das "Nappa Valley" Mexikos

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Hier wird tatsächlich der Hauptanteil der gesamten mexikanischen Weinproduktion erzielt – und auch wenn sie in Europa keinen sooo klingenden Namen haben, können sich einige von ihnen doch durchaus schmecken lassen. Die Städte im Umfeld – Ensenada und Tijuana – haben keinen allzu guten Ruf, stimmt. Aber immerhin ist Carlos Santana in Tijuana aufgewachsen, hat hier seine musikalische Prägung erhalten. 

Und wer grundlegende Sicherheitstipps beachtet – keine Wertgegenstände offen im Auto liegen lassen, nicht mit Geld und Kreditkarten um sich schmeißen –, wird auch hier ein wunderbares Mexiko erleben. So kann es dann passieren, dass man in einer Bodega gleich in der Nähe Ensenadas an einem Spätnachmittag bei einem Gläschen Rot unvermittelt Bekanntschaft mit den gefiederten Freunden macht, die einen so treu auf der ganzen Strecke begleitet haben. 

Rabengeier

Endlich, der Adler ist gelandet! Eigentlich ist es allerdings ein Geier, ein Rabengeier. Egal, ein äußerst angenehmer Tischnachbar jedenfalls

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Sie genießen ganz gerne die Spätnachmittagssonne, wofür sie in halsbrecherischen Manövern auf den abgeschrägten Dächern diverser Scheunen landen. Es sind Rabengeier, die sich hier oft in Gruppen von einigen Dutzend versammeln. Und nein, im Landeanflug sind sie keineswegs so elegant wie in 200 Metern Höhe – aber sie sind ausgesprochen angenehme Tischnachbarn, während man am Wein nippt und an diesen einen genialen Song denkt. Genau, "Crystal Frontier", von Calexico ...

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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