Elafonisi, Kreta

Mehr als eine Insel: Faszinierendes Kreta

Ende und Anfang: Der 35. Breitengrad ist die südlichste Grenze Europas. Und genau hier war es auch, wo Europa begann. Auf Kreta, einem Miniatur-Kontinent, der nichts von seiner Faszination verloren hat.

Karibische Strände im Mittelmeer? Check. Nicht nur, aber besonders schön in Elafonisi und Falassarna. Lebendige, pulsierende Städte, die dennoch eine mehr als pittoreske Altstadt haben? Check. Wir fahren nach Iraklio und Chania. Die beiden Universitätsstädte an der Nordküste bieten City-Flair und Urlaubsfeeling, Klassiker für Touristen und coole Bars, die auch von Einheimischen gern besucht werden. 

Oder doch eher Urlaubssause à la Mallorca und Ibiza? Dann eben nach Rethymno, wo rund um die Altstadt nicht nur lange Strände, sondern auch jede Menge Badespaß, Clubs und Discos zu finden sind. 

Dazu: liebliche Ebenen und schroffe Schluchten, einsame Buchten,  bizarre Klippen, malerische Fischerdörfer, bis in den Juni schneebedeckte Gebirgsmassive und von Adlern und Bartgeiern umkreiste Berg-Gipfel – hier gibt’s ganz einfach für jeden etwas, sogar für den Bergfex.

Erstaunlich, in welchem Überfluss am südlichsten Rand Europas, wo der 35. Breitengrad gewissermaßen eine Grenzlinie bildet, so vieles vorhanden ist, was Europa ausmacht. Und vielleicht hat diese Sonderstellung Kretas ja auch eine mythologische Wurzel. 

Denn genau hier hat, so heißt es, Europa seinen Anfang genommen. "Ihren" müsste es eigentlich heißen, immerhin war Europa ja eine Königstochter aus dem Libanon, die von Zeus in die Küste einer gesegneten Mittelmeerinsel gebracht wurde, um hier ein mythisches Königreich zu gründen..

Samaria Schlucht, Kreta

Samaria Schlucht, Kreta

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Kein Wunder, dass Zeus sich ausgerechnet Kreta aussuchte, denn immerhin verbrachte der Göttervater hier seine Kindheit. In der Höhle von Psychro im Idagebirge, wie das Psiloritis-Massiv in der Antike genannt wurde, kam der Oberste der Olympier zur Welt, gleich oberhalb der bei Touristen beliebten Lasithi-Hochebene, südlich von Iraklio.

Schon den Minoern war die Höhle heilig, die Hochebene war ihr landwirtschaftlicher Garten Eden und ist heute noch eines der fruchtbarsten Gebiete Kretas, mit zahlreichen authentischen Bauerndörfern, die für touristische Zeus-Pilger zum Standardprogramm gehören.

Knossos, Kreta

Die Minoer erbauten vor mehr als 3.500 Jahren die prachtvolle Anlage von Knossos, südlich der heutigen Hauptstadt Iraklio

©Getty Images/Gatsi/IStockphoto.com

Orte der Erinnerung

Wobei man an dieser Stelle bemerken muss: Die archaische Kargheit der Landschaft, die ocker- und sandfarbenen, manchmal beinahe weiß schimmernden Felsformationen, die silbrig-grünen, duftenden Macchia-Kissen und die im Herbst wie ein goldenes Meer an den Hängen der Hügel wogenden  Dünengras- und Distelfelder prägten keinesfalls schon immer das Bild der Insel. 

Vor 4.000 Jahren war Kreta berühmt für seinen grenzenlos scheinenden Waldreichtum, dazu gab es damals schon großflächigen Getreideanbau, und wo heute Schafe und Ziegen im Schatten eines einzigen, knorrigen Johannisbrotbaums in der Mittagshitze vor sich hindösen, weideten früher stattliche Rinderherden. 

Efalonisi. Kreta

Nicht mehr so viele Bäume wie zur Zeit der Minoer - aber zum Träumen schöne Strände. Wie der von Efalonisi im Westen Kretas

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Mit dem leider eben nur scheinbar unbegrenzten Wald, den Minoer und später Griechen abholzten, um Baumaterial, Holzkohle, Harz zu gewinnen, vor allem aber um Schiffe zu bauen, verschwanden auch die Weiden und die Felder. 

Und Kreta wurde zu der klassischen, ein wenig schroffen, aber erhabenen Schönheit, die wir heute kennen.

Aber vielleicht ist es ja umso schöner, wenn hier und da, beinahe unwirklich, Erinnerungen an das alte Kreta des König Minos und der homerischen Helden auf den Besucher warten. Dabei ist gar nicht die Rede von den berühmten Palästen wie Phaistos und Knossos, dem wahrscheinlichen Schauplatz der berühmten Stier-Sprünge, oder dem weniger bekannten, durch seine Zugänglichkeit aber mindestens ebenso beeindruckenden königlichen Sommerpalast in Agia Triada. 

Es reicht eine beschauliche Fahrt in die Weißen Berge im Westen der Insel, wo  tatsächlich Auwälder auf den Besucher warten.

Ausflüge & Anreise

Minoische Paläste 
Knossos und Phaistos sind die größten und beeindruckendsten – aber oft auch sehr überlaufen. Als Alternative bietet sich Agia Triada an, wo man in Ruhe auch wirklich nah an die Ausgrabungsschätze herankommt.

Gavdos 
Wer breitengradtechnisch noch weitergehen will, muss von Paleochora die Fähre auf diese Insel südlich von Kreta nehmen. Tagesausflüge sind möglich, wer sich in die Idylle dort allerdings zu lange verschaut, der muss eine Woche bleiben, bis die nächste Fähre kommt. Nicht umsonst gilt sie als Insel der Kalypso, und wie man weiß blieb Odysseus hier viel länter als er vorhatte ...

Anreise
Die Flugzeit von Wien (zum Beispiel mit Austrian Airlines) nach Chania oder Iraklio dauert knapp zweieinhalb Stunden, Tickets sind ab etwa 230 Euro zu haben. Man sollte unbedingt ein Mietauto nehmen (am besten vorab buchen), um die Vielfalt der Insel erleben zu können. 

Neben den sonst auf der Insel verbreiteten Zypressen, Steineichen und Erdbeerbäumen stehen hier Weiß-Pappeln und Silber-Weiden, Platanen und sogar Flaum-Eichen. An den von Bächen durchzogenen Hängen des bis zu 2.400 Meter hohen Bergmassivs bilden sie ein schattiges Dach, unter dem man sich beinahe wie in einem Märchenwald vorkommt. 

Oder die Orino-Schlucht weiter im Osten, mit ihrem fantastischen Wildbach, der auch im Sommer in beeindruckenden Wasserfällen talwärts donnert, als hätte Zeus selbst seine Hand im Spiel.

Stifado

Das klassisch griechische Stifado kam wahrscheinlich auch über die Venezianer nach Kreta - und nach Griechenland. "Stufato" ist in Italien auch heute noch ein Schmorbraten

©Kurier/Jeff Mangione

Gut einen Kilometer vor dem Küsten-Dorf Koutsouras wird die Landschaft lieblicher, und auch wenn in den 1990ern hier ein Feuer gewütet hat, dessen Auswirkung noch spürbar ist, bekommt man eine Ahnung davon, wie üppig die Landschaft sich einst dargestellt hat. Und trifft auf – angeblich – 17.200 Schmetterlinge, die hier wohnen.

Perlen des Südens

Womit man auch an der Südküste Kretas angekommen ist, die konstant um den 35. Breitengrad mäandert. Ziemlich genau führt er nur wenige Kilometer westwärts durch Ierapetra, das sich dadurch den Titel der "südlichsten Stadt Europas" sichert. 

Bevor es jetzt zu Proteststürmen kommt: Zypern macht bei diesem Rennen nicht mit, da es geografisch zu Asien gehört. 

Ierapetra selbst präsentiert sich mit einem schmucken, türkisfarbenen Hafenbecken und weiß getünchten Häusern als griechische Bilderbuchstadt – und tatsächlich ist sie eine der wenigen Städte, deren Wurzeln nicht auf die Minoer, sondern auf die danach kommenden Griechen zurückzuführen sind.

Iraklio

„Griechische“ Idylle: der alte Hafen von Kretas Hauptstadt Iraklio 

©Getty Images/iStockphoto/Petros Papakonstantinou/istockphoto

Wie in Chania beeindrucken die venezianischen Bauten in Hafennähe, Strände in unmittelbarer Umgebung  – und, etwas nordwestlich bei Selakano, der größte Kiefernwald im gesamten Mittelmeerraum.

Der Dichter badete nackt

Ierapetra mag zwar die südlichste Stadt Europas sein – das heißt aber nicht, dass Kreta nicht noch mehr Süden kann. Nach Westen hin, wo in größerer Entfernung Touristen-Hotspots wie Plakias warten, kommt man an Lentos vorbei, einem kleinen Dorf mit 79 Einwohnern. Der Strand ist eher schmal, aber schnuckelig, und was hier vor allem zählt, ist die Ruhe am Breitengrad 34,93. 

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©Grafik

Wenn man abends bei einem Raki – ja, den trinkt man in Kreta, und er hat nichts mit Ouzo zu tun – in der Strandtaverne sitzt und das Meer in wenigen Metern Entfernung gemächlich gegen den Sand klatsch, dann sind es quasi dieselben Wellen, die in nur etwas mehr als 300 Kilometer Entfernung auch gegen die afrikanische Küste schwappen.

Ein Gefühl, das übrigens auch der große Autor Nikos Kazantzakis – "Alexis Sorbas", "Freiheit oder Tod" – genossen hat. Er verbrachte hier zehn glückliche Tage mit seiner Geliebten Eleni Samiou. "Zusammen werden wir die teure Insel sehen, zusammen am Ufer des Libyschen Meeres sitzen, Afrika gegenüber!", schrieb er 1924 an sie, um sie auf "seine" Insel zu locken. 

Hotels & Restaurants

Porto Veneziano 
Hotel am venezianischen Hafen Chanias, gutes Preis-Leistungsverhältnis als Ausgangspunkt für Ausflüge oder eine Rundreise. portoveneziano.reserve-online.net

Mitsis Selection Laguna
Eine palastartige Anlage einige Kilometer östlich von Iraklio. Spielt alle Stückeln. Wer hier eincheckt, fährt nicht mehr so schnell weg.  mitsis.com/en/hotels/laguna-resort

Asteras Apartments 
Ideale Unterkunft für alle, die den Südosten Kretas auf eigene Faust erkunden wollen. asterasapartments.gr/de/

Alekos
Unscheinbare Taverne an der Schnellstraße von Rethymno nach Spili. Keine Speisekarte – aber grandioses Essen. Armeni, Kreta 741 00

Leventis Taverna 
Authentische Küche, gute Weine. Gleich außerhalb von Chania.  Stalos, Kreta 731 34

Pelagos Mare 
Kulinarische High-End-Überraschung direkt am Meer, praktisch am Ausgang der Koutsouras-Schlucht. Koutsounari, Kreta 722 00, pelagosseaside.com

"Kommen Sie schnell!", fuhr der Mann, nach dessen Romanvorlage Martin Scorsese "Die letzte Versuchung Christi" drehte, "Die Trauben, die Feigen, die Birnen, die Melonen – Homer, Buddha, unsere beiden Herzen: Alles ist reif, ist bereit, ist großartig!" Eleni kam und blieb bis zum Tod an seiner Seite.

Es heißt, dass die beiden die ersten "Nacktbader" auf Kreta waren. Womit sie einen Trend auslösten, der heute noch an vielen Stränden verbreitet ist. So auch ein Stückchen weiter im Westen, da, wo die Südküste einen von einem Gott mit Sinn für große Gefühle gezeichneten Knick nach Norden macht, und den Menschen dadurch die vielleicht perfektesten Sonnenuntergänge der Welt beschert.   

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 Imam Baldi

Wie der Name suggeriert, ist dieses Gericht wohl Türkisch beeinflusst - auch wenn man das auf Kreta nicht so gerne hört. Aber auch die vielfältigen Einflüsse machen Kretas Küche zur vielseitigsten Griechenlands: gefüllte Melanzani aus dem Ofen sind nur eine der vielen Köstlichkeiten - und sehr viele davon sind vegetarisch! 

©Getty Images/iStockphoto/fazeful/istockphoto

Ein Traumstrand jagt hier den anderen. Und nicht einmal die Tatsache, dass an manchen von ihnen Bauruinen als Zeugen ambitionierter massentouristischer Hoffnungen den Jahrzehnten trotzen, während ihre Betonskelette auf pittoreske Weise vom Sand der Dünen vereinnahmt werden, tut dem irgendeinen Abbruch. 

Bucht der Götter

Im Zentrum dieses Küstenteils liegt natürlich Matala, das legendäre Hippie-Dorf der 1960er, der Legende nach brachte Zeus die asiatische Prinzessin Europa genau hier, auf Breitengrad 34,99, an Land. 

Matala, Kreta

Steinzeitliche Höhle bei Matala

©Getty Images/iStockphoto/mbbirdy/iStockphoto.com

In der beinahe perfekten Bucht lag einst der minoische Hafen von Phaistos, die später von den Hippies bewohnten Höhlen aus der Jungsteinzeit wurden damals als Kultplätze genutzt. 1969 lebte in ihnen schließlich Folk-Göttin  Joni Mitchell, die im Song "Carey" über das "Mermaid Café" in Matala singt.

Es gibt beinahe zu viele Plätze auf dieser Insel, in die man sich verlieben kann. Beschauliche, wie der idyllische Strand von Rodakino, lebhafte wie Plakias, mythische wie Triopetra, die drei Felsen im Meer, wo am steilen Kliff davor eine Art minoisches Mühlespiel gefunden worden ist. 

Dort zu sitzen und zu wissen, dass vor 3.500 Jahren Menschen die gleiche Abendstimmung genossen haben, ist ein Gefühl, das man kaum beschreiben kann. 

Für welchen Ort man sich dann schließlich entscheidet? Vielleicht ja egal, oder, wie der aus Kreta stammende griechische Nationaldichter Nikos Kazantzakis schreibt: "Ein Mann und eine Frau abends am Strand – existiert Höheres im All?"

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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