Woody Allen

Woody Allen im Interview: "Würde gerne in Wien drehen"

Woody Allen im Interview über Treue, Tod, Mia Farrow und die Proteste gegen ihn. Mit "Der Glücksfall" bringt er seinen 50. Film ins Kino.

Zu Gast in Woody Allens Wohnzimmer. Der legendäre Filmemacher sieht aus, wie man ihn sich vorstellt: schwarze, dick umrandete Brille, blauer Pullover, zerzaustes weißes Haar: alles, was zu Woody Allen dazugehört. Er sitzt auf seinem Sofa und spricht per Online-Schaltung mit uns. Hinter ihm: ein Kamin mit Ziergegenständen, zwei Bücherwände, ein Gemälde mit einem Kreis grüner Tannen. 

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Allen ist 88 und macht immer noch Filme: „Ein Glücksfall – Coup de Chance“ heißt sein neuer und handelt von Fanny und Jean, einem perfekten Ehepaar in Paris. Sie scheinen verliebt wie am ersten Tag. Bis Fanny einen ehemaligen Klassenkollegen trifft und hin und weg von ihm ist. Ein gelungener, leichtfüßiger romantischer Thriller. Den der Regisseur in Frankreich drehte, da er aufgrund der Missbrauchsvorwürfe seiner Adoptivtochter für Drehs ins Ausland ausweichen muss. Allen streitet die Anschuldigungen ab, Anklage wurde nie erhoben. 

Auch unser Interview darf nicht ohne Fragen dazu auskommen. Bekannt ist, dass Allen seit seiner Stellungnahme in einem Artikel für die New York Times nichts mehr dazu sagt. Zu seiner Ex-Beziehung mit Mia Farrow und seiner Frau Soon-Yi äußert er sich im Gespräch aber sehr wohl – und wehrt sich gegen die Proteste gegen ihn.

Mr. Allen, glauben Sie ans Glück? 

Das tue ich. Ich glaube sehr stark ans Glück. Man braucht Glück, um durchs Leben zu kommen. Zwar gibt man das nicht gerne zu, man denkt lieber, dass man mehr Kontrolle über das Leben besitzt und mag den Gedanken nicht, dem Zufall und dem Glück ausgeliefert zu sein. Aber leider sind wir das alle.

Finden Sie, Sie hatten viel Glück im Leben?

Ich hatte außerordentliches Glück. Mehr Glück, als mir zustand. Gute Eltern, gute Gesundheit, ein gutes Liebesleben, gutes Berufsleben – es scheint, dass ich jedes Mal, wenn ich Glück nötig habe, es mir hold ist. Viele Ereignisse hätten so oder so ausgehen können. Aber ich hatte immer Glück.

Wie sieht es mit dem Schicksal aus?

Ich bin kein großer Fan von, was man unter Kismet versteht. Ich glaube nicht, dass es unser Schicksal ist, jemanden Bestimmten zu treffen oder etwas Bestimmtes zu tun. Wenn der Moment da ist, passiert es oder es passiert nicht. In so einer Situation kann man höchstens auf ein bisschen Glück hoffen. Aber die Dinge geschehen von Augenblick zu Augenblick. Die Zukunft ist uns nicht vorherbestimmt. Sie geschieht spontan.

Zufall, Glück, Schicksal – diese Themen ziehen sich durch viele Ihrer Filme. Auch in Ihrem fünfzigsten ist das so. Warum lassen diese Themen Sie nicht los?

Sie sind ein großer Teil des Lebens und tief darin verwoben. Und es ist nun mal interessant, darüber zu schreiben. Die dramatischen Situationen, die sie einem bieten, sind ein Geschenk.

Beunruhigt es Sie, dass wir das Leben nicht beeinflussen können – egal, wie sehr wir uns auch anstrengen, die Kontrolle zu bewahren?

Ja, das stört mich! (lacht) Es ist ein großes Ärgernis. Und nicht nur für mich, sondern für uns alle. Ich fühle mich einfach besser, wenn ich die Kontrolle über mein Leben habe – anstatt ihm ausgeliefert zu sein.

Wenn der Zufall in Ihren Geschichten eingreift, führt er kaum je zu einem Happy End. Und wenn doch, führt er oft zu einem falschen Happy End. Gefällt Ihnen das?

Nun, das Leben endet eben nun mal nicht für jeden glücklich. Es endet auch mit Enttäuschung, die mit dem Alter kommt, oder mit Verleugnung. Um ehrlich zu sein, es ist schwer, beim Schreiben die Dinge in einen glücklichen Modus zu zwingen und trotzdem wahrhaftig zu bleiben.

Und das ist doch das Wichtigste als Künstler: wahrhaftig zu bleiben. 

Man versucht es. Das Publikum spürt, wenn man nicht ehrlich ist oder ein Schauspieler nicht echt. Oder wenn etwas in einem Film erzwungen wird, nur um das vom Autor gewünschte Ende zu erreichen. Man muss wahrhaftig sein, die Geschichte in die Richtung gehen lassen, in die sie will, selbst wenn das ein schlechtes Ende bedeutet.

New Yorker Stadtneurotiker in Venedig: Woody Allen am roten Teppich bei der Premiere von "Der Glücksfall"

©APA/AFP/TIZIANA FABI

Wie kamen Sie dazu, den Film nicht nur in Frankreich, sondern auch auf Französisch zu drehen?

Ich wollte schon immer Filme in Europa machen. Als ich aufgewachsen bin, waren die europäischen Filme die besten, wir wurden alle sehr von ihnen beeinflusst. Ich liebe die Idee, ein italienischer Filmemacher zu sein, ein französischer oder schwedischer. Als ich die Idee für „Ein Glücksfall“ hatte, dachte ich, das wäre doch ein guter französischer Film. Ich dachte auch, die Produzenten würden nein dazu sagen. Weil die Leute keine Untertitel lesen möchten, weil der Film dann weniger Geld einspielen würde, alle Arten von Ablehnung. Aber das taten sie nicht! Und gerade, weil ich Paris liebe. Warum nicht! Das war ein großes Privileg. Ich bekam die Chance, einen Film zu drehen, wie jene der französischen Meister, die ich in den 50ern oder 60ern gesehen hatte.

An welche legendären französischen Schauspieler denken Sie gerne zurück?

Wir liebten diese französischen Stars und ihre Filme. Yves Montand, Simone Signoret, Jean Gabin – und natürlich Belmondo. Und der, der in „Ein Mann und eine Frau“ mitgespielt hat ... wie hieß er doch gleich ...

Jean-Louis Trintignant.

Genau. Und Brigitte Bardot, sie war die charmanteste, begehrenswerteste Frau der Welt damals in den 60er- und 70er-Jahren. Sie war bemerkenswert.

Die Ehe ist unnötig. Kein Vertrag ist das Papier wert, auf dem er gedruckt ist.

Paris ist etwas Besonderes, dennoch werden Sie immer noch untrennbar mit New York assoziiert. Wie unterscheidet sich der Big Apple heute von früher?

Es steht nicht so gut um New York. Man fühlt sich nicht sicher, an jeder Ecke sind Straßencafés, die nicht ins Stadtbild gehören, die Straßen sind überfüllt mit gesetzlosen Radfahrern, die auf die Verkehrsregeln pfeifen. New York ist wegen der Einwanderungsprobleme knapp bei Kasse, es gibt Tausende von Einwanderern in New York, die wir nicht versorgen können. Wir würden gerne helfen, aber es ist schwierig. Die Covid-Pandemie hat uns schwer getroffen und wir haben uns nie ganz davon erholt. Viele Gebäude stehen leer, die Angestellten wollen von zu Hause arbeiten, was ich durchaus verstehe, aber das ist ein Problem. New York leidet sehr, und ich hoffe, es ist nur die Phase eines Tiefs. Und dass die Stadt wieder zu seinem gesunden Selbst zurückkehrt.

Im Mittelpunkt von „Ein Glücksfall“ steht ein perfektes Ehepaar. Zumindest bis die Frau einen ehemaligen Klassenkollegen wiedertrifft. Glauben Sie, dass hinter jeder glücklichen Ehe ein Geheimnis steckt, das es zu lüften gilt?

Oh nein, ganz und gar nicht. Hinter einer glücklichen Ehe steckt nichts weiter. Nur zwei sympathische Menschen, bei denen die Chemie gestimmt hat und die sich gefunden haben. Ich kann mir vorstellen, dass es hin und wieder ein Geheimnis gibt. Aber das ist wahrscheinlich die große Minderheit.

Lohnt es sich, eine Affäre zu haben? 

Immerhin nötigt eine Affäre einem einiges ab: Man muss lügen und lebt ständig in der Angst, aufzufliegen. Dem stimme ich zu. Eine Affäre ist keine gute Sache. Es ist traurig, wenn sich so etwas entwickelt – und es erfordert eine Menge Zeit, Mühe und Täuschung. Dazu kommt, dass man ständig in Angst lebt. Das alles ist nicht ideal.

Wie betrachten Sie die Institution Ehe und glauben Sie an Treue in einer Beziehung?

Ich glaube an Treue, absolut. Eine Ehe ist dafür aber nicht zwangsläufig notwendig. Eine Ehe ist nicht mehr als ein Geschäftsvertrag. Wenn man jemanden kennenlernt und sich verliebt, benötigt es für gewöhnlich kaum Papiere, um diese Person zu etwas zu verpflichten. Die Ehe ist unnötig. Kein Vertrag ist das Papier wert, auf dem er gedruckt ist, und wenn man noch so viele rechtliche Paragrafen unterschreibt. Dann gefällt einem die Ehe nicht, man selbst und die andere Person verlassen sie, und alles endet nur in Erbitterung und rechtlichem Chaos.

Skandalehe: Woody Allen und Soon-Yi Previn, Adoptivtochter von Mia Farrow

©REUTERS/GUGLIELMO MANGIAPANE

Dennoch waren Sie mehrmals verheiratet.

Ich glaube nicht, dass man heiraten muss, aber ich glaube an Treue. Ich halte Treue für sehr wichtig. Geheiratet habe ich nur – und ich liebe meine Frau sehr – weil ich viel älter bin als sie. Ich bin sicher, dass ich vor ihr sterben werde. Und ich möchte sichergehen, dass sie durch alle gesetzlichen Bestimmungen, die ihr die Ehe auferlegt, finanziell abgesichert ist. Also habe ich sie geheiratet. Aber wir wären genauso glücklich gewesen, wenn wir nicht geheiratet hätten. Es ist wirklich nur wegen dem Finanziellen. Eine Vorgangsweise, die sich bewährt hat.

Als Sie sich von Mia Farrow trennten und Soon-Yi Previn heirateten, sorgte das für einen Skandal. Wie sehen Sie die Ereignisse von damals im Rückblick?

Es hat definitiv einen Skandal ausgelöst. Aber so ist das Leben. Ich kann daran nichts ändern. Wenn es ein Skandal sein soll, dann ist es eben ein Skandal. Es macht mir nichts aus, die Hauptfigur in einem Skandal zu sein. Es ist kein illegaler Skandal, es war ein legaler Skandal. Das ist in Ordnung für mich. Es stört mich überhaupt nicht.

Bereuen Sie heute Ihre Beziehung mit Mia Farrow?

Nein. Ich hatte lange Zeit eine sehr gute Beziehung mit ihr, die sich dann verschlechterte. Sie war eine wunderbare Schauspielerin, sie hat in meinen Filmen mitgespielt. Ich habe einen großen Beitrag zu ihrem Leben geleistet, so wie sie in diesen Filmen zu meinem Leben beigetragen hat. Was dann geschah, war ungewöhnlich und führte zu dem Skandal, von dem Sie sprachen, aber ich habe nur positive Erinnerungen an die jahrelange Zusammenarbeit mit ihr.

Venedig: Proteste vor dem Kinopalast, Standing Ovations drinnen

©REUTERS/Guglielmo Mangiapane

Bei der Premiere Ihres Films bei den Filmfestspielen in Venedig gab es Proteste gegen Sie aufgrund der Missbrauchsvorwürfe Ihrer Adoptivtochter Dylan. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Nun, meiner Meinung nach sind diese Protestierenden alle töricht. Sie haben keine Ahnung, was sie da tun. Aber ohnehin bin ich davon immer abgeschirmt. Würde man mich nicht über diese Proteste informieren, würde ich davon nie erfahren. Was man auf diesen Filmfestivals hingegen tatsächlich erlebt, ist ein Bad in unverdienter Bewunderung. Alle lieben dich und sie lieben dich mehr, als du verdienst. Diese Proteste hingegen bekomme ich nie mit. Sie sind milde und fern von mir. ABER:

Ja?

Diese Leute machen einen großen Fehler. Vielleicht werden sie das irgendwann in ihrem Leben erkennen und bereuen. Aber dafür gibt es keine Garantie, und vielleicht werden sie es auch nie begreifen und für immer in der unglücklichen Illusion gefangen sein, es gäbe einen Anreiz zum Protest.

Woody Allen

Woody Allen

Woody Allen wurde 1935 in New York geboren. Als Autor, Darsteller und Regisseur schuf er Klassiker wie „Der Stadtneurotiker“. Seine Frau Soon-Yi ist eine Adoptivtochter von Ex-Partnerin Mia Farrow. Für die Missbrauchsvorwürfe an der damals siebenjährigen Adoptivtochter Dylan konnten keine Beweise gefunden werden.

Wechseln wir das Thema: Waren Sie schon einmal in Wien?

Ich war einige Male in Wien und mag Wien. Ich dachte immer, es wäre ein Ort, an dem ich sehr gerne einmal einen Film drehen würde. Weil es eine Stadt ist, in der ich sehr gut leben könnte. Ich erinnere mich, wie ich frühmorgens gegenüber der Oper Klarinette übte und mir dachte: Oh Gott, Mozart dreht sich wahrscheinlich im Grab um, wenn er mich hört.

Wenn ein Geldgeber einspringt, würden Sie dann einen Film in Wien drehen?

Ja, ich würde sehr gerne einen Film in Wien drehen. Es gibt nicht viele Städte, in denen ich filmen möchte, denn acht Wochen während der Dreharbeiten da zu leben ist ziemlich lange. Es gibt Städte, in denen ich nicht so lange leben könnte, da würde ich verrückt. Aber Paris ist eine großartige Stadt zum Filmen, auch Barcelona und Rom, und in Wien würde ich auch sehr gerne filmen.

Sie sind 88 Jahre alt. Sind Sie mit fortgeschrittenem Alter weise geworden?

Leider nicht. Die Fehler, die ich mit 21 gemacht habe, die Ignoranz, die ich damals besaß, all das habe ich auch heute noch. Ich habe also keine Weisheit erlangt. Es ist ein Mythos, dass jeder, der alt wird, weise wird. Man wird nicht weiser, man wird ein Griesgram. Es gibt nichts Gutes am Altwerden.

Und wie begegnen Sie dem Tod?

Was den Tod angeht, kann ich nicht viel dagegen tun. Das Einzige, was man wirklich tun kann, ist, sich abzulenken. Anstatt also morgens aufzuwachen und zu denken, oh mein Gott, ich sehe dem Tod ins Auge, gehe ich zur Arbeit. Und irgendwann, das kann in fünf Minuten sein oder in zehn Jahren, werde ich plötzlich tot umfallen – und das war’s. Ich finde mich damit ab.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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