Christian Clavier: Monsieur Claudes Ärger mit der politischen Korrektheit
Christian Clavier gibt in „Oh là là – Wer ahnt denn sowas?“ erneut den vorurteilsbeladenen Menschenfeind. Wir trafen ihn Österreich-exklusiv zum Interview über Nationalstolz, Louis de Funès und die Anschuldigungen gegen seinen Freund Gérard Depardieu.
Wer Christian Clavier interviewen möchte, trifft ihn in Brüssel. Allein zu zweit sitzen wir im Parterre eines Luxushotels an einem Tisch, sonst ist jeder Tisch unbesetzt, und trinken Espresso. Clavier lebt in der Hauptstadt Europas, eben ist er allerdings braungebrannt aus Spanien zurückgekehrt und gilt vielen doch als Ur-Franzose. Asterix war die eine Rolle, die ihn berühmt machte, durch „Monsieur Claude und seine Töchter“ wurde er dann als konservatives Familienoberhaupt, das schwer damit kämpft, dass seine Töchter keine Franzosen heiraten, zum Kinomagnet. Ein Riesenerfolg mit zwei Fortsetzungen. In seiner neuen Komödie „Oh là là – Wer ahnt denn sowas?“ setzt Clavier den Rollentypus des Empörten fort.
Provokant teilt der Film gegen Nationalstolz und soziale Statusliebe aus. Denn die Familie Bouvier-Sauvage ist immens stolz auf ihre aristokratische Ahnenreihe. Dass Fräulein Tochter den Sohn eines einfachen Peugeot-Händlers heiraten will, passt da gar nicht.
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Beim ersten Treffen der Schwiegerfamilien im Château überrascht das Hochzeitspaar diese dann mit einem DNA-Test, der über die Herkunft jedes Einzelnen Auskunft gibt. Eine Büchse der Pandora, die für Überraschungen sorgt und droht, die Hochzeit platzen zu lassen.
Monsieur Clavier, Franzosen und Österreicher haben jeweils ihre eigene Geschichte, die sie mit den Deutschen verbindet. In Ihrer neuen Komödie werden lustvoll Stereotypen thematisiert, wie Sauerkraut, Wagner-Opern und Uniformen – wie sehen Sie die Deutschen?
Es ist Komik und alles Klischee – aber das ist eben, was einem als Erstes in den Sinn kommt, wenn wie im Film ein Franzose entdeckt, dass er deutsche Wurzeln hat. Auf gewisse Weise lieben es die Franzosen, über die Deutschen zu lachen. Aber die Franzosen lachen über diese Klischees genauso gern wie die Deutschen selbst. All diese Klischees existieren nicht. Aber wenn zum Beispiel zwei Nationen aufeinandertreffen, wie etwa bei einem Rugby-Match oder Fußballspiel, sind sie sofort wieder zur Hand. Und wir lieben es, uns darüber lustig zu machen.
Es ist ein witziges Detail am Rande, dass ein Teil Ihrer eigenen Familie in Berlin lebt.
Ja, der Sohn meiner Frau lebt in Berlin und deshalb verbringe ich manchmal Zeit dort. Ich komme übrigens auch sehr oft nach Wien, um Konzerte zu besuchen oder Ausstellungen. Und um Freunde zu treffen, die ebenfalls im Filmgeschäft tätig sind. Mit dem österreichischen Regisseur Robert Dornhelm habe ich das Remake von „Mayerling“ für den ORF gedreht und auch für die Serie „Napoleon“ habe ich in Wien gefilmt.
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Wien denken?
Das Neujahrskonzert, es ist einfach fantastisch. Der Franzose Georges Prêtre hat es großartig dirigiert. Auch Riccardo Muti war brillant. Freunde von mir beim österreichischen Fernsehen sind in die Übertragung involviert. Wien ist eine fantastische Stadt und seine Atmosphäre sehr angenehm. Wenn Sie nach dem Konzert aus dem Musikverein hinausgehen und danach zu einem Dinner in ein großes Hotel und es ist Ballsaison, dann ist das ein einmaliges Erlebnis. Eine wunderschöne Tradition.
Ich nehme an, Sie sind ein großer Freund klassischer Musik?
Ja, besonders und an erster Stelle bin ich ein Fan der Oper. Aber ich liebe die Künste generell. Und Österreich war zwischen den Weltkriegen das Zentrum der Intellektuellen in Europa – von Schiele bis Klimt, von Zweig bis Freud, bis die Nazis alles zerstörten. Aber die Kultur ist nach Wien zurückgekehrt, sie scheint mir von größerer Leichtigkeit als in Deutschland. Berlin ist eine toughe Stadt. Wien ist eine sehr coole Stadt.
Haben Sie eine Lieblingsoper?
Ich mag die Italiener. Aber auch Mozart ist großartig, „Die Hochzeit des Figaro“ etwa. „Don Giovanni“ ist mir zugegeben ein bisschen zu stark und mächtig, ein bisschen zu deutsch, um ehrlich zu sein, obwohl die Uraufführung einst in Prag stattgefunden hat und ein großer Erfolg war. Auch die Oper „Norma“ von Vincenzo Bellini ist fantastisch.
Weil wir gerade von Kunst und Genuss sprechen, sind Sie wie Ihre Filmfigur auch ein großer Weinliebhaber?
Selbstverständlich. In Österreich habt ihr sehr guten Weißwein, und das Essen, das bei euch dazu serviert wird, ist köstlich – was in Berlin nicht der Fall ist. Es bewegt und rührt mich, eine Flasche Wein zu öffnen, die sehr viele Jahre alt ist. Jemand hat sie einst für dich abgefüllt, du öffnest und genießt sie in einem besonderen Augenblick und auf diese Art entsteht eine Kommunikation mit damals, welche die Zeit überspringt, denn diese Leute von damals sind jetzt tot. Das ist Zivilisation, das ist Europa. Nur dass meine Figur das im Film auf höchst arrogante Weise zelebriert.
Per DNA-Test seiner Herkunft nachzuspüren ist beliebt geworden. Was halten Sie davon?
Es ist sehr interessant, aber es stresst auch ein bisschen. Denn was wollen Sie schon entdecken? Wir sind ein Mix aus vielen Kulturen, besonders in Europa, mit all seinen Kriegen und Invasionen. Ich könnte auch so einen Test machen, warum nicht? Jeder möchte es machen und ich bin wie jeder andere auch. Es ist spannend. Weinen kannst du hinterher immer noch.
„Oh là là“ thematisiert auch Standesunterschiede. Auf der einen Seite die arrogante Adelsfamilie ...
... sagen wir: reich. Sie stinken vor Geld, besitzen einen Fuhrpark deutscher Autos, stellen seit Jahrhunderten Wein her und denken, sie seien die Könige vom Land, was Unfug ist. Auf der anderen Seite: französische Mittelschicht, ein erfolgreicher Autohändler, der Peugeots verkauft. Die Familie ist wohlhabend, aber sie war es nicht immer.
Denken Sie, ist gesellschaftlicher oder sozialer Status in unserer heutigen Gesellschaft wichtiger denn je geworden?
Der Status war immer wichtig und er ist es auf jeden Fall immer noch. Ich glaube aber auch daran, dass Liebe Standesunterschiede überwinden kann. Selbstverständlich. Wenn es ewige Liebe ist, wie in „Romeo und Julia“.
Arbeitet die derzeit junge Generation Z daran, dass soziale Unterschiede weitgehend an Wichtigkeit verlieren?
Jede Generation hat andere Ansichten als die vorige, wenn sie jung ist. Doch wenn jede dieser Generationen einmal alt geworden ist, denken sie alle gleich. Am Ende kehren sie alle zu etwas zurück, das sie in jungen Jahren abgelehnt haben. So läuft es meistens im Leben. Junge Leute rebellieren. Aber wenn sie älter werden und Kinder haben, ändern sie ihre Haltungen. Zumindest einige. Ich finde es sehr wichtig, sich weiterzuentwickeln, das ist Evolution. Tut man das nicht, findet man kein Glück.
Wenn man beginnt, Sätze aus dem Drehbuch zu streichen, weil sie jemanden vor den Kopf stoßen könnten, kommen am Ende solche Filme heraus, wie wir sie auf den amerikanischen Streaming-Plattformen sehen.
„Oh là là“ macht sich über Nationalstolz lustig, wird damit aber sicher für Diskussionen sorgen. Und Ihren so erfolgreichen „Monsieur Claude“-Filmen wurde Rassismus vorgeworfen. Wie halten Sie es mit politisch korrekt und unkorrekt?
Statt politisch würde ich eher sagen: kulturell korrekt. Das ist passender und weniger ein Widerspruch. Grundsätzlich halte ich diese Verhaltensnorm für eine Dummheit. Sie tut so, als wäre sie wichtig, ist es aber nicht. Denn ich glaube nicht, dass sie besonders viel Zuspruch erhält. Die Leute halten sich nicht daran. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was sie vorgegeben bekommen und was sie tatsächlich sagen. Bei all dem geht es hauptsächlich darum, wie wichtig es ist, sich wichtig zu machen. Und die Medien spielen eine große Rolle dabei.
Gibt es etwas, über das man keinen Witz machen darf?
Nein. Auf diese Weise denke ich nicht, das interessiert mich nicht. Du musst frei im Kopf sein, um etwas Kreatives zu schaffen. Wenn man beginnt, Sätze aus dem Drehbuch zu streichen, weil sie jemanden vor den Kopf stoßen könnten, kommen am Ende solche Filme heraus, wie wir sie auf den amerikanischen Streaming-Plattformen sehen. Disney hat mit dieser Haltung ein Vermögen verloren. Es hat sich nicht ausgezahlt, Cinderella neue Blickwinkel hinzuzufügen oder Arielle umzubesetzen. Deswegen ändern sie ihren Standpunkt auch gerade. Weil Geld das größte Thema von allen ist, ist kulturelle Korrektheit ein Misserfolg.
Sie spielen jemanden, der eigentlich unausstehlich ist. Dennoch machen Sie ihn auch sympathisch. Wie gelingt Ihnen das?
Ich weiß es nicht, ich spiele ihn einfach. Das war schon bei „Monsieur Claude“ so. Ich liebe die Fehler der Menschen, denn im Inneren des Fehlers steckt Menschlichkeit. Scheinbar perfekt ist nur ein Diktator, der möchte dann alle, die nicht seinen Vorstellungen entsprechen, ins Gefängnis stecken.
Menschliche Fehler sind zudem der Motor einer guten Komödie.
Das stimmt, in der Komödie arbeiten wir uns an allzu menschlichem Fehlverhalten ab. Man fühlt sich an seinen Bruder, Cousin oder Onkel erinnert und natürlich niemals an sich selbst. Menschen sind ambivalent, sie bestehen aus Fehlern und Qualitäten. Es zeugt von Intelligenz, sie auf diese Weise zu betrachten. Wichtig ist die Balance. Und nicht Menschen nachzueifern, die keine Zweifel kennen. Denn das ist ein Trugbild und äußerst gefährlich. Tun Sie das nicht.
Wie beurteilen Sie die drei erfolgreichen „Monsieur Claude“-Filme?
Es war ein tolles Abenteuer. Sogar Deutsche sprachen mich auf der Straße an, um Monsieur Claude Hallo zu sagen. Das fand ich schön. Der Film hat so viele Menschen berührt, weil er eine gesunde Distanz zu fremdenfeindlichen Klischees herstellt. Der Film hat geholfen, dagegen anzugehen. Das Interessante ist auch: Er war auf der ganzen Welt ein großer Erfolg, nur zwei Länder zeigten ihn nicht: Amerika und Großbritannien. Weil sie dachten, der Film sei rassistisch.
Was sagen Sie dazu?
Man sieht ja, wo das hingeführt hat. In Großbritannien haben sie ein schreckliches Problem mit Rassismus und Islamismus. Und was in Amerika vorgeht, spricht auch für sich. Wenn dir der Humor fehlt, hast du auch keine Distanz zu den Dingen. Für Mr. Trump zu stimmen zeigt, dass dir die Distanz zu allem fehlt. Das Schlimmste für einen Diktator ist Humor. Diktatoren mögen ihn nicht, weil er für sie am gefährlichsten ist. Deswegen müssen wir weiter Komödien machen. Auch die Medien sind ein großer Diktator, auch sie mögen keinen Humor. Weil sie über das Lachen der Menschen keine Kontrolle ausüben können. Entweder lachst du über etwas oder nicht – ob das vernünftig ist oder nicht spielt keine Rolle.
Sie gelten als eine Art Nachfolger von Louis de Funès, ein großer komödiantischer Anarchist. Eine große Ehre?
Ach, meine eigenen Fußstapfen sind für mich groß genug.
Als Experte fürs Komische: Was braucht es, um lustig zu sein?
Es ist eine Gnade und ein Geschenk. Es ist, was die Spanier „Duende“ nennen. Man zehrt dafür von seiner Kultur, Familie, Geschichte. Man kann es nicht erklären. Und weil Sie Louis de Funès erwähnt haben: unwiderstehlich lustig. Er hat das nicht erlernt, er hatte das in sich. Wenn man es nicht hat, kann man es auch nicht finden. De Funès hat es in sich entdeckt und bei mir war es genau dasselbe. Dieses Geschenk ermöglicht einem fantastische Kommunikation mit den Menschen. Es ist eine Freude und man muss sich beim lieben Gott dafür bedanken.
Über was können Sie persönlich lachen?
Ich mag die Filme von Louis de Funès sehr, aber auch von Peter Sellers und Charlie Chaplin. Ihre Werke machen mich glücklich.
Sie sind in Frankreich geboren, haben in England gelebt, jetzt leben Sie in Brüssel – warum, sind Sie den Franzosen böse?
Sind Sie Europäer oder nicht? Was für eine seltsame Frage. Sind wir als Künstler verpflichtet, immer am selben Platz zu leben? Ich habe in England gelebt, ich verbringe viel Zeit in Spanien, ich lebe in Brüssel und schon morgen kann ich gehen, wohin auch immer ich mag. Ich verstehe diese Art von Frage nicht. Das ist eine heikle Frage. Deshalb beantworte ich sie nicht.
Ich stelle es mir spannend vor, mal in der einen, dann einer anderen Stadt zu leben.
Eben. Und Paris ist noch dazu heute eine fürchterliche Stadt. Ich bin dort geboren und ich liebe Paris und Frankreich. Aber die Bürgermeisterin, die regiert, ist ein Desaster.
Sie haben öfter mit Gérard Depardieu gearbeitet und kennen ihn gut. Wie beurteilen Sie die Anschuldigungen wegen sexuellen Übergriffen gegen ihn?
Es gilt in diesem Fall die Unschuldsvermutung, die sehr wichtig ist. Es ist eine sehr traurige Geschichte. Es ist schrecklich für die Opfer. Aber lassen wir die Justiz ihre Arbeit machen und darüber entscheiden. Und nicht die Medien. Ich verstehe, dass es für die Medien großartig ist, den Platz des Richters einzunehmen, aber das dürfen sie nicht. Das ist wichtig für die Demokratie. Denn wenn Ihnen selbst so etwas passiert, würden sie es auch so haben wollen.
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