
Freddy Quinn: Seine Lebenslügen - und wie es wirklich war
In seiner Autobiografie verrät der Sänger die Wahrheit über sein Image als Seemann und seine tragische Familiengeschichte.
Ein Brustkorb wie ein Panzer, markantes Granitkinn, Blick in die Ferne – so kennt man ihn. Ein Held in der Südsee wie in der Prärie, ein weit gereister Kapitän – und dann dieser Bariton, dieser unwiderstehliche Schmelz in der Stimme, deren Melancholie sanft von fernen Ländern kündet. Artistik am Hochseil? Kein Problem.
Freddy Quinn stand und steht für so vieles, dass einem der Kopf schwirrt. Vollblut-Entertainer, Superstar in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, Filmheld und Schlageridol, ein echter Tausendsassa. Und mit einer Lebensgeschichte, die derart oft verfremdet und zur Unkenntlichkeit ausgeschmückt wurde – nicht zuletzt von ihm persönlich – dass irgendwann wohl nicht einmal er selber mehr die Wahrheit wusste.
War er wirklich zur See gefahren? Hatte er als Fremdenlegionär gedient? Ging er als Kind in Amerika zur Schule und war ein Leben lang getrieben von der Suche nach seinem Vater? Oder war sein Leben eine Lüge?
„Ich persönlich habe nicht das Gefühl, dass sein Leben eine Lüge ist“, sagt einer, der es, außer Freddy Quinn selbst, am ehesten wissen muss.

Der Mann mit der Gitarre: melancholisch, ein einsamer Wolf – so stellte Freddy Quinn sich dar. Stets brannte heiß der Wüstensand
©APA/dpa/ReissDaniel Böcking ist der Autor der Autobiografie des heute 93-Jährigen. „Wie es wirklich war“ heißt sie, ein Lebensrückblick. Der auch aufräumen soll mit einem Image, das irrsinnig stimmig war, aber selten stimmte.
Käpt’n ohne Kahn
Rekapitulieren wir für die Jüngeren unter uns aber erst einmal einige seiner großen Erfolge. Das Dean-Martin-Cover „Heimweh“, Quinns erster Hit 1956, verkaufte sich als erste Single in Deutschland mehr als eine Million Mal, insgesamt irre acht Millionen Mal. Drei seiner Filme waren die erfolgreichsten des Jahres. 15 Goldene Schallplatten heimste er ein. 70 Millionen Tonträger hat er verkauft. Vor US-Präsident George Bush sen. ist Quinn aufgetreten, und mit Johnny Cash hat er in seiner TV-Show gesungen. Ein Superstar? Oh ja.

Frauenschwarm: Quinn im Film „Freddy und das Lied der Südsee“ (1962)
©mauritius images / Alamy Stock Photos / kpa Publicity Stills/Alamy Stock Photos / kpa Publicity Stills/mauritius images„Die Gitarre und das Meer“ als Trost für den liebeskummrigen Jimmy, der mit schwerem Herzen seiner Juanita nachtrauert; die Soldatenhymne „Hundert Mann und ein Befehl“ und natürlich das sorgenvolle „Junge, komm bald wieder“: Schlagerhits, die in ihrer Eindringlichkeit immer noch im Ohr tönen. Und immer war darin das Heimatland fern, brannte heiß der Wüstensand und selbst am Kai von Casablanca waren die Gedanken an die Liebste unauslöschlich.
Dabei hat Freddy Quinn in Interviews in den vergangenen Jahrzehnten alles Mögliche getan, um klarzustellen, dass er mit dem Seemannsgarn nichts an der Kapitänsmütze hat.
Wie es wirklich war
„Mein Leben war eine Lüge! Es ist eine Illusion, eine Erfindung“, sagte er. Doch so genau wollte das niemand wissen, und so pickt das Image bis heute unwiderruflich an ihm fest. Eine 70-Seiten-Biografie, die ihm sein Produzent in aller freiheitsliebenden Fantasie einst auf den Leib schrieb, trug das Ihre dazu bei. Freddy, der einsame Wolf auf den sieben Weltmeeren.

Als Revolverheld: im Schlagerwestern „Freddy und das Lied der Prärie“
©mauritius images / Alamy Stock Photos / IFA Film/Alamy Stock Photos / IFA Film/mauritius imagesQuinn fühlte sich als kleines Rädchen in einer PR-Maschinerie; heute ärgert er sich, wie er zugibt, so lange mitgemacht zu haben. Im Buch finden sich dazu durchaus starke Worte. Von später Reue ist da zu lesen, von einem Kostüm, das er sich überstreifte, aber nicht recht passte, von der Entscheidung für die Einfalt, von einem „Käfig“. Jetzt will er sich „erklären, aber nicht freisprechen“. Quinn sah sich stets als Dienstleister, der lieferte, was gewünscht war. Ein Profi fürs Publikum.
Wo ist Freddy geboren?
Kompliziert wird es bereits bei seiner Geburt. Zumindest bei der Frage, wo genau denn seine Wiege stand. Die Archive platzen vor Fehlinformationen. Pula? Niederfladnitz? Oder doch Wien?
Später hieß es, sein Vater sei wahlweise Amerikaner oder irischer Kaufmann. Quinn wollte nicht, sagte er, über den Kreißsaal diskutieren, und ließ alle Versionen zu. Wahr ist: Aus Pula stammte zwar sein Stiefvater, Baron Rudolf Anatol von Petz, und im Ort in Niederösterreich verbrachte Quinn viel Zeit bei der geliebten Großmutter.

Stimmig: bei einem Auftritt als Sänger (2006)
©imago/MAVERICKS/imago stock&peopleGeboren wurde der Sänger jedoch als Manfred Franz Eugen Helmuth Nidl in der Wiener Laudongasse 10, im vierten Stock; seine Mutter Edith (sie musste später wegen Verleumdung zweieinhalb Jahre ins Gefängnis) zog ihn alleine auf. Der Baron war „keine Vaterfigur für mich“ und die familiären Erfahrungen mit ein Grund für eine tiefe Scheu vor fester Bindung und warum er selbst nie eine Familie gründete.
Sein Vater – ermordet
Dem echten Vater von Freddy Quinn, dem wird in seiner Autobiografie noch einmal auf den Grund gegangen. Der hatte Freddys Mutter, als sie von ihm schwanger wurde, verlassen.
Dass er als kleines Kind von ihm nach Amerika mitgenommen wurde, und in Morgantown, West Virginia, in die Volksschule ging, bevor die Mutter das Sorgerecht zurückerlangte und wieder nach Wien holte – alles geflunkert. Eine andere Version erzählte, dass Quinn nach dem Krieg auf der Suche nach dem Vater und viel Zeit auf See in New York gelandet war, wo er von dessen Tod erfuhr – ebenfalls kein Wort dran.
Die Archivarbeit deckt nun auf: Quinns womöglich richtiger Vater Emil wurde offenbar mit 75 ermordet – von seinem 17-jährigen Sohn Rainer, der ebenso seine Mutter und seinen Bruder grausam hinrichtete. Rainer wäre demzufolge Freddy Quinns Bruder.

Alles Zirkus: Quinn, akrobatisch als Seiltänzer in der Manege
©imago/United Archives/United Archives/Impress/imagoDollars in die Jacke eingenäht
Auch wenn vieles nicht stimmte, führte Quinn ein abenteuerliches Leben. Er heuerte beim Zirkus an. Spielte während der Besatzung in Wien für die GIs Hillbilly-Lieder. Er reiste per Autostopp nach Tunesien, Algerien, Marokko. In Sidi bel Abbès machte der Barde die Ausbildung bei der französischen Fremdenlegion („Es war die Hölle“). Er fuhr zur See, eine Zeit, die „zu 99 Prozent aus Kartoffelschälen bestand“.
Diese Zeit als Vagabund war es auch, die Freddy Quinn am meisten prägte. „Wenn er unterwegs war, ist er aufgeblüht“, analysiert Autor Böcking, „vielleicht weil ihm ein innerer Ruhepol fehlte.“
Gepaart war das mit der steten Sorge, am Abend noch nicht zu wissen, wo er unterkommen würde. „Freddy hatte damals immer ein paar Dollarscheine in seine Jacke eingenäht, falls es hart auf hart kommt. Das blieb ihm: Noch 50 Jahre später als mega-erfolgreicher Künstler hatte er in vielen Hotels in Deutschland stets einen Koffer versteckt – als Sicherheit, wenn er plötzlich keinen Ort mehr hätte, wo er hingehen konnte.“
Heute blickt Quinn mit 93 auf ein pralles Leben zurück. Mit „Spanish Eyes“ hätte er beinahe einen Superhit gelandet, doch die Plattenfirmen nahmen ihm das Lied weg und Al Martino wurde statt ihm weltberühmt. In Amerika trat er in der Carnegie-Hall auf und in Johnny Carsons „Tonight Show“. Er machte Country. Wurde wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Nach Jahren mit seiner geliebten Lilli Blessmann, die ihn auch managte, sagte er 2023 im stolzen Alter von 91 noch einmal „Ja“ zu seiner Rosi („Das größte Glück, das mir passieren konnte“).
Und vielleicht ist der Hamburger Junge ja irgendwie auch ein ewiger Wiener geblieben. Autor Böcking: „Wenn er vom Ringelspiel im Prater erzählt, leuchten heute noch seine Augen.“
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