
Ursula Strauss: "Früher war ich unsicherer"
Die Schauspielerin über den Megatrend Gesundheit, Minderwertigkeitskomplexe und die Endlichkeit des Lebens.
Dass aus Molières eingebildetem Kranken eine Kranke, also eine Frau als Hauptfigur wurde – das ist für Ursula Strauss kein Thema. Das ist so. Warum auch nicht? Am 25. Juni feiert der Komödienklassiker beim Theatersommer Haag seine Premiere. Strauss, die Komödie wie Tragik kann, wird todsicher überzeugen. Das Stück erzählt von einer selbstmitleidigen Hypochonderin und ihrem geldgierigen Arzt, eine ungesunde Symbiose. Um die Zuneigung ihrer Liebsten zu testen, täuscht sie ihren Tod vor – Verstellung und Wahrheit ziehen ihre Kreise. Lachen und Tod liegen eng beieinander.
Als Molière sein Stück „Der eingebildete Kranke“ gespielt hat, hat er auf der Bühne einen Blutsturz erlitten, dem er kurz darauf erlegen ist. Ist das die Ironie des Schicksals?
Was wirklich ironisch war, ist dass die Leute sich totgelacht haben, als er diesen Blutsturz erlitten hat. Sie haben gedacht, das gehört zum Stück und er sei so überzeugend in seiner Rolle. Das finde ich faszinierend: Sobald etwas auf einer Bühne stattfindet, wird es in seiner Grausamkeit nicht bis zur letzten Konsequenz ernst genommen. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum Künstler alles sagen dürfen und sagen müssen. Und sagen dürfen müssen. Man kann harte Wahrheiten aussprechen, weil die Leute die Möglichkeit haben, mit Lachen darauf zu reagieren. Sein und Schein verdichten sich.
Ist dieses Verdichten der Welten für Sie nach all den Jahren immer noch spannend?
Absolut, sonst würde ich etwas anderes machen.
Was zum Beispiel?
Mich interessieren

Ursula Strauss: „Was uns fehlt, ist die gesunde Mitte – in der Gesellschaft, als auch in uns selbst“
©kurier/Wolfgang Wolaksoziale Berufe. Vielleicht würde ich wieder mit Kindern arbeiten, ich habe Kindergärtnerin gelernt. Kochen finde ich spannend, ich könnte als Lehrling in der Küche anfangen. Mich würde auch eine Massageausbildung interessieren. Dennoch liebe ich meinen Beruf und die Magie, die er in sich trägt. Man lernt von den Charakteren, die man verkörpern darf, und ist gleichzeitig auf der Suche nach sich selbst. Das hält wach.
Kürzlich habe ich ein Interview mit Nicholas Ofczarek geführt. Auch er zeigte Interesse am Arbeiten mit Körpern, an Physiotherapie.
Der Körper ist unser Instrument, er muss sich in Schwingung befinden und öffnen können. Ist er krank, verspannt oder erschöpft, können wir unseren Beruf nicht mehr so präzise ausüben. Vielleicht kommt von daher das Interesse von Schauspielenden für den Körper. Nur gesund können wir Extreme erforschen. Herz, Seele und Körper dürfen nicht einrosten, sonst verstimmt sich das Instrument.

"Die eingebildete Kranke": Premiere ist am 25. Juni beim Theatersommer Haag
©Moritz SchellDas Stück trifft immer noch den Nerv der Zeit. Woran liegt das?
Es geht um die elementaren Themen Liebe und Tod. Außerdem um Familiensysteme, Machtstrukturen, zudem hat die Figur ein Narzissmusproblem. Diese Themen bleiben modern. Durch seine Leiden steht der eingebildete Kranke ständig im Mittelpunkt. Alle müssen sich um ihn kümmern, alles tanzt nach seiner Pfeife. Dieses Verhalten ist hochmanipulativ. Oder doch nur panische Angst vor der Endlichkeit und der Einsamkeit?
Ist die heutige Gesellschaft hypersensibel geworden, was die eigene Befindlichkeit betrifft?
Wir befinden uns in einem Zeitalter der Extreme. Einerseits ist da ein intellektualisierter Zugang, zu uns selbst und der Welt, der sensibel macht für jedes Zipperlein. Wir leben in einer Zeit des Fortschritts in einer hochtechnologisierten Gesellschaft, die uns Zugang zu Wissen ermöglicht. Andererseits gibt es eine extreme Wissenschaftsfeindlichkeit und viel Scharlatanerie, auf die Menschen hereinfallen wollen. Was uns fehlt, ist die gesunde Mitte – in der Gesellschaft, wie auch in uns selbst.

Strauss: "Soziale Medien verleiten dazu, auf jeden Spatz, der uns nicht gefällt, mit Kanonen zu schießen"
©kurier/Wolfgang WolakViele Menschen reden davon, Polarisierung vermeiden zu wollen und lassen sich letztlich doch dazu hinreißen.
Unsere Gesellschaft hat verlernt, Konflikte zu führen. Kompromisse kann nur finden, wer miteinander spricht. Man sollte anderen nicht gleich Böses unterstellen, sondern unvoreingenommen zuhören. Soziale Medien verleiten dazu, auf jeden Spatz, der uns nicht gefällt, mit Kanonen zu schießen. Wichtiger wäre: Fragen zu stellen, hinterfragen, reflektieren. Das ist eine demokratiepolitische Notwendigkeit.

Im Gespräch: Kurier Freizeit-Redakteur Alexander Kern und Ursula Strauss
©Alexander KernLongevity, also Langlebigkeit, ist in aller Munde. Die Wissenschaft des Alterns weckt enormes Interesse. Wie nehmen Sie diesen Megatrend wahr?
Als Luxusproblem – ein Zeichen dafür, wie gut es uns im Westen geht. In Kriegsgebieten hat man existenziellere Probleme. Natürlich ist es wichtig, sich Wohlbefinden zu schaffen. Aber sterben müssen wir alle, daran führt kein Weg vorbei. Das Verdrängen der eigenen Sterblichkeit empfinde ich als unreif. Der ständige Oberflächenperfektionsdruck lenkt von Dingen ab, die viel wichtiger sind: unser Klima, Frieden zu schaffen, die Welt gerechter zu machen. Das finde ich essenzieller als sich krampfhaft mit dem Älterwerden zu beschäftigen oder ob man ein Doppelkinn bekommt. Na und, hat man halt eines.

Blick zurück: "Wieso hatte ich damals eigentlich solche Minderwertigkeitskomplexe?"
©kurier/Wolfgang WolakHadern Sie dennoch manchmal mit dem Älterwerden?
Ich selbst hadere nicht. Womit ich aber zu kämpfen habe, ist das Ausbleiben von Rollen für ältere Frauen. Das verstehe ich nicht, auch unsere Zuschauerinnen sind mittleren und höheren Alters. Ich bin jetzt 51 und habe mich noch nie so wohl gefühlt. Früher war ich unsicherer. Heute frage ich mich: Wieso hatte ich damals eigentlich solche Minderwertigkeitskomplexe? Schade um die verplemperte Energie!
Altern schlägt eine Brücke zur Vergänglichkeit. Wie beschäftigt Sie das?
Ich bin dem Tod schon sehr früh begegnet. Habe seine verschiedenen Gesichter gesehen und oft Abschied genommen. Habe Sterbende begleitet und durfte dabei sein, wenn sie ihren Weg zu Ende gegangen sind. In solchen Momenten bleibt die Zeit stehen und man versteht in all dem Schmerz und Verlust, was uns der Tod sagen will. Das Leben ist kostbar, das Leben ist magisch, weil es endlich ist. Dass wir hier sein dürfen, ist ein Geschenk. Machen wir das Beste daraus.
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