Karl Lagerfeld wäre 90 geworden

Lagerfelds letzte Geheimnisse: "Vom Tod wollte er nichts wissen"

Neue Doku über die Nazi-Vergangenheit der Eltern, seine große Liebe und die letzten Stunden. Gero von Boehm im Interview.

Handschuhe, Sonnenbrille, schlohweißes Haar: Für Karl Lagerfeld wie eine Rüstung, mit der er sich vor Zudringlichkeiten schützte. Ein genialer Modemacher, der vor fünf Jahren starb, und ein Gesamtkunstwerk, das er genüsslich inszenierte. Die Doku „Karl – Der Mann hinter der Maske“ (zu sehen online über die Mediatheken von 3sat und ZDF) von Gero von Boehm, der ihn gut kannte und berühmt für seine Interviews von Hockney bis Handke, wirft einen intimen Blick auf Lagerfeld und lüftet manches Geheimnis. Zu Wort kommen Vertraute wie Claudia Schiffer, Anna Wintour oder Sébastien Jondeau.

Den Mensch hinter der Maske zu ergründen, ist das bei einem Gesamtkunstwerk wie Karl Lagerfeld überhaupt möglich? 

Wir werden niemals sehen, was sich alles hinter seiner vordergründigen Persona verborgen hat, aber man kann sich annähern. Ich habe ihn ja ganz gut gekannt. 1998 traf ich ihn das erste Mal, drehte den ersten Film über ihn. Da war er noch dick und hatte stets seinen Fächer dabei, um sein Doppelkinn zu verbergen.

Karl - Der Mann hinter der Maske

Der Filmemacher und der Modefürst: Gero von Boehm (li.) drehte eine Dokumentation über Karl Lagerfeld (re.): „Im Alltag war Karl eigentlich völlig hilflos“

©ZDF und Till Vielrose/ZDF/Till Vielrose

Wie war er damals?

Er hat schon damals eine unglaubliche Dynamik ausgestrahlt und mit seinem typischen Witz gepunktet. Solch eine Scharfzüngigkeit besaß sonst niemand in der Branche. Sprüche wie: „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Oder: „Stress? Ich kenne nur Strass.“ Dabei konnte ich hautnah miterleben, wenn er Stress hatte und am Telefon in drei Sprachen drei Schauen gleichzeitig organisierte. Aber neben dem Glamour und dem Charme, den er ausstrahlte, kannte er auch Schattenseiten.

Im Grunde war er die Reinkarnation seiner Mutter. Wahrscheinlich war das auch sein geheimes Ziel, so zu werden und zu sein wie sie. So schlagfertig, so stilvoll.

Gero von Boehm

Dazu zählt die Nazi-Vergangenheit seiner Eltern, die er zeit seines Lebens geheim gehalten hat.

Dieses Trauma begleitete Lagerfeld ein Leben lang. Deswegen hat er sein Geburtsjahr 1933 stets verschwiegen und machte sich jünger. Noch 2004 sagte er mir, dass selbst er sein Geburtsdatum nicht wüsste – es gäbe keinen Geburtsschein. Er hat das alles verdrängt und verschwiegen. Der Grund dafür war klar: Hätte man von der NSDAP-Mitgliedschaft seiner Eltern gewusst, hätte er diese Karriere in Frankreich, die ihn zu höchstem Ruhm führte, niemals machen können.

Nichtsdestotrotz ist seine Mutter ein enorm wichtiger Einfluss in seinem Leben gewesen und in vieler Hinsicht ein Vorbild.

Absolut. Niemand hat ihn so geprägt wie seine Mutter mit ihrer strengen Erziehung und ihrer flapsigen Pointensicherheit. Im Grunde war er die Reinkarnation seiner Mutter. Wahrscheinlich war das auch sein geheimes Ziel, so zu werden und zu sein wie sie. So schlagfertig, so stilvoll.

Als sie auf den Tod zuging, hörte er auf, sie zu besuchen, stimmt das?

Ja, er hat ihren kommenden Tod verdrängt, weil er glaubte, das nicht ertragen zu können. Er ging auch nicht zu ihrer Beerdigung. Die Asche seiner Mutter deponierte er viele Jahre lang bei einem Freund im Schrank – er wollte die nicht in seiner Nähe haben. Er hat das alles verdrängt, wollte die Mutter so in Erinnerung behalten, wie er sie zu Lebzeiten kannte.

Da besitzt man drei Rolls Royce und muss in so einem Zimmer sterben.

Karl Lagerfeld

Er wollte auch die eigene Endlichkeit des Lebens bis zuletzt nicht akzeptieren. 

Den Tod wollte er bis zum Schluss nicht hinnehmen. Bis zur letzten Stunde seines Lebens organisierte er mit seinem engsten Vertrauten Sébastien Jondeau noch eine Modenschau für Fendi in Rom. Vom Tod wollte er nichts wissen. Am Sterbebett soll er gesagt haben: „Da besitzt man drei Rolls Royce und muss in so einem Zimmer sterben.“

Sein Leibwächter und Fahrer, Sébastien Jondeau, war sein ständiger Begleiter, mit dem er auch lebte. Welche Rolle spielte er für ihn?

Sébastien ist ein Mensch aus der Pariser Banlieue, einfachen Verhältnissen, aber äußerst selbstsicher und absolut loyal. Er war Tag und Nacht bei ihm und hat ihn betreut, allein hätte Lagerfeld niemals leben können. Sébastien hat ihm alle Dinge des Lebens abgenommen, auch alle Arztbesuche organisiert. Karl war im Alltag eigentlich völlig hilflos. Darum konnte und wollte er sich nicht kümmern.

Wie oft haben Sie Lagerfeld getroffen?

Seit 1998 ziemlich oft, im Café de Flore, oder wir haben uns für spätabends in Buchhandlungen verabredet. Ich lebte damals in Paris. Wir trafen uns bei Galignani oder auch bei La Hune, wo er gern stöberte – und im großen Stil kaufte. Die hatten immer bis Mitternacht geöffnet. Dann redeten wir über Bücher, man musste sehr vorbereitet sein. Es war immer gut, wenn man die Sachen, die er ansprach, gelesen hat. Ich hatte da oft Glück, etwa mit Eduard von Keyserling. Das waren Momente, in denen man sich auf einer gewissen Augenhöhe mit ihm befand.

Gero von Boehm

Gero von Boehm

Gero von Boehm wurde 1954 in Hannover geboren und ist Autor und Regisseur. Für Gesprächsreihen auf SWR und 3sat führte er mehr als hundert Interviews mit prominenten Künstlern, von  Fellini bis Arthur Miller. Er drehte mehr als 100 Dokus, etwa über Helmut Newton, Michael Haneke, Isabella Rossellini. Verheiratet, drei Kinder.

Konnte man mit ihm auch über Privates sprechen – oder gab es immer eine Anekdote oder Pointe, die Persönliches übertüncht hat?

Es hieß immer, er wolle nicht über Jacques de Bascher sprechen, die Liebe seines Lebens. Eines Tages brach es dann aus ihm heraus, die ganze Tragödie mit Jacques, der an Aids starb und wie er ihn bis zum Ende begleitete, im Krankenhaus an seinem Bett schlief. Da kam eine weiche Seite in ihm zum Vorschein und er musste mit den Tränen kämpfen.

Neben seiner Mutter war sein Liebhaber Jacques der Mensch, der ihm am meisten bedeutete. 

Am beeindruckendsten war unsere Konversation immer, wenn die Sprache auf Jacques kam. Er hat dann erzählt, wie faul der eigentlich war und er ihn alimentieren musste, aber zugleich, wie wunderbar er war und für ihn die Verkörperung Frankreichs darstellte. Trotz aller Querelen konnte er nicht von ihm lassen, sogar die Affäre mit Yves Saint Laurent hat er ihm verziehen. Eine Liebe wie ihn gab es vorher und nachher nicht mehr für Lagerfeld. Jacques war der Anfang und das Ende für ihn.

Dabei war es großteils eine platonische Beziehung, die lebenslange Anziehungskraft ging über das Sexuelle hinaus. 

Das ist ungewöhnlich und bei Karl war das offenbar der Fall, seine engsten Freunde bestätigen das. Alles Körperliche war ihm fremd. So weit wollte er nicht gehen, auch weil er Angst hatte, die platonische Liebe würde dann irgendwann aufhören. Und die war ihm wichtiger.

Wird Lagerfelds Vermächtnis die Zeit überdauern und er auch für nächste Generationen als Mode-Genie gelten?

Ich glaube schon. Als Ikone wird er die Zeit überdauern. Solche Persönlichkeiten gibt es in der Mode heute nicht mehr. Die schüchternen Jungs, die heute bei Hermès, Chanel und Dior engagiert werden, das ist nicht mehr dasselbe. Da tut sich keiner hervor, schon gar nicht mit Worten. Aber so eine Erneuerung ist notwendig. Jetzt müssen junge Leute den Job machen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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