Anna Veith im Interview: "Ich muss lernen, zu vertrauen"

Ex-Skistar Anna Veith ist jetzt Fitnessbotschafterin. Wir sprachen mit ihr über Glücksversprechen, Rückschläge und ein Comeback.

Sie ist eine der erfolgreichsten Skifahrerinnen, die Österreich je hatte. Als Olympiasiegerin und dreifache Weltmeisterin hat sie Geschichte geschrieben. Jetzt macht Anna Veith als Fitness-Botschafterin von sich reden. Für carpe diem (Red Bull Media House) entwickelte sie ein Trainingsprogramm, animiert in kostenfreien Fitnessvideos (carpediem.life/anna) zu einem gesunden Lifestyle und sagt: "Nur wenn wir körperlich und mental stark sind, können wir unser volles Potenzial entfalten."

Und das ist als berufstätige Mutter im stressigen Alltag ja oft gar nicht so einfach. Beim Interview in Wien ist Anna Veith locker und tiefenentspannt. Da träumen viele von einem Ski-Comeback.

Liebe Anna, sagt Ihnen der Name Ilse Buck noch etwas? 

Nein, ich befürchte nicht.

Ehemaliger Ski-Star Anna Veith: „Ich lebe jetzt ein ganz anderes Leben als früher“

©Red Bull/Ulrich Aydt

Mit ihren Gymnastikübungen zur Sendung "Fit mach mit" in Radio und Fernsehen wurde sie so beliebt, dass sie "Vorturnerin der Nation" genannt wurde. Könnte das bald auch Ihr Rufname sein?

Wenn es so sein soll, sehr gern. Es würde mich freuen, wenn ich die Leute auf meine Art inspiriere und motiviere. Das wäre cool.

Ihr Anliegen ist körperliches und mentales Wohlbefinden als Weg zum Glück. Ein Thema, das viele umtreibt, es gibt Bücher, Podcasts, sogar Glückstrainer. Was brauchen wir zum Glück, was nicht? 

Es gibt so viele Glücksversprechen. Versucht man, die alle in seinen Alltag zu integrieren, löst das nur noch größeren Stress aus. Deshalb ist Verzicht für mich ein großes Thema. Was ist von all diesen Möglichkeiten die richtige für mich? Das herauszufinden, ist das A und O. Es gilt, sich die Frage zu beantworten: Was macht das Leben für mich lebenswert? Und die Antwort konsequent zu befolgen ohne sich beirren zu lassen. Selbst zu spüren, was man braucht und erreichen will. Sich Ziele zu setzen, daran zu arbeiten und dann an den Erfolgserlebnissen zu erfreuen.

So wie Sie es sagen, klingt das durchaus machbar.

Klingt einfach, ist es aber nicht. Man braucht Durchhaltevermögen. Eine Eigenschaft, die uns in der heutigen Gesellschaft oft fehlt. Wir haben zu viele Möglichkeiten unser Glück zu finden, was uns den Weg zum Glück letztlich versperrt. Wir springen von einem zum nächsten, ob im Job oder in der Liebe. Ich glaube, viele halten oft nicht durch, weil sie sich keine Ziele setzen. Wir lassen uns ablenken. Der erste Schritt zum Glück ist aber, zu wissen, was man will.

Manche schwören auf Eisbaden, um Glücksgefühle zu provozieren, andere auf ein Dankbarkeitstagebuch. Was liegt Ihnen nahe? 

Ich weiß, dass Eisbaden modern ist, es steht aber auch im neuen Jahr nicht auf meiner To-Do-Liste. Ich habe während meiner aktiven Skifahrer-Zeit am Berg schon genug gefroren, da muss ich nicht noch ins Eisbad. Ich mag keine großen Temperaturschwankungen, bin auch keine Sauna-Geherin. Mein Immunsystem stärke ich anders.

Und Journaling?

Finde ich gut, jedoch bin ich dafür zu inkonsequent. Ich bin nicht der Typ für handschriftliche Notizen, lieber bespreche ich mit meinem Mann, was mir am Herzen liegt. Wofür sind wir dankbar? Für unsere Familie, dass wir leben dürfen, wo wir leben, dass wir gesund sind – darüber reden wir öfter. Das muss nicht täglich sein, aber man sollte es intus haben, das nichts selbstverständlich ist im Leben. Wir schätzen das.

Es gibt viele Auslöser für Sorgen und Stress. Was macht Ihnen Kopfzerbrechen? 

Im Moment ist meine größte Herausforderung, dass mein Sohn Skifahren gelernt hat und von nun an ganz allein auf der Piste steht. Aber selbst wenn ich mit ihm unterwegs bin, sorge ich mich, ob er die Kurve eh schafft und rechtzeitig abbremst. Ich muss lernen, zu vertrauen. Den Kindern Vertrauen zu schenken, dass sie etwas selber schaffen können. Diese Unterstützung zu geben fordert mich aktuell. Kinder zu haben ist eine wunderschöne Erfahrung – aber handelt mir auch ein paar Sorgenfalten ein. (lacht)

Fit mach mit: Veith als Vorturnerin, die sich für körperliche und mentale Gesundheit einsetzt

©Philipp Carl Riedl/Red Bull / Philipp Carl Riedl

Kleines Gedankenspiel: Ob Ihr Bub wohl auch einmal Skifahrer und womöglich Olympiasieger wird? 

Wenn er unbedingt Skifahrer werden will, dann darf er das. Aber ich glaub es nicht. Er hat so viele andere Interessen! Aber wir wohnen mitten im Skigebiet und es wäre schade, wenn er nicht die Brettln anschnallt. Wir stehen selber gern auf der Piste und was gibt es Schöneres, als Skifahren mit den eigenen Kindern? Alles, das man vorlebt, kann gut sein für die Kinder. Aber wenn sie gegenteilige Vorlieben haben als ihre Eltern, geht das natürlich auch völlig in Ordnung.

Was ist anstrengender: Mutter zu sein oder Spitzensportlerin?

Das kann man nicht vergleichen. Ich muss zwar nicht mehr täglich Spitzenleistungen erbringen, dafür aber im Alltag viel mehr Ausdauer aufbringen und Nerven beweisen. Die kleinen Dinge jeden Tages bergen viel größere Herausforderungen als früher. Allein wenn ich mit den Kids das Haus verlassen will, braucht es eine halbe Stunde. So lange dauert es, bis alle halbwegs angezogen sind. Früher bin ich einfach zur Tür raus.

Parallelslalom: Redakteur Alexander Kern im Interview mit Anna Veith

©Red Bull/Ulrich Aydt

Sie sind es gewohnt, Ihre Ziele klar zu verfolgen. Sind Sie mit Ihrem Sportlerinnen-Mindset ungeduldiger als andere?

In Sachen Geduld habe ich viel dazugelernt, seit ich vor dreieinhalb Jahren zum ersten Mal Mutter geworden bin. Keiner ist perfekt, kann alles von heute auf morgen können. Das erste Kind ist eine riesengroße Umstellung. Mittlerweile bin ich geduldiger. Gewohnt bin ich es von meiner Sportlerinnen-Karriere aber nicht. Da musste alles schnell gehen, für Kleinigkeiten war keine Zeit. Das hat sich komplett gedreht. Ich lebe jetzt ein ganz anderes Leben als früher. Das kann man nicht miteinander vergleichen.

Wie sieht Ihr Alltag jetzt aus? 

Ziemlich banal und wenig glamourös: Ich stehe immer noch früh auf, zwischen fünf und sechs Uhr morgens, weil da meine zehn Monate alte Tochter munter wird. Ich richte das Frühstück, bereite Henry auf den Kindergarten vor, erledige am Vormittag Arbeit für Haushalt und meine Projekte, beschäftige mich mit Lotte, die gerade besonders viel Aufmerksamkeit braucht, weil sie gehen lernt. Man kann sie gar nicht mehr alleine lassen, weil sie auf die Couch klettert und alles abräumen will, das nahe ist.

Anna Veith im Gespräch: "In Sachen Geduld habe ich viel dazugelernt, seit ich vor dreieinhalb Jahren zum ersten Mal Mutter geworden bin"

©Red Bull/Ulrich Aydt

Sie sind ja am Bauernhof bei Ihren Großeltern in Bad Dürrnberg aufgewachsen. Hat Sie das geerdet?

Auch wenn es nur fünf Jahre waren am Bauernhof, war diese Zeit sehr wichtig für mich. Wir hatten Milchkühe. Ich habe hautnah mitbekommen, was zu tun ist, damit es den Tieren gut geht. Ich habe ein Gespür für gesunde Lebensmittel entwickelt. Das zu lernen, ist heute extrem viel wert. Üblicherweise kann man das seinen Kindern ja nicht weitergeben. Im Supermarkt vor vollen Regalen mit riesigem Angebot fehlt Kindern das Gefühl für diesen Ursprung. In mir ist es aber stark verankert.

Schmerzt es, dass Ihre Kinder anders aufwachsen und Ihnen dieses Gefühl fehlt? 

Ich kann einen Bauernhof mit ihnen besuchen, aber sie werden nie wissen, wie es ist, auf einem aufzuwachsen und bei den Eltern und Großeltern mitzuhelfen. Das sind zwei Paar Schuhe. Zum Glück wohnen wir neben einem Bauernhof, da kriegen sie was mit. Sie werden anders geprägt: Mein Mann und ich betreiben ein Hotel, und mein Sohn etwa liebt es, dort bei seinem Papa zu sein und würde am liebsten im Büro mitarbeiten.

Als Paar und im Beruf so eng Seite an Seite zu sein, funktioniert dieser Parallelslalom für Sie und Ihren Mann ohne Einfädler?

Es funktioniert, weil wir ein gutes Team sind und genau wissen, was der andere braucht. Aktuell ist die Arbeit für ihn im Hotel sehr intensiv, daher sind die Kinder in meiner Obhut. Auf der anderen Seite: Wenn ich für ein Projekt tagelang unterwegs bin, begleitet er mich und passt auf die Kinder auf. Das finde ich außergewöhnlich. Wir haben beide unseren Beruf – ich finde es toll, wie wir uns unterstützen.

Ich erinnere mich noch gut, wie Sie 2015 einen heftigen Konflikt mit dem ÖSV und Peter Schröcksnadel ausfechten mussten. Sie klagten darüber, dass man Sie fertigmachen wolle, ein Rücktritt vom Skisport stand im Raum. Es ging dabei nicht nur um Werbeverträge, sondern auch um Gleichstellung mit den Männern. Sie forderten gleich gute Betreuung. Ist das Ihrer Meinung heute besser geworden?

Wie das nach dem Wechsel der Führungsriege im ÖSV aktuell gelebt wird, kann ich nicht beurteilen. Aber was nach diesem Konflikt in die Wege geleitet wurde, war auf alle Fälle besser als was zuvor war. Ich habe mit meinem Kampf bessere Bedingungen erreicht – für mich selbst, aber auch für jene, die mir nachgefolgt sind.

Sie gelten bis heute als Revolutionärin, die es gewagt hat, sich mit dem mächtigen ÖSV anzulegen. 

Es war wichtig, dass die Situation nach außen gelangt ist – und zu thematisieren, dass es im Skisport eine Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gibt, die ungerecht ist. Dadurch wurde man auf das Problem aufmerksam, die Verantwortlichen haben sich überlegt, was zu korrigieren ist. Es gab eine nachhaltige Verbesserung.

Das Skifahren an sich würde mich reizen, aber alles was dazu gehört, kommt für mich nicht mehr in Frage. Das ist mein altes Leben. Ich lebe jetzt aber ein neues.

Anna Veith

Sie mussten in Ihrer Karriere mit schweren Verletzungen kämpfen, es gab mentale Herausforderungen, Konflikte: Ihr Rezept, am besten mit Rückschlägen umzugehen?

Körperliche Verletzungen passieren immer überraschend. In einer Sekunde werden all deine Pläne zunichte gemacht. Mein Weg war stets, sich die Lage klarzumachen und mit der neuen Situation auseinanderzusetzen. Und dann zu überlegen: Was ist jetzt wichtig? Wie könnte der neue Plan lauten? Wichtiger war zuvor aber etwas Anderes.

Was denn?

Man muss erst akzeptieren lernen, dass der alte Weg nicht mehr gangbar ist. Diese Akzeptanz ist die erste und größte Herausforderung, das ist mir schwergefallen. Und hat oft lange gebraucht. Deshalb war mein Umfeld so wichtig. Mentale Stützen sind wichtiger als jeder Physiotherapeut. Man muss sich mit positiv denkenden Menschen umgeben, die einem helfen, sich nicht im Negativen zu verlieren. So findet man wieder neue Motivation und setzt sich neue Ziele.

Anna Veith

Anna Veith

Anna Veith wurde 1989 in Hallein geboren. Sie gewann zweimal den Gesamtweltcup (2013, 2014), war Olympiasiegerin im Super-G 2014, Weltmeisterin 2011  in der Kombination und 2015 in Super-G und Riesenslalom. Verheiratet mit Ex-Snowboarder Manuel Veith. Zwei Kinder (Henry, 3 Jahre, Lotte, 10 Monate alt). 

Hand aufs Herz: Fällt Ihnen das positive Denken leicht? 

Ich bin schon eher ein positiver Mensch. Leicht fällt es mir nicht, es gibt auch weniger gute Tage. Sich in einer negativen Situation aufzuraffen und wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen, fällt keinem leicht. Aber ich weiß, dass es sich auszahlt. Ich habe viele Erfahrungen diesbezüglich gemacht.

Lindsey Vonn ist jetzt mit 40 und mit Knieprothese in den Skizirkus zurückgekehrt und meldet sich zurück an der Weltspitze. Macht Ihnen das Lust auf ein Comeback?

Das Skifahren an sich würde mich reizen, aber alles was dazu gehört, kommt für mich nicht mehr in Frage. Der Aufwand, täglich vier bis sechs Stunden zu trainieren, zu den Bewerbsorten zu fahren, Skieinheiten zu absolvieren: Nein, das steht aktuell für mich nicht zur Debatte. Das ist mein altes Leben. Ich lebe jetzt aber ein neues.

Und was sagen Sie zu Lindsey Vonn, ist das gesund, was sie sich zumutet?

Ich finde es cool, dass sie ein Comeback gewagt hat. Als Zuschauer finde ich es extrem spannend und für den Skisport wichtig. Dass es ungesund ist, glaube ich nicht. Sie ist in Form, und das Wichtigste ist: dass es ihr taugt, dass sie Freude daran hat. Dann ist es nämlich auch gesund. Übt man etwas gegen seinen Willen aus, ist das Gegenteil der Fall. Das Risiko, das sie eingeht, ist natürlich sehr hoch. Auch mich würde interessieren, wie sie darüber denkt. Wie sie es schafft, das Risiko auszublenden, zu stürzen und sich wieder zu verletzen. Und sich zu fragen, wie es dann dem Knie geht. Ich finde es beachtlich, wie sie das ausblendet.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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