75 Jahre Formel 1: "Das Auto versuchte, dich zu töten"
Von Fangio bis Senna: Ein Buch zum Jubiläum zeigt die Legenden des Rennsports und große Rivalitäten.
Rad an Rad, der Tacho im Grenzbereich, kompromisslos im direkten Duell auf der Straße: So wünschen sich eingefleischte Fans mit Benzin im Blut die Formel 1 und so tritt sie uns in besonderen Momenten auch entgegen.
Suzuka, 1989. Ein brasilianischer Ausnahmefahrer namens Ayrton Senna muss die verbleibenden zwei Rennen der Saison gewinnen, wenn er sich noch den zweiten Weltmeistertitel sichern will.
Sein Stallgefährte im McLaren heißt Alain Prost, ist bereits zweifacher Champion und hat etwas dagegen. Der Franzose liegt in Führung, unerbittlich gejagt vom Brasilianer, der ihm fest im Nacken sitzt. Dann kommt Runde 46.
Aus dem Windschatten heraus setzt Senna in der Schikane zum Überholen an, doch Prost macht "die Tür zu", wie er es ausdrückt: Reifenblockade, Kollision, Prost steigt aus dem Auto, doch Senna lässt sich anschieben, kommt zurück ins Rennen, startet eine Aufholjagd – und siegt. Doch er wird disqualifiziert: Weil er die Strecke abgekürzt und die Schikane ausgelassen hat. Prost wird Weltmeister – und Fans sprechen heute noch über den Skandal von Suzuka und einem Grand Prix für die Geschichtsbücher.
Krieg in der Königsklasse
Senna gegen Prost, das war Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger das Um und Auf der besten Fahrer ihrer Zeit. Beide genial wie unerbittlich, ein Krieg in der Königsklasse. Es sind Rivalitäten wie diese, die beim Grand-Prix-Schauen das Herz höher schlagen lassen.
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In 75 Jahren Formel 1 gab es da einiges, das uns mitfiebern, zittern und leiden ließ. Aber natürlich faszinieren auch andere Facetten des hochtourigen Motorsports. Die genialen Rennwagen etwa, oder das mythische Flair von Rennstrecken wie Nürburgring, Silverstone oder Monza.
Ein Prachtband fasst all das jetzt übersichtlich zusammen: Grand Prix: 75 Jahre Formel 1" präsentiert Autos, Momente, Rennstrecken, Legenden von Fangio über Stewart bis Hamilton – und eben jene dramatischen Gegnerschaften, die bei 300 Stundenkilometern ausgetragen werden.
Freunde? Rivalen!
Die Geschichte von James Hunt und Niki Lauda kennt in Österreich jedes Kind. Der Unfall 1976 am Nürburgring von Niki Nationale, das Feuer, die Verbrennungen, seine Rückkehr nach nur drei ausgelassenen Rennen. Dass sie es dennoch schafften, Freunde zu sein, mag davor und bis heute eine unmögliche Herausforderung für die Helden der Straße darstellen. Zu viele unversöhnbare Emotionen, zu viel verbissene Konkurrenz beflügelt die Zweikämpfe.
Gilles Villeneuve richtete Didier Pironi, nachdem dieser die Stallorder nicht berücksichtigt hatte, aus: "Jetzt ist Krieg." Nelson Piquet stichelte sogar gegen Nigel Mansells Frau. Und Fernando Alonso und Lewis Hamilton trugen eine vehemente Fehde aus, die weit über Persönliches hinausging:
In der "Spygate"-Affäre, bei der die Gattin des Chefdesigners von McLaren interne Technikdaten von Ferrari in einem Copyshop vervielfältigte (was dem Angestellten auffiel, der daraufhin Alarm schlug), hatte Alonso von den unfairen Vorgängen Wind bekommen. Und wurde dann beschuldigt, er hätte dieses Wissen ausgenutzt, McLaren-Chef Ron Dennis zu erpressen, um sich damit Vorteile gegenüber Stallrivale Hamilton zu verschaffen. Die Formel 1 ist kein Ponyhof. Eher ein Haifischbecken.
Der Dottore aus Stahl
Die Formel 1 hat viele großartige Fahrer gesehen und manch geniale. Der erste, der sich aber offiziell Weltmeister nennen durfte, war auf jeden Fall 1950 Giuseppe Farina, ein Doktor der Wirtschaftswissenschaften, genannt "Nino" oder wie Enzo Ferrari ihn benamste: der "Mann aus Stahl".
Damals wurden pro Saison nur sechs Grand Prix gefahren, und der Italiener gewann drei davon. Es sei hier am Rande erwähnt, dass Farinas Onkel Pinin später die Designschmiede Pininfarina gründete, die mit ihren formvollendeten Karosserien (etwa dem Alfa Romeo Spider) legendär wurde.
Weniger elegant, sondern aggressiv war hingegen der Fahrstil des Dottore. Im Rennen ging das gut, doch im Straßenverkehr sollte ihm das nicht gut bekommen, Farina verunglückte bei einem Verkehrsunfall 1966 tödlich. "Ich habe nie verstanden, wie er so lange überlebt hat. Auf der Strecke war er nicht so schlecht, aber auf der Straße war er ein Verrückter", urteilte einer über ihn, der ihm schnell den Rang ablief und selbst zur Legende wurde: Juan Manuel Fangio.
Für viele ist der Argentinier, auch wenn Michael Schumacher und Lewis Hamilton ihn mit sieben Weltmeistertiteln um zwei Trophäen übertreffen, der Fahrer aller Fahrer. Besonders ein Rennen von ihm, in dem er sein überragendes Können exemplarisch unter Beweis stellte, ist den Historikern in Erinnerung geblieben. Eines seiner letzten. Und vielleicht sein Bestes.
Fangio will’s noch einmal wissen
Nürburgring 1957, die berüchtigte "Grüne Hölle". Fangio war zu diesem Zeitpunkt bereits vierfacher Weltmeister. Alles sah nach einem überlegenen Sieg aus, in der elften Runde hatte er einen Vorsprung von 30 Sekunden herausgefahren.
Doch ein missglückter Boxenstopp mit seinem Maserati kostete ihm die Führung, jetzt lag Peter Collins vorne, und Fangio hatte 48 Sekunden Rückstand. Um zu gewinnen, musste Fangio also in den letzten zehn Runden fast fünf Sekunden pro Runde schneller sein als der Ferrari. Er war damals 46 Jahre alt – und noch einmal zeigte er seinen Rivalen, wo der Bartl den Most herholt.
Seine Bestzeit aus dem Vorjahr verbesserte er um 15 Sekunden. Dazu fuhr er um acht Sekunden schneller als die Zeit, die ihm die Poleposition gebracht hatte. In der vorletzten Runde schließlich überholte er Collins und siegte mit 3,6 Sekunden Vorsprung. Er sei auf einem Niveau gefahren, das er wohl nie wieder erreichen würde, staunte Fangio danach über sich selbst. Es war seine letzte Saison in der Formel 1. Fangio überlebte sie, was nicht immer selbstverständlich war, denn immer kreiste über der Königsklasse auch der Tod.
"Das Auto versuchte, dich zu töten"
Eine Legion von Fahrern ließ ihr Leben auf der Strecke, darunter Jim Clark, ein schüchterner Sieger, der seinen Lotus stets ans Limit trieb und beim Formel-2-Rennen in Hockenheim 1968 in den Tod raste. "Er war bei Weitem der beste Fahrer, gegen den ich je gefahren bin", sagte Jackie Stewart. Doch Clarks Tod war mehr. Wie beim verunglückten Ayrton Senna berührte er die Menschen weit über den Motorsport hinaus.
Wo es geniale Rennfahrer gibt, dürfen aber geniale Rennwagen nicht weit sein. Rennwagen wie der Lotus 49 Ende der Sechziger, den Jim Clark steuerte und an den zu dieser Zeit niemand herankam.
Der Ferrari 312T, das rote Meisterwerk, das Niki Lauda zu seinem ersten Titel rasen ließ. Oder die blau-gelben Brummer von Williams in den Achtzigern, von denen Nigel Mansell sagte: "Das Fahren dieser Turboautos war das Aufregendste und Beängstigendste, was man in seinem Leben tun konnte. Die Fahrer von heute werden nie erfahren, wie sich ein richtiges Formel-1-Auto anfühlt. In jeder einzelnen Kurve, durch die du kamst, versuchte das Auto buchstäblich, dich zu töten."
Fotos mit Risikofaktor
Die Formel 1 in Bildern zu betrachten, bedeutet aber auch, jene vor den Vorhang zu bitten, die diese Bilder für uns festhalten. "Die Geschwindigkeit einzufangen, ist die Essenz der Formel-1-Fotografie", referiert Jackie Stewart im Vorwort von "Grand Prix".
Das gelang treffend in einem Foto von Gilles Villeneuve, gemacht von Ercole Colombo. Zu sehen ist, wie Villeneuve, einer der großen Hasardeure der Formel 1, dessen Verwegenheit ihn schließlich auch das Leben kostete, in Argentinien 1981 seinen Boliden am Limit bewegt.
Das Heck seines Ferrari bricht ihm aus, die Hinterräder rutschen über die Curbs, Splitter sausen durch die Luft – im Cockpit Villeneuve mit entschlossenem Blick. Villeneuve soll das Bild danach bewundert haben. "Ich hätte stärker seitwärts driften sollen …", erklärte er, stets willens, sein Risiko noch zu maximieren. "Er war verrückt", sagt Colombo über ihn – aber auch "ein echtes Geschenk für Fotografen".
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