Royal Ascot 2025

Wieso Royal Ascot der Opernball von Großbritannien ist

Royal Ascot – britischer Pilgerort für Pferdesportfans, Royals und Fashionistas – ist viel mehr als nur ein Pferderennen.

„Oh, schau!“ Eine junge Frau stupst ihre Freundin an. Sie zeigt dann aber nicht auf eines der kraftvollen Rennpferde, die zur Besichtigung vor dem Galopplauf im Paradering geführt werden, sondern auf Anastasija Baileys Hut. Üppig ranken sich bei der Britin pfirsichfarbene Rosen und weiße Tauben in die Höhe. Die junge Frau tritt an Anastasija heran. Ob sie ein Foto machen darf? Anastasija lächelt.

Denn Royal Ascot ist mit 12 Millionen Euro Preisgeld nicht nur das hochdotierteste Pferderennen des Großbritanniens.

Es hat mit seiner 314-jährigen Geschichte, seinen 250.000 Besuchern und einem Millionenpublikum vor den Fernsehapparaten frappante Ähnlichkeit mit dem Wiener Opernball: Während man beide Events natürlich besucht, um das Spektakel, die Atmosphäre und den wunderbaren Wirbel mit eigenen Augen zu sehen, möchte man in Wahrheit doch auch ein bisschen gesehen werden.

Royal Ascot

Anastasija Bailey wurde häufig um ein Foto gebeten.

©Bauer Anna-Maria

Nicht zu übersehen

Monate im Vorhinein werden deshalb für Ascot Kleider studiert und Hüte in Auftrag gegeben. Die Hutmacherin Marie-Anne Talbott hat für ihren eigenen Kopfschmuck diesmal 3.000 dunkle Kristalle und 500 gelbe Federn zu einer riesigen Sonnenblume arrangiert. Die Britin Louise Kime bat um ein Modell mit meterlangen blauen und türkisfarbenen Federn. Anel Pla, die extra aus Amerika angereist ist, schaffte es mit ihrem blumigen, grün-pinken Meisterwerk sogar auf die Titelseite des Branchenmagazins Race Nation. Die Gäste sind hier jedenfalls Teil der Show.

Besucher von Royal Ascot

Anel Pla (rechts) kam mit ihrem Hut aufs Cover des Magazins "Race Nation".

©Privat

Und ähnlich wie der Opernball bereits mit dem Eintreffen der Stargäste am roten Teppich beginnt, fängt Royal Ascot nicht mit dem ersten Rennen, sondern mit der königlichen Prozession am Paradering an. Kurz nach 14 Uhr werden Smartphones gezückt und Zylinder gelüpft, wenn König Charles mit Königin Camilla in einem glänzenden Landauer, gezogen von vier Pferden, vorfährt.

Royal Ascot 2025

Highlight: König Charles und Königin Camilla treffen in der Kutsche ein.

©REUTERS/Toby Melville

Royal Enclosure

Auch wenn Pferderennen in England allgemein als "Sport der Könige und Königinnen" bezeichnet werden, erinnert die Universitätsprofessorin Melanie Sully – gebürtige Britin und inzwischen Wahlwienerin – wird diese Sportart von der ganzen Nation genossen.

Bei Royal Ascot kommt man nur auf Einladung und mit strengem Dresscode in die Boxen der Royal Enclosure – knielanges Kleid oder Hosenanzug und mindestens 2,5 cm breite Schulträger für Damen, Stresemann mit Zylinder für den Herren sind Pflicht. Doch das Village Enclosure erwartet mit Livemusik, Picknick und Street Food alle zahlenden Gäste – das Pendant zur Stehkarte beim Opernball.

Melanie Sully ergänzt: „Nun ist Österreich keine so klassenorientierte Gesellschaft, aber der Walzer erstreckt sich doch vom großen Opernball bis zum örtlichen Tanzklub. Er ist etwas, das die Menschen vereint und Teil ihrer Identität ist.“

Einmal im Leben nach Ascot

Das britische Ehepaar Dee und Steve Whitehouse sitzt am frühen Nachmittag bei einer Flasche Prosecco an einem der Tische im Hauptgebäude. Sie sind für das Event rund vier Stunden aus Yorkshire angereist. „Wir arbeiten unsere Bucket List ab“, sagt Dee. Ihr Ehemann Steve hatte im vergangenen Jahr eine Krebsdiagnose. Mittlerweile habe er zum Glück das „all clear“ erhalten, doch ihre Prioritäten hätten sich dennoch verschoben. „Man darf die Dinge, die man tun möchte, nicht aufschieben“, sagt Dee.

Auch das verbindet die beiden Großevents: Selbst wer sie schon oft im Fernsehen verfolgt hat, zumindest einmal möchte man sie gerne mit eigenen Augen sehen und selbst mit dabei sein.

Royal Ascot

Dee und Steve Whitehouse erfüllen sich mit dem Besuch einen langgehegten Traum. Einmal dabei sein - endlich ist es so weit. 

©Bauer Anna-Maria

Doch nur bei einem Mal soll es bei den Whitehouses nicht bleiben, verrät Steve mit Augenzwinkern. Sie hätten bereits Tickets für das kommende Jahr organisiert.

Unterdessen strömen Besucher wieder auf die Tribünen: Der Startschuss für die nächste Runde, fällt: Der Gold Cup geht gleich los.

Mitfiebern

Anastasija Bailey, mit dem pfirsichfarbenen Rosen-Hut, stellt sich auf die Zehenspitzen, um an den Federn, den Blumen, den Zylindern vorbeizusehen. „…Illinois hat sich auf den zweiten Platz vorgekämpft…“, dringt die Stimme des Kommentators durch die Lautsprecher. „Yes“, murmelt Anastasija.

Ein paar Meter weiter steht Waltraud Dennhardt-Herzog, die Direktorin des österreichischen Kulturinstituts, an den weißen Zaun gelehnt. Die Aufregung um sie herum erinnert sie an einen anderen Fixpunkt im österreichischen Society-Kalender erinnern: „Ein bisschen fühlt es sich an wie bei der Streif.“ Denn auch wenn die dicken Winterhauben wenig mit den eleganten Hüten gemein haben: Das lang andauernde Mitfiebern über mehrere Rennen bzw. mehrere Fahrer hinweg ist sehr ähnlich.

Royal Ascot

Waltraud Dennhart-Herzog besuchte Royal Ascot das erste Mal. 

©Bauer Anna-Maria

Das Donnern der Hufe lässt nun den Boden vibrieren, die Rufe der Gäste schwellen an, Anastasija Bailey reckt sich noch etwas weiter. „…sie sind im letzten Furlong“, kommt die Stimme des Kommentators aufgeregter durch die Lautsprecher, „und Trawlerman gewinnt den Gold Cup!“ Anastasija Bailey lässt enttäuscht die Schultern sinken.

Doch lange hält die Enttäuschung nicht an. Ein Fotograf klopft ihr auf die Schultern. Darf er ein Foto machen?

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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