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Ute Lemper im Interview: "Ich bin Rebellin im Herzen"

Über Bühne, Familie und Politik: Zwischen Marlene Dietrich, Muttersein und Kritik an Trump und TikTok.

Von Karin Lehner

Auf der Bühne spielt Ute Lemper die Diva in Perfektion. Im freizeit-Interview entpuppt sich die Chansonniere, Musicaldarstellerin und Schauspielerin als unkompliziert und bescheiden. Weil sie in New York lebt, treffen wir sie online, vor dem Computer im Schlafzimmer ihrer Wohnung an der Upper West Side in Manhattan. Sie strahlt in die Kamera und freut sich auf ihre Gastspiele in Österreich. Heute, am 28.6., singt sie Lieder von Kurt Weill beim Kultursommer Semmering, morgen findet hier ihr „Rendezvous mit Marlene“ statt, und am 28.9. gastiert sie mit ihrem Weill-Programm nochmals im Vindobona.

Sie werden als Wiedergeburt Marlene Dietrichs gefeiert. Fluch oder Segen?

Das unglaubliche Kompliment höre ich seit 1987, verdiene es aber nicht. Ich fühlte mich nicht würdig, mit der Legende verglichen zu werden. Also schrieb ich Marlene einen Brief der Entschuldigung nach Paris. Sie rief mich an und wir redeten. Hier erlebte ich eine melancholische, bittere, traurige und verrückte alte Frau, die sprach, wie ihr der Mund gewachsen ist. Aber ich spürte auch ihre Menschlichkeit, die sie sonst gut verbarg. Sie inszenierte sich als perfekt beleuchtete Ikone, als ihre eigene Fotografie, als unmenschlicher Mythos.

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Ute Lemper auf der Bühne – mit der echten Dietrich telefonierte sie einmal

©Russ Rowland

Dietrich war ein politischer Mensch. Was würde sie zur aktuellen Unordnung sagen?

Sie war Freidenkerin, Powerfrau und bei der Emanzipation ihrer Zeit weit voraus. Als Hedonistin saugte sie das Leben intensiv auf, war Soldatin und sogar an der Front gegen die Nazis aktiv. Zugleich war sie bei Disziplin, Denkart und Liebe zur Literatur und Poesie sehr deutsch. Sie kommunizierte mit Thatcher, Gorbatschow und Reagan. Und träumte davon, Hitler betrunken zu machen, für ihn zu tanzen und mit einer vergifteten Haarnadel zu ermorden. Auch heute würde sie sich einmischen, mit Trump und Netanjahu telefonieren und Putin kräftig an den Ohren ziehen.

Ein Kritiker der Macht war auch Kurt Weill, Ihre zweite künstlerische Liebe.

Ich stieß 1985 auf seine Lieder, in der damals noch getrennten deutschen Hauptstadt, in der hässlichen Realität West-Berlins im kalten Krieg. Sie erzählen von aus der Gesellschaft ausgestoßenen Menschen. Kurt Weill und Bertolt Brecht (der Schriftsteller arbeitete mit Weill zusammen) waren wache politische Geister, setzten sich für Nicht-Privilegierte wie gegen das Establishment ein und wollten mit ihren Werken eine Auflehnung gegen das Unrecht erzielen. Das passt gut zu mir. Ich bin Rebellin im Herzen. Daher eröffne ich meinen Abend mit „Willkommen in Weimar“. Auch 2025 erleben wir Instabilität, wackelnde Demokratien, kalte und heiße Kriege.

„Ich fühle mich nicht würdig, mit der Legende verglichen zu werden.“

Wie ist die Stimmung in New York?

Seit dem Amtsantritt von Donald Trump rollt eine Lawine über uns hinweg, die mit der Soap Opera zwischen ihm und Elon Musk begann. Er warf alle Ethik und Gesetze über Bord. Seine unmenschliche Migrations- und Deportationspolitik schockiert. Viele wagen nicht, an ein Morgen zu denken und trauen niemandem mehr, weder der Regierung noch dem Gesetzgeber. Wie vor 90 Jahren.

Treffen die Kürzungen seines Teams auch Ihre Engagements?

Als Freischaffende bin ich Gott sei Dank nicht von Subventionen abhängig. Ich muss für das Brot auf meinem Tisch arbeiten (lacht). 

Außerdem kommen 75 Prozent meiner Einnahmen aus Europa. Je stärker der Euro, desto besser für mich. Aber die Zölle belasten das Startup meines Sohnes Max stark. Und meine schulpflichtigen Kinder Julian und Jonas leiden unter der Auflösung des Department of Education. Bildung ist das Allerwichtigste in unserer Gesellschaft. Meine Tochter Stella schloss soeben ihren Literatur-Master an der Columbia University ab und wird Professorin. Auf dem Campus ist die Hölle los. Die Ausweisung internationaler Studenten schadet massiv. Viele sind Genies und gehen in die Forschung.

Sie sind mit dem Schlagzeuger Todd Turkisher verheiratet. Besitzen Sie den US-Pass?

Nein, ich habe seit 30 Jahren die Green Card. Obwohl New York mit seinem Konglomerat von Immigranten meine Stadt ist, fühle ich mich für die Staatsbürgerschaft nicht amerikanisch genug. Ich passe ja nicht einmal in liberale Städte wie Boston, Washington oder Chicago beziehungsweise an die Westküste. Wenn ich in Amsterdam oder London einen Delta-Flug boarde, merke ich immer, dass ich in puncto Spirit klar Europäerin bin. Nur als Steuerzahlerin bin ich Amerikanerin und habe in 30 Jahren zu viel eingezahlt, um hinausgeworfen zu werden (lacht). Aber meine Kinder besitzen die Doppel-Staatsbürgerschaft.

„Ich bin Rebellin im Herzen“

In Ihrer Ehe gab es Zeiten der Entfremdung. Wie fanden Sie wieder zusammen?

Es ist ein hartes Stück Arbeit, eine Ehe zu führen, auch ohne Verfeindung. Schon Rainer Maria Rilke wusste, man muss immer die Einsamkeit des anderen beschützen, um die eigenen Ziele und Träume verfolgen zu können. Mein Sohn Max ist 31, heiratete gerade und gründet eine Familie. Eine wunderbare Phase. Obwohl sich alle Katharsis und Erfüllung wünschen, ist die Realität doch eine andere. Der Alltag zerrt und nagt. In einer langen Ehe ist gute Partnerschaft und Respekt das Wichtigste. Doch ein Auseinanderleben ist real und teilweise notwendig, weil jeder eigene Vorstellungen vom Leben hat. Ob man wieder zusammenfindet, nebeneinanderher lebt oder sich scheiden lässt, entscheidet die Zeit.

Sie sind mit Leib und Seele Mutter. Wie schaffen Sie das?

Ich gebe mich als Mutter wie Ehefrau auf. Auch auf der Bühne gebe ich immer 100 Prozent und lasse meine Existenz bluten. Das macht mich beruflich wie privat besser. Als Sternzeichen Krebs lebe ich gerne im Nest, bin ein Hausmensch, habe meine Lieben gerne um mich, tue allen Gutes, bin generös und stehe selbst am Ende der Liste. Oft liege ich nachts wach und mache mir Sorgen um meine Kinder. Ich helfe ihnen ihre Träume zu verwirklichen, doch sie müssen ihren eigenen Weg finden. Nicht einfach in einer zerrissenen Gesellschaft. 

Mein 20-jähriger Sohn Julian ist im College und lebt seinen Baseball-Traum. Jonas, mein Jüngster, wird 14 und wurde vom Internet gekidnappt. Er kann das Mobiltelefon oder iPad nicht weglegen. Also schrieb ich ihn in Sportklassen ein und spiele mit ihm Schach, Karten sowie Basketball. Aber es ist eine große tägliche Aufgabe, ihn von der Internetsucht zu heilen.

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Ute Lemper hier als Marlene Dietrich. Ihre Liebe gehört auch den Kompositionen von  Kurt Weill. Zu seinem 125. Geburtstag hat  sie das Album „Pirate Jenny“ veröffentlicht

©Lucas Allen

Daher wird vielerorts über die Einschränkung von Social Media diskutiert.

Absolut notwendig, auf TikTok und Instagram sehen junge Menschen gewalttätige und sexuelle Inhalte. Und die Realität ist dank Künstlicher Intelligenz so konfus, dass ich selbst nicht mehr weiß, was wahr ist und was nicht. Ich plädiere für eine Einschränkung für Unter-16-Jährige. Viele Social-Media-Kanäle sind Zeitverschwendung und kompromittieren die Bildung, weil Junge keine Bücher mehr lesen, den Freunden nicht in die Augen schauen und keine Gespräche mehr führen. Durch die Videoflut werden sie fanatisch statt lernwillig und neugierig auf das Leben. Sie verpassen etwas.

Ute Lemper

Ute Lemper

Ute Lemper ist 61 und lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in New York. Die Chansonniere ist auf die Interpretation der Lieder Marlene Dietrichs und Kurt Weills spezialisiert.  Vergangenes Jahr erschien ihre selbstverfasste Autobiografie „Die Zeitreisende: Zwischen Gestern und Morgen“ (Gräfe und Unzer, 336 Seiten, € 26).
 

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