Nachhaltig: Wie Obstkerne zu neuen Produkten verarbeitet werden

In Österreich fallen jedes Jahr Tonnen von Obstkernen an – die Samen der Kerne werden zu Speiseölen und Käseersatz verarbeitet.

Werkzeuge aus Stein und Knochen, Muschelschalen und jetzt verkohlte Kerne der wilden Olive: Bereits vor 100.000 Jahren nutzen Steinzeit-Menschen Olivenkerne als Nahrungsmittel und als Brennstoff – das belegen Sedimente von zwei Höhlen im Norden Marokkos. Aber woher Wissenschafter der Uni Innsbruck annehmen, dass die Früchte auch gegessen wurden?

Wenn ausschließlich Zweige mit ganzen Früchten ins Feuer geworfen worden wären, dann hätte man statt der vielen Bruchstücke auch ganze Kerne finden müssen. Es spricht also viel dafür, dass die Menschen die Früchte gegessen haben und anschließend die Kerne zerbrachen, um sie effizienter zu verbrennen. Zerbrochen erzeugen sie ein langsam brennendes, rauchloses Feuer, das sich gut zum Kochen in Höhlen geeignet haben muss.

Gesundes Abfallprodukt

Eine solch nachhaltige Nutzung von Fruchtkernen ist keine Selbstverständlichkeit: Österreich erntet 188.200 Tonnen Kern- und Steinobst pro Jahr, aber Obstkerne wie von Marillen und Kirschen galten bisher als Abfallprodukt. Der Großteil von Obstkernen stammt von Frischobst und landet im Hausmüll, aber ein beachtenswerter Anteil kommt aus der Fruchtsaft-, Kompott-, Schnaps- oder Marmeladen-Produktion. Dadurch fallen in Österreich 100 bis 200 Tonnen Kern-Abfall an, europaweit jährlich 550.000 Tonnen.

Dieses Entsorgungsproblem machen sich zwei Start-ups zunutze: Kern-Tec kauft Obstkerne von Landwirten ein und bricht die Kerne auf. Damit die kleinen und weichen Samen hinter der harten Schale nicht zerquetscht und schonend voneinander getrennt werden können, brauchte es sogar eine eigens konstruierte Maschine. Derzeit kauft das Start-up rund 1.500 Tonnen aus Österreich sowie von grenznahen Landwirten aus dem süddeutschen, norditalienischen und ungarischen Raum. Kommendes Jahr sollen 1.000 Tonnen hinzukommen.

Start-up-Gründer Luca Fichtinger: "Die Kerne sind ein vergessener Rohstoff. Wir wollen für den Konsumenten ein neues Erlebnis mit einer neuen Produktkategorie schaffen: Die Rohstoffe sind da, wir brauchen keine neuen anbauen. Das reduziert den Ausstoß von CO2 und reduziert den Wasserverbrauch.“

Produziert wird seit 2,5 Jahren: Unter der Marke "Wunderkern“ vermarktete das Start-up jetzt seine Produkte. Die proteinreichen Samen von Marillen, Kirschen und Zwetschken gibt es pur zu kaufen, aber die Gründer Fichtinger, Michael Beitl, Sebastian Jeschko und Fabian Wagesreither, verarbeiten diese auch zu proteinreichen Backmehlen und Speiseölen.

Käse aus Marillenkernen

Aufgrund des hohen Proteingehalts eignen sich die glutenfreien Mehlsorten als Zutat in Drinks, Power-Riegel oder Backwaren für Fitnessbegeisterte. "Ganz neu ist unsere Kerncreme, die einer Nuss-Nougat-Creme ähnelt. Generell schmecken die Kerne der Marillen am nussigsten. Wenn man den Kern röstet, bekommt man ein schönes Nussaroma. Dann geht es weiter zur Kirsche mit Amaretto-Aromen und zur Zwetschke, die nach Marzipan- und Honig schmeckt.“

Die Schalenkerne gehen zum Beispiel in die Kosmetikindustrie für umweltfreundliche Peelings oder eignen sich als Strahl- und Schleifmittel, Filtermedium oder nachhaltiges Verpackungsmaterial.

Noch ein weiteres Start-up beschäftigt sich mit der Verwertung von Obstkernen: SennSenn bezieht seine Kerne von Kern-Tec und stellt aus den Marillenkernen einen veganen Käse her. Lebensmittelwissenschafter Flavio Ceccarelli vermisste gemeinsam mit seinen Partnern Mona Heiß und Leo Sulzmann einen guten pflanzlichen Käseersatz, weil ihnen am Markt keine Alternative schmeckte.

Camembert aus Marillenkernen: Nach drei Wochen ist er essfertig

©SennSenn/Mona Heiss

Wie in Käserei

Aus dem Scherz heraus fragten sie sich: "Warum machen wir ihn nicht selber?“ Für die Forschungstätigkeit des Käse-Start-ups gibt es sogar Förderungen vom Staat – in Kooperation mit dem BOKU-Institut für Lebensmittelwissenschaften und Professor Konrad Dobnig entwickelten sie einen Produktionsprozess, der sehr ähnlich zum Käsen mit Kuhmilch ist: "Zuerst entfernen wir die Schale der Weichkerne, wir blanchieren sie also, und diese werden dann gekocht. Wenn die Kerne geronnen sind, wird die Molke abgetrennt, dann wird der Bruch gepresst.“

Derzeit ist das Start-up auf der Suche nach Molkereien oder einer eigenen Produktionsküche. Die Herstellung selbst dauert zwei Tage, die Reifung zwei bis drei Wochen: "Am Ende kommt ein schimmelgereifter Käse heraus, der von der Optik und Konsistenz an Camembert herankommt, vielleicht ein bisschen flüssiger. Der Geschmack ist ein bisschen schärfer und nussiger – mit marzipanartiger Note.“

So gesund sind Obstkerne

Marillensamen zeichnen sich durch einen besonders hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren, Proteinen und Mineralstoffen aus. Mit 53 Prozent besonders reich an Ölen. Zudem haben sie einen hohen Vitamin E-Gehalt (70 mg/kg). Das Vitamin besitzt antioxidative Wirkung und entschärft "freie Radikale“, beschützt also unsere Zellen.

Kirschsamen überzeugen durch ihre besondere Zusammensetzung mit bis zu 4-fach ungesättigten Fettsäuren, Proteinen und Mineralstoffen. Mit 28 Prozent ist ihr Proteingehalt im Vergleich zu Marillen und Zwetschken besonders hoch. Sie enthalten Pflanzenfarbstoffe, die antioxidativ sind und unsere Abwehrkräfte stärken sollen. Ebenso sind sie reich an Vitamin E (Tocopherol).

Zwetschkensamen weisen einen fruchtigen, leicht bitteren Geschmack auf und bieten sich für interessante Snacks an. Auch sie sind durch die besondere Zusammensetzung mit bis zu 4-fach ungesättigten Fettsäuren, Proteinen und Mineralstoffen sehr gesund.

Anita Kattinger

Über Anita Kattinger

Leidenschaftliche Esserin. Mittelmäßige Köchin. Biertrinkerin und Flexitarierin. Braucht Schokolade, gute Bücher und die Stadt zum Überleben. Versucht die Welt zu verbessern, zuerst als Innenpolitik-Redakteurin, jetzt im Genuss-Ressort.

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