Birnenmostflasche samt Birnen

Vom belächelten Durstlöscher zum Wundergetränk: Most wird Must-Have

Birnenmost - auf Englisch Perry genannt - avanciert international zum Kultgetränk. Der erste internationale „Perry Guide“ rückt dabei auch das Mostviertel international in den Fokus.

Mit ihren 20 Metern, der aufrechten Krone und ihrer fast pyramidenartigen Form sind Birnbäume eigentlich nicht zu übersehen. Und doch fanden ihre Früchte in der Getränkeproduktion der vergangenen Jahrzehnte kaum Beachtung. Klar, für den Wein gab es die Trauben, für den Cidre die Äpfel – doch der Most, zu dem die Birnen meist verarbeitet wurden? „Na, vor dem Most trink ich noch lieber einen Wein“, mussten sich Mostbauern nicht einmal anhören. Doch das ändert sich allmählich wieder. 

Immer häufiger kommt der Birnenmost, oder: Perry, wie das Getränk auf Englisch heißt, in der filigranen 0,75l-Glasflasche daher, mitunter als Begleitung zum Haubenmenü. Und im kürzlich erschienenen, englischsprachigen „Perry Guide“ rückt der britische Getränkejournalist Adam Wells das Mostviertel sogar international in den Fokus. 

Bauernhof im Mostviertel

Die Birnbäume sind nicht zu übersehen und fanden lang doch keine Beachtung.

©Haselberger Most

Neue Geschmackswelt

„Aber ist Perry nicht ein Wundergetränk?“, fragt er bei einer Verkostung in der Londoner Royal Overseas League. Kommt er doch von Bäumen, die hoch wie Häuser sind und bis zu 300 Jahre alt werden. Die österreichische Variante hat es ihm angetan, seit er ihn 2019 bei einem englischen Cider-Event probiert hat. „Und seit ich dort war, erzähle ich bei all meinen Präsentation immer von der Region.“

Und tatsächlich gibt es viel zu entdecken: das trockene, vollfruchtige Aroma eines typischen Mostviertler Speckbirnenmosts; einen feingliedrigen Cuvée, der nach Blütenhonig und exotischen Früchten schmeckt; oder die prickelnde Variante des Birnenschaumweins, der mit seinen Toastnoten an Champagner erinnert.  

Einst Adelsgenuss

Eigentlich kurios, dass dieses Produkt derart aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist. Denn einst galt der erfrischende Birnenmost als Trendgetränk des Adels: Minnesänger Neidhart von Reuenthal widmete ihm 1240 sogar ein Liebeshymne und das Adelsgeschlecht rund um das Stift Seitenstetten führte den Birnbaum im Wappen. Doch als Adam Wells auf seiner Recherchereise nach Amstetten kam, stieß er bloß auf verwunderte Blicke. Warum war er angereist? Für den Most

Drinks Journalist Adam Wells

Adam Wells bei einer Birnenmost-Verkostung in London

©Bauer Anna-Maria

Dabei ist das niederösterreichische Mostviertel – neben den englischen Regionen Gloucestershire, Herefordshire und East England sowie der französischen Normandie – nicht nur eine der drei Hauptregionen des Birnenweinanbau; es ist auch die einzige Region, die nach dem Produkt benannt ist. 

Das ist Kaiserin Maria Theresia zu verdanken: Um die Versorgung im Land zu verbessern, ordnete sie im 18. Jahrhundert die Anpflanzung von Streuobstwiesen an. Ihr Sohn, Joseph II, belohnte dann sogar Bauern, die mehr als 100 Obstbäume pflanzten, mit einer Medaille und ordnete an, dass bei jeder Vermählung ein paar Obstbäume zu pflanzen waren. 

Haselbergers Neuentdeckung

Einige dieser Bäume stehen heute auf den Ländereien von Bernadette und Peter Haselberger. Bis vor zehn Jahren war es allein der Großvater, der sich dem Most verschrieb. Als er sein Wissen weitergeben wollte, ließ sich Enkel Peter darauf ein und rasch reifte die Erkenntnis, dass ein wunderbares Produkt die ganze Zeit direkt vor dem Haus gestanden hatte. 

Mostbauern bei der Arbeit

Die Familie Haselberger hat sich ganz der Birne verschrieben.

©Haselberger Most

Heute fokussieren sich die Haselbergers ganz auf die Speck-, Stiegl- oder die Grüne Pichlbirne. Letztere wird sogar von einem einzigen, 159 Jahre alten Baum gewonnen. Die Einzelbaumabfüllung, der Cuvée aus dem Barrique-Fass oder der Birnenschaumwein werden bei Naturweinmessen verkostet oder in renommierten Restaurants wie dem Steirereck am Pogusch oder im Wiener Azzuro ausgeschenkt.

Mehr Most

Perry Guide

Der britische Getränkejournalist Adam Wells hat den ersten umfangreichen internationalen Perry Guide veröffentlicht, und dabei ein großes Kapitel dem Mostviertel und den hiesigen Birnenmostbauern gewidmet. 

Infos gibt es hier.

Wein unter Bäumen

Am 28. Juni lädt die letztjährige Weinsommelière des Jahres Helena Jordan zum Weinfest unter Bäumen. Für 45 Euro (37 Euro im Vorverkauf) kann man sich bei Livemusik durch vorzügliche heimische Weine kosten – und den exquisiten Most der Haselbergers.

Infos auf: capra.at 

Birne als Kraftort

Mostbauer Toni Distelberger – dessen Genussbauernhof ein weiterer Stopp auf Wells‘ Tour war und der in den 1990ern das Netzwerk Mostbarone initiierte - setzt sich noch auf anderem Wege für die  Birnen ein. Dür die niederösterreichische Landesausstellung im kommenden Jahr will er nicht nur fünf Streuobstlehrpfade realisieren, sondern die Birne als besonderen Kraftort etablieren. 

„Die Birnbäume sind nicht nur speziell, weil sich hier besonders viel Leben tummelt und Kräuter besonders erfolgreich gedeihen“ , sagt er, „sondern weil sie auch gut für die seelische Gesundheit sind.“ 

Toni Distelberger

Mostbaron Toni Distelberger arbeitet seit den 1990er-Jahren daran, das Image des Most zu heben.

©Toni Distelberger

Dass Menschen gerne unterm Birnbaum verweilen, wurde auch den Haselbergers bewusst, als sie im Zuge einer Crowdfunding-Kampagne für die neue Photovoltaikanlage, Picknicks anboten. „Die Gäste sind oft drei, vier Stunden unter dem Birnbaum gesessen“, sagt Bernadette Haselberger. „Und dabei sind sie eigentlich aus der Region.“ 

Aber vielleicht haben sie zum ersten Mal wirklich wahrgenommen, was die ganze Zeit über ihnen in den Himmel ragte. 

Über Anna-Maria Bauer

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