"Alle trafen Falco und waren bei Nirvana im U4"
Wien war grau und fad in den 80ern und frühen 90ern. In der Nacht kam Leben in die Stadt. Szenemenschen übers U4, Falco und Räusche.
"Conny, lass den Buam eine", sagte der Franz, Chef des angesagten Motto, zum Türsteher des nicht minder angesagten U4 in den Achtzigern. Im Schlepptau hatte er einen blutjungen Mitarbeiter, der sich nichts sehnlicher wünschte, als einmal diese hochgelobte Disco zu besuchen.
Conny De Beauclair, der eigentlich für seine Türpolitik berüchtigt war, widerstrebte es. Das U4 war ja kein Kindergarten, sondern ein Szene-Treffpunkt. Aber er musste Franz einen Gefallen tun.
Und dann war der Teenie-Bursche drin. "Da macht es mir auch kaum was aus, dass der Eintritt hundert Schilling beträgt, weil eine Blödelpunkband namens Tote Hosen auftritt. Selbst dass mir deren Kirtag-Musik kaum gefällt, ist mir wurscht, denn ich habe es geschafft, stehe endlich hier im U4 und spüre, dass genau jetzt ein neuer Abschnitt in meinem Leben beginnt", schreibt der Autor Christopher Just über seine Initiation in der damals legendärsten Disco Wiens.
Die Sache mit der Kirtag-Musik wird bleiben. In den Neunzigern wird Just mit der Happy-Hardcore-Formation Ilsa Gold die voranschreitende Kommerzialisierung des Technos anprangern.
Das U4, Falco und Nirvana
Nostalgische Blicke auf das Wiener Nachtleben der Achtziger und Neunziger wie diese gibt es im Buch "Branntweiner, Blue Box und Bermuda Dreieck" (Milena-Verlag), das Vanessa Wieser herausgegeben hat. Es ist eine Hommage an eine Ära voller Mythen und Delirien, bei der in Nachbetrachtung auch die Erinnerungen verschwimmen können.
"Es gibt einen Witz zu der Zeit: Alle haben Falco getroffen, alle waren bei Nirvana im U4", sagt die Autorin und Herausgeberin Wieser über ein Wien, das sich langsam verwandelte – und viele wären gerne bei den großen Momenten dabei gewesen.
Anfang der 1980er-Jahre war Wien eine graue Stadt, voller Kohlerauch, Hubertusmänteln und Hundstrümmerl und mit so wenigen Einwohnern wie schon lange nicht mehr. Wien wirkte – auch wegen der Nachbarschaft zum Ostblock – wie das Ende der Welt. Doch dann tauchte Neues auf: Punk, New Wave, Subkultur. Die Stadt blieb zunächst noch grau und trüb, doch plötzlich lag ein Hauch von Aufbruch in der Luft – Wien war auf einmal angesagt.
Auch die deutschen Nachbarn, die dem Zeitgeist hinterherjagten, blickten auf einmal etwas neidig auf die ehemalige Metropole, die schön langsam wieder aus ihrem langen Schlaf erwachte – während andere mit einem Kater aus dem Bett stiegen. Wenn sie zuvor etwa im B.A.C.H., Nachtasyl, Café Europa, dem alten Flex, dem Roxy oder im Motto versumpert sind. Oder natürlich im U4, ob mit oder ohne Falco oder dem Nirvana-Konzert 1989 mit ein paar hundert Menschen im Publikum.
Wiens Nachtleben war billig
Der Unterschied zu heute? "Wir waren jung und alles war super", sagt Wieser, die 1988 zum Studieren von Linz nach Wien zog. Da machte es auch nichts, dass das Geld knapp war. Während heute holzvertäfelte Wirtshäuser zu Edelbeisln mit Beuschel-Preisen von 30 Euro mutieren, war damals das Schnitzel billig. Und die verbliebenen Tschocherln, in denen sich heute Leute treffen, die auf ihre Coolheit großen Wert legen, wurden damals als das genommen, was sie waren: kostengünstige Tankstellen für die Reise durch die Nacht.
Punk oder Zilk
"Es gab noch nicht so viele Möglichkeiten wie heute, aber wir haben sie mehr genutzt", sagt Wieser. Fast täglich sei sie auf der Piste gewesen. Wie so viele andere, die Wien bei Nacht gesehen haben. Dass die Stadt in der Nacht aufblühte, dürfte wohl dem Punk oder auch dem Bürgermeister Helmut Zilk, der vieles zugelassen hat, zu verdanken sein, mutmaßt etwa Herbert "Herbie" Molin im Gespräch mit Wieser.
Er hat unter anderem die Blue Box mitbegründet und die Punk- und New-Wave-Bewegung sowie die experimentelle Elektronik-Szene mitgestaltet und später das Rhiz oder das B72 aufgesperrt. "Und dann war natürlich die Arena-Besetzung ganz wichtig. Oder dass die Szene Wien, die damals noch zur Stadthalle gehörte, aufgesperrt hat, das wurde ein ganz wichtiger Raum für viele gute Konzerte", sagt Molin. "Und dann war das U4 natürlich extrem wichtig."
Gesundheit war "wurscht"
Heute frönen die jungen Menschen weniger dem Rausch: "Das Thema Gesundheit war uns damals jedenfalls wurscht, und auch drogenmäßig haben wir nicht gar so viel ausgelassen, und wirklich viel gesoffen und geraucht sowieso und fortgegangen Ende nie.“
Anders als jetzt gab es um den Naschmarkt auch viele Sachen, die das zugelassen haben: "Es hat auch an der Wienzeile einige lustige Lokale gegeben, da gab es eines mit einer taubstummen Frau, leider weiß ich nicht mehr, wie das geheißen hat, das war super, da ist man um 7, 8 Uhr Vormittag hingegangen und hat dort weitergesoffen."
Wien als Kaff und Paradies
Diese Möglichkeiten – Beisln, Disco, Konzerte und künstlich erzeugte Hochgefühle – faszinierten die jungen Menschen, die aus den Bundesländern in die Hauptstadt kamen. "Für uns war es hier das Paradies", sagt Wieser. "Die autochthonen Wiener haben hingegen mehr über ihre Stadt geraunzt." Natürlich war in London oder Berlin alles besser. Die großen Hypes aus dem Ausland brauchten stets etwas, bis sie aufschlugen. So auch die, wie "alles in Wien gemächlich und ohne Hypes entstehende Rave- und Clubkultur", wie sich Kulturwissenschaftler Christian Moser-Sollmann erinnert.
Aber Wien ist nun einmal Wien. Und dass hier alles später passiert als anderswo, hat schon Gustav Mahler festgestellt. "Wien ist anders", heißt es ja immer noch gerne. Auch von Menschen, die der Stadt nicht gewogen sind.
Für Moser-Sollmann trifft das aber eher nicht zu: "Für einen notorisch klammen Jungerwachsenen war Wien das gelobte Land: Ich schlängelte mich ab halb drei in Clubs rein, weil da kein Eintritt mehr verlangt wurde; ich wurde von menschenfreundlichen Türsteherinnen wie Parsia Kananian ins WUK geschleust; ich wurde vom Rausschmeißer der Arena gegen ein bescheidenes Bestechungsgeld von 100 Schilling ins ausverkaufte Nirvana-Konzert gelassen."
Aber nicht alles scheint nett gewesen zu sein: "Underground-Konzerte waren damals harte Veranstaltungen", erinnert sich der Kulturschaffende Peter Waldeck. Das musste auch Einstürzende-Neubauten-Frontmann Blixa Bargeld erfahren.
Wütender Blixa Bargeld
Er war als Gitarrist bei den Bad Seeds, der Begleitband von Nick Cave in Wien, wurde nicht "mit freundlichem Applaus und aufmunterndem Gejohle begrüßt, sondern mehrfach mit Schreichören als 'Blixa, du Wichser!' bedacht". Dieser schimpfte zurück. Offenbar hatte ihm das Publikum nicht verziehen, dass er sanfte Töne anschlug, statt mit der Bohrmaschine wilde Töne zusammenzuschrauben.
Wien ist eben streng mit seinen Helden. Auch mit Falco, den einige tatsächlich trafen. Oder zumindest sahen. Wie etwa die Schriftstellerin und Fotografin Ela Angerer im U4: "Und natürlich kann auch ich berichten, dass ich zwischen Falco und Helmut Lang am Rand der Tanzfläche stand (beide mit schwarzer Sonnenbrille)." Aber beeindruckt war sie nicht. Im Gegenteil: "Einer wie der andere wirkte verkrampft. Falco war mir außerdem zu g’spritzt, weil mehr der Typ Reiss Bar – das Schickimicki-Lokal in einer Seitengasse der Kärntner Straße, mit auffallender Dichte an sonnenstudiogebräunten Prosecco-Trinkern. Aus heutiger Sicht: Miami Vice für Arme."
Da gefiel ihr Hansi Lang dann doch besser: "Der lebte die schönere Wiener Traurigkeit."
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