
"Ich bin eine Tritschtratsch-Polka": Burgtheater-Star Nils Strunk
Mit seiner Zauberflöte und der Schachnovelle avancierte Nils Strunk am Burgtheater zum Publikumsliebling. Jetzt wird er am Donauinselfest eine Oper aufführen!
Er ist Burgschauspieler, Regisseur – und als Musiker eine Naturgewalt. Spätestens mit seiner einmaligen Version der „Zauberflöte“ hat sich der Lübecker Nils Strunk in die Herzen der Wiener gespielt.
Und schon steht das nächste musikalische Großereignis vor der Tür: „Killing Carmen“, seine Version des Opern-Klassikers von George Bizet, die er gemeinsam mit Lukas Schrenk und Gabriel Cazes erarbeitet hat, wird am 19. Juni beim Donauinselfest uraufgeführt.
Ab 1. Oktober dann im Programm der Volksoper.
Sie kommen aus dem hohen Norden Deutschlands und beschäftigen sich intensiv mit ur-österreichischen Themen. Zuerst Mozart, jetzt Stefan Zweig. Woher kommt das?
Ich liebe Österreich. Ich finde auch, dass Österreichisch das schönere Deutsch ist. Stefan Zweig habe ich vor zehn Jahren kennengelernt, da hab ich in Wiesbaden in „Ungeduld des Herzens“ gespielt. Ich hatte in der Schule natürlich von der „Schachnovelle“ gehört, aber leider ist Zweig in Deutschland keine Pflichtlektüre. Danach habe ich „Die Welt von gestern“ gelesen, und ich glaube das geht jedem so: Wer das liest, ist einfach hooked. Dann seine Novellen, Kurzgeschichten, Briefe – ich kam gar nicht mehr weg davon. Gerade höre ich „Joseph Fouché“ als Hörbuch.
Und wann kam’s zur Idee, die „Schachnovelle“ auf die Burgtheaterbühne zu bringen?
Lukas Schrenk und ich wollten das schon lange machen. Das war für uns als Deutsche umso interessanter ...
Das war für uns als Deutsche umso interessanter hier in Österreich. Zweig wurde 1959 das letzte Mal am Burgtheater gespielt. 1959! Danach ausschließlich Lesungen. Einer der größten österreichischen und jüdischen Autoren ...
Wie das?
Schon im ersten Satz ist von einem Orchester die Rede, das sozusagen auf dem Schiffsdeck spielt. Fast wie die Titanic, dieser elegante Dampfer, der untergeht, und die Band spielt weiter. Und die Reise selbst: Abfahrt aus New York, da habe ich diesen 40er-Jahre Swing, dann geht’s über Brasilien weiter mit Samba, und schließlich nach Argentinien: Tango. Auf den wären wir ohnehin gekommen, der ist für mich prädestiniert für ein Schachbrett, diese Bahnen, in denen er verläuft … Faszinierend ist auch, was für ein rares Gut Musik früher war. Natürlich gab’s zu Zweigs Zeit Platten, Grammophone, aber nicht überall! Wer auswärts Musik hören wollte, der war auf Orchester angewiesen, Kapellen, einen Musiker in einer Kneipe. Jedenfalls immer live! Und genau so machen wir im Burgtheater Live-Musik – das schien mir naheliegend.
Und ich hatte die Befürchtung, sie werden mich am nächsten Morgen an der Pestsäule aufhängen! (lacht) Aber es freut mich natürlich sehr, wenn’s stimmt, was Sie sagen!
Ja, das ist wirklich irre und ich freu mich total: Noch nie wurde beim Donauinselfest eine Oper aufgeführt! Wir machen dort die Eröffnung, und ab Herbst sind wir mit der Carmen in der Volksoper.
Wie darf man sich Ihre Carmen vorstellen?
Wir haben eine sechsköpfige Band, bleiben trotz Modernisierung aber bei den klassischen Melodien und der Handlung: Mit Carmen, einer Arbeiterin, dem Torero, der ein Superstar ist, und Don José, einem einfachen Soldaten ...
Um Reich-Ranicki zu zitieren, „Die Grundlage jeder Geschichte: Mann liebt Frau, Frau liebt anderen Mann …“
Ja, und leider auch die Grundlage für viele Femizide. Wir haben uns neulich die Listen der deutschen Femizide von 2023 angeschaut, jeder einzelne Fall wurde von Journalisten dokumentiert. Man hält das nicht aus, so schrecklich ist es. Und wir als Gesellschaft haben alle gelernt zu nicken und zu sagen, „ja, das ist bedauerlich“. Aber das sind Schicksale, die sich häufen. Und wichtig ist, dass man sich die Täter genau so anschaut wie die Opfer. Da scheint klar zu sein, wir Männer haben ein Problem. Mit unserer Gewalt, unserer Potenz, unserem Selbstwertgefühl.
Aber Carmen und Jose entgehen auch bei Ihnen diesem Schicksal nicht, oder?
Ich verrate das mal nicht, aber nein, nicht wirklich. Und es wird eh ein Shitstorm kommen von irgendwo, das weiß ich schon. Drei Männer bringen da so ein Stück über den Mord an einer Frau mit modernem Sound auf die Bühne ... Aber es ist ja wichtig, dass gerade Männer sich damit beschäftigen! Dabei versuchen wir, alle Figuren gleich intensiv zu untersuchen.
Ist Theater in der aktuellen Flut an Unterhaltungsmöglichkeiten, die wir haben, noch zeitgemäß? Überlebensfähig?
Ich glaube fest daran, dass Theater eine große Zukunft hat, wenn wir es nicht verkacken, wenn wir wieder lernen, zu beschäftigen, zu unterhalten. Und genau das Wort Unterhaltung wird oft falsch verstanden, man denkt dann an Entertainment und Shows und so. Aber die tiefsinnigsten und traurigsten Werke Tschechows können extrem unterhalten. Wir wollen die Leute fesseln. Ob das jetzt philosophisch super hochschwellig oder niedrigschwellig ist, ist erstmal wurscht. Ich liebe es, die Zuschauer zu packen und ich liebe ausverkaufte Häuser und ich liebe ein lebendiges, bebendes Theater. Aber das hundertste Stück, dessen Titel mich nicht lockt und dessen Inhalt mich nicht meint und dessen Form mich nicht fesselt, das brauche ich nicht.
Donauinsel im Sommer, Volksoper im Herbst – und im November bringen Sie dann im Burgtheater eine musikalische Bearbeitung von Gullivers Reisen auf die Bühne. Wann sieht man Sie mal wieder als klassischen Schauspieler?
Ja, ich bin irgendwie so ein Hybrid, das ist gar nicht so einfach mit mir. (lacht) Aber so lange wird’s nicht mehr dauern, vielleicht ein Jahr, dazu darf ich leider noch nichts Genaueres sagen. Ich freu mich sehr drauf, weil’s auch gut ist, mal aus dem „Bestimmerstuhl“ zu steigen und einfach zu spielen ...
Warum tun Sie sich die vielen anderen Sachen an?
Weil die viel zu schön sind, um sie nicht zu tun.
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