Sperrstunde in den Diskos: Feiern bis zum Umfallen war einmal

In jedem zehnten Nachtclub ist innerhalb der vergangenen fünf Jahre das Licht ausgegangen, weil die Jungen lieber zu Hause bleiben – Jugendforscher über das Ende des Party-Hedonismus.

Die jungen Österreicher wollen nicht mehr in Nachtlokalen feiern und abtanzen – Nachtgastronomen beklagen Umsatzeinbrüche von bis zu 50 Prozent. Als Konsequenz schlossen hierzulande zahlreiche Nachtlokale oder die Unternehmer sperren ihre Diskos weniger oft im Monat auf und setzen in Bezug auf Musik und Ausstattung lieber auf älteres Publikum. Die Probleme sind nicht neu – auch der KURIER berichtete über die Folgen der Corona-Pandemie: Die Nachtgastronomie war die erste Branche, die schließen musste und die letzte, die wieder aufmachen durfte. Allerdings setzte das Sterben der Diskos lange vor dem ersten Lockdown im März 2020 ein.

Ein Blick auf die Statistik der Wirtschaftskammer verrät:

Gab es Ende 2017 österreichweit noch 3.040 Bars, Tanzlokale und Diskos (davon 694 in Wien), existierten mit Stichtag 31.12.2019 nur noch 2.900 Etablissements (davon 666 in Wien). Die Pandemie beschleunigte den Trend: 2022 schrumpfte die Branche dann auf 2.704 Nachtlokale (davon 640 in Wien). In Deutschland ging das Sterben schneller vonstatten: Zwei Drittel der Clubs haben in den vergangenen zwölf Jahren geschlossen.

Ende des Hedonismus

Die Gründe für diese Entwicklung scheinen vielfältig zu sein. Dass sich der junge Lifestyle heute anders präsentiert als vor zehn Jahren, hat damit zu tun, dass sich das Lebensgefühl junger Menschen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen verändert, erklärt Jugendkulturforscherin Beate Grossegger. So fragte die "Jugend Wertestudie 2022" ab, was 16- bis 29-Jährigen im Leben besonders wichtig ist: Am häufigsten wurde hier Gesundheit genannt, gefolgt von einem sicheren Job und genug Zeit für persönliche Interessen.

©Vreni Arbes Fotografie

Am unwichtigsten waren Glaube und Religion sowie "am Wochenende richtig Party zu machen". Die Jugend ist der bunten Lifestylewelt mit den ständig wechselnden Trends überdrüssig geworden. Sie sucht weniger das Abenteuer, sondern konzentriert sich auf das Solide und findet persönlichen Ausgleich vor allem in Bewegung.

Auch laut der deutschen Sinus-Jugendstudie liegen Glamour, Party und Konsum nicht im Trend. Grossegger spricht vom "Ende des Party-Hedonismus": "Es ist für Teenager generell typisch, ihre Freizeit draußen zu verbringen. Aber wir sehen in herausfordernden Zeiten wie diesen, dass sich die Mehrheit nach Gemütlichkeit sehnt. Das mag für viele nach Senioren und Kartenabend klingen, aber die Jugend hat ihre eigene Interpretation.“

Geld fehlt

Es sei ein Jo-Jo-Effekt: Cocooning – also das Zurückziehen zu Hause – sei bereits Jahre vor der Pandemie ein Thema gewesen und habe sich mit der Pandemie zugespitzt. "Wir erinnern uns an die pastellfarbenen Jogginghosen während Distance-Learning oder Homeoffice."

In einer Jugendstudie der Donau Versicherung gaben junge Erwachsene an, dass ihre größten Sorgen die Teuerung, leistbarer Wohnraum und der Klimawandel sind. Party machen bis zum Umfallen wird von der Mehrheit der Jungen nicht als Mittel zur Kompensation der Krisenstimmung gesehen: "Ganz generell muss man aber festhalten: Jugendkulturelle Lifestyles werden auch von den Rahmenbedingungen inspiriert, die Jugendliche für ihre Freizeitgestaltung vorfinden. Und spätestens hier landen wir bei einem Thema, das uns alle beschäftigt: der Teuerung."

©Piomars

Der deutsche Jugendsoziologe Simon Schnetzer ergänzt: "Gedankenlos Geld für Drinks ausgeben, ist für viele nicht mehr drin. Zudem haben Junge das Ausgehen und Konsumieren nicht gelernt. In der prägenden Phase der Jugend (Anm: Pandemie) war das nicht möglich und das hat Konsummuster nachhaltig beeinflusst.“

Medienkonsum

Aufgrund von sozialen Medien „glauben viele Jugendliche, ihre sozialen Bedürfnisse wären bedient, auch wenn sie zu Hause auf der Couch bleiben“, so Schnetzer. Tatsächlich könnte der digitale Medienkonsum eine Rolle spielen: Denn junge Erwachsene müssen nicht mehr ausgehen, um andere kennenzulernen oder zu flirten. Die Dating-App Tinder startete im Jahr 2012 – im März 2020, im Monat des ersten Lockdowns, verzeichnete sie eine Rekordzahl von drei Milliarden Wische pro Tag – mehr als jemals zuvor. Zwei Jahre nach Tinder startete dann auch die Video-Streaming-Plattform Netflix in Österreich.

Die Jugendforscherin widerspricht vorsichtig: „Die Hochblüte der Partnerbörsen ist schon wieder vorbei. Gerade in Zeiten der Pandemie haben die Jugendlichen die Kontakte in der Offline-Welt zu schätzen gelernt.“ Bei jungen Frauen käme eher das Thema Sicherheit dazu: Jene Minderheit, die Party machen will, wünscht sich gute Sicherheitskonzepte in Clubs.

Anita Kattinger

Über Anita Kattinger

Leidenschaftliche Esserin. Mittelmäßige Köchin. Biertrinkerin und Flexitarierin. Braucht Schokolade, gute Bücher und die Stadt zum Überleben. Versucht die Welt zu verbessern, zuerst als Innenpolitik-Redakteurin, jetzt im Genuss-Ressort.

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