Ist Digga das neue Oida?
„Digga“ hat gute Chancen, die Wahl zum Jugendwort des Jahres zu gewinnen. Jugendliche verwenden auch in Österreich zunehmend deutsche Begriffe.
Im österreichischen Dialekt ist zunehmend ein Wort zum Klassiker der Alltagssprache avanciert: Oida. Der Begriff rangiert zwischen zwei Extremen – einerseits erntet er naserümpfende Verachtung, andererseits wird er penetrant in zahlreiche Dialoge eingefügt. Besonders im Wienerischen ist es der verbale Klebstoff, der sich über alle Bezirke hinweg zieht.
Kein Wunder, wird der Begriff doch vielseitig eingesetzt – „Oida“ ist nicht nur Anrede oder Ausruf. Je nach Betonung drückt es ein Gros der Gefühlspalette aus: Wut bis Begeisterung ebenso wie ungläubiges Erstaunen oder Dankbarkeit. 2017 landete die Schauspielerin Ewa Placzynska mit dem Clip „How to Speak Viennese Using Only One Word“ einen YouTube-Hit. 2018 wurde „Oida“ österreichisches Jugendwort des Jahres.
Goofy, Rizz und Yolo
Seit geraumer Zeit ist ein ähnliches Unikum auf dem Vormarsch: „Digga“. Während es bei den einen für Ohrenbluten sorgt, platzieren auch immer mehr österreichische Jugendliche die Anrede deutscher Provenienz munter in ihrem Sprachgebrauch. „Digga“ ist die ursprünglich norddeutsche Form von „Dicker“. Angewandt wird es, um damit einen Freund oder Bekannten anzusprechen. Das sperrige „ck“ wird in der Verwendung weichgespült als „gg“. Was zuvor wie eine Beleidigung klang, kommt jetzt freundlich, positiv und kumpelhaft daher.
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Ein Sieg bei der Wahl zum deutschen Jugendwort des Jahres würde die Titulierung wohl noch beliebter machen. „Digga“ ist einer von zehn Begriffen, die der Langenscheidt-Verlag zum Votum gestellt hat. „Goofy“ findet sich darunter, was so viel wie tollpatschig heißt und angelehnt ist an die ungelenke Disney-Figur. „Er hat richtig Rizz“ – so könnte man sagen, wenn man jemanden attestiert, charmant zu sein und zu flirten versteht. Das Wort leitet sich aus dem amerikanischen Slang für „Charisma“ ab. Mit „Slay“ wiederum wird jemand für sein Selbstbewusstsein bewundert. Und sogar „Yolo“ („You only live once“ – „Man lebt nur einmal“), 2012 Contest-Gewinner, feiert ein Comeback. Bis 13. September kann bei jugendwort.de für eines der Top-Ten-Wörter gestimmt werden, danach stehen bis 20. Oktober nur noch drei Begriffe zur Wahl. Am 22. Oktober wird der Sieger präsentiert.
Der Hip-Hop ist schuld
Wie so oft wurzelt auch das juvenile „Digga“ ursprünglich in der Hip-Hop-Szene. Diesmal speziell in Hamburg, verstärkt von einem Trio um Sänger Jan Delay. „Wichtig für die Verbreitung dürfte 2016 der Song ,Ahnma’ der Band ,Beginner’ gewesen sein, mit der Zeile: ,Was los ,Digga, ahnma’“, weiß Manfred Glauninger, Sprachwissenschaftler an der Uni Wien und Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Ahnma“, steht übrigens für „Komm da mal drauf“ – und ist ebenfalls Hamburger Jugendsprache.
„Digga“ ist allerdings zum Wunderwuzzi jugendlicher Konversationen avanciert. „Ähnlich wie ,Oida‘ ist auch ,Digga‘ inzwischen zunehmend als Füllwort in Gebrauch: Es baut seine ursprüngliche Bedeutung als Substantiv ab und kann an jeder beliebigen Stelle im Satz auftauchen“, sagt Glauninger. „Es hilft, die Kommunikation zu steuern oder soziale Bedeutungen im Sinne von Gruppenzugehörigkeit oder Coolness zu signalisieren.“ Was auch bedeutet, dass es unisex geworden ist: Auch zwei Mädchen können untereinander nämlich „Digga, hast du gehört …?“ sagen – also genau so wie bei „Oida“.
Das Aus für „Oida“?
Wie es dazu kommt, dass auch Mädchen und Buben hierzulande gern auf das zutiefst norddeutsche Idiom zurückgreifen? Den Sprachexperten verwundert die zunehmende Verbreitung in Österreich keineswegs – und möchte sie auch dezidiert nicht als negativ bewerten. Im Gegenteil: „Völlig erwartbar und logisch“, konstatiert Glauninger. Über das Internet würde Jugendsprachliches schnell im gesamten deutschsprachigen Raum verbreitet werden. Österreich sei als Teil der EU nicht nur ökonomisch und medial, sondern eben auch sprachlich stärker integriert.
Auch die Migration habe die Sprachlandschaft bunter gemacht. Ob „Digga“ das vertraute „Oida“ auf Dauer verdrängen wird? Das bleibe abzuwarten, so Glauninger. „Meist sind jugendsprachliche Ausdrücke sehr kurzlebig.“ Der Experte meint: „Ich vermute, ,Digga’ wird auch in Österreich nicht wieder völlig verschwinden – aber auf längere Sicht dürfte doch ,Oida‘ alltagssprachlich die Nase vorn haben.“
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