Cobains Wollweste, Jackies blutiges Chanel, Hurley in Versace: Ikonen der Kleidung

Kleidungsstücke, die Hypes auslösten, sich über reine Mode hinaus entwickelten - und textile Teile kollektiver Erinnerung wurden.

Kalter Krieg, Kubakrise, Attentat. John F. Kennedy, tragischer und dennoch ewiger Strahlemann der Weltpolitik, wird nun wirklich mit hinreichend Historie in Verbindung gebracht. Und dann ist da noch ein Ereignis, eines, das er einer Frau zu verdanken hat. Nicht irgendeiner Frau. Marilyn Monroe.

Beim denkwürdigen Auftritt, den sie hinlegte, als sie für ihn 1962 als Geburtstagsständchen „Happy Birthday, Mr. President“ ins Mikro hauchte, blieb die Zeit stehen. Im Madison Square Garden. Aber auch auf der Welt. Denn jeder kennt es, Marilyns Kleid: hauteng auf den kurvigen Körper maßgeschneidert, mit 6.000 Kristallen bestückt, und so transparent, als wäre sie nackt vor den Präsidenten getreten. So heißt das heute auch: Nude-Dress. Ein Nackt-Kleid.

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Eine sehr sinnliche Angelegenheit also, und sehr skandalös in den Sechzigern. Zumal umrankt vom Wissen, welch Liaison die "Stradivarius des Sex“ (Norman Mailer über die Monroe) und Kennedy verband.

Und ein weiterer ikonischer Look, neben dem hochflatternden weißen Neckholderkleid in Billy Wilders "Das verflixte siebte Jahr“. Für Marilyn soll die Kreation des Modedesigners Jean-Louis 1.440 Dollar gekostet haben. 2016 wurde es dann für 4,8 Millionen versteigert. Nie wurde für ein Kleid ein höherer Preis erzielt. Heute wird die Preziose in der Ripleys-Museumskette in einem abgedunkelten Tresor und unter speziellen Temperaturen gelagert.

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Darf Kim Kardashian Monroe?

Zumindest war das so lange bis Kim Kardashian kam. Die nahm sieben Kilos ab und trug das vielleicht berühmteste Kleid der Welt bei der Met Gala 2022 in New York. Was die einen cool fanden, sorgte bei anderen für einen Aufschrei des Entsetzens. Zuletzt schaltete sich quasi sogar die Unesco ein. Der Tenor der Experten: das Kleid sei ein "historisches Artefakt“ und „unersetzlich“. Keiner dürfe es tragen.

Die Sorge erscheint verständlich. Nicht, weil man das Kleid einem Realitystar wie der Kardashian nicht gönnen würde. Das sicher auch. Doch ein Kleid wie jenes der Monroe ist mehr als eine Schlagzeile: ein Symbol. Wer es ansieht, spürt den Zeitgeist der Kennedy-Ära vibrieren, es verkörpert die Heimlichtuerei einer verbotenen Highlevel-Affäre, die unwiederbringliche Aura einer Filmgöttin. Es zu behüten, bedeutet den Versuch, Zeitgeschichte zu konservieren.

Blut und Chanel

Manche Kleidungsstücke sind unverbrüchlich mit einer Zeit konnotiert, mit wichtigen Minuten der Geschichte – oder zumindest der Popkultur. Berühmt gemacht, öfter durch Filme, gern anhand Stars oder wichtigeren Menschen, aktivieren sie bei uns Erinnerungen und haben sich unauslöschlich in unser Gedächtnis eingebrannt.

Manchmal trägt auch ein Mord Schuld daran.

Einer wie an einem sonnigen Tag in Dallas, Texas. 1963 begleitete Jackie Kennedy erstmals ihren Mann John F. auf Wahlkampftour. „Zeig diesen Texanerinnen, was guter Geschmack ist“, soll er vorab zu ihr gesagt haben. Jackie ließ sich zu einem Outfit von Chanel raten: ein rosa Kostüm, eine Nachbildung, aus Tweed, mit einem blauen Kragen, dazu ein Pillbox-Hut.

Die Bilder, wie Kennedy von einem Heckenschützen erschossen und Jackie panisch aufs Heck der Cabrio-Limousine kletterte, gingen um die Welt. Danach weigerte sie sich, das blutige Kostüm auszuziehen. Es ist eines der berühmtesten Outfits der Geschichte. Wenn das Marilyn-Kleid der launige Höhepunkt einer Pop-Präsidentschaft war, steht das Jackie-Kostüm für ihr grausames Ende. Und den Beginn einer neuen Zeitrechnung.

Cobains kratzige Wollweste

Vom Gefühl, das eine Zeit in ihnen heraufbeschwört, sind viele Menschen unendlich fasziniert. Die einen bewahren ihre Kinderspielzeuge oder Stofftiere auf. Zugleich ermessen jene, die es sich leisten können, Reichtum nicht länger am Bugatti in der Garage oder am Segelboot, sondern investieren ins Sentiment. Beim Versuch, die Zeit festzuhalten, helfen gegenständliche Reminiszenzen, die sich ersteigern lassen.

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Und was ließe die Neunziger besser wiederauferstehen als die Wollweste von Kurt Cobain? Ach, damals. Es war 1993, als Cobain, der Jim Morrison der Generation X, beim Unplugged-Konzert für MTV in New York das kratzige Ding überzog. Und sich damit endgültig als Galionsfigur des Grunge manifestierte, dieser wütenden Antipode zum narzisstischen Hochglanzpop der Achtziger. Endlich wieder Gegenkultur. Und diese fusselige Wollweste mit Brandlöchern verkörperte sie. Smells Like Teen Spirit.

Wollweste wird Ikone: Kurt Cobain beim Unplugged-Konzert von Nirvana, 1993

©Getty Images/Frank Micelotta Archive/Getty Images

Sechs Monate nach dem Konzert nahm der Nirvana-Sänger sich das Leben. Als die Strickjacke 26 Jahre später um 334.000 Dollar versteigert wurde, war sie längst eine Reliquie des Rock. Nach dem Auftritt war sie nie wieder gewaschen geworden. Der stolze Verkaufspreis, ein Sinnbild dafür, wie das eben oft so ist mit der Revolution. Am Ende kommen die Touristen: alles im Ausverkauf.

Vom Unterleiberl bis zu Versace

Die Popkultur setzt auch Textilien in Szene, die sonst selten im Rampenlicht stehen. 1999 machte Nicole Kidman es Bruce Willis und Mundl nach und stieg ins weiße Unterhemd. In Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut“ trug sie das zarte Baumwollene in der Schlafzimmerszene mit Tom Cruise mit solch Anmut, dass das "Cotton Seamless“ von Hanro ewig lang ausverkauft war.

Kultiges Unterhemd: Nicole Kidman im Film "Eyes Wide Shut", 1999

©imago stock&people

Die Schimanski-Jacke, der weiße Anzug von Travolta, der Bikini der Andress bei James Bond: alles Kult. Der Trenchcoat, den Alain Delon 1967 in "Der eiskalte Engel“ trug, sowieso. Eigentlich ein Armeemantel, erfunden bereits 1879 von Thomas Burberry, löste die stilisierte Killer-Coolness einen Trend aus. Ein einsamer City-Samourai zu sein, mit hochgeschlagenem Kragen, das war sogar noch cooler als Bogart. Delons Mantel war übrigens von der Marke Aquascutum.

Einsam, aber cool: Alain Delon im Trench in "Der eiskalte Engel", 1967

©imago images/Everett Collection/Courtesy Everett Collection/imago images

Zuletzt aber noch zu drei besonderen Kleidern. Prinzessin Diana etwa schrieb mit ihrem "Revenge Dress“ Modegeschichte: Sie setzte sich mit dem sexy schulterfreien Kleid just an jenem Tag in Szene, an dem Charles im TV seine Affäre mit Camilla eingestand. Ein gekonntes Statement, das sie nicht als Opfer darstellte, sondern stolz und selbstbewusst.

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Geschichtsträchtiges Outfits: Prinzessin Dianas kleidsame Rache an Charles, 1994

©Getty Images/Princess Diana Archive/Getty Images

Eine Eigenschaft, die auch Elizabeth Hurley besitzt. 1994 war sie völlig unbekannt. Bis sie zur Premiere von "Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ ihres Freundes Hugh Grant ein Versace-Kleid trug, von dem heute noch alle reden: tief dekolletiert und seitlich bloß von Sicherheitsnadeln zusammengehalten.

Aufsehenerregend: Elizabeth Hurley im Sicherheitsnadel-Kleid von Versace, 1994

©Getty Images/Dave Benett/Getty Images

Mit "That Dress", wie man es seitdem nennt, revolutionierte die Schauspielerin damit die Regeln dessen, was man am Red Carpet tragen darf. Und wie bei Diana markiert das Kleid einen Neuanfang: Allerdings baut er nicht auf dem Willen auf, alten Ruhm abzustreifen, sondern machte Hurley weltweit zum Star.

Und was schreibt aktuell Geschichte? Zuletzt faszinierte ein Kleid aus der Sprühdose. Bei der Pariser Modewoche wurde es Bella Hadid vom Label Coperni in 15 Minuten auf den Körper gesprüht. Das Geheimnis: eine Polymerlösung mit Textilfasern, die am Körper verdunstet und sich in Stoff verwandelt. Hautnah dran. Fast wie bei Marilyn.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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