
Schiele bis Klimt: Die unglücklichen Lieben der Genies aus Wien
Die dramatischen Lieben von Schiele über Klimt bis Schnitzler. Ein neues Buch von Dietmar Grieser kennt ihre Schicksale.
"Sehr geehrtes gnädiges Fräulein!" Es war aus hoher Not und Sehnsucht heraus, dass Egon Schiele einmal nicht zum Pinsel, sondern zum Bleistift griff. Der Brief, den er schrieb, machte sein Begehr, das mit sehnsuchtsvollen Blicken begann, von vis-à-vis aus seinem großen Atelierfenster hinüber ins gutbürgerliche Haus in der Hietzinger Hauptstraße 114, endlich konkret:
"Warum besuchen Sie mich nicht?", schlug das junge Malergenie kokett vor. Er wisse zwar, dass man allgemein glaube, das würde für schlechte Nachrede sorgen. Aber dennoch: Er verspreche auch hoch und heilig, brav zu bleiben. "Schreiben Sie mir doch einmal! Jetzt grüße ich Sie und Ihr Fräulein Schwester herzlichst." Es küsst die Hand, Egon Schiele.
Verliebt in zwei Schwestern
Anfangs befindet sich der Maler in einem Dilemma: Gleich beide Schwestern von gegenüber haben offenbar sein amouröses Interesse hervorgerufen, doch gerade einmal ihre Vornamen konnte er in Erfahrung bringen. Nur welche Adele sein soll und welche Edith, eine dunkelhaarig, die andere blond, war ihm ein Rätsel.
Sein Brief jedenfalls wurde von der Frau Mama der Grazien geflissentlich ignoriert. Sechs Wochen lang, bis Schiele einen zweiten Brief schickt, der endlich Antwort erhält und die Herzensangelegenheiten in Gang setzt. Eine eintägige Landpartie mit ihm wäre möglich ...

Wenn Liebe zum Meisterwerk wird: Das "Bildnis der Frau des Künstlers, Edith Schiele", aus dem Belvedere
©mauritius images / Alamy Stock Photos / Albert Knapp/Alamy Stock Photos/Albert Knapp/mauritius imagesDass Schiele mit Wally Neuzil eigentlich eine Freundin hat, die seit Jahren als Modell wie Geliebte an seiner Seite ist, scheint seinem Eroberungswillen dabei keinen Einhalt zu bieten. Oft sind der Maler und die Damen sogar alle gemeinsam spazieren oder gehen ins Kino.
Du bist für mich das Höchste, und ich will auf Dich horchen, will tun und lassen, was Du willst.
Schiele: Ehe zu dritt?
Überhaupt scheint es Egon Schiele an Chuzpe nicht gemangelt zu haben: Als er sich für die jüngere Schwester Edith als Auserwählte entscheidet und mit Wally Schluss macht, schlägt er dieser glatt frech vor, sich trotz seiner Ehe weiterhin mit ihm zu treffen sowie zusammen auf Reisen zu gehen – ein ziemlich unverfrorenes Angebot, das sie beleidigt ablehnt und auch seine Zukünftige Edith brüskiert. "Du bist für mich das Höchste, und ich will auf Dich horchen, will tun und lassen, was Du willst", schreibt sie Schiele zärtlich und macht dem Don Juan gleichzeitig klar, dass solch ein Arrangement unter ihrer "Weibwürde" wäre.
Die beiden heiraten, doch was ab nun folgt, ist Unglück. Wally Neuzil meldet sich gebrochenen Herzens zum Kriegsdienst und stirbt in einem Lazarett an Scharlach. Edith stirbt, schwanger mit Schieles Kind, an der Spanischen Grippe. Drei Tage nach dem Begräbnis ist auch der Maler tot – er hat sich angesteckt: "Der Krieg ist aus, und ich muss gehn."
Literaturdetektiv
Es sind Schicksale wie diese, die der Autor Dietmar Grieser in seinem Buch "Alles aus Liebe. Glück und Leid in Wien um 1900" mit akribischem Spürsinn erforscht hat. Dramatische Liebesgeschichten um Eifersucht, Leidenschaft und Affären legendärer Künstler wie Schiele, Rainer Maria Rilke, Georg Trakl oder Stefan Zweig.
Wie fesselnd sich das liest, liegt nicht zuletzt an Autor Grieser, der sich als "Literaturdetektiv" einen Namen gemacht hat. Seine Bestseller und literarischen Reportagen bringen kulturwissenschaftliches Wissen vor allem über Wien zu Tage. Dabei vertraut er ganz auf sein journalistisches Handwerkszeug, erzählt Grieser uns im Interview: gelesene Regalmeter an Büchern sowie Gespräche mit Experten.
Wahre Schätze, so Grieser, würden Tagebücher und Briefe von damals beherbergen: "Wer es drauf anlegt, entdeckt auf diese Weise vieles, das bislang im Verborgenen lag."
Klimts Spione in Schönbrunn
Auch Schieles Zeitgenosse Gustav Klimt hat in Sachen romantische Kalamitäten sein Scherflein beizusteuern. Alma Maria Schindler wird im späteren Leben als Frau und Geliebte von Berühmtheiten wie Gustav Mahler, Oskar Kokoschka oder Franz Werfel Furore machen; Klimt kennt sie, seit sie ein Kind ist und er als junger Maler bei den Schindlers auf Schloss Plankenberg ein und aus gegangen ist.
Im Dunstkreis der Secession begegnet er ihr wieder; zwar als Bonvivant bekannt, ist er dennoch von ihr in den Bann gezogen. Und so lässt sich auch das Ego eines Genies von Eifersucht ankränkeln, und Klimt schickt seine Spione aus, ob es bei den Treffen zwischen seinem Nebenbuhler, dem Burgtheaterdirektor Max Burckhard, und Alma bei ihren Rendezvous zur Jause in Schönbrunn wirklich zu nichts mehr als einem Handkuss kommt.

Unerfüllte Liebe: Alma Mahler-Werfel (o.) und Gustav Klimt – "ein ganzes Leben gesucht und nie gefunden"
©mauritius images / Alamy Stock Photos / ARCHIVIO GBB/Alamy Stock Photos / ARCHIVIO GBB/mauritius imagesKlimts heimliche Verlobung
Bei einer Italien-Reise mit Stationen wie Florenz, Mailand und Venedig frönen Klimt und sie schließlich ihrer Verliebtheit, im Zuge derer auch ein Kunst-Gigant wie Klimt zum verniedlichten "Klimschi" (und zwar "ewigdürstend", im einzigen erhaltenen Liebesbrief) avanciert.
Es ist eine Liebe, die dennoch keusch bleibt. Spätestens seit Almas Mutter die zwei beim Schmusen ertappt hat, die junge Dame fortan unter strenger Aufsicht steht und Klimt verboten wird, das Wort an sie zu richten. Als es ihnen dennoch gelingt, sich am Markusplatz davonzustehlen, sei das wie eine "heimliche Verlobung" gewesen, vermerkte Alma in ihrem Tagebuch.
Doch das Glück währt nicht: Zurück in Wien wird Alma depressiv, Treffen mit dem Maler vermeidet sie. Und "auch wenn ich zitterte, wenn ich ihn ansah" und er ihr gestand, "Dein Zauber auf mich vergeht nicht, er wird stärker" – letztlich blieb die Geschichte der beiden eine auf tragische Weise unerfüllte Liebe: nämlich, wie Alma aufschrieb, "dass wir uns ein ganzes Leben gesucht und in Wirklichkeit nie gefunden haben".
Schnitzlers letzte Liebe
Gefunden haben sich zwar Arthur Schnitzler und Suzanne Clauser, jedoch reichlich spät. Er: 66 Jahre alt und ein Dichter, dessen größte Taten vollbracht sind. Sie: 36 Jahre jünger und erfüllt von glühender Leidenschaft für sein Werk. Die Bankierstochter, die zeitweise in Paris lebt, kann ganze Dialoge auswendig aufsagen. Nichts wünscht sie sich mehr, als Schnitzlers Literatur ins Französische zu übertragen.
Aus einer lampenfiebrigen Audienz beim Autor wird mehr. Beide sind in tiefer Trauer: Clauser hat ihren Vater verloren, bei Schnitzler hat sich Tochter Lili aus Liebeskummer umgebracht. Das verbindet. Zwar ist sie erst kurz verheiratet und er unglücklich mit Clara Pollaczek, doch es entwickelt sich mehr. Bald ist sie in Briefen für Schnitzler die "einzig Maßgebliche", und er beichtet seinem Tagebuch von "unerschöpflichen Gesprächen" und fünf Telefonaten täglich.
All das sorgt für Gerede und ein Drama: Pollaczek versucht, sich umzubringen. Der Kontakt wird weniger. Clauser ist Schnitzlers letzte große Liebe – und wird nach seinem Tod 1931 (und geschieden) selbst erfolgreich: als Korrespondentin des Figaro und Roman-Autorin.
Sindelars tragischer Tod
In der Dichtkunst besungen wurde auch er: Matthias Sindelar. Sein Genie lag nicht in Malerei oder Literatur, sondern auf dem Rasen: Er war der bedeutendste Fußballspieler seiner Zeit, ein Volksheld, und inspirierte sogar Friedrich Torberg: "Er spielte Fußball wie kein Zweiter / und stak voll Witz und Fantasie / Er spielte lässig, leicht und heiter / Er spielte stets. Er kämpfte nie."

Tod eines Fußballspielers: Das legendäre "Wunderteam"-Genie Matthias Sindelar wurde an der Seite einer dubiosen Dame tot aufgefunden
©Archiv Seemann / brandstaetter images / picturedesk.com/Archiv Seemann/brandstaetter images/picturedesk.comGroß war die Liebe des "Wunderteam"-Stürmers zu Camilla Castagnola zwar nicht, aber verhängnisvoll. Als Sindelar 1939 starb, spielte der Blätterwald verrückt. Giftmord? Selbstmord? Doppelselbstmord? Der Star feierte in seinem Café, wechselte frühmorgens das Lokal, Tür an Tür mit dem Animier-Etablissement Melody Bar. In dieser Nacht lernt er die ominöse Castagnola kennen, die sogar mit Unterweltgrößen wie dem "Amerika-Maxl" Umgang pflegt.
Zehn Tage später findet man die beiden tot am Bett in ihrer Wohnung. Die banale, skandalfreie Wahrheit: Rauchgasvergiftung durch einen schadhaften Kamin – und auch nicht Opfer des Nationalsozialismus, wie etwa Torberg meinte.

Autorin unter fremder Flagge: Vicki Baum schrieb anfangs für ihren Gatten
©mauritius images / Alamy Stock Photos / Smudge Whisker/Alamy Stock Photos / Smudge Whisker/mauritius imagesVickie Baum: Schreiben für den Gatten
Ein Opfer ihrer blinden Liebe wurde hingegen Vicki Baum. Mit ausdauerndem Süßholzraspeln gewann der kaum begabte Dichter Max Prels ihre Gunst, als sie noch nicht die weltberühmte Autorin von "Menschen im Hotel" war, sondern zweite Harfenistin im Konzertverein.
Gegen die ständige Geldnot sollte ein Auftrag für Kurzgeschichten helfen, jedoch: Prels wollte nichts einfallen. Da schenkte Baum ihm ihre Manuskripte – er fügte ein paar Beistriche ein, setzte seinen Namen drunter: fertig. Zwei Jahre ging das so. Dann war die Ehe zermürbt und geschieden. Dennoch führte sie zu etwas: Prels konnte Vicki Baum an den Ullstein Verlag vermitteln – wo sie eine der erfolgreichsten Autorinnen ihrer Zeit wurde.
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