Wiener Villen und ihre faszinierenden Geheimnisse

Die Villen erzählen von Erfolg und Niedergang - vom Eisenbahnbaron über das Schicksal der Familie Rosen bis zum Palast des Kohlekönigs.

Wohnst du noch oder lebst du schon? Der Claim des Möbelhauses Ikea ist legendär, weil er clever ist und Hintersinn birgt: das Zuhause nicht als bewohnbare Schachtel, sondern als trautes Heim, Glück allein, zu dem seine Bewohner eine emotionale Bindung aufbauen.

Die kulturell interessantesten Villen Wiens weisen darüber hinaus. Die Häuser existieren in einem Spannungsfeld: Einerseits fungieren sie als Refugien und rückzugstaugliche Familienburgen. Andererseits suchten Architekten wie Otto Wagner oder Adolf Loos, einzigartige visuelle Stile mit ihren Bauwerken zu verwirklichen.

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Architektur erzählt Geschichte, und zwar nicht nur die der großen Kathedralen oder Geburtshäuser berühmter Komponisten. Die Villen stellen eine faszinierende Identität Wiens dar. Manchmal kann das ziemlich kühn auf einen wirken, dann wieder kurios, und immer löst es nostalgische Stimmung beim Betrachter aus.

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  • Die tragische Historie der Villa Schapira
  • Der Palast des Kohlekönigs
  • Arik Brauer und die Blutbuche

Die Philosophie, wie zu bauen sei, schlug sich dabei vielgestaltig nieder. Adolf Loos sah es als eine Art Selbstverwirklichung und Spielfeld für Kreativität. Dem Kulturkritiker Joseph August Lux dagegen schwebte die Villa als modernes Landhaus und damit Kraftquelle der Glückseligkeit vor. Vor allem plädierte er für den Verzicht auf jeglichen Protz – ein „Ragout von Erkerchen, Türmchen, Giebelchen, von denen in der Regel kein Mensch weiß, warum sie da sind“.

All das wissen der Historiker Johannes Sachslehner und der Fotograf Robert Bouchal, die ein liebevoll recherchiertes Buch darüber geschrieben haben. Die historischen Villen, die sie porträtieren, sind verborgene Schätze. So manche Innenräume wurden erstmals fotografiert. Vor allem aber legen sie Zeugnis von altem Glanz und vergangenen Epochen ab. Und von den faszinierenden Leben ihrer ehemaligen Bewohner.

Mondäne Vermieter

Die Villa Schapira etwa sieht schon von außen sehr geheimnisvoll aus (siehe Artikelbild oben). Von Efeu bewuchert die Fassade. Zarte Säulen stützen den raffinierten Dachstuhl. Eine Terrasse. Eine steinerne Treppe. Ein großer Garten. Magisch, wie aus dem Märchen.

Das Buch

Das Buch

Johannes Sachslehner, Robert Bouchal: „Wiener Villen und ihre Geheimnisse“. 240 Seiten, Styria Verlag, 35 Euro

Am Türkenschanzpark ist dieser Prachtbau zu finden, in der Max-Emanuel-Straße 17. Sein Name beruht auf Mihai Schapira, einem rumänischen Eisenbahnbaron. Ein eleganter Herr aus Bukarest, und mit den Allüren eines orientalischen Paschas, wie es im Buch heißt. 1922 entstand die Villa, ein nach englischem Vorbild gestaltetes Landhaus im Cottage-Stil. Mihai und seine Frau Marianne pflegten einen mondänen Lebensstil, gern an der Côte d’Azur und in Venedig.

Das mag der Grund gewesen sein, warum sie in der Wiener Villa nicht lebten und sie vermieteten. Als der Antisemitismus in Wien zunahm, gingen sie erst nach Frankreich, wo sie in Cannes eine Villa besaßen, und später nach New York, wo heute auch ihre Nachfahren leben.

Beim „Anschluss“ blieb ihr Haus in Wien unangetastet (weil rumänische Staatsbürger). 1955 wurde die Villa Schapira verkauft, seit 1994 besitzt die Bundesimmobiliengesellschaft sie. Genannt wird sie „The Rosen House“. Das fußt auf den drei Generationen der Familie Rosen, ursprünglich: Rosenblüth, die hier seit 1927 gelebt hatte. Und eine dramatische Geschichte aufweist.

Eine Villa, viele Tragödien

Louis Rosen etwa war ein erfolgreicher Geschäftsmann. 1919 hatte er die 15 Jahre jüngere Käthe Drach, bildhübsche und elegante Tochter des immens reichen Holzgroßhändlers Moriz Drach, geheiratet. Nach der Scheidung buhlten hochadelige Herren um sie. Käthe verliebte sich unglücklich in den jungen Prinz Chlodwig Hohenlohe, doch der konnte sie aus Standesdünkeln nicht heiraten. An „schwerer Gemütsdepression“ erkrankt nahm sie sich das Leben.

Für seine Tochter Marietta erstritt Louis Rosen ihr Recht auf das Millionen-Erbe von Moriz Drach. Während Marietta, Louis und seinem Bruder Bernhard die Flucht aus Österreich gelang, wurde sein Bruder Robert in Auschwitz ermordet. Die Mutter der drei Rosen-Brüder, Johanna, starb im kroatischen KZ Jasenovac. Ein Stolper- und Gedenkstein vor der Villa erinnert heute an beide.

Und heute? Ist die Zukunft der Villa Schapira ungeklärt. Die Boku war eine Zeit lang eingemietet oder die Akademie der bildenden Künste. Heute steht sie leer. Im Raum steht eine Nutzung als Kinderbetreuungsstelle. Doch ob das umgesetzt wird, ist ungewiss.

Der Palast des Kohlekönigs

Die Familie Gutmann war eine der erfolgreichsten Familien der Habsburgermonarchie. Max Ritter von Gutmann war ein „Kohlekönig“. Der Ausbau der Eisenbahnen, Kohleheizung und Industrialisierung beförderten seinen Aufstieg. 1902 überlebte er das Attentat eines wegen Bestechlichkeit entlassenen ehemaligen Betriebsleiters, als dem Häscher die Bombe in der Hand explodierte. Verheiratet war er mit der 20 Jahre jüngeren Hofschauspieler-Tochter Emilie Hartmann.

Das Erkerzimmer der Villa Gutmann

©robert bouchal

Mit der Villa in der Colloredogasse 24 erschuf er sich einen wahrhaft herrschaftlichen Luxustempel, erbaut von Carl von Borkowski. 1938 machte sich dann die SS im Haus breit, später die Sowjets. Heute gehört es einer Immobilienfirma. Und erstrahlt nach verunglückten Renovierungen in neuem Glanz: mit Designermöbeln, erneuerter Stuckdecke, moderner Kunst, imposantem Luster und Tiffany-Verglasung verbindet die Villa Tradition und Moderne. Im Souterrain logiert eine Arztpraxis. Und wo einst Wundergeiger Bronislaw Huberman glänzte, steigen heute noch Musikabende.

Das Wohnzimmer der Villa Gutmann. Der Designer Alexander Golovin zeichnet dafür verantwortlich

©robert bouchal

Arik Brauer und die Blutbuche

Ein wunderbares Bauwerk steht auch einen Steinwurf weiter, in der Colloredogasse 30: Die Villa Angerer ist benannt nach Carl Angerer. Er erfand die Autotypie, ein Verfahren zur Herstellung von Druckformen, und wartete mit holzvertäfeltem Empfangszimmer, bemalter Balkendecke aus Tannenholz im Speisezimmer oder einem Rauchzimmer für den Herrn des Hauses auf. Im Haus war später bei Carls Sohn Alexander öfter Egon Schiele zu Gast, ein schlechter Schüler, was dem Ehepaar Angerer sehr missfiel.

Die Villa Angerer in der Wiener Colloredogasse. Erbaut 1884 von Carl von Borkowski, geprägt vom Künstler Arik Brauer

©johannes sachslehner

Besonders bemühte man sich um den Garten, der mit einem kleinen Teich samt Brücke und einem rosenumrankten Salettl bestach. Sommerfrische daheim, sozusagen. Ab 1909 wurde der Garten allerdings parzelliert. 1973 erwarb dann Arik Brauer die Villa. Er stattete das Anwesen mit Bildern und Keramikfiguren aus. Eine Seite der Villa ziert ein Werk im Stil des Phantastischen Realismus. Der geliebten Blutbuche im Garten verordnete er ein Baumhaus.

Beeindruckendes Privatmuseum: Die unterirdische Tempelhalle der Villa Angerer mit Bildern und Figuren von Arik Brauer ist rund 200 Quadratmeter groß 

©robert bouchal

Dass er in einer kleinen Wohnung in Ottakring aufwuchs, als Jude verfolgt wurde und sein Vater ermordet wurde, vergaß Arik Brauer auch in seiner Villa nie. „Als ich unser Grundstück im Cottageviertel zum ersten Mal betrat“, sagte er einmal, „hatte ich vage das Gefühl, mich bei ,reichen Leuten’ eingeschlichen zu haben, um Äpfel zu stehlen.“

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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