Sex und Spionage: Wiener Hotels und ihre spannenden Geheimnisse

Von der Keuschheitspolizei wegen Casanova bis zur Beethoven-Wut: Vom Imperial bis zum Orient erzählen Wiener Hotels Stadtgeschichte.

Dem Genie hatte es nicht geschmeckt. Und weil dieses Genie namens Ludwig van Beethoven als sehr temperamentvoll – viele sagen: streitsüchtig – galt, fackelte er nicht lange und entlud seinen Groll donnernd über dem Haupt des Personals. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Zack, schon warf der Komponist dem Kellner (er hatte sich durch Widerworte verdächtig gemacht) die Schüssel mit dem Lungenbratel an den Kopf. So stand der dann da, im "Weißen Schwan", in dem Beethoven gern Mittagstisch hielt, die Hände beladen mit Tellern, das Musikgenie schrie, der arme Kellner schimpfte, während er zugleich grimassierend die ihm übers Gesicht laufende Sauce ablecken musste – und die Wirtschaft bog sich vor Lachen.

Das Hotel als Weltflucht 

Es sind Anekdoten wie diese, die Johannes Sachslehner in seinem vergnüglichen wie spannenden Buch "Wiener Hotels und ihre Geheimnisse" präsentiert. 

Dabei wird der Entwicklung der Hotellerie in der Hauptstadt auf den historischen Grund gegangen. Die wurde vor allem von der Weltausstellung, die 1873 in Wien stattfand, befeuert und bedeutete einen wichtigen Innovationsschub, der die Verwandlung der alten Kaiserstadt in eine moderne Metropole beschleunigte. 

Gleichzeitig geben die Geschichten Einblick in soziale Strukturen. Hotels sind politische Schauplätze und erzählen von technischen Innovationen, waren die einstigen Einkehrgasthöfe (dunkel, kalt, eng) doch alles andere als durchdesignte Wohlfühlstuben, und entwickelten sich erst langsam zu Quartieren, die diesen Namen auch verdienten – mit fließendem Wasser, elektrischem Licht und Zentralheizung.

Das Hotel ist der Schauplatz der Affäre, das war schon in Zeiten Casanovas der Fall.  Hier darf hinter verschlossenen Türen, was außerhalb so gar nicht darf.

All das addiert sich zum unerklärlichen Zauber, den Hotels und Suiten auf die Menschen ausüben. Der Aufenthalt darin wird gern als eine "Entfesselung aus der Alltäglichkeit" wahrgenommen, wie der Autor Oskar Franz Scheuer es gescheit benannte, eine Weltflucht, manchmal auch eine vor feindlichen Mächten, dann wieder vor sich selbst. Dem Alltag wird im Idealfall an der Hoteltür der Einlass verwehrt. In der Suite endet die Flucht und es beginnt die Freiheit.

Da darf der Sex nicht fehlen. Wie viele geheime Leben im Hotel wohl schon ausgelebt und gefeiert wurden? Das Hotel ist Schauplatz der Affäre, das war schon in Zeiten Casanovas so. Hier darf hinter verschlossenen Türen – bitte nicht stören! – was außerhalb, in der Realität, so gar nicht darf. 

Das trifft nicht nur auf den zuvor erwähnten "Weißen Schwan" zu, der heute als Hotel Ambassador in der Inneren Stadt firmiert, und der den im Liebeswerben erprobten Minnesänger und Ritter Ulrich von Liechtenstein beherbergte, als dieser als Göttin Venus verkleidet mit einem Kranz weißer Rosen am Haupt anreiste. Sondern auch auf niemand Geringeren als Giacomo Casanova persönlich, der im Gasthaus "Zum Goldenen Ochsen" in Wien nächtigte.

©Illustration: Bartosz Chudy

Überraschung für Casanova

Am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1766 reiste der Schürzenjäger aus Prag kommend mit einer jungen Dame an. Kurz darauf musste die Wiener Keuschheitspolizei wegen ihm ausrücken, und das kam so: Der ausgefuchste Casanova bestellte für sich und seine Mademoiselle Blasin zwar zwei getrennte, jedoch aneinanderliegende Zimmer. Beim gemeinsamen Aufwachen in einem der Zimmer platzten dann – die Dame trug Negligé – zum Frühstück plötzlich die Sittenwächter herein. Auf die Frage, was sie hier in Wien mache, antwortete Mademoiselle, sie trinke Milchkaffee. Diese Antwort mag dann wohl doch zu wenig glaubwürdig erschienen sein. 

"Wenn der Herr nicht Ihr Gatte ist, werden Sie binnen vierundzwanzig Stunden abreisen", befahl barsch der Keuschheitskieberer. "Der Herr ist nur mein Freund, und ich werde abreisen, wann es mir gefällt, es sei denn, dass man mich mit Gewalt fortschafft", gab Mademoiselle keck zurück. 

Die ganze Aufregung zog einige Kalamitäten nach sich und letztlich wurden die zwei Liebestrunkenen in zwei neue, in sicherem Abstand voneinander befindliche Zimmer verlegt. Zumindest vermeintlich. "Trotz dieser schikanösen Polizei haben wir die vier Tage und Nächte, die sie noch in Wien blieb, zusammen gegessen und geschlafen", notierte Casanova und dokumentiert Sachslehner.

Schnitzler liebte im Victoria

Das Hotel Victoria wiederum, in der Favoritenstraße 11, nutzte Arthur Schnitzler als Liebesnest. Die Straße im zehnten Hieb war früher noch keineswegs jener Einkaufsboulevard und jene Fußgängerzone, wie wir sie heute kennen. Damals drangen in der Wiedener Vorstadt eher Walzerklänge ans geneigte Wiener Ohr und der vormalige Kaiserweg führte Direttissima zum Sommersitz von Kaiser Karl VI. (dem heutigen Theresanium). Das Victoria jedenfalls tat sich aufgrund seiner Séparées hervor, und Schnitzler, so Sachslehner in seinem Buch, ging hier zehn Jahre lang mit seinen zahlreichen Liebschaften ein und aus. 

"Ich brauche – Liebe. Oder vielleicht nur Abwechslung", notierte der Autor des "Liebesreigen" am 31. Mai 1889 in sein Tagebuch, und wie praktisch fiel es doch, dass just an jenem Tag die vom Schicksal herbeigesehnte Marie "Mizi" Glümer in seiner Praxis an die Tür klopfte. Die Schauspielerin wurde zu Schnitzlers großer Liebe, der Schriftsteller fand sich "förmlich krank vor Begier nach dem süßen Mädl" wieder. Heute ist das ehemalige Hotel Victoria – nachdem es lange die Direktion der Wiener Stadtwerke beherbergte – Heimat für Institute der Fakultät für Informatik der Technischen Universität.

Dass er von seiner Suite aus praktisch mit dem Fahrrad zum stillen Örtchen fahren müsse, bekrittelte auch Mark Twain, der sich 1897 acht Monate in Wien aufhielt und im Hotel Métropole am Franz-Josefs-Kai 19 nächtigte.

Wenn von heimlichen Liebesstunden die Rede ist, darf auf das berüchtigte Hotel Orient mit seiner exotischen Ausstattung zwischen Goldbarock, Spiegelkabinett und rotem Samt selbstverständlich nicht vergessen werden. Ein Stundenhotel. An der Adresse Tiefer Graben 30 soll sogar einst Franz Joseph der Erste regelmäßig verkehrt haben. 

Doch das darf angezweifelt werden. Das Orient wurde 1912 eröffnet, erörtert Autor Sachslehner in seinem Buch – da zählte der Kaiser immerhin bereits stolze 82 Lenze. Seit 1978 besaß Nachtklubkönig Heinz Werner Schimanko das Hotel, nach seinem Tod übernahm es sein Sohn Heinz-Rüdiger. Eine seiner ersten Handlungen: Er ließ auf den Zimmern die Federkernmatratzen auswechseln. Bettquietschen sollte damit – zumindest was das Mobiliar betrifft – passé sein. Und neuer Komfort einziehen.

Vom Hotelzimmer zur Zelle

Wobei in den Quartieren in Wiens grauer Vorzeit von Komfort nicht die Rede sein konnte. Auch die Titulierung Hotel verbot sich da. Einkehrgasthöfe wie "Zum Wilden Mann" in der Kärntner Straße sorgten für schlechte Nachrede von Reisenden, wurden als "wüstes Nest" bedauert. "Das waren Wirtshäuser mit engen Treppen, dunklen Zimmern, ohne jeden Luxus und nur mit dem Nötigsten ausgestattet: ein Sessel, ein Bett, ein Tisch, eine Lampe, ein Nachttopf und eventuell noch ein Lavour für Wasser", erzählt Buchautor Johannes Sachslehner. 

©Illustration: Bartosz Chudy

Das erste Hotel in Wien mit fließendem Wasser und Klosett auf der Etage war das Hotel Nacional in der Taborstraße 18. Dass er von seiner Suite aus praktisch mit dem Fahrrad zum stillen Örtchen fahren müsse, bekrittelte auch Mark Twain, der sich 1897 acht Monate in Wien aufhielt und im Hotel Métropole am Franz-Josefs-Kai 19 nächtigte. Die Luxusbleibe sollte 1938 zum Schreckensmonument werden. Der Nazi-Scherge Heydrich beschlagnahmte das Métropole und machte es zum Hauptquartier der Gestapo. Die Speisesäle, Lesezimmer und Suiten wurden zu Verhörräumen, Folterzimmern und Zellen. 1945 brannte das Gebäude ab. Ein Gedenkstein aus Mauthausener Granit erinnert heute an die Opfer der Mordmaschinerie.

Der Mythos von Imperial, Bristol, Sacher

Die große, mythische Hotelwelt, wie man sie heute in Wien genießt, manifestiert sich vor allem im Hotel Imperial, dem Hotel Bristol (beide am Ring) und dem Hotel Sacher bei der Staatsoper. Das Imperial, 1870 als Grand-Hotel eröffnet, glänzt mit seinem Prunk. Hitler wurde ein tosender Empfang bereitet, ebenso Charlie Chaplin, der wahre "große Diktator", aber auch die legendäre Schauspielerin Sarah Bernhardt stieg hier ab, die Koffer nicht nur voll mit Kleidern, sondern auch Goldbarren.

Das Bristol gilt als Perle des Belle époque, ein idealer Treffpunkt für die High-Society und Literaten wie Joseph Roth, der hier ein neues Zuhause fand. Sogar mit einem Aufzug konnte das Haus auftrumpfen, was nicht selbstverständlich war. Das genossen auch Prinz Edward, der verhinderte König von England, und seine Geliebte Wallis Simpson.

Der Sacher-Mythos war dank Eduard Sacher vor allem ein "kulinarischer Mythos", der mit seinem Catering Kaiser und Könige erfreute. Die resolute Anna Sacher, die gern dicke Zigarren rauchte, vervollständigte ihn zum Hotel-Mythos. Im Sacher wurde soupiert, champagnerisiert und Politik gemacht.

Der lebensfrohe Erzherzog Otto, Vater von Kaiser Karl, kommt aber anderwärtig im Anekdotenschatz vor. Eines Abends tauchte er nämlich am Gang zu den Sacher’schen Séparées auf, wo er dem amerikanischen Botschafter und seinen zwei Töchtern in die Arme lief. Ein Schock – der Erzherzog war bloß mit einem Säbel bekleidet. So stand er vor verschlossener Hoteltüre. Und war dabei pudelnackt.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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