Revolutionär und exzessiv: Caravaggio, das mörderische Genie

Caravaggio lebte exzessiv, wurde zum Mörder und revolutionierte die Malerei. Prostituierte und Diebe machte er zu Heiligen. Ein neuer Film spürt seinem Leben nach.

Es sind Dialoge wie diese, die im aktuell laufenden Kinofilm "Der Schatten von Caravaggio" etwas pathetisch klingen, aber nichtsdestoweniger zutreffen. Was ihn denn zu seinen Bildern inspiriert habe, will der Kardinal im persönlichen Zwiegespräch mit dem Maler mit dem flackernden Blick wissen – Tizian etwa? Den Künstler, Michele Merisi heißt er und Caravaggio wird er genannt, kostet das bloß ein verächtliches Schnauben. Dann antwortet er: "La Strada" – die Straße. Er weiß: Wieder hat jemand seine Kunst nicht verstanden.

Caravaggio malte das Leben wie er es sah – und dieses Leben präsentierte sich ihm höchst ungeschönt, dafür brutal: geprägt von der Gegenwart der Gewalt, dem Alltag in den Bordellen und auf der Straße, und all das spiegelte er in seinen Werken – selbst wenn sie von der Bibel handelten.

Weiter in diesem Artikel:

  • Streitsüchtig: Vom Maler zum Mörder
  • Sein düster-drastisches Schaffen: "Extreme Präsenz"
  • Huren als Heilige: Was Caravaggio zum Genie machte

Das Unverständnis und der Widerstand, die dem rebellischen Caravaggio entgegenschlugen, sind ein zentraler Punkt in der monumentalen Künstlerbiografie von Regisseur Michele Placido, der vielen vielleicht noch als Commissario Cattani im 1980er-Jahre-Serienhit "Allein gegen die Mafia" bekannt ist.

Im Film spürt ein Geheimagent des Papstes seinen Freveleien nach. Der Maler, der das Barock revolutionierte, war weniger der manieristischen Heiligkeit als der irdischen Fleischlichkeit zugetan. Er machte Prostituierte, Obdachlose und Halsabschneider zu den Modellen für seine naturalistischen und bildgewaltigen Darstellungen von Bibelszenen. Huren als Heilige? Eine Jungfrau im roten Kleid und mit nackten Knöcheln? Das war so manch kirchlichem Würdenträger dann doch zu viel der Sünde.

Jähzornig und auf der Flucht

Der Mythos Caravaggio ist bis heute aufrecht. Der faszinierende Fiebertraum des Bürgertums vom ausschweifend lebenden Künstler, der ohne Rücksicht auf andere oder sich selbst seine Visionen verwirklicht, hält sich anhand seiner Biografie besonders standhaft. Der Maler gilt als Archetyp des wilden, verruchten Künstlers. Ob Beleidigungen, unerlaubter Waffenbesitz oder schwere Körperverletzung: Caravaggio dürfte allem Anschein nach ein leicht reizbarer Hitzkopf, der zu Jähzorn und Aggressionen neigte, gewesen sein. Was zu Ärger mit Polizei wie Papst führte. Seinen Weg pflastert gar eine Leiche.

Der Maler und seine Muse: Caravaggio und die berüchtigte Hure Lena (Micaela Ramazzotti), die ihm oft als Modell für Maria, Mutter Jesu, diente, im Film „Der Schatten von Caravaggio“ 

©Filmladen Filmverleih

"Giovanni Bellori (barocker Kunsttheoretiker, Anm.) beschreibt ihn als ,düster und streitsüchtig"“, weiß Kirsten Lee Bierbaum, Professorin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien. Sein Temperament war es denn auch, das Caravaggio am 28. Mai 1606 in eine folgenschwere Auseinandersetzung involviert haben dürfte. Bei einem Straßenfest in Rom zückte er das Schwert und erstach Ranuccio Tomassoni.

Der Grund für den Streit? Heute nicht völlig klar und objektiv zu beurteilen. Möglich, dass Spielschulden der Auslöser waren. Gesichert sind hingegen die Konsequenzen. Caravaggio musste aus Rom flüchten, der Papst verhängte einen Bann über ihn: Jeder, der dem Maler über den Weg läuft, war berechtigt, das Urteil an ihm zu vollstrecken und ihm den Kopf abzuschlagen.

Caravaggio flüchtete erst ins Königreich Neapel, ein Jahr später schließlich nach Malta. Dort wurde er zum Ritter ernannt und in den Malteser Orden aufgenommen. Doch auch hier handelte das Genie sich beständig Ärger ein – er beleidigt einen Ritter und landet im Gefängnis. Erneut flieht er. So wie er überhaupt ein Leben auf andauernder Flucht führt. Zuletzt nach Sizilien.

Sein düster-drastisches Schaffen

Begehrt waren Caravaggios Werke dennoch immer, trotz seines verfemten Lebenswandels. "Durch seine Malweise erreichte Caravaggio eine extreme, geradezu körperlich erfahrbare Präsenz der Figuren", weiß Kunsthistorikerin Bierbaum. Diese sind zu sehen vor "kaum oder gar nicht definierten dunklen Bildräumen, er arbeitet mit genau kalkulierten Schlaglichtern und erzeugt so Hell-Dunkel-Effekte, die die Körpervolumina stark hervorstechen lassen." Der Effekt, der so erreicht wird, ist einzigartig: "Die Figuren scheinen fast aus dem Bildraum hinauszutreten, sodass die Szenen einem sinnlich nachvollziehbar vor Augen scheinen."

Eindrücklich: „Der ungläubige Thomas“ – der Apostel überzeugt sich an Jesus persönlich vom Wunder der Auferstehung

©akg-images / picturedesk.com

Düster, direkt und drastisch sind Caravaggios Werke. Wie auf einer Bühne stellen sich einem die Geschehnisse dar. "Der ungläubige Thomas", eines der berühmtesten Bilder des Italieners, führt einem das besonders eindrücklich vor Augen: Mit beinahe kindlicher Neugier legt der Apostel hier dem auferstandenen Erlöser wenig schüchtern den Finger tief in die Wunde, um sich höchstselbst vom Wunder zu überzeugen. Jesus dagegen scheint die Untersuchung geduldig zu ertragen, die Hand des Thomas führt er sogar noch zu sich. Wie hineingezogen fühlt der Betrachter sich bei dieser Szene.

„Judith enthauptet Holofernes“: vom Schrecken des getöteten Heerführers und der Unschuldsmiene des Mädchens

©IMAGO/Panthermedia

"Judith enthauptet Holofernes" ist ebenfalls ein Meisterstück von Licht und Schatten, die Brutalität des Geschehens aus dem Alten Testament tritt deutlich zutage: Listig hatte Judith sich kraft ihrer Schönheit beim Feldherrn Holofernes eingeschlichen, der auf eine Liebesnacht mit ihr hofft. Als dieser betrunken einschläft, ergreift sie seinen Haarschopf und trennt ihm den Kopf ab. Ihre Unschuldsmiene und der mitleidlose Blick der helfenden Magd kontrastieren dabei mit dem erschreckten Gesicht des Holofernes – illustriert noch von einer Blutfontäne.

Ungeschöntes Grauen der Enthauptung: das bemalte Schild mit dem abgeschlagenen Haupt der Medusa – faszinierend und abschreckend zugleich 

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Die Gewalt ist fester Bestandteil von Caravaggios Werk, spürbar auch beim bemalten Schild mit dem abgeschlagenen Haupt der Medusa. „Ihr noch mit lebendiger Anmutung versehenes Antlitz zeigt ungeschönt das Grauen, das mit der Erkenntnis über die eigene Enthauptung einhergeht“, analysiert Kunstexpertin Bierbaum.

"Gleichzeitig versetzt die realistische Darstellung des monströsen Kopfes den Betrachter in Angst, da die Medusa in der Lage war, durch ihren Blick zu versteinern. Dem faszinierten Betrachter, der sich gerade noch über die Bildhaftigkeit der Darstellung klar zu werden versucht, wird im nächsten Moment gewahr, dass er gerade in der Tat wie versteinert auf den Schild blickt und das Caravaggio damit das gelungen ist, was eigentlich der Figur nachgesagt wird."

Caravaggio, der Skandalöse, vermochte stets gerne zu schockieren. Für "Der Tod der Jungfrau" orientierte er sich für das Gesicht Marias an einer im Tiber ertrunkenen Prostituierten. Auch Stricher, mit denen er offenbar verkehrte, sollen dem Nonkonformisten gern als ideale Modelle für seine imposanten Bilder gedient haben.

"Vor dem Hintergrund der zuvor in Rom gängigen manieristischen Malerei, in der die Maler ihre Könnerschaft durch gesuchte Effekte zur Schau stellten, war Caravaggios Hinwendung zur Natürlichkeit geradezu revolutionär", so Bierbaum.

Zwar hatte bereits Leonardo da Vinci eingefordert, Menschen auf der Straße oder in Wirtshäusern zu beobachten, um möglichst lebendige Figuren malen zu können. Doch "Caravaggio trieb diesen Gedanken auf die Spitze, indem er den Figuren seiner Bilder einen Teil der ungeschönten Physiognomien seiner Modelle lässt."

In Schutz genommen wurde der wie ein Rockstar verehrte Maler von Kardinälen und Adeligen. Sein Ende kam früh: Gezeichnet von einer Gesichtsverletzung, von einem Überfall stammend, starb er nach der Überfahrt von Sizilien nach Rom, wo er sich die Begnadigung durch den Papst erwartete. Er wurde nur 39 Jahre alt.

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Exzessive Künstler faszinieren

Doch selbst wenn mittlerweile von Forschern einer Entmystifizierung Caravaggios und seinem gut vermarktbaren wilden Leben nachgegangen wird – als Prototyp des ausschweifenden Genies gilt er nach wie vor. Die Verbindung meisterhaften Talents und exzessiver Lebensweise ist aus vielen Köpfen nicht mehr wegzudenken.

Vom rauschhaften Dasein eines Amedeo Modigliani über das zügellose Treiben eines F. Scott Fitzgerald bis zu den Rock ’n’ Roll-Eskapaden eines Keith Richards: Enorm talentierte Künstler, die als Außenseiter am Rande der Gesellschaft taumeln, zerrissen zwischen ungesundem Hang zu Genussmitteln und zweifelhaftem Umgang auf der einen Seite, sowie genialischer Schaffenskraft auf der anderen Seite, faszinieren. Den Zusammenhang von Exzess und Kunst (und oft auch ihre dadurch bedingte Verunmöglichung) mag sich jeder selbst zusammenzureimen – spannend nachzulesen und anzuschauen ist er auf jeden Fall.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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