Daniel Craig im Interview: "Der Sex ist Nebensache"
James Bond war einmal. Mit dem erotischen Drama "Queer" killt Daniel Craig sein Macho-Image. Es ist die Rolle seines Lebens.
Tagelang hat der alte, graue, ausgemergelte und verwitternde Mann in Leinenanzug und Hut sich zum Affen gemacht. Hat mit dem jungen Unbekannten auf der Straße in der Gluthitze Mexikos verstohlene Blicke ausgetauscht. Hat in abgeranzten Bars clowneske Kunststückchen aufgeführt, um die Aufmerksamkeit des Angebeteten zu erhaschen. Als das gelingt und eine schüchterne Freundschaft entsteht, gibt es Gespräche, Kinobesuche, stets begleitet von wie es scheint unstillbarem Verlangen nach Zärtlichkeit. Dann aber ist es so weit.
Der stille junge Mann mit dem akkuraten Haarschnitt, dem Bubengesicht und der gut geratenen Gestalt begleitet den alten Junkie zu ihm nach Hause auf dessen Zimmer. Erst nehmen sie auf dem Sofa Platz, dann nähern sie sich einander am Bett im Schlafzimmer an.
Die Männer entkleiden sich – und ein intensiver Akt, der im begierigen Blowjob des Älteren, dargestellt von Daniel Craig, gipfelt, ist genau jener Moment, in dem der britische Schauspieler sein Image als James Bond frohen Herzens in die Tonne tritt.
Ein größerer, unmissverständlicherer Bruch mit dem Bild als frauenverschlingender Supermacho, den Craig über fünf 007-Filme hin beschwört hat, ist spätestens mit dieser Szene in seinem neuen Film "Queer" nicht mehr denkbar. Ein Abtritt mit lautem Hurra, mit Pauken und Trompeten. "Es ist der gigantischste Schwulenfilm der Geschichte", tönte Regisseur Luca Guadagnino gegenüber dem Guardian. Und das Hochglanzmagazin Vanity Fair titelte: "Willkommen in Daniel Craigs F--k-It-Ära".
Telepathie und Tequila
Es ist die Rolle seines Lebens. Eben wurde Craig für seine Leistung für den Golden Globe nominiert. Die Chancen, eine Oscar-Nominierung – seine erste – zu bekommen, ja, ihn zu gewinnen: sehr gut. Bereits jetzt wird er als ein Favorit für den begehrtesten Filmpreis der Welt gehandelt. Es brauchte dafür eine Rolle als heroinsüchtiger, saufender, verzweifelt verliebter, homosexueller US-Exilant mit Pistole im Gürtelhalfter und auf der Suche nach telepathischer Transzendenz.
"Queer" basiert auf dem semi-autobiografischen Roman von William S. Burroughs, Outsider der Literatur, gut Freund mit Jack Kerouac und Allen Ginsberg, den man zur Beat-Generation zählt. Und ein berühmter Drogenfreund.
Auch seinen Helden William Lee, der als sein Alter Ego fungiert, lässt er sich unablässig ins Delirium befördern. Beharrlich streunt der in den Fünfzigerjahren von Bar zu Bar, kippt schwitzend Tequila, als gäbe es kein Morgen, schießt Heroin und verbringt seine Tage in Gesellschaft anderer schwuler Expats. Als er eines Tages dem Ex-US-Soldaten Eugene (Drew Starkey) begegnet, ist es um ihn geschehen. Er wirbt um ihn, dessen sexuelle Orientierung anfangs unklar bleibt, wird erhört, eine Beziehung entspinnt sich, die stets im Ungleichgewicht schwebt.
Während Lee enthusiastisch seinen Partner vom Lohn dieser Liebe zu überzeugen versucht, bleibt dieser rätselhaft und gleichgültig. In den tiefsten Dschungel Südamerikas folgt er ihm dennoch. Eine Reise ins Herz der Finsternis – die sie zu einer herrlich verrückten Wissenschaftlerin mit Revolver im Anschlag führt, die Lee endlich Zugang zur Wunderdroge yage (Ayahuasca) gewährt. Es ist der Höhepunkt von Burroughs Reise: Er ergibt sich dem Rausch – und der halluzinogenen Verschmelzung mit dem Liebhaber.
Befreiung von Bond
Die Reise durch Burroughs Welt ist malerisch aufbereitet, und auch wenn Daniel Craig zu Nirvanas "Come As You Are" durch die Straßen streift, passt das gut zur emotionalen Tour de Force, die er darstellt. Für Craig bedeutet die riskante Rolle die ersehnte Befreiung von Bond und damit vom starren Image-Korsett und der supermaskulinen Coolness, die ihm die Agentenrolle zuschrieb. Zumal Craig mit der Figur immer haderte. Anfangs nicht gewollt, betonte er konsequent, mit Bond nichts gemein zu haben – und nichts zu tun haben zu wollen.
"Queer" kommt da im Epilog des 007-Ruhms als willkommenes Geschenk, für das er sich dankend mit großem Schauspielerkino revanchiert. Er kann sich verletzlich und mitunter lächerlich zeigen, als Schauspieler kann er sich öffnen. Statt einer Zukunft als alternder Action-Held in B-Movies entgegenzudämmern, reißt Craig das Image-Ruder beherzt herum. Die Schlagzeilen sind ihm so gewiss – es ist sein Glück, dass der Film, auf den er dabei setzt, auch wirklich gut ist.
Einher geht all das mit Craigs öffentlichkeitswirksamer Änderung seines Erscheinungsbildes: Lange Haare, bunt getönte Sonnenbrillen, ein lässiger Oversize-Look mit weiten Hosen und luftigen Jacken: Craig erfindet sich neu und glänzt so auch gleich als Testimonial des In-Modelabels Loewe. Statt Boomer-Look setzt er auf die Generation Z mit ihrer Anything-Goes-Attitüde, auf die er couragiert zugeht – und macht sich damit auf wundersame Weise nicht lächerlich, sondern ziemlich alles richtig.
Die Rolle, die Sie jetzt spielen, könnte zu Ihrer Rolle als James Bond gegensätzlicher nicht sein. Wollten Sie damit Ihr Image als super-maskuliner 007 demontieren?
Nein, das war nicht meine Absicht. Ein neuer Film ist ein neuer Film. Ich reagiere damit nicht auf einen, den ich davor gemacht habe. Ich habe in meiner Karriere immer versucht, das stets zu vermeiden. Und wenn ich es jemals getan habe, hatte ich das Gefühl, es zu bereuen! Man muss dem eigenen Bauchgefühl, seinem Instinkt und seinen Gefühlen folgen. Wenn ich also eine Rolle annehme, hat das nichts mit dem zu tun, was vorher passiert ist. Sonst lebt man seine Karriere im Rückspiegel, und ich will nicht zurückblicken – ich möchte stets nach vorne schauen.
Sind Sie jemand, der sich überhaupt den Kopf über sein Image zerbricht?
Nein. (lacht)
Es ist Ihnen egal.
Was kann ich schon für oder gegen mein Image tun? Mein Image ist so, wie es ist. Natürlich kann ich es in vielerlei Hinsicht beeinflussen, es liegt auch in meinen Händen, darauf einzuwirken. Aber es ist trotzdem nichts, über das ich mir viel den Kopf zerbreche. Eigentlich versuche ich, überhaupt nicht darüber nachzudenken.
Sie zeigen sich im Film von einer sehr verletzlichen Seite, umso mehr, wenn man es mit Ihrer Rolle als James Bond vergleicht. Das verleiht ihr auch mehr Tiefe.
Was mich an der Rolle des William Lee, den William S. Burroughs als Alter Ego nutzt, gereizt hat, war, wie kompliziert der Charakter dieses Mannes war. Wir sind alle menschliche Wesen, und als solche sind wir immens kompliziert, das liegt in unserer Natur. Wir sind kompliziert und mysteriös. Das darzustellen, ist mein Job.
Bond ist weniger komplex.
Vielleicht ist Bond in gewisser Weise tatsächlich emotional limitierter. Aber auch bei ihm habe ich mein Bestes gegeben, die Tiefen seines Charakters zu erforschen. Ich habe versucht, ihn in verschiedene Richtungen zu treiben, von denen ich dachte, sie würden ihm gerecht und mit ihm auf eine emotionale Reise zu gehen, die auf seinem Charakter beruht. Das ist alles, was ich als Schauspieler tun kann.
Ihre Figur macht eine emotionale Tour de Force durch.
Die Rolle ist sehr komplex. Es ist eine Freude, so etwas angeboten zu bekommen! Ich kann nicht fassen, was für ein Glück ich habe, in diesem Stadium meiner Karriere einen Regisseur wie Lucca zu haben, der mir eine so reichhaltige, komplexe Rolle anbietet.
Schlechte Sexszenen sind schlechte Sexszenen. Ich habe in ein paar mitgespielt. Und ich habe viele Filme gesehen, in denen solche schrecklichen Sexszenen vorkommen.
Kürzlich meinten Sie, nach dem Dreh jedes Bond-Films hätten Sie sechs Monate lang gebraucht, um sich emotional davon zu erholen. Wie war das nach diesem Film?
Es ist interessant, ich bekomme diese Frage oft gestellt. Und alles, woran ich dabei stets denken muss, ist, dass ich mich jetzt wohl gleich beginne zu beschweren – über die langen Arbeitstage und wie hart mein Job ist. Aber wissen Sie was: Mein Job ist toll.
Das freut uns zu hören.
So viele kreative Leute sind darin involviert, und das nicht nur während der Dreharbeiten, sondern schon die Monate davor, manchmal bereiten sie jahrelang einen Film vor. Wenn dann die erste Klappe fällt, bin ich so gut vorbereitet, wie es nur geht. Drei Monate waren es bei "Queer". Wenn ich komme, ist bereits alles bereit und angerichtet. Und dann besteht die Chance, dass wir alle zusammen einen wunderbaren Film drehen. Ist der ganze Prozess anstrengend? Ja. Am Ende der Dreharbeiten fühle ich mich müde und auch alle Kollegen sind erschöpft. Normalerweise werde ich dann krank und auch die anderen bekommen die Grippe oder Ähnliches, weil man die meiste Zeit auf Adrenalin arbeitet und der Stress plötzlich nachlässt. Ich muss allerdings sagen: Ich sehe Filmemachen nicht als Anstrengung.
Sondern?
Ich betrachte meinen Job nicht als harte Arbeit. Ich schaue nicht auf unseren Film zurück und denke mir, du meine Güte, war das anstrengend. Ich erinnere mich vielmehr an die freudigen Aspekte. An die Momente, in denen mir etwas besser als sonst gelungen ist. Bei James Bond war die Erschöpfung nicht emotional. Sie war körperlich.
In der Vergangenheit war es eher ungewöhnlich, dass ein großer Hollywoodstar jemanden spielt, der homosexuell ist.
Tom Hanks in "Philadelphia", Al Pacino in "Cruising". Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube schon, dass das in diesen Filmen Hollywoodstars waren ... (schmunzelt)
Aber wo Hauptrollen früher die Ausnahme waren, sind sie heute im Mainstream-Kino öfter möglich geworden. Das sagt auch etwas über die Gesellschaft aus.
Darüber kann ich nichts sagen. Aber ich weiß, wie ich darüber denke. Was ich meine, ist, ich kann das nicht beurteilen. Einige Gesellschaften auf dieser Welt sind sehr streng und bestrafen, was als abweichendes sexuelles Verhalten angesehen wird, und zwar auf entsetzliche Weise. Es stimmt schon: Viele Dinge haben sich geändert, aber viele auch nicht.
Wie war es für Sie, diese intimen Szenen mit einem anderen Mann zu drehen? Und wie war es im Vergleich zu Ihren vorigen Filmen, solche Szenen zu absolvieren?
Nun, schlechte Sexszenen sind schlechte Sexszenen. Ich habe in ein paar mitgespielt. Und ich habe viele Filme gesehen, in denen solche schrecklichen Sexszenen vorkommen. Bei den Dreharbeiten gehe ich so an die Sache heran: Du gehst einfach rein und machst, dass es so echt wie möglich aussieht. Der Sex ist dabei Nebensache. Der Sex ist das Uninteressanteste an der Szene.
Was ist interessanter als der Sex?
Es ist alles sehr technisch. Du bist in einem Raum voller Menschen. Du willst sowohl der Szene gegenüber respektvoll sein als auch gegenüber der Person, mit der du die Szene zusammen spielst. Und das ist alles. Es muss sich anfühlen, wie das, was die Leute den ganzen Tag machen, jede Stunde, jede Sekunde des Tages. Irgendjemand ist immer mit irgendeiner sexuellen Aktivität beschäftigt. Ist das nicht herrlich? (lacht) Sex ist eine Möglichkeit, sich auszudrücken und zu kommunizieren. Und das willst du rüberbringen. Das ist alles, was ich von den Szenen in diesem Film wollte.
In einer anderen Szene kann man Sie minutenlang dabei beobachten, wie sie sich Heroin spritzen. Wie war das für Sie?
Ich habe früher viele Süchtige gekannt, also hatte ich eine Ahnung davon, wie das abläuft. Für den Film hat man mir aber einen ehemals drogenabhängigen Mann zur Seite gestellt, ein netter Mann, der mir alles erklärt hat. Er war so großzügig, viel Zeit dafür aufzuwenden, mich vorzubereiten und durch die Szene zu begleiten. Ich wollte, dass die Technik stimmt. Ich hatte zwar eine Vorstellung davon, aber er hat mir beigebracht, wie man das richtig macht. Ich habe versucht, nicht allzu viel darüber nachzudenken – und es einfach so gespielt, wie es im Drehbuch stand.
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