Interview Selena Gomez: Ihre riskanteste Rolle hat ihr Leben verändert

Selena Gomez spricht Österreich-exklusiv über den wilden Musicalthriller "Emilia Perez" und gibt Einblicke in ihr Seelenleben.

Der Film gilt bereits jetzt als Meisterwerk. "Epochal" schwärmen die Kritiker, eine "Offenbarung" und ein "Höhepunkt des Filmjahres". Beim Filmfestival in Cannes wurde "Emilia Perez" (ab 28.11. im Kino) unter anderem als "Bester Film" ausgezeichnet. Er ist eine wilde Mischung: Thriller, Musical, Sozialdrama – alles gleichzeitig. 

Die Geschichte vom skrupellosen Drogenboss, der ein neues Leben als Frau beginnt, wird von der Trans-Schauspielerin Karla Sofía Gascón intensiv gespielt. Mittendrin im Film von Star-Regisseur Jacques Audiard ("Der Geschmack von Rost und Knochen"), der eigentlich eine Oper hätte werden sollen: Selena Gomez

Sie ist der Superstar der Stunde: Keine Frau hat mehr Fans auf Instagram, ihre Serie "Only Murders In The Building" mit Steve Martin begeistert, und ihr Leben bewegt – sei es wegen ihres Liebeslebens (nach Ex-Freund Justin Bieber ist sie derzeit mit Musikproduzent Benny Blanco glücklich), ihrer Krankheitsgeschichte (Gomez hat eine Spenderniere, leidet unter der Autoimmunkrankheit Lupus und Depressionen) oder mit der Erfolgsstory ihrer Kosmetiklinie, die sie zur Milliardärin machte.

Mit ihrer Rolle in "Emilia Perez" ging Gomez bewusst ein Risiko ein. Es lohnte sich: In Cannes teilte sie sich den Preis als Beste Darstellerin mit Gascón, Zoë Saldaña und Adriana Paz. Die 32-Jährige überzeugt nach ihren Anfängen als braver Kinderstar nicht nur in den Musicalnummern, sondern auch in der dramatischen Rolle als Gangsterehefrau. Der Film soll beste Oscar-Chancen haben.

Beim Videointerview mit Selena Gomez in Los Angeles ist die Schauspielerin gefasst, aber fröhlich. Sie trägt Brille, große Ohrringe und ist in einen Anzugdreiteiler ganz in Weiß gekleidet. Dieser Film habe ihr Leben verändert, gesteht sie – und sie dazu gebracht, dankbarer zu sein.

Es ist ein Vergnügen, wie Sie den komplexen Charakter einer Gangstergattin spielen, die um Ihr Recht kämpft, zu lieben, wen sie will. Welche Aspekte haben Ihnen an Ihrer Figur am besten gefallen, welche Sie abgeschreckt?

Ich glaube, ich spiele eine sehr gestörte Frau. Ich kann jedoch einige der Kämpfe nachempfinden, die sie austrägt und in denen sie sich gefangen fühlt. Zwar alles zu besitzen, das man sich wünschen kann, aber dennoch einsam und unglücklich zu sein: Ich verstehe dieses Gefühl. Davon abgesehen finde ich sie – einfach richtig wild.

Hat es Spaß gemacht, das zu spielen? 

Durch Gesang und Tanz auszudrücken, was meine Figur alles durchgemacht hat, war witzig. Ich habe es geliebt, diese Herausforderung anzunehmen! Noch dazu spiele ich eine Mutter. Ich war ja selbst noch nie Mutter. Allerdings habe ich eine kleine Schwester, ich weiß, wie es ist, sich um eine Schutzbefohlene zu kümmern. Ich kann diese Gefühle gut nachempfinden. Mir würde das Herz brechen, wenn meiner Schwester etwas zustoßen würde.

Selena Gomez im Film "Emilia Perez": "Es war mir wichtig, mich jemandem anzuvertrauen, der an mich glaubt"

©Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

Sie spielen eine überaus dramatische Rolle. Gleichzeitig wird gesungen. War das der große Reiz für Sie, in dem Film mitzuspielen? 

Was mich betrifft, wollte ich so eine herausfordernde Rolle schon seit sehr langer Zeit spielen. Als Schauspielerin ist das ein echter Spagat, den ich dafür bewältigen muss. Es war mir wichtig, mich dabei auch jemandem anzuvertrauen, der an mich glaubt. Und das hat Jacques, der Regisseur, getan. Er hat an mich geglaubt und mir das Selbstvertrauen gegeben, es wirklich zu versuchen.

Mit "Mi Camino" geben Sie einen sehr schönen, gefühlvollen Song zum Besten.

Was mir an "Mi Camino" besonders gut gefallen hat, ist, dass es für meine Figur Jessi im Laufe der Handlung ein Moment ist, in dem sie einfach alles ausdrücken kann, was sie fühlt. Der Song "Bienvenida", ebenfalls im Film zu hören, lebt von Wut und Frustration. "Mi Camino" ist dagegen wie ein Hauch frischer Luft, wenn man es hört. Es ist ein so schönes Lied. Als Édgar Ramírez und ich es im Film performt haben, wussten wir nicht, dass das so ein spezieller Moment werden würde. Wir durften es live singen und so wurde die Szene auch im Film verwendet. Wir hatten Spaß.

Wann immer ich es mir in meinem Leben zu gemütlich mache oder feststecke, brauche ich etwas, das mir hilft, mich wieder inspiriert zu fühlen.

Selena Gomez

Sie setzen sich sehr für die LGBTQ-Community ein. War es Ihnen auch deshalb wichtig, diesen Film zu drehen?

Der Film macht mich unglaublich stolz. Die Geschichte handelt von zweiten Chancen und von Wiedergutmachung. Ich finde, er zeigt den Menschen auf eine sehr schöne Art, dass es viel besser ist, sein Leben authentisch zu leben, als zu versuchen, etwas zu sein, das man nicht ist. Dieser Film gibt der Community hoffentlich Hoffnung. Deshalb bin ich auch so glücklich darüber, wie viel Liebe dem Film bisher entgegengebracht wird.

Die Trans-Schauspielerin Karla Sofía Gascón konnte mit der Hauptrolle als Kartellboss bei den Filmfestspielen Cannes den Preis als beste Darstellerin gewinnen.

Und ich könnte nicht stolzer auf Karla sein! Sie ist eine Naturgewalt. Sie ist so leidenschaftlich und talentiert. Ich bin stolz darauf, an ihrer Seite zu spielen. Und ich hoffe, dass die Leute sich durch sie und ihre Leistung in diesem Film gesehen fühlen.

Selena Gomez, gefeiert bei den Filmfestspielen von Cannes. "Ich denke, dass ich mich als Mensch immer zum Besseren entwickle", so die Schauspielerin im Interview

©EPA/ANDRE PAIN

In "Emilia Perez" geht es um Identität und um Selbstfindung. Wie wichtig ist das in Ihrem Leben und was tun Sie dafür?

Ich denke, dass ich als Mensch immer wachse und mich zum Besseren entwickle. Ich hoffe es zumindest. Wann immer ich es mir in meinem Leben zu gemütlich mache oder feststecke, brauche ich etwas, das mir hilft, mich wieder inspiriert zu fühlen. Und genau das hat mir dieser Film gegeben. Mit dem Regisseur hatte ich jemanden, der an mich geglaubt hat, und das bei einer Figur, die sehr komplex ist. Ich war sehr froh, dass ich sie spielen durfte.

Der Film hat Sie neu belebt?

Die Arbeit daran hat mich wieder völlig neu inspiriert. Der Film hat mein Leben verändert. Ich habe Freunde fürs Leben gefunden. Ich habe mit einem der besten Regisseure der Welt zusammengearbeitet. All das hat mich dazu gebracht, dankbarer zu sein. Ich befinde mich immer im Wandel. Ich denke, das wird bei mir immer so sein.

Musicals sind in jüngster Zeit ziemlich angesagt, einige große Filme setzen darauf, wie etwa der zweite Joker-Film, der allerdings ein Riesenflop war. Sind Sie in irgendeiner Weise nervös, dass Sie mit einem Musicalthriller, noch dazu mit einem speziellen, gleichwohl wichtigen Thema, Zuschauer verschrecken könnten?

Nein. Das Musical-Element ist einfach ein fundamentaler Teil der Geschichte. Nicht jeder mag Musicals, und das ist völlig normal. Aber am besten ist, man sieht sich den Film an und urteilt dann. Man weiß es im Vorhinein ja nie. Man sollte ihn nicht verurteilen, bevor man ihm eine Chance gegeben hat.

Ihr Vater kommt aus Mexiko, die Mutter ist Italo-Amerikanerin, bei der sie in Texas aufwuchs: "Ich habe meine Familie stolz gemacht"

©Getty Images for MTV/Jeff Kravitz/Getty Images

Ihr Vater kommt aus Mexiko, wo auch "Emilia Perez" spielt. Sie haben damit erstmals einen Film auf Spanisch gedreht. Waren Sie nervös?

Zwar habe ich schon Musik auf Spanisch veröffentlicht, aber die Leute sind natürlich daran gewöhnt, mich die ganze Zeit auf Englisch zu sehen und zu hören. Deswegen bin ich jetzt sehr stolz darauf, dass ich etwas tun konnte, das sich davon abhebt. Und ich habe damit meine Familie stolz gemacht.

War es ungewohnt für Sie?

Ich konnte mich beim Darstellen meiner komplexen Rolle ein wenig hinter der spanischen Sprache verstecken. Sprachen haben etwas Schönes an sich. Wie unterschiedlich sich jeder ausdrückt, ist faszinierend.

Filmszene mit Selena Gomez in "Emilia Perez": "Ich will mich nicht einschränken"

©Neue Visionen Filmverleih, Wild Bunch Germany

Menschen mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten sind an diesem Film beteiligt. Etwa Mexiko, Amerika, Venezuela. Für Frankreich geht er ins Rennen um den Oscar. Was bedeutet Ihnen Herkunft?

Ich kann meinen Stolz kaum in Worte fassen, Teil dieser Welt von Latinos und Latino-Frauen zu sein. Grundsätzlich denke ich: Ja, wir kommen zwar aus verschiedenen Teilen der Welt, aber wir haben alle etwas, das uns verbindet, ob das nun gemeinsame Werte sind oder die Musik, die uns gefällt. Ich finde das einen poetischen Gedanken. Und was die Sprache betrifft: Selbst wenn ich nicht verstehe, was die Leute auf Französisch sagen, ist es trotzdem fast so, als könnte ich an ihrem Tonfall und ihren Gefühlsregungen erkennen, was sie meinen. Das finde ich schön.

Schlagen Sie mit diesem Film ein neues Kapitel in Ihrer Karriere auf? Wird man Sie in Zukunft öfter in dramatischen Rollen zu sehen bekommen?

Ich glaube, ich will mich nicht einschränken. Ich möchte von allem ein bisschen was machen, weil ich meine Arbeit liebe. Wissen Sie, als ich ein Kind war, feierte ich in der Disney-Serie "Die Zauberer vom Waverly Place" meinen Durchbruch. Und jetzt bringe ich die Serie zurück und mache eine Neuauflage – die Show ist natürlich wieder für Familien und Kinder. Auf der anderen Seite fühle ich mich zu Rollen wie in "Emilia Perez" hingezogen und will so etwas auch machen.

Selena Gomez

Selena Gomez

Selena Gomez wurde 1992 geboren, sie wuchs bei ihrer Mutter in Texas auf. Die Disney-Serie "Die Zauberer vom Waverly Place" macht sie zum Kinderstar. Seit 2009 veröffentlicht sie Musik. Sie spielte in "Spring Breakers", "A Rainy Day in New York" von Woody Allen, "Bad Neighbors 2" und seit 2021 in der Serie "Only Murders In The Building". 

Unter Umständen ein Grenzgang, aber sicher künstlerisch zufriedenstellender.

Die Arbeit an dem Film hat sich wie eine persönliche Transformation für mich angefühlt und war wirklich fantastisch. Ich möchte mich bei meiner Rollenauswahl nicht selbst einschränken. Was ich hoffe ist, dass die Leute sehen können, dass ich dazu in der Lage bin, auch ernsthafte Rollen zu spielen. Und dass sich dadurch mehr Möglichkeiten ergeben. Ich habe auch kein Problem damit, für eine Rolle zu kämpfen. Ich habe für die Rolle in "Emilia Perez" gekämpft und es geliebt. Ich habe das Gefühl: Ich habe es mir verdient.

Im Kino: "Emilia Perez"

Der gefürchtete Boss eines mexikanischen Drogenkartells hat nur einen Wunsch: aus dieser Welt auszusteigen und neu anzufangen. Eine unterschätzte Anwältin (Zoë Saldaña) soll ihm helfen. Sie organisiert ein neues Leben für Frau (Selena Gomez) und Kinder und hilft, seinen größten Wunsch umzusetzen: zu der Frau zu werden, als die er sich im Inneren immer gefühlt hat. Doch ein letzter Showdown wartet. Der Film von Jacques Audiard ist ein einzigartiger Mix aus Musical, Telenovela und Thriller.

Ihre Fans lieben Sie auch für Ihre Musik, ist da etwas in Planung?

Ich werde jetzt nicht lügen. Daher sage ich ganz ehrlich, dass die Arbeit an diesem Film mich ziemlich beansprucht und in Beschlag genommen hat. Auch wenn ich sie natürlich genieße. Die Schauspielerei ist eine meiner großen Leidenschaften, also lege ich den Fokus im Moment darauf. Aber die Musik ist ein Teil meiner Seele. Musik ist ein Teil meiner Identität. Es wird immer Musik in meinem Leben sein. Nur aktuell habe ich gerade nichts in Planung.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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