Naturschutz oder Greenwashing: Rucksack aus Meeresplastik im Test

Immer öfter sieht man die GotBag-Rucksäcke auf den Rücken dieser Welt. Doch was steckt hinter dem Hype der recycelten Rucksäcke? Ein Erfahrungsbericht.

Im Grunde ist es ganz einfach. Man nehme einen festen Verbundstoff seiner Wahl, schneidet passende Formen heraus, näht sie zusammen - et voilà, fertig ist der Rucksack. Doch ganz so einfach ist es dann vermutlich auch wieder nicht, vor allem dann nicht, wenn man diesen Rucksack ressourcensparend herstellen will. Und dazu bereits verwendetes Material als Grundlage hernimmt, das vorher jahrelang im Meer geschwommen ist. Doch genau daraus macht die deutsche Firma GotBag einen Rucksack. 

Was steckt hinter dem Meeresschutz-Hype? Greenwashing oder eine echte Alternative? Ich habe den Rucksack einige Wochen im In- und Ausland getestet und mit den Verantwortlichen von GotBag gesprochen, ob das Produkt hält, was es verspricht.

Disclaimer

Das Produkt wurde der freizeit von GotBag für den Test zur Verfügung gestellt. Das Unternehmen hat keinen Einfluss auf die Berichterstattung und durfte lediglich die verwendeten Zitate im Kontext vorab freigeben. Die Meinung entspricht zu 100 Prozent der des Autors.

Warum heißt unser Planet eigentlich Erde? Immerhin besteht er zu etwa 70 Prozent aus Wasser. Und in diesem Wasser lebt der größte Teil der Lebewesen. Vom kleinsten Plankton angefangen, bis hin zum Blauwal - das größte Säugetier auf diesem Planeten. Es ist also nur logisch, dass man diesen großen Bereich verhältnismäßig mehr schützt. Und genau hier trennt sich die Realität vom Logischen. Denn weltweit gelangen jährlich zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastik in die Weltmeere. Von den Auswirkungen der Chemikalien, die ins Meer geleitet werden, oder von der Überfischung sprechen wir noch gar nicht.

Aus diesem Grund haben zahlreiche NGOs das Thema Weltmeere zu einem Hauptthema gemacht. Wieder andere, wie Sea Shepherd, haben sich zu 100 Prozent dem Schutz der Meere verschrieben. Und hier setzt auch die Geschichte von GotBag an. Gegründet wurde das Unternehmen 2016 von Benjamin Mandos und Martin Keiffenheim im deutschen Mainz. Im selben Jahr erschien der "erste Rucksack aus recyceltem Ocean Impact Plastic", wie ihn das Unternehmen selbst beschreibt. Rund 3,5 Kilogramm will man pro Rucksack aus dem Meer fischen. Zwar nur indirekt, weil das verwendete Material für den Rucksack bereits davor aus dem Wasser geholt wurde, aber am Ende der Rechnung steht die Entnahme.

Der "Rolltop", wie der Klassiker aus dem Hause GotBag schlichtweg genannt wird, wurde zum Verkaufsschlager und in den kommenden sechs Jahren um eine Vielzahl an weiteren Produkten ergänzt. Von der kleineren Rolltop-Version über den "NoRolltop" bishin zu Weekender- und Hüfttaschen hat das deutsche Unternehmen für so gut wie jeden Anwendungsfall einen Rucksack oder eine Tasche im Sortiment. Sie alle eint das Hauptmaterial aus 59 Prozent recyceltem Meeresplastik. Weitere 17 Prozent bestehen aus anderen Recycling-Materialien. Warum man das mittlerweile so genau kommuniziert?

Shitstorm

Kurzgefasst hatte das Unternehmen erst in diesem Jahr mit einem Shitstorm zutun, weil man GotBag schlichtweg vorgeworfen hatte, es hätte bei der Angabe des recycelten Materials gelogen und durch das Marketing suggeriert, dass der gesamte Rucksack aus besagtem "Ocean Impact Plastic" bestehen würde.

Allerdings ist das eben nur zu einem gewissen, wenngleich großen, Teil der Fall. Der Grund dafür? "Für die Ausstattungselemente unserer Produkte, die eine bestimmte Funktion erfüllen müssen (wie z.B. Schnallen oder Reißverschlüsse, Anm.), gibt es derzeit nur wenige Anbieter:innen, die sich auf die Entwicklung aus recycelten Materialien spezialisiert haben. Für unseren ikonischen schwarzen ROLLTOP gehen wir davon aus, langfristig vollständig auf recycelte Komponenten umsteigen zu können. Eine größere Herausforderung sind tatsächlich die Ausstattungselemente für unsere farbigen Produkte. Nach unserem Kenntnisstand gibt es bislang keine:n Anbieter:in für farbige Alternativen. Mit dem erfahrensten Hersteller am Markt sind wir deshalb in engem Austausch, um hier zügig Fortschritte machen zu können", so GotBag.

Genug des Hintergrunds, ab zum Test. Was taugt der Rolltop Rucksack tatsächlich?

Rolltop Rucksack

©Kevin Kada

Für den Test musste ein schwarzer Rolltop mit einem Fassungsvermögen von bis zu 31 Liter herhalten. Kein Knirps also. Gleich beim Auspacken merkt man, dass sich da jemand etwas bei der Verpackung gedacht hat. Die Schachtel ist fast auf den Millimeter genau passend für den Rucksack. Keine Spur von Plastikhülle oder unnötigen Füllmaterialien. Auch hier werden Ressourcen gespart. Das gefällt.

Zum ersten Mal auf dem Rücken (noch ohne Inhalt). Okay. Fühlt sich gut an und das Eigengewicht ist auch niedrig. Zugegeben, ich bin von meinen Fotorucksäcken deutlich mehr Gewicht gewohnt, vermutlich bin ich hier also ein bisschen voreingenommen.

31 Liter "nichts"

Ab zum Innenleben. Dort wartet zuerst einmal: Nichts. 31 Liter Nichts um genau zu sein. Denn erst auf den zweiten Blick merkt man, dass der Rolltop eine kleine Innentasche spendiert bekommen hat. Gut für Schlüssel, Geldtasche oder ähnliche andere kleine Gegenstände, die man gerne sicher verstaut wissen will. Ebenfalls erst beim genauen Blick ins dunkle Innere erkennt man, dass an der Rückenseite etwas türkis-grünes hervorblitzt. "Aha. Das muss ja was sein". Angezogen und rausgenommen und siehe da: Laptoptasche. Bei jedem Rolltop ist (je nach Größe) eine Laptophülle für ein 13 oder 15 Zoll Laptop dabei. Mein 12,9 Zoll iPad wurde darin ohne Probleme verpackt. Mit einem 15 Zoll Laptop wurde auch getestet. Auch dieser passt tatsächlich hinein. Noch ein Pluspunkt, gerade für jene, die eher außer Haus arbeiten.

Das war es auch schon wieder an Dingen, die es im Inneren zu entdecken gibt. Außen hat der Rolltop ebenfalls ein kleines Zip-Fach, in dem ich ein wiederverwendbares faltbares Einkaufssackerl verstaute. Manchmal braucht man ja noch mehr Kapazität. Außerdem hat der Rolltop an der linken und rechten Außenseite jeweils zwei verstellbare Laschen, an denen man zum Beispiel eine Jacke befestigen kann. Doch hier kommt der erste Wehrmutstropfen zum Vorschein.

Laschen aber keine Taschen - Getränkeflasche draußen anbringen: Fehlanzeige.

©Kevin Kada

Ich bin durstig. Sehr durstig. Darum habe ich immer, wenn ich aus dem Haus gehe, eine Flasche dabei. Die kann ich beim Rolltop allerdings nur im Innenbereich des Rucksacks mitnehmen. Denn einen dezidierten Flaschenhalter gibt es an der Seite des Rolltops nicht. Was für viele wahrscheinlich marginal klingt, war zu diesem Zeitpunkt fast schon ein Ausschlusskriterium. Aber eben nur für mich.

Getestet will er dennoch werden, darum habe ich diesen dicken Minuspunkt für den späteren Test notiert und musste lernen, mich damit zu arrangieren.

Erstmal die wichtigesten Dinge für den täglichen Weg in die Redaktion eingepackt. Buch, Techpouch mit Ladekabel etc., iPad und ein paar Kleinigkeiten. Am nächsten Morgen folgten noch mein Mittagessen, eine Trinkflasche sowie eine Regenjacke. Alles kein Problem für den Rucksack. Platz genug hat er mit 31 Litern ja. 

Guter Tragekomfort und viel Stauraum. Aber schmutzig wird er schon sehr schnell.

©Nina Kada

Am Weg zum Zug, im Zug, in der U-Bahn und zu Fuß fällt der Rucksack nicht auf. Er liegt gut am Rücken an. Durch die Polsterung an den Riemen kommt es trotz etwas Gewicht im Rolltop zu einer guten Verteilung auf die Schultern. Nur die fehlende Trinkflaschenhalterung nervt. Richtig.

GotBag hat für diesen Umstand übrigens auch eine Erklärung parat: "Der Rolltop ist ein Allrounder. Er soll möglichst flexibel einsetzbar und robust sein, sodass er ein langlebiger, zuverlässiger Begleiter sein kann – bei seinem Design steht die Performance so im Vordergrund. Beim Verarbeiten unseres extrem wasserdichten Gewebes aus Ocean Impact Plastic schweißen wir die Nähte deshalb. Mit dieser Technik lassen sich keine Außenfächer anbringen." 

Hm... macht leider zu viel Sinn, um sich darüber zu beschweren. Aber vielleicht fällt den Produktentwicklern des Unternehmens in den kommenden Jahren ja doch eine Möglichkeit ein, wie man das beseitigen könnte.

Baader-Meinhof-Phänomen am Bahnsteig

Gut eine Woche war ich mit dem Rolltop unterwegs. Von Hollabrunn (in Niederösterreich) nach Wien und wieder zurück. Alles mit den Öffis. Dementsprechend viele Menschen begegnen mir auf meinem Arbeitsweg. Bereits am ersten Tag habe ich mich dabei erwischt, wie ich einem jungen Mann hinterhersah. Nicht weil er vielleicht gut angezogen war, sondern weil er den gleichen Rucksack wie ich am Rücken hatte. Hallo Baader-Meinhof-Phänomen.

Für alle die es nicht kennen, ein kurzer Exkurs in die Psychologie: Dieses Phänomen wird auch kognitive Verzerrung genannt. Kurz gefasst bedeutet das, dass man in seiner Umgebung Dinge wahrnimmt, die einem erst jetzt sehr relevant erscheinen. Das kennt ihr bestimmt.

So ging es mir auch. Überall sah ich plötzlich die GotBag-Rucksäcke. Der Trend ist also auch in Österreich angekommen. Zumindest in meiner Wahrnehmung.

Ab nach London.

©Kevin Kada

Mitte August wurde es dann Zeit für den ersten richtigen Härtetest. Eine Städtereise. Konkret ging es nach London. Mit meiner Frau und meinen Eltern. Grund der Reise: Das Coldplay-Konzert im Wembley Stadion. Gleich vorweg: In das Stadion habe ich den Rucksack nicht mitgenommen.

Nicht nur weil ich ihn nicht brauchte, sondern vor allem auch, weil man nur Taschen und Rucksäcke mitnehmen durfte, die nicht größer als ein Blatt A4-Papier sind. Und das geht sich beim Rolltop nicht aus. GotBag hätte aber auch hier theoretisch mit dem Daypack eine Alternative im Programm. Meine Frau hat sich einen davon gekauft und ist seitdem nur noch damit unterwegs. Selbst meine Mutter ist schon auf den Zug aufgesprungen und hat von mir zum Geburtstag einen Daypack bekommen. Sie ist ebenfalls zufrieden. Soviel zum Erfahrungsbericht im Erfahrungsbericht.

Wie ein echter Touri

Weil meine Eltern noch nie bzw. erst einmal in London waren, haben wir uns natürlich alle Klassiker angesehen. Big Ben, London Eye, Buckingham Palace usw. - überall dabei war auch der Rolltop. Und ich muss sagen, er hat nicht enttäuscht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich den Rucksack bereits zwei Wochen im Test und mich auch damit abgefunden, dass meine Trinkflasche im und nicht am Rucksack war. 

Mit dem Rolltop Rucksack in London

©Nina Kada

Zudem hatte der Rucksack durch seine Größe einen enormen Vorteil: Ich konnte nicht nur meine Sachen (wie eben Trinkflasche oder eine unbedingt notwendige Regenjacke) darin verstauen, sondern hatte auch die Utensilien meiner Frau mit im Rucksack. Sowie das ein oder andere Souvenir oder Lunchpaket.

Apropos Souvenirs...

Auch in den Nordwesten von London hat es uns verschlagen. Konkret nach Watford in die Warner Bros. Studios. Was wir dort gemacht haben? Natürlich: Harry Potter. Was mir in den Tagen zuvor bereits aufgefallen war, hat sich hier noch einmal deutlicher gezeigt. Der Rolltop weiß vor allem in Sachen Tragekomfort zu gefallen. Sieben Stunden Harry-Potter-Studiotour inklusive Eskalation im Souvenirshop und danach gefühlt 50 Kilogramm mehr am Rücken haben nichts ausgemacht. Der Rolltop war zum ersten Mal bis an die Grenze gefüllt. Er war zwar schwerer, aber immer noch gut zu tragen.

Ob ich damit in Hogwarts den coolsten Schulrucksack gehabt hätte? Vermutlich nicht.

©Nina Kada

Nach gut drei Wochen im Test wurde ich von diesem Rucksack in seiner Funktionalität überzeugt. Das Design ist schlicht, der Tragekomfort sehr gut und durch die verschweißten Nähte und das Außenmaterial ist der Rucksack auch wasserfest. Doch es gibt auch zwei Wermutstropfen. Zum einen die bereits erwähnte Möglichkeit, die Trinkflasche außen anzubringen und zum anderen die Optik der Außenhaut.

Denn was mir sehr wohl in der Zeit mit dem Rucksack aufgefallen ist: Er wird sehr schnell schmutzig. Ich würde fast schon sagen, er zieht Schmutz magnetisch an. Zwar konnte ich alle Unreinheiten mit einem feuchten Tuch beseitigen, aber wenn man sich für so einen Rucksack entscheidet, dann muss einem klar sein, dass man das ein oder andere Mal öfter zum Putzfetzen greifen muss.

Ist das Meeresschutz oder kann das weg?

Am Ende des Tages muss man sich fragen: Ist das wirklich Meeresschutz? Grundsätzlich ja. Der Fakt, dass das so gefährliche Plastik aus dem Meer geholt und wiederverwendet wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Sind die tausenden GotBag-Rucksäcke, die bisher verkauft wurden, ein wirklicher Gamechanger? Nein. Denn aufgrund der Menge an Plastik im Meer ist es dennoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber: Immerhin tun sie etwas.

Während viele Unternehmen ihre Produkte unter unmenschlichen Bedingungen zusammenzimmern und mit enormer Ressourcenverschwendung zu einem Spottpreis auf den Markt bringen, drängen zunehmend Start-ups in die Szene und wollen den Konsum nachhaltiger gestalten. Und am Ende des Tages ist es genau das: Konsum. Womit schützt man das Meer also besser? Indem man den Rucksack kauft, auch wenn man ihn vielleicht gar nicht braucht oder indem man das Geld dafür lieber an eine NGO spendet oder einfach spart? Ziemlich sicher eine der letzten beiden Varianten. Sofern aber ein Rucksack-Kauf ansteht und man diesen auch wirklich braucht, macht es natürlich Sinn, sich nach nachhaltige Alternativen umzusehen. Und es will auch gut überlegt sein. Immerhin schlägt der klassische Rolltop mit 159 Euro zu Buche. Auch nicht billig.

©Kevin Kada

Nachgefragt bei GotBag

Vor welchen Problemen steht man als Start-up, welches sich mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Hat man das Gefühl, dass mit anderem Maß gemessen wird, weil man offensiv nach außen sagt, dass man etwas für die Umwelt tun will?

GotBag: Natürlich ist es wichtig und richtig, zu hinterfragen und konstruktiv zu kritisieren. Dass man als Impact-Unternehmen dabei unter besonderer Beobachtung steht, hören wir auch im Austausch mit anderen Start-ups immer wieder. Viele haben vermehrt Angst, etwas falsch zu machen. Und das ist schade, weil Fortschritt und Weiterentwicklung dadurch häufig gehemmt werden. Gerade am Anfang passieren Fehler – wir sind jedoch der Überzeugung, dass es wichtiger ist, überhaupt etwas anzustoßen, statt tatenlos dabei zuzusehen, wie die Meere immer dreckiger werden. 

Die Rucksäcke sind ja nur aus einem bestimmten Teil aus recyceltem Meeresplastik. Hat man Bestrebungen, diesen Anteil zu erhöhen?

Wir möchten wenig bis keine virginen Kunststoffe für unsere Produkte verwenden. Für einige Ausstattungselemente wie Schäume, Netze, Reißverschlüsse, Beschichtungen und Schnallen ist dies aktuell noch nicht möglich. Das liegt bei einigen Komponenten daran, dass sie am Markt noch nicht aus recycelten Materialien verfügbar sind. Für weitere Ausstattungselemente testen wir bereits Alternativen, die jedoch unbedingt unseren Ansprüchen an Funktionalität oder Langlebigkeit entsprechen sollen.

Wie wehrt man sich gegen den Greenwashing-Vorwurf? Immerhin ist auch der GotBag-Rucksack nicht zu 100 Prozent nachhaltig.

Nachhaltigkeit ist ein großes Wort, das allumfassend vermutlich noch kein Produkt dieser Welt für sich beanspruchen kann. Wir wollen uns auf die Bereiche konzentrieren, in denen wir einen Unterschied machen können – oder bereits machen. Natürlich tragen wir mit unseren Projekten alleine nur einen kleinen Teil dazu bei, gegen das globale Problem der Plastikverschmutzung unserer Meere vorzugehen. Aber wir sind der festen Überzeugung, dass man irgendwann starten muss, um gemeinsam mit vielen anderen da draußen wirklich etwas zu bewegen. Unsere bereits erzielten Erfolge bestärken uns darin.

Kevin Kada

Über Kevin Kada

Leitung Newsdesk - kurier.at. Seit 2017 beim Kurier, zuvor für Chronik NÖ und Regionalsport zuständig. Seit 2021 Chef vom Dienst für kurier.at

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