Experte verrät: Wieso Morgenmenschen länger leben als Nachtmenschen

Eine neue Studie bestätigt: Wer früh aufsteht, lebt länger. Wir haben einen Experten gefragt, woran das liegt und ob es etwas bringt, Schlaf nachzuholen.

Jeden Tag um sechs Uhr aufstehen und in die Arbeit fahren. Das geht vielen Menschen so und manchen fällt es leichter als anderen. Denn nicht jeder ist ein geborener Frühaufsteher, auch wenn der Glaube noch immer vorherrscht, dass frühes Aufstehen schlicht und einfach eine Willensfrage ist. Warum das manche Menschen  speziell Nachtmenschen  Jahre ihres Lebens kosten kann und was man vorbeugend gegen diesen Nachteil tun kann, haben wir Univ. Prof. Dr. Manuel Schabus gefragt.

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Was euch in diesem Artikel erwartet:

  • Bin ich einfach zu faul? Der Mythos um die Willensfrage
  • Nachtmenschen sterben früher  was Rauchen und Alkohol damit zu tun haben
  • Bringt Schlaf Nachholen etwas? Was man als Nachtmensch tun sollte

Unsere Gesellschaft hält eindeutig Vorteile für diejenigen unter uns parat, denen das frühe Aufstehen sehr leichtfällt. Nicht umsonst heißt es für den Großteil der Gesellschaft, dass pünktlich halb acht der Gong zur ersten Unterrichtsstunde läutet und später im Leben der "9-to-5-Job" auf einen wartet  alles nach dem Motto "Morgenstund' hat Gold im Mund". Doch der Folgen sind wir uns gar nicht bewusst. Eine kürzlich im Fachjournal Chronobiology International veröffentlichte Studie der Universität Helsinki beweist nämlich, dass Nachtmenschen durchschnittlich ein 9 Prozent höheres Sterberisiko haben als Morgenmenschen.

"Das passt tatsächlich zu einer anderen Studie, die vor ein paar Monaten veröffentlicht wurde", sagt Univ. Prof. Dr. Manuel Schabus, Neurowissenschaftler, Psychologe und Schlafforscher an der Universität Salzburg. "Sie untersuchte gesundheitliche Auswirkungen bei Menschen, die chronisch unter sieben Stunden am Tag schlafen, also bei denen, die später zu Bett gehen und morgens trotzdem aufstehen müssen. Bei den Testpersonen stellte man fest, dass sie um bis zu 2,4 Jahre (bei Frauen) beziehungsweise bis zu 4,7 Jahre (bei Männern) kürzer leben. Und mit unter sieben Stunden Schlafenszeit lebt ungefähr die Hälfte der Bevölkerung."

Der Mythos um die Willensfrage

Vielleicht muss man es nur genug wollen. "Der ist ja einfach zu faul", heißt es dann, wenn man sich beklagt, dass frühes Aufstehen so schwer ist. Erst in den letzten Jahren hat sich der Diskurs um "Lerchen" (Frühaufsteher) und "Eulen" (Nachtschwärmer) etwas mehr in der breiten Öffentlichkeit etabliert. Das trotzdem ewig wiederkehrende Argument: Disziplin. Denn in den Augen vieler ist es einfach eine Willensfrage, früh aufzustehen. "Das ist insofern falsch, weil der Körper von einem Abendmenschen ja physiologisch niemals zu dieser Zeit aufstehen würde", sagt Dr. Schabus. Das ist genetisch bedingt und hängt mit unserer inneren Uhr zusammen, die die 24 Stunden des Tages herunterzählt. Diese Uhr ist auch für das Schlafhormon Melatonin verantwortlich. Bei Frühaufstehern steigt der Melatoninspiegel früher und sie werden schon eher müde. Bei Nachtmenschen ist es genau umgekehrt.

Die Folgen? Nachteulen sind nach Dr. Schabus in der Früh weniger leistungsfähig und können durch den gestörten Schlafrhythmus auch häufiger Unfälle bauen. Und alles durch einen genetisch bedingten Nachteil, mit dem Nachtmenschen durch die Vorgaben unserer westlichen Gesellschaft zu kämpfen haben. Mit Willensschwäche oder -stärke hat das nichts zu tun.

Nachtmenschen sterben früher  was Rauchen und Alkohol damit zu tun haben

Vielleicht müssen wir schlechte Gewohnheiten ändern: Die Forscher der Universität Helsinki führten nämlich eine zweite Analyse durch, bei der herauskam, dass Rauchen und Trinken zwei maßgebliche Faktoren für die höhere Sterberate unter Nachtmenschen sind. Und was bedeutet das? Jedenfalls nicht, dass Nachtmenschen genetisch bedingt eher Raucher und Trinker sind. Nach Dr. Schabus' Einschätzung haben sie nicht zwingend eine genetische Vorprogrammierung, dass sie eher rauchen und zu Alkohol greifen, sondern es ist höchstwahrscheinlich ein Produkt des Umfelds und der Gesellschaft, die derartiges Verhalten am Abend wahrscheinlicher macht.

Also einfach mit dem Rauchen und Trinken aufhören und Problem gelöst? Zumindest kann das bezüglich der Lebenserwartung nicht schaden, doch das Problem liegt noch tiefer. "Der Frühmensch wird, weil er biologisch tatsächlich früher müde wird, schon um neun oder zehn Uhr ins Bett gehen und dann passt auch der Aufwachzeitpunkt um 7 Uhr in der Früh. Das heißt, er hat keinen oder weniger Schlafentzug, denn er schläft mehr als jemand, der erst um Mitternacht müde wird, aber trotzdem um sieben Uhr aufstehen muss", meint Dr. Schabus. Nachtmenschen laufen also Gefahr, unter chronischem Schlafmangel zu leiden, denn die meisten sagen wohl nicht pünktlich um 22 Uhr "So, Schlafenszeit".

Bringt Schlaf Nachholen etwas? Was man als Nachtmensch tun sollte

Viele trösten sich damit, alles am Wochenende wieder aufzuholen, wenn sie unter der Woche zu wenig Schlaf bekommen. "Nachholen von Schlaf geht allerdings nur zu einem geringen Anteil." Dr. Schabus verweist hier auch auf Forschung, die darauf hindeutet, dass Schlaf am Wochenende teilweise nachgeholt werden kann. "Natürlich hole ich niemals alles nach, was ich unter der Woche an Schlaf verloren habe. Ich würde sagen, circa ein Drittel kann man wahrscheinlich nachholen und der Rest ist für immer verloren und wird tatsächlich am Ende abgerechnet."

Was kann man also noch tun? Schlafexperte Dr. Schabus rät dazu, Routinen einzuführen. Vor allem Schlafgestörte sollten sich auf Schlafroutinen konzentrieren und angeleitete Entspannungsübungen vor dem Einschlafen machen. Dabei kommt man runter, entspannt sich und kann sich auf Herz und Atmung konzentrieren. Am hilfreichsten sind beruhigende Rituale und das schließt auch mit ein: Bildschirme aus! Denn nicht nur die Helligkeit ist kontraproduktiv, sondern auch die anregenden Inhalte, die unseren Körper nicht zur Ruhe kommen lassen Natürlich kann man sich trotzdem digitale Hilfe holen. Dr. Schabus hat beispielsweise an der Univeristät Salzburg die digitale Gesundheitsanwendung Nukkuaa gegründet. Sie bietet nicht nur evidenz-basierte Schlaftrainings, sondern misst auch die Schlafphasen wissenschaftlich geprüft akkurat.

Außerdem: Wieso auch ein kurzer Mittagsschlaf empfehlenswert ist und was ihr dabei beachten müsst, erfahrt ihr hier.

In jedem Fall ist Vorsorge ratsam: "Das ist ein Thema, das in der Gesellschaft zu wenig diskutiert wird." Tatsächlich ist es für uns noch immer mehr als selbstverständlich, dass viele spät ins Bett gehen und dann wieder früh aufstehen müssen, wodurch sie nur sechs oder weniger Stunden Schlaf bekommen. Und zu welchem Preis? Denn bei einem Verlust von 4,7 Jahre bei Männern und 2,4 Jahre bei Frauen sollte man sich schon gut überlegen, ob man das wirklich will.

Über Jennifer Sandhagen

Redakteurin bei freizeit.at, dem Digitalformat der KURIER freizeit.

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