Doris Dörrie © Mathias Bothor / photoselection

Im Obdachenlosenhotel gewohnt: Doris Dörrie und ihr Wohnen-Buch

Homeoffice, Smarthome, Tiny House: Wie Bestseller-Autorin Doris Dörrie übers Wohnen denkt.

Als Filmemacherin richtet Doris Dörrie die Welt erdachter Figuren ein. Als Reisende kennt sie Wohnsituationen von Japan bis Amerika. Und dann ist da noch ihr Elternhaus, die WGs, in denen sie war, das Landleben ... Wohnen heißt Leben. Dörrie hat das Buch „Wohnen“ darüber geschrieben, sehr persönlich und dennoch ein Zeitenporträt, in dem sie der wohnlichen Geborgenheit als Kind ebenso nachspürt wie ihrer Unbehaustheit in New York. Es handelt von Identität, Träumen, Politik und ist ein Bestseller.

Frau Dörrie, Sie bezeichnen sich als Wohnende wider Willen. Was bedeutet das? 

Ich habe nie so viel Wert auf meine direkte Umgebung gelegt. Ich wollte lieber unterwegs sein. Die Wohnung war mir nicht so wichtig.

Ist sie Ihnen heute wichtig?

Unterwegs zu sein ist mir immer noch wichtiger.

Wo verorten Sie den Grund dafür?

Vielleicht ist mit ein Grund dafür die Geschichte meiner Eltern, deren Zuhause im Krieg ausgebombt wurde. Und ich davon unterbewusst die Lektion mitgenommen habe, dass man sich nicht zu sehr an stabile Verhältnisse gewöhnen oder an Besitz hängen sollte. Unsere Welt steht auf wackeligen Beinen, alles kann vorübergehend und von einen Moment auf den anderen weg sein.

Sie schreiben, jedes Möbelstück verrät den Charakter des Einrichtenden.

Zumindest im Film. Im wirklichen Leben ist das nicht von so großer Bedeutung. Es muss niemand befürchten, ich würde prüfend durch die Zimmer ziehen und jedes Möbelstück einem Charaktertest unterziehen, wenn ich zu Besuch eingeladen bin.

Wie sollte eine Wohnung eingerichtet sein, die Ihnen gefällt? 

Mich begeistern eher etwas unordentliche und chaotische Wohnungen. Geschleckte und total aufgeräumte machen mir eher Angst.

Sie bevorzugen ein Zuhause, dem man ansieht, dass jemand darin lebt. 

Ordnung ist subjektiv. Was der eine als Unordnung empfindet, ist für den anderen völlig normal.

Wir vereinsamen durch Vereinzelung. Die Trutzburg ist eine Illusion. Sie ist digital durchlöchert, dank sozialer Medien oder Zoom-Meetings. 

Doris Dörrie

Das Haus als Rückzugsort, als schützende Festung – was können Sie dem abgewinnen?

Es ist ein Urinstinkt. Im Winter schützt es uns vor Kälte, im Sommer bringt es Schatten, wir könnten sonst nicht überleben. Dazu kommt, dass die meisten sich verstärkt nach außen abschirmen wollen. Wir bauen unser Heim immer mehr zur Festung um. Noch nie in der Menschheitsgeschichte haben wir so viel Zeit zuhause verbracht wie jetzt.

Warum ist das so? 

Das hat viel mit der digitalen Entwicklung zu tun. Wir müssen weder vor die Tür um einzukaufen, noch um Menschen kennenzulernen. Langsam merken wir jedoch, dass wir dadurch etwas einbüßen. Menschlicher Kontakt muss ab und zu halt dennoch analog verlaufen, damit wir uns nicht einsam fühlen. Doch das passiert. Wir vereinsamen durch Vereinzelung. Die Trutzburg ist eine Illusion. Sie ist digital durchlöchert, dank sozialer Medien oder Zoom-Meetings. Nicht nur wir schauen nach draußen in die Welt, sondern auch uns wird zugeschaut.

Stichwort Smarthomes.

Die Möglichkeiten der Überwachung durch die digitale Technik sind enorm. Wir müssen uns fragen, wie bereitwillig wir die Daten unserer Lebensumstände und Gewohnheiten dem Roboter-Staubsauer aushändigen wollen. Der Mensch ist bequem. Was uns das Leben leichter macht, nehmen wir gerne an. Die Daten, die wir hergeben, sind dafür der Preis.

Doris DOERRIE (Dörrie), Deutschland, Regisseurin, Schriftstellerin, am 18.10.2019, Frankfurter Buchmesse 2019 vom 15.10

Smarthomes? „Die Möglichkeiten der Überwachung sind enorm. Der Mensch ist bequem. Die Daten, die wir hergeben, sind dafür der Preis“

©imago images/Sven Simon/Anke Waelischmiller/SVEN SIMON via www.imago-images.de

Auch früher lag die Vorstellung vom Glück in den eigenen vier Wänden. Nur hatte sie mit Schrankwänden und Couchlandschaften zu tun.

Das war nicht unbedingt spießig, sondern der Traum einer bestimmten Zeit. Ein Regal für viele Bücher bedeutete, wieder Zugang zu Bildung zu haben und nach dem Faschismus ein Fenster zur Welt aufzustoßen. Die Bücherwand war nicht nur Status, sondern stand für Sehnsucht. Eine Wohnlandschaft bedeutete Freizeit, das Aufgeben von Vorschriften, sich gehen lassen dürfen. Das fußte auch auf den Erlebnissen aus dem Krieg. Meine Eltern, beide ausgebombt, träumten von kaum etwas anderem mehr als von einer eigenen Wohnung, in der sie frei sein durften.

Und heute? 

Heute träumen wir von idealen Häusern und Wohnungen, mit tollem Ausblick, im richtigen Viertel und vieles mehr. Dabei stellen wir zunehmend fest, dass die ideale Umgebung nicht unbedingt bedeutet, dass man glücklich ist. Auch im Traumhaus gibt es keine Glücksgarantie.

Inwiefern hängt Wohnen mit der Vorstellung von Spießigkeit zusammen? 

Das ist abhängig von Zeitgeist und Ideologie. Als ich jung war, wollten wir auf keinen Fall etabliert wohnen. Wir wollten keine Schrankwände oder Wohnzimmer. Wir wollten das Wohnen für uns revolutionieren, weil wir Beziehungen revolutionieren wollten. Die Art, wie wir wohnen hat direkt damit zu tun, wie wir Beziehungen gestalten. Auch das Patriarchat spielt eine Rolle: Jahrelang haben Männer Räume wie die Küche designt, in denen Frauen dann nützlich zu sein hatten. Ein eigenes Zimmer bekamen Frauen so gut wie nie.

In Ihrem Buch setzen Sie die Art zu wohnen mit Emanzipation in Verbindung.

Viele Menschen leben heute allein, auch viele Frauen. Sie sind finanziell unabhängig, selbstbestimmt und werden nicht nur im Zusammenhang mit Familie gedacht. Das hat große Auswirkungen auf das Wohnen. In München sind 40 Prozent aller Haushalte Alleinlebende, in Hamburg 50 Prozent.

Es war schrecklich. Ich war allein unter Männern. Es war sehr dreckig, sehr heruntergekommen und auch sehr gewaltsam. Ein Ort zum Angstkriegen. Einmal wurde direkt vor meiner Tür jemand erstochen.

Das Homeoffice ist immer noch ein umstrittenes Thema. Wie stehen Sie dazu? 

Es ist kompliziert. Zum einen bedeutet es, dass man als White-Collar-Arbeiter eine Tätigkeit verrichtet, die nicht mit körperlicher Arbeit verbunden ist. Viele Tätigkeiten kann man eben nicht von zuhause ausüben, etwa an der Kassa im Supermarkt sitzen oder im Krankenhaus arbeiten. Es sind meistens privilegierte Schichten, die im Homeoffice arbeiten. Es hat aber auch Nachteile, wie die Pandemie gezeigt hat.

Zum Beispiel? 

Frauen sollten sofort wieder zu Versorgerinnen werden. Homeoffice war in der Pandemie für Frauen eine extreme Belastung. Sie hatten noch mehr Arbeit zu leisten. So gesehen kann sich „nur“ im Büro zu sitzen tatsächlich wie Urlaub anfühlen.

Homeoffice deutete sich als nachhaltige Entwicklung an. Jetzt holen viele Unternehmen ihre Mitarbeiter zurück ins Büro. 

Das Homeoffice bleibt uns dennoch erhalten. Firmen haben einfach Angst, dass die Effektivität ihrer Angestellten im Homeoffice sinkt. Wir büßen aber auch etwas ein, wenn wir nicht mit anderen zusammenarbeiten und unsere Fähigkeit schulen, Konflikte auszuhalten und zu lösen.

Sie lebten in New York im Obdachlosenheim. Wie war das? 

Es war schrecklich. Ich lebte im Obdachlosenhotel, weil es die einzige Unterkunft war, die ich mir leisten konnte. Ich war allein unter Männern. Es war sehr dreckig, sehr heruntergekommen und auch sehr gewalttätig. Ein Ort zum Angstkriegen. Einmal wurde direkt vor meiner Tür jemand erstochen. Die Tür konnte man nicht richtig abschließen. Ich habe dort ziemlich schlecht geschlafen vor Angst.

Wie war es dazu gekommen?

Ich habe nicht genug Geld verdient, um zu studieren, zu leben und ein Zimmer zu bezahlen. Das Leben in New York war zu teuer.

Doris Dörrie

Doris Dörrie

Doris Dörrie wurde 1955 in Hannover geboren. In den USA studierte sie Theater und Schauspiel. Als Regisseurin wurde sie durch den großen Filmerfolg  „Männer“ bekannt (1985), ein Erfolg war etwa auch „Kirschblüten – Hanami“. Sie inszenierte Opern, schrieb Kinderbücher und Romane. Dörrie lebt in München.

Sie sind viel gereist. Wohnen ist immer mit der jeweiligen Kultur verknüpft. Wie wohnt es sich etwa in Japan? 

In Japan ist der Wohnraum sehr viel geringer bemessen als in Europa – außer auf dem Land, aber da will keiner mehr wohnen, weil die Infrastruktur fehlt. Die Wohnung wird von vielen fast nur als Schlafort genutzt – und ist bestimmt kein Ort, an den man Besucher einlädt. Sie ist eng und vollgestopft mit Gegenständen.

Wie finden Sie Tiny Houses?

Tiny Houses sind Ausdruck ökonomischer Zwänge. Sie zeugen aber auch von einer Sehnsucht nach Cocooning und verbinden den Wunsch nach Eigenheim mit der wirtschaftlichen Möglichkeit, das umzusetzen. In Deutschland träumen die meisten von einem abgeschlossenen Haus mit abgezäuntem Garten – dem Eigenheim, dem Traum von Autarkie und der Sehnsucht nach Selbstbestimmung. Was klimatisch und ökologisch nicht sinnvoll ist.

Das Buch

Das Buch

Doris Dörrie: „Wohnen“, Hanser Berlin, 128 Seiten, 20,60 €. Aus einer Buchreihe über die zehn wichtigsten Themen des Lebens, von „Arbeiten“ bis „Altern“.

Wie wohnen die Jungen heute? 

Viele träumen davon, allein zu wohnen, aber können sich das nicht leisten. Ein WG-Zimmer in München kostet ca. 1.000 Euro im Monat. Es gibt zu wenig Wohnraum für Studierende, die Politik hat dafür nicht gesorgt, allgemein herrscht in Deutschland in den Städten Wohnungsnot, Wohnen hängt ab von Klasse und Geld.

Wie stehen Sie eigentlich zu Ikea?

Ikea war die Demokratisierung des Wohnens. Möbel waren nicht mehr teuer, jeder konnte sich eine Couchlandschaft leisten. Aber die Möbel wurden teilweise in Haftzwangsarbeit in der DDR angefertigt, auch von politischen Häftlingen. Das wollten wir aber alle nicht so genau wissen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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