Nicholas Ofczarek im Interview: "Ego-Problem habe ich keines"

Der Star-Schauspieler über ein Grab im Wald, Sehnsucht nach Struktur und wie er als junger Wilder gefeuert wurde.

Bösewicht, Wüstling, Psychopath. Nicholas Ofczarek hat eine Vorliebe für abgründige Rollen. Hier brilliert er, spielt facettenreich seine intensive Darstellungskraft aus. Am Burgtheater gehört er seit 30 Jahren zu den großen Schauspielstars. In Film und Fernsehen kennt man ihn etwa aus „Braunschlag“ oder „Der Pass“. Nun läuft seine neue Serie „Drunter & Drüber – Chaos am Friedhof“ an (acht Episoden, ab 8. Mai bei Amazon Prime). 

Als vorschriftsverliebter Pedant macht er sich da Hoffnungen, vom Vize zum Chef eines Friedhofs befördert zu werden, doch dann wird ihm jemand vor die Nase gesetzt: Julia Jentsch, die mit Ofczarek schon in „Der Pass“ ein tolles Duo abgab. Zusammenhelfen müssen sie dennoch: Der Friedhof droht nämlich zu schließen, sofern er nicht rentabel wird. Es wird skurril und morbid – und unter der Erde verfolgen die Toten die chaotischen Ereignisse wie eine Seifenoper.

Herr Ofczarek, es heißt, der Tod ist ein Wiener. Können Sie damit etwas anfangen?

Man sagt, der Wiener hätte eine besondere Verbindung zum Tod, aber ehrlich gesagt weiß ich davon nichts. Man kann es zumindest behaupten. Für mich ist der Tod eher ein Tabuthema. Aber vielleicht haben wir tatsächlich über Generationen gelernt, ihn mit einem gewissen Humor und mit Sarkasmus zu betrachten. Man sagt es. Es klingt gut. Es verkauft sich gut.

Den Tod fatalistisch mit einem lachenden Auge zu betrachten, gelingt Ihnen das?

Nein. Aber wenn man etwas verdrängt, bedeutet das ja, dass man sich damit auseinandersetzen sollte. Weil es mit Schmerz über jene verbunden ist, die – ein hübscher Begriff – vorausgegangen sind. Wie sagt Anthony Hopkins so schön: Keiner von uns kommt hier lebend raus. Also iss das gute Essen. Sag die Wahrheit. Sei albern und nett und genieße das Leben und so weiter. Das sollte man tatsächlich tun. Den Moment mehr genießen.

Manche Leute meiden Friedhöfe, so gut es geht. Andere joggen dort. Wie halten Sie es?

Ich meide den Friedhof ebenfalls so gut es geht. Auf Begräbnisse will ich nicht gehen. Dort zu drehen hat sich seltsam angefühlt. Ich bin dem mit größtem Respekt begegnet. Dort zu joggen, das verstehe ich nicht. Da gibt es bessere Strecken.

Schon einmal über Ihr eigenes Begräbnis nachgedacht und wie es ablaufen soll?

Ich würde mir wünschen, dass es lustig wird. Die Leute sollen miteinander lachen.

Ehrengrab, ja oder nein? 

Das ist mir vollkommen wurscht. Früher wäre das niemals für mich in Frage gekommen, aber heute möchte ich verbrannt werden. Es gibt mittlerweile auch Bestattungen im Wald bzw. der Natur. Wenn über mir ein Baum gepflanzt wird, das würde mir gefallen. Am Land, im Waldviertel.

Eine Inschrift am Grabstein, die Ihnen gefallen würde?

Heiter weiter. Schon heute verabschiede ich mich so, wenn ich eine SMS schreibe.

Ich hätte mich damals auch rausgeschmissen. Der Regisseur war gezwungen, so zu handeln. Aber das ist lange her. Ich war jünger und wilder.

Nicholas Ofczarek

In der Serie bekommen Sie es mit einer neuen Kollegin zu tun, die statt Ihnen Chef wird, jedoch keine Ahnung hat. Wie gehen Sie damit um, wenn man Ihnen etwas vorsetzt, das Ihnen nicht passt?

Es kann natürlich passieren, dass einem etwas vorgesetzt oder aufgetragen wird, das einem nicht passt. Aber das heißt nicht, dass es automatisch falsch ist. Es kommt halt immer drauf an: Wer setzt es einem wie vor? Aber mit Hierarchien habe ich zum Beispiel kein Problem.

Wer hätte das gedacht. 

Ich glaube, Hierarchien sind eine Struktur, die es braucht. Es herrscht das Missverständnis vor, dass eine flache Hierarchie ohne Rangordnungen auskommt. Hierarchie bedeutet für mich aber, Verantwortung dafür zu übernehmen, was man tut. Das kann ich sehr gut akzeptieren. Ich kann nur nicht ...

Ja?

Ich kann nur nicht akzeptieren, wenn Menschen in höheren Positionen sitzen, die fachlich weniger Ahnung haben als ich. Und mir Dinge vorsetzen, von denen ich weiß, dass sie falsch sind. Wenn diese Leute dann noch versuchen, ihre Inkompetenz mit Ignoranz und Empathielosigkeit zu übertünchen – das macht mich wahnsinnig. Ego-Problem habe ich aber keines. Mein Beruf besteht daraus, dass ich dauernd kritisiert werde. Das ist kein Problem.

Traumteam: Ofczarek mit Julia Jentsch in der neuen Serie „Drunter & Drüber“

©Nikolett Kustos, Prime Video

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Chefs, die keine Ahnung haben von der Materie? 

Das kommt vor. Manchmal beschreibt jemand etwas auch nur in einer anderen Sprache als man selbst, aber meint dasselbe. Schwierig, aber es war immer so und wird immer so sein. Damit muss man einen Umgang finden.

Hat ein Regisseur Sie auch einmal hinausgeschmissen?

Einmal, ja. Aber gut, in fast 35 Jahren im Beruf ist das ein guter Schnitt. Ich hätte mich damals auch rausgeschmissen. Der Regisseur war gezwungen, so zu handeln. Aber das ist lange her. Ich war jünger und wilder. Und konnte überhaupt nix mit dem anfangen, was mir gesagt wurde. Obwohl das ein sehr berühmter Regisseur war und sonst tolle Sachen gemacht hat. Das Ganze wurde dann tatsächlich nicht gut, es war der Wurm drin. Ansonsten kämpfe ich mich in solchen Fällen einfach durch.

Macht es auch nicht angenehm, so jeden Tag zur Arbeit zu gehen. 

Ja, aber die Zeitspanne ist absehbar. Bei mir sind es zwei Monate, nicht das ganze Leben.

Sie spielen einen Pedanten. Neigen Sie selbst zum Zwänglerischen? 

Pedantisch bin ich nicht. Aber ich suche die Struktur, weil ich selbst eher ein Chaot bin. Allerdings nicht, was den Beruf anbelangt. Da bin ich komischerweise sehr strukturiert. Im Leben aber bin ich froh, dass ich eine starke, organisierte Frau an meiner Seite weiß.

Wenn man Theater mitunter als Ausnahmezustand begreift, bedeutet das allerdings auch haltlos zu sein und Struktur zu untergraben. 

Bei der Probe ist man natürlich auf der Suche nach Struktur, um ein Stück überhaupt erst in die Wiederholbarkeit bringen zu können. Die Aufgabe später bei der Aufführung dann ist, dass diese Struktur zwar wie eine unsichtbare Matrix vorhanden ist, aber man zugleich in eine Unmittelbarkeit kommt. Wenn man die Struktur nur abspult, löst das beim Zuschauer nichts aus. Die Lebendigkeit und das scheinbar Spontane allerdings schon. Ohne Struktur wären wir alle geisteskrank. Was wir nicht sind.

Es geht darum, bis in die Fingerspitzen vorbereitet zu sein und wenn es darauf ankommt, alles loslassen zu können. 

Als Schauspieler ist man wie ein Slalomläufer, der vor dem Start im Kopf nochmals den Kurs durchgeht. Ich gehe vor einer Vorstellung die Bahnen durch, um dann aber komplett loszulassen. Wenn’s eisig wird, muss man korrigieren können. Aber es geht darum, frei zu sein. Sich vorzubereiten und dann ins scheinbar Ungewisse zu gleiten.

Ich lache über Grenzüberschreitungen, etwa wenn jemand sich im Ton vergreift – und ein anderer darauf reagiert. Ich lache über Konflikte. 

Ihre Eltern waren Opernsänger. Was haben Sie davon mitgenommen? 

Daheim waren sie ja nicht Opernsänger. Daheim waren sie Mama und Papa. Ich bin als Kind halt in dieser Welt groß geworden und hab mich dort sehr wohlgefühlt. Die hat schon was. Es ging viel um das Thema Stimme. Aber auch um Schmerz.

Wie meinen Sie das?

Ich habe auch die Schattenseiten dieses Berufs gesehen. Es war die wenigste Zeit glanzvoll, man war auch Zeuge einer ständigen Krise. Natürlich habe ich das Bewusstsein aufgesogen, dass Singen wie Schauspielen ein Handwerk ist und viel Fleiß dazugehört, es zu erlernen. Aber ich habe auch viel Unbehagen mitbekommen. Ich weiß gar nicht, ob meinen Eltern dieser Beruf so viel Spaß gemacht hat.

Sie meinen die Intrigen der Theaterwelt? 

Die Intrigen. Der Kummer, nicht dort zu leben, wo man eigentlich will. Der Verlust der Stimme. Die Existenzängste. Dann wieder der Rausch einer gelungenen Aufführung. Aber der Beruf des Opernsängers gehorcht trotzdem anderen Gesetzen als der des Schauspielers. Er ist fast noch unerbittlicher. Grausamer.

Warum?

Schauspieler sind immer auch Geschmackssache. Im Gesang hast du entweder eine Stimme – oder du hast keine.

Nicholas Ofczarek, der Opernsänger. Wie hört sich das an in Ihrer Vorstellung?

Jaja, ich weiß, es ist schade. Aber ich hatte nie den Drang, zu singen. Mir wurde auch die Musikalität zu früh – und fälschlicherweise – abgesprochen ...

Noch dazu von der eigenen Mutter. 

Sie hat ein ziemlich gutes, beinahe absolutes Gehör, im Gegensatz zum Vater, der weniger musikalischer war. Ich mag klassische Musik und die Oper, aber letztlich hatte ich zu wenig Talent und zu wenig Willen. Schade. Das Stimmmaterial wäre genetisch bedingt da gewesen, aber es braucht ja noch mehr. Meine Mutter hat mit dem Singen aufgehört mit Mitte 40, weil die Stimmbänder nicht mehr mitgemacht haben.

Ihre Tochter ist wie Sie Schauspielerin geworden. Wie sind Sie der Entscheidung gegenübergestanden?

Ich habe mich da eher rausgehalten. Ich habe sie auch nicht auf Schauspielprüfungen vorbereitet. Wäre ich der Meinung gewesen, sie sei untalentiert, hätte ich ihr vom Beruf abgeraten. Sie ist allerdings sehr talentiert. Und geht allein ihren Weg.

Mangelnde Angebote, konstante Unsicherheit, Ortswechsel: Der Beruf ist mitunter ein hart verdientes Brot. 

Dazu kommt: Als Frau hat man es im Schauspielberuf nicht unbedingt leicht, immer noch. In der klassischen Literatur werden die Rollen für Frauen ab 40 rar. Auch im Fernsehen ist das Alter für Frauen nach wie vor ein Problem. Ich verstehe das nicht. Und dann ist noch die Frage: Hält man diesen Beruf über eine Zeitspanne von 40 oder 50 Jahren durch – und will man das überhaupt? Ich habe ihr deswegen auch geraten, noch einen anderen Beruf zusätzlich zu lernen.

Welche Ausbildung würden Sie machen? 

Ich interessiere mich sehr dafür, an Körpern zu arbeiten, sei das nun Physiotherapie oder Osteopathie. Das hat mich immer gereizt. Aber es war nie die Zeit dafür. Und die brauchst du, um gut darin zu sein.

Nicholas Ofczarek

wurde 1971 in Wien geboren. Sein Vater war Opernsänger Klaus Ofczarek. An der Burg spielte er Tschechow  bis Ödön von Horváth, bei den Salzburger Festspielen war er der „Jedermann“. Im TV sah man ihn  in „Braunschlag“ und „Die Ibiza Affäre“. Verheiratet mit Schauspielerin Tamara Metelka, eine Tochter. 

Sie spielen wie in „Der Pass“ wieder mit Julia Jentsch. Ein Traumteam. 

Sie ist ein vollkommen entgegengesetzter Mensch zu mir, nichtsdestotrotz haben wir eine Riesenhetz zusammen. Sie ist sehr humorvoll, ich habe viel von ihr gelernt. Ich finde es schwierig, wie sie einen offenen, guten Menschen zu spielen, der eine gewisse Grundnaivität aufweist und frei von Sarkasmus ist. Das bewundere ich sehr.

Worüber können Sie lachen? 

Ich muss meistens über das Scheitern lachen. Das darf man auch. Ich lache über Grenzüberschreitungen, etwa wenn jemand sich im Ton vergreift – und ein anderer darauf reagiert. Ich lache über Konflikte.

Sie spielen gern abgründige Charaktere. Die Rolle des Helden liegt Ihnen nicht?

Abgründige Figuren machen einfach am meisten Spaß. Sie bieten den meisten Konflikt auf, einen großen Spielraum des Verbotenen und Unerhörten. Das ist der größte Reiz. Der Held? Na ja. Am meisten lernt man im Leben aus Scheitern und Niederlagen. Und weniger über Heldentaten und Erfolge.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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