Bungee jumping.

Ich bin von einer 94 Meter hohen Brücke gesprungen - so war es

In den letzten Jahren wurde mein Leben immer eintöniger. Wie ich dem Erwachsenwerden mit einem wagemutigen Akt entgegengetreten bin.

Ich geb’s ja zu - in den letzten Jahren habe ich deutlich an jugendlichem Wagemut verloren und mir den berühmten Stock im Hintern wachsen lassen: Die wilde Lockenmähne von damals versteckt sich unter einer geschleckten Gel-Frisur, die lässige Lederjacke wurde gegen das gebügelte Hemd getauscht und statt der nächsten coolen Party suche ich mittlerweile eher nach dem aktuellen Schnäppchen im Supermarkt-Flugblatt. Es ist passiert: Ich gehöre zu den "Erwachsenen". Sehr zum Nachteil meines Alltags - denn ganz ehrlich? Der ist mit dem Älterwerden zwar entspannter, aber eintöniger und langweiliger geworden.

Zeit für Veränderung

Seit meiner Jugend wollte ich unbedingt einmal Bungee-Jumpen gehen, und mittlerweile bin ich dreißig. Irgendwie kamen mir immer das Leben und die Kreativität meiner Ausreden dazwischen. Einer der Hauptgründe, wieso ich es außerdem bisher nie geschafft hatte, ist, dass ich dieses Erlebnis unbedingt mit jemandem teilen wollte. Einen Partner in Crime zu finden, der lebensmüde genug für einen Sprung von einer Brücke ist, sollte aber auf sich warten lassen.

Als ich ohne Rausch nach dem gemütlichen Silvester-Essen beim letzten Jahreswechsel erschreckenderweise schon gegen halb 2 Uhr im Bett lag, wurde mir klar, dass ich dieses Jahr unbedingt am Gummiseil hängen muss. Mein Bruder ist jetzt 17 Jahre alt, was ihn mit Erlaubnis der Eltern zu einem Bungee-Sprung berechtigt. Da er in dem Alter noch voller jugendlichen Leichtsinn strotzt, hatte ich auch endlich meine Begleitung gefunden. Es brauchte nicht viel Überzeugungsarbeit - schnell hatten wir den Deal mit einem brüderlichen Handschlag besiegelt: "Im Sommer ist es so weit!"

Horror-Nacht vor dem Sprung

Mitte Juni machten wir uns dann auf den Weg nach Tirol, ins Ötztal, da wir unsere Abenteuerlust gleich mit einem kurzen Trip in den Outdoor-Erlebnispark "Area 47" überstrapazieren wollten. Dort angekommen, konnte ich schon am Tag vor dem Bungee Jumping ein nervöses Brodeln in mir spüren. Die Nacht vor meinem Sprung war dann erst recht die Hölle. Mein erwachsenes Ich jagte mir alle möglichen Szenarien durch den Kopf und ich musste mir noch etliche Sicherheits-Fragen von Google beantworten lassen, die mich vom Schlafen abhielten. Wegen meiner weichen Knie habe ich dann auch das Frühstück ausgelassen - die Angst, es könnte mich nicht den ganzen Weg nach unten begleiten, war zu groß. Mein Bruder saß mir in der Früh gelassen und mit einem frechen Grinsen gegenüber. "Aufgeregt?" Eine Antwort konnte ich mir sparen, die stand mir deutlich ins Gesicht geschrieben.

"3... 2... 1... Bungee"

Kurz darauf ging es dann auch schon los zur Benni-Raich-Brücke, die einige Minuten mit dem Auto von der "Area 47" entfernt ist. Langsam war meinem Bruder die Nervosität auch anzumerken. Wir beide saßen mucksmäuschenstill im Auto und fuhren mit blassen Mienen ins Ungewisse. Am Weg vom Parkplatz zur 94 Meter hohen Brücke fragten wir uns immer wieder gegenseitig: "Warum zur Hölle machen wir das eigentlich?" Dann kamen uns ein Mann und eine Frau entgegen, die beide breit lächelten. Ihrem enthusiastischen Gespräch war unschwer zu entnehmen, dass die beiden gerade das uns Bevorstehende hinter sich gebracht hatten.

Benni-Raich-Brücke: Nur noch wenige Schritte bis zur Bungee-Jumping-Station.

©Alexander Gutmaier

Wahrscheinlich konnte man meine vollen Hosen und die meines Bruders in ihre Richtung riechen, denn der junge Mann mit dem strahlenden Lächeln rief uns motiviert entgegen: "Na Burschen, seid ihr grad am Weg zum Bungee Jumping?" Nicht ganz sicher, ob wir das gleich tatsächlich durchziehen werden, nickten wir nur verlegen. Die Frage, wie es war, konnten wir uns trotz der offensichtlichen Freude des Paares dann dennoch nicht verkneifen. Es folgte eine ausgiebige Schwärmerei, wie lebensverändernd und toll ihre Sprünge waren und dass die beiden auch vorher unfassbar viel Angst hatten, aber sie es nun jederzeit wieder tun würden.

Eine Mitarbeiterin vor Ort legte mir alle Gurte für meinen Sprung an und stand für alle Fragen zur Verfügung.

©Alexander Gutmaier

Fast schon neidisch auf die gute Laune, die die beiden versprühten, setzten wir unsere Füße nun ein wenig mutiger auf die Brücke - und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Die sympathischen Mitarbeiter vor Ort versicherten uns kurz zuvor die Vertrauenswürdigkeit der Seile, welche wohl monatlich mehrmals geprüft werden. Nach dem Unterschreiben einer Einverständnis- und Gesundheitserklärung, ging es erstmal auf die Waage - einmal ohne und einmal mit Gurte, die uns jeweils umgelegt und fest um die Beine und Oberkörper geschnallt wurden. Gewogen wurden wir, um zu beweisen, dass wir dem Mindestgewicht von 50 Kilogramm entsprechen und um zu wissen, welches Equipment für uns benötigt wird.

Kurz vor dem Bungee-Sprung wagte ich noch einen letzten Blick von der 94 Meter hohen Benni-Raich-Brücke.

©Alexander Gutmaier

Viel Zeit zum Nachdenken blieb dann nicht mehr, denn schon stand ich auf dem Steg, der von der Brücke wegging. Auch wenn ich mich nicht viel bewegte, trieb es mir den Schweiß aus jeder Pore meines Körpers. Nervenkitzel und Abenteuer pur. Keine Ahnung, ob mein Körper die Aufregung nicht mehr ertragen konnte und sie deshalb einfach ausblendete, aber interessanterweise verflog meine Angst in diesem Moment beinahe, als hätte ich das Denken an die Mitarbeiter vor Ort abgegeben. Sie fragten noch kurz, ob ich bereit sei und ließen das mittlerweile an mir befestigte Seil schon einmal in die tiefe Schlucht vor mir hinunter. Ich hatte vorweg an viel gedacht, aber nicht, wie schwer das Seil selbst sein könnte, dessen Gewicht mich doch ziemlich herausforderte. Dann gab es noch den Tipp, mit dem Kopf voran zu springen. Das schwere Seil erweckte kurz die Angst, dass es mich unfreiwillig in die Tiefe ziehen könnte, somit wollte ich es erst recht schnell hinter mich bringen. Schon hieß es von der Mitarbeiterin hinter mir laut: "3... 2... 1... Bungee!"

Bungee Jumping: Würde ich es wieder tun?

So ausführlich alle Gefühle, die mich vor dem Sprung übermannten, beschrieben werden können, so wenig Worte kann ich für den Sprung selbst finden, außer dass jegliche Angst und jegliche Bedenken ab dem Moment komplett weg waren, als ich mit den Beinen vom Steg abgehoben bin. Es war ein unglaubliches Freiheitsgefühl und sowohl ich als auch mein jüngerer Bruder, der gleich nach mir gesprungen ist, konnten danach mehrere Stunden unser breites Grinsen nicht aus dem Gesicht bekommen.

Man geht auf alle Fälle an seine Grenzen, aber es ist eher die Ungewissheit im Vorfeld, die nichts für schwache Nerven ist. So schlimm und lang also die Nacht davor war, so großartig war der Bungee-Sprung selbst. Nach ein paar (nicht auffälligen oder ruckartigen) Federungen am Ende des Seils hat man mir nach einigen Sekunden ein weiteres Seil hinuntergelassen, welches ich an meinem Sicherheitsgurt befestigen musste, und dieses zog mich auch schon wieder nach oben. Innerhalb weniger Minuten war der ganze Spaß wieder vorbei.

Tatsächlich finde ich persönlich Achterbahnen mit Loopings und Ähnlichem im Nachhinein betrachtet "schlimmer" und würde jederzeit (vor allem jetzt, mit dem Wissen, was mich beim Sprung erwartet) wieder Bungee-Jumpen gehen. Auch wenn es keine billige Angelegenheit ist, wäre es mir persönlich noch immer jeden Euro wert. Der Sprung hätte vom jetzigen Standpunkt aus betrachtet ruhig noch einige Zeit länger dauern oder einige Meter höher sein können. Lustigerweise hat sich aber auch meine Angst-Grenze seither bemerkbar verschoben. Ich traue mir wieder mehr zu, handle plötzlich wesentlich lockerer im Alltag und nehme nicht mehr alles so furchtbar ernst. Ich würde schon behaupten, durch den Sprung wieder ein Stück meiner jugendlichen Abenteuerlust zurückerlangt zu haben.

Alexander Gutmaier

Über Alexander Gutmaier

Redakteur bei freizeit.at. Der gebürtige Wiener mit dem Spitznamen "Lex" studierte Werbung & Marktkommunikation und machte sich danach auf seinen beruflichen Weg in die großen Redaktionen Österreichs. Dabei war er bereits für Lifestyle- & Mode-Magazine als auch im TV-Bereich tätig. Zu seinen Leidenschaften zählen Musik, Kochen sowie jegliche Art, sich selbst herauszufordern - besonders, wenn er dadurch Dinge zum ersten Mal machen kann.

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