Tobias Moretti: „Ein Maurer leistet das Gleiche wie ein Schauspieler“

Selbstoptimierung und ewig leben: Tobias Moretti im Gespräch über Endlichkeit, westliche Dekadenz und wie er zum Thema Gendern steht.

Hilton, Wien, erster Stock, die große Lounge ganz hinten, mit Blick auf den Stadtpark. Tobias Moretti hält Hof, „Das Netz“ heißt sein neues Projekt, mehrere internationale Einzelserien fügen sich dabei zu einer Gesamterzählung, beleuchtet wird die korrupte Seite des Weltfußballs. In „Prometheus“ (ab 1. 11., 20:15 Uhr, ServusTV) spielt Moretti einen Dopingjäger, der den Tod seines Sohnes verwinden muss und Chef einer mysteriösen Alpen-Hochleistungsklinik wird. Dort werden mit medizinisch fragwürdigen Methoden die besten Spieler der Welt geformt. Ankick für ein spannendes Gespräch.

Herr Moretti: Bestechung, Geldwäsche, Doping – was ist aus unserem guten, alten Fußball geworden?

Die Frage ist: Was ist aus uns allen geworden? Die Welt spiegelt sich im Sport. Der Fußball ist eine Metapher für die gesamte Entwicklung. Was machbar ist, wird gemacht, so perfide es auch sein mag.

Haben Sie als Kind selbst gekickt?

Nein, ich war immer Skifahrer, Motorsportler oder Ausdauersportler. Trotzdem hat mich das Phänomen Fußball stets fasziniert: ein Mannschaftssport – und trotzdem geprägt von Individuen mit demselben Ziel: den Ball ins Tor zu kicken. Das wäre eine Gesellschaftsmetapher: Alle rennen hinter einem Ball her, einer Sache, aus verschiedenen Perspektiven und Motivationen, aber mit einem gemeinsamen Ziel.

In Gefahr: Moretti in "Das Netz" 

©servus tv/BENE MUELLER
Ihr Lieblingsfußballer?

Für mich nach wie vor Messi. Dem schaue ich wahnsinnig gern bei der Arbeit zu. Sicher, es wird andere Große nach ihm geben. Aber dieser Mensch ist doch eine sehr gekonnte Mischung aus Begabung und Charakter. In letzter Zeit ist es auch Mohamed Salah. An dem kann man viel über den kollektiven Nerv sehen. Auch an der Art, wie und wann Klopp ihn ins Spiel schickt.

Wäre ich Teamchef und müsste Sie aufstellen: Wären Sie Torjäger oder Abräumer?

Ich mag die Arbeiter lieber als die Abstauber. Ich erinnere mich an ein Spiel von Bayern München gegen den AC Milan. Ich war fasziniert von Franck Ribéry: Zentrum von allem, ein Motor im Mittelfeld, der doppelt so viel gelaufen ist wie die anderen, weil er immer für alle anderen mitgerannt ist. Ein Kraftwerk des Gemeinschaftsgedankens. Gefährlichster Mann auf der Gegenseite war dieser wahnsinnig eitle Zlatan Ibrahimović. Der stand hauptsächlich vor dem Tor und wartete als Abstauber auf seine Gelegenheit. Tatsächlich war es dann er, der ein Tor schoss. Diese ungustiöse Art hat mich angewidert, nicht nur mich, auch das Stadion, sogar die Milan-Fans.

Tobias Moretti

Tobias Moretti

Tobias Moretti wurde 1959 in  Gries am Brenner in Tirol geboren. Bekannt durch „Kommissar Rex“. Hat drei jüngere Brüder und betreibt mit Frau Julia eine Landwirtschaft und züchtet Rinder. Drei Kinder. Rollen u. a. in „König Ottokars Glück und Ende“, „Das finstere Tal“, „Luis Trenker“, „Das ewige Leben“, „Jedermann“.

Ihre Serie thematisiert Unsterblichkeit und ewige Jugend. Wäre das möglich, was würde es für uns bedeuten?

Sollte die Forschung das realisieren können, hält den Menschen nichts mehr auf, um über den Menschen hinauszuwachsen. Durch Optimierung zur Unendlichkeit verdammt. Mit der dann zu erwartenden Ideologisierung wird das unsere Gesellschaft in Zukunft wahrscheinlich spalten. Letztendlich wird die Frage sein: Was ist der Mensch? Sind wir ein Konglomerat aus verschiedenen Versatzstücken? Wo beginnt er, wo hört er auf? Was bedeutet uns die Vergänglichkeit? Ich glaube, dass das Leben nur deshalb einen Sinn hat, weil es endlich ist und vom Tod bestimmt. Das macht es so besonders.

Nicht sterben zu müssen, das könnte auch eine Frage des Preises werden.

Natürlich. Wer wird künftig welches Organ bekommen können? Wird ein Teil der Welt zur Organbank für die anderen? Hier steht die Demokratie vor unlösbaren Aufgaben, weil Demokratie ja nur die Freiheit gibt, alles möglich zu machen, aber nicht zwangsläufig das Bewusstsein, ob das denn wünschenswert ist. Und gerade das ist das Problem unserer Zeit: dass das Machbare gemacht wird. Und Abhängigkeiten und Wirtschaftsinteressen werden dann die ethischen Bedenken einfach vom Tisch fegen.

Umgelegt auf Ihren Beruf bedeutet Unsterblichkeit auch, was man der Nachwelt mit seiner Arbeit hinterlässt. Was davon Bestand hat. Berücksichtigen Sie das?
Was soll man da berücksichtigen? Man kann nichts berücksichtigen, was man selber nur zum Teil in der Hand hat. Wie gut, wie nachhaltig eine Arbeit wird, hängt von so vielen Faktoren ab. Wenn man Glück hat, ist man Teil eines Wurfs. Wenn es so was wie eine Verpflichtung gibt, dann, dass man, was man kann, so gut wie möglich macht. In all seiner forschen Offensive am Anfang, in all seiner Reflexion am Ende des Lebens. Das ist die Aufgabe von jedem von uns.
Egal, welchen Beruf man ausübt.

Es gibt in dieser Hinsicht keine duale Gesellschaft, also dass einer, der kreativ ist, ein Werk hinterlässt und sich unsterblich macht – und ein anderer nicht. Ein Maurer leistet das Gleiche wie ein Schauspieler. Es ist wesentlich, das zu verstehen. Denn wenn es uns nicht gelingt, das Besondere zum Normalen zu machen, wird sich die Gesellschaft auseinanderdividieren.

Ich bezweifle, dass das Thema Gendern die Menschen in der Ukraine derzeit beansprucht. Toleranz, die muss es geben, selbstverständlich. Aber ob es jetzt zwei oder vier Toiletten für mittlerweile sechs Geschlechter gibt, ist in einem Land, in dem Krieg oder Armut herrscht, garantiert kein Thema.

Vor der Unsterblichkeit kommt die Selbstoptimierung, ein riesiger Gesellschaftstrend. Keiner will mehr mittelmäßig, jeder will perfekt sein. Vor allem schlanker und schöner. Wie sehen Sie das?

Der Begriff Optimierung an sich ist schon schrecklich. Was will man denn optimieren an diesem Schöpfungsphänomen Mensch, mit all den Möglichkeiten, die in uns wohnen? Aber der Mensch ist nicht nur Körper, er ist auch Seele. Das Zeitphänomen Optimierung ist beinahe Blasphemie. Nicht im religiösen Sinne, sondern im sozialen.

Alpintouren gehen, die Rallye Paris-Dakar fahren: Was hat Ihnen der Sport gegeben?

Sport ist in vielerlei Hinsicht überbewertet, zum Teil auch ein Ventil für ein kulturelles Manko. Andererseits schenkt er uns die Möglichkeit, mit Extremsituationen umzugehen. Was passiert mit mir, wenn ich Angst habe? Wie überwinde ich sie? Wie gehe ich mit Niederlagen um? Sport ist Leben. Aber nicht im Sinne eines Leistungs- oder Gesundheits- oder Schönheitswahns, sondern in einem Zusammenspiel von Kopf, Geist, Körper ... das ist faszinierend.

"Das Zeitphänomen Optimierung ist beinahe Blasphemie", so Moretti

©KURIER/Jeff Mangione
Wollten Sie Paris-Dakar auch fahren, um zu erfahren, wozu Sie imstande sind?

Ja, dieses Abenteuer war ein Ausnahmezustand. Ich bin die Sache naiv angegangen, habe das vollkommen unterschätzt, konnte aber nicht mehr zurück. Trotzdem war es das extremste und – im Nachhinein – fruchtbarste und tollste Abenteuer meines Lebens. Plötzlich hat sich eine nie geahnte Zufriedenheit bei mir eingestellt. Das gewohnte Leben war wieder etwas Wunderbares. Ich war wie wachgerüttelt, ging durch die Welt mit großen, offenen Augen.

Planen Sie wieder ein ähnliches Extremerlebnis?

Nein, mittlerweile finde ich mein Leben auch so schon extrem genug.

Wie ticken Sportler?

Sportler sind gewohnt, von frühester Jugend an viel einzustecken – das macht sie unbefindlich. Wir leben hingegen in einer völlig befindlichen Zeit. Das macht Sportler besonders.

Fußball und die Welt: KURIER Freizeit-Redakteur Alexander Kern (links) im Interview mit Tobias Moretti im Hilton in Wien

©KURIER/Jeff Mangione
Was ist Ihr Rezept, mit Schicksalsschlägen umzugehen?

Ich habe weder ein Rezept noch einen Schicksalsschlag bisher so erlitten, dass man aus der Bahn des Lebens geworfen wird. Dafür bin ich dankbar. Es relativiert sich im Laufe des Lebens die Glücksdefinition auf einfache, aber essenzielle Dinge, Momentaufnahmen.

Die Unbefindlichkeit des Sportlers oder die Befindlichkeit der anderen, was ist der Bessere dieser beiden Gegenpole?

Es ist auf jeden Fall besser, gerüstet zu sein für bestimmte Probleme. Richtige Probleme. Denn mit welchen wir uns in unserer westlichen Dekadenz teils beschäftigen, ist unfassbar. Probleme, die 4.000 Kilometer von hier entfernt überhaupt keine Rolle spielen. Ich bezweifle etwa, dass das Thema Gendern die Menschen in der Ukraine derzeit beansprucht. Toleranz, die muss es geben, selbstverständlich. Aber ob es jetzt sozusagen zwei oder vier Toiletten für mittlerweile sechs Geschlechter gibt, ist in einem Land, in dem Krieg oder Armut herrscht, garantiert kein Thema. Und so etwas ist nicht der Maßstab für Gesellschaftskultur.

Besteht die Dekadenz darin, dass es uns zu gut geht?

Es geht der Gesellschaft gerade gar nicht so gut. Da ist die Energiekrise, die Perspektivenlosigkeit der Jugend im Ökonomischen und Ökologischen, und dann diese Orientierungslosigkeit, dass viele sich nicht mehr in das soziale Arbeitsgefüge einordnen wollen. Aber das Erschreckendste und Perfideste ist unser Kriegsgewinnlertum, dass alle in ihrem Bereich in dieser Krise nur noch Gewinn maximieren wollen. Vom Bodenleger bis zu den Ökonomen der Regierung selber.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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