
Jack-Reacher-Autor Lee Child: Warum er Amerika den Rücken kehrt
Die Bücher sind Bestseller, die Reacher-Serie ein Hit: Lee Child über späten Erfolg, Tom Cruise und seine Schreibkrise.
Er ist ein Hüne mit Schultern wie ein Kleiderschrank, dazu intelligent: Jack Reacher, eine Kampfmaschine auf zwei Beinen. Als Vagabund zieht der Ex-Elite-Militärpolizist durch die Lande, sorgt für Gerechtigkeit, bärenstark und unbesiegbar.
Mit Reacher hat Lee Child eine der erfolgreichsten Thriller-Buchreihen der Welt kreiert, mit 60 Millionen Auflage. Zu schreiben begann er, als er seinen Job als Fernsehdirektor verloren hatte. Zwei seiner Romane wurden mit Tom Cruise fürs Kino verfilmt. Die Fernsehserie ist bei Amazon Prime ein Hit. In der dritten Staffel, die auf dem Buch "Der Janusmann" beruht, will Reacher als verdeckter Ermittler einen Drogenschmugglerring auffliegen lassen. Grausame Geheimnisse inklusive.
100 Millionen verkaufte Bücher sind enorm. Haben Sie das im Hinterkopf, wenn Sie einen neuen Reacher-Roman schreiben?
Als ich begonnen habe zu schreiben, wollte ich unbedingt so viele Bücher wie möglich verkaufen. Aber im Showgeschäft ist nichts vorhersehbar. Ich habe davon geträumt, aber nicht damit gerechnet.
Macht der Erfolg Sie ein bisschen nervös, wenn Sie anfangen, die erste Seite zu schreiben?
Wissen Sie, 100 Millionen sind nichts anderes als eine Million, und das ist wirklich nichts anderes als 100.000. Zuerst haben Sie zwei Leser, dann 20, schließlich 200 und irgendwann 2.000 Leser. Schon das ist eine Zahl, die individuell nicht mehr nachvollziehbar ist. Würde ich zum Beispiel jeden Leser zum Essen einladen wollen, um mich zu bedanken, würde ich mehr als fünf Jahre brauchen, wenn ich jeden Abend ausgehen würde.
Wie erinnern Sie sich an Ihre Anfänge?
Ich erinnere mich, wie ich das erste Buch mit Bleistift geschrieben habe, auf einem geliehenen Laptop abtippte und auf das Beste hoffte. Ich weiß noch, diese ersten Jahre der Unbekanntheit. Dann wurde es allmählich größer und größer, bis es plötzlich zu einer weltweiten Sache explodierte.
Tom ist ein toller Mann, guter Freund und großartiger Schauspieler. Aber Alan Ritchson ist die Person, die man an seiner Seite möchte: Groß und stark und unverwundbar.
Sie haben erst mit 40 begonnen zu schreiben und hatten keine Erfahrung. Sie meinten einmal, es wäre gut gewesen, erst so spät zu starten.
Ja, ich glaube, das Schreiben ist eines dieser seltenen Dinge, mit denen man besser als älterer Mensch anfängt. Man hat dann davor ein bisschen gelebt, hat tausende von Büchern gelesen, kennt die Menschen. Schreiben ist perfekt, um spät anzufangen. Meiner Erfahrung nach sind alle erfolgreichen Autoren in der zweiten Phase ihrer Karriere.
Was hat Reacher, das ihn erfolgreicher macht als andere Buchthriller-Serien?
Reacher ist ein Held, den es schon seit tausenden Jahren gibt. Wenn man ein Problem hat, träumt man davon, dass jemand auftaucht, es für einen löst und dann wieder verschwindet. Reacher ist das heutige Beispiel für zeitlose menschliche Sehnsüchte.
Wie gefiel Ihnen im Vergleich zur Serie Tom Cruise als Reacher?
Tom ist ein toller Mann, guter Freund und großartiger Schauspieler. Aber Alan Ritchson ist die Person, die man an seiner Seite möchte: groß und stark und unverwundbar. Tom hatte diese Körperlichkeit nicht, Alan hat sie. Dazu kommt, dass wir in der Serie die Erzählung nicht komprimieren müssen.
Reacher bekommt in Staffel drei eine neue Frau zur Seite. Wie geht es Ihnen dabei, eine weibliche Figur zu schreiben?
Es ist leicht. Ich brauche sechs Monate, um ein Buch zu schreiben, und es ist, als ob ich mir eine Freundin erfinden würde. Ich werde sie also attraktiv machen. Ich will, dass sie Spaß macht und interessant ist. Es ist eine Frau, mit der ich sechs Monate verbringen möchte. Ich habe ständig wechselnde Freundinnen und alle sind wunderbar.

Alan Ritchson in der neuen "Reacher"-Staffel: "groß und stark und unverwundbar"
©jasper savageSie wurden in England geboren. Warum sind Sie in die USA übersiedelt?
Es gibt einen Teil der englischen DNA, der in die Welt hinaus möchte. Das zieht sich durch die ganze Geschichte. Auch ich wollte weg. Obwohl ich jetzt nach England zurückgekommen bin. Ich habe fast 27 Jahre in den USA verbracht und bin erst seit drei Wochen wieder zurück. Ich lebe in einem wunderschönen Nationalpark im Nordwesten von England. Der Lake District ist ähnlich wie Österreich, viele Berge und Seen.
Warum sind Sie nach England zurückgekehrt?
Ich bin zurück im Vereinigten Königreich, weil ich gegen Donald Trump bin. Ich möchte nicht in den USA leben, solange er Präsident ist. Ich denke, dass jeder seine Stimme erheben sollte, sonst verwässert die Opposition.
Sie haben Kamala Harris im Wahlkampf unterstützt. Wie denken Sie über die Zukunft der USA unter Donald Trump?
Ich denke negativ darüber. Er wird eine Menge Schaden anrichten. Möglicherweise wird es eine Generation oder sogar noch länger dauern, um das wieder in Ordnung zu bringen.
Ist Ihnen Amerika ein zu unangenehmer Ort geworden, um dort zu leben?
Ich bin zwar weiß, reich und ein legaler Einwanderer. Trotzdem gefällt mir der Gedanke nicht, dass ich beschimpft werde, nur weil ich nicht dort geboren wurde.
Sie engagieren sich politisch, waren etwa Gegner des Brexits. Ist es wichtig für Sie, sich als Autor auch abseits des Schreibens von Büchern Gehör zu schaffen?
Ich sehe es skeptisch, wenn Schriftsteller oder Schauspieler Einsichten erlangt haben sollen, die anderen vorenthalten geblieben sind. Warum sollte einem Arzt oder Anwalt nicht das gleiche Recht zustehen? Jeder intelligente Mensch, der sich mit der Welt beschäftigt, sollte seine Meinung sagen. Ich habe über den Brexit geschrieben. Ich hielt ihn für eine dumme und schreckliche Politik.
Ihr jüngerer Bruder Andrew führt die Reacher-Serie als Autor mit Ihnen weiter. War er von der Idee von Anfang an überzeugt?
Als ich ein junger Mensch war, hasste ich es, wenn alte Leute nicht Platz für die neue Generation machten. Jetzt bin ich selbst alt und fühle mich moralisch verpflichtet, beiseite zu treten. Andrew und ich sind uns sehr ähnlich. Er war der allererste Mensch auf der Welt, der das erste Reacher-Buch gelesen hat und dessen Meinung ich dazu wissen wollte. Er war der einzige, der analysieren konnte, ob es gut ist oder nicht.
Streiten Sie manchmal über die Handlung?
Wir streiten nicht. Ich bin zuversichtlich, dass er weiß, was er tut. Er ist ein begabter Mensch. Meine Rolle besteht darin, mich zurückzuhalten und ihn machen zu lassen. Wie auch bei der Fernsehserie.
Vor ein paar Jahren wollten Sie aufhören, Reacher-Bücher zu schreiben.
Ich war nervös wegen etwas, das ich bei vielen anderen Autoren bemerkt habe: Ihnen ging die Energie aus, und dann wird das Produkt minderwertig. Ich liebe meine Leser und war besorgt, dass ich diesen Punkt erreichen würde. Ich war also wachsam.
Reacher ist immer der Stärkere, gewinnt jeden Kampf, ist unbesiegbar. Scheint da der Wunsch des Buben Lee durch?
Es ist zum Teil Wunscherfüllung, zum Teil literarische Theorie. Standard ist die Story vom Underdog, der schwache Held in Gefahr, der über sich hinauswächst. Ich wollte es umgekehrt machen: ermutigend und tröstlich für die Menschen, sich vorzustellen, als wären sie die stärkste Person im Viertel und hätten nichts zu befürchten.
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