"SISI UND ICH"

"Sisi & Ich": Ein emotionaler Ritt zweier Frauen

Mit „Sisi & Ich“ kommt ein weiterer Film ins Kino, der das verkitschte Bild der Kaiserin dekonstruiert. Frauke Finsterwalder über ihren zweiten Spielfilm und was Sisi mit Michael Jackson und Batman zu tun hat.

Gräfin Irma (Sandra Hüller) bekommt die Chance, für die berühmteste Frau der damaligen Zeit arbeiten – und das auf der paradiesischen Mittelmeerinsel Korfu. Dafür nimmt sie sogar ein aberwitziges Sportprogramm aus Hürdenlauf und Ringeturnen in Kauf, dabei sieht Kaiserin Sisi (Susanne Wolff) hinter einem Vorhang versteckt zu. Auch die strenge Diät macht Irma mit, süffelt appetitzügelnde Kokaintinkturen und Wassersuppe. Doch die Frauen kommen sich – auch auf Reisen nach Nordafrika und England – näher, „Sisi & Ich“ entwickelt sich von einer grotesken Komödie zur aufwühlenden Liebesgeschichte.

Der Schlüssel zum Film war für Regisseurin Frauke Finsterwalder die Besetzung der beiden Hauptfiguren. Sandra Hüller und Susanne Wolff seien neugierig gewesen, „endlich mal miteinander zu arbeiten. Und sie spielen eben auch zwei Frauen, die sich füreinander interessieren“, sagt sie. Zur Vorbereitung habe sie Tagebücher von Sisis Hofdamen gelesen, „absurde Liebeserklärungen, in denen man den emotionalen Ritt dieser Frauen spürt. Wie sie ihre Chefin verehrt haben und gleichzeitig ihren Launen ausgesetzt waren.“

Frauke Finsterwalder (li.) mit ihren Hauptdarstellerinnen Susanne Wolff und Sandra Hüller (re.)

©Bettina Ausserhofer

Finsterwalder entwickelte aus Sisis letzter Hofdame Irma Gräfin Sztáray eine fiktionale Figur, die mit der Realität wenig zu tun hat. Durch den Fokus auf die späten Lebensjahre Sisis bekam Finsterwalder mehr erzählerische Freiheit. „Das Gute ist, dass es über diese Zeit relativ wenig historisches Wissen gibt. Es gibt auch kaum Fotos. Das hat mich ermutigt, zu erfinden“, sagt sie. „Auch fand ich es interessant, dass Sisi sich im höheren Alter offenbar nicht für ihre Kinder oder ihren Mann interessierte. Ich wollte nicht die Geschichte einer depressiven Ehefrau erzählen. Sondern die Geschichte einer Frau, die sich von den Konventionen emanzipiert hat, es aber trotzdem nicht schafft, sich vollends zu befreien.“

Auf Korfu befindet sich Sisi in einer abgeschlossenen Welt, einer Frauenkommune. Ihr schwuler Schwager, Erzherzog Viktor, darf aber anreisen. „Er ist vielleicht der einzige Mann, der Sisi in dem Film aufrichtig liebt, ohne irgendwelche Hintergedanken“, meint die Regisseurin. Viktor, gespielt von Georg Friedrich, bringt exaltierte Grandezza ins Feriendomizil.

Kaiser am Klo

Nicht gut weg kommt Franz Joseph (Markus Schleinzer). Er hat kurze, mürrische Auftritte und wird mit verzerrtem Gesicht auf der Toilette gezeigt. „Wir haben viel gelacht beim Schreiben über diese Männer“, sagt Finsterwalder zur Arbeit am Buch mit ihrem Partner, dem Schweizer Star-Autor Christian Kracht. „Auch er schreckt vor gewissen Machtmännern und Männerbündnissen zurück. Somit war es für uns kein Problem, den Kaiser als spießigen Aggressor zu porträtieren.“

"SISI UND ICH"

Sisi & Ich

©DCM Film

Dem überlieferten Sisi-Bild entzieht sich Finsterwalder in der Sprache, im modernen Soundtrack (z.B. Portishead) und im Kostümdesign. Finsterwalder wollte „Kleider, die moderne, selbstbewusste Frauen erzählen, keine Rüschen, dafür Hosen beim Reiten, keine Korsetts außerhalb des Höfischen für die Frauen, dafür eines für Erzherzog Viktor.“

"SISI UND ICH"

Sisi & Ich

©Bernd Spauke

Den aktuellen Boom an Sisi-Bearbeitungen kann sie sich nicht erklären, „aber vielleicht ist es ein wenig so wie mit Batman. Da gibt es auch gefühlt jedes Jahr eine Neuinterpretation. Und zum Teil sehr gute Nebenfiguren wie Catwoman oder den Joker.“ Sie habe vor Jahren die Sissi-Filme mit Romy Schneider geschaut, damit ihre Tochter, die im Ausland aufwächst, Deutsch lernt. Finsterwalder war „überrascht, dass ich die Filme jetzt, anders als als Kind und Teenager – da fand ich sie peinlich – toll fand.“

Konkrete Inspiration fand sie dann in einer Doku über Michael Jackson. „Ich fand es faszinierend, wie er es auch aufgrund seines Status als Popstar geschafft hat, die Opfer durch das Aufbauen großer Nähe und das dann wieder Wegstoßen, langsam gefügig zu machen. Den Prozess des Groomings. Ich selbst war auch in solchen ungleichen Beziehungen. Ich wollte das genauer untersuchen.“

Zur Person: Frauke Finsterwalder

Geboren 1975  in Hamburg, Schulzeit zum Teil in den USA. Regieassistentin an Berliner Bühnen, freie Journalistin. Ab 2003 Kurz- und Dokumentarfilme. 2013 folgte ihr erster, preisgekrönter Langspielfilm „Finsterworld“ mit u.a. Sandra Hüller, Corinna Harfouch, Michael Maertens 

Lange Pause
Ihr zweiter Film  „Sisi & Ich“ feierte nun zehn Jahre später Berlinale-Premiere. Im Gespräch erklärt sie die lange Pause mit gesundheitlichen Gründen. Der nächste Kinofilm sei in Vorbereitung und wird „hoffentlich nächstes Jahr gedreht“

"Sisis Borderline-Persönlichkeit und was das mit den Menschen in ihrem Umfeld macht, das hat mich mitgenommen"

Das gesamte Interview mit Frauke Finsterwalder:

Der Mythos Sisi treibt derzeit besonders viele Blüten in Film und Fernsehen, ohne dass es ein spezielles Jubiläum gegeben hätte. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich weiß es wirklich nicht. Aber vielleicht ist es ein wenig so wie mit "Batman". Da gibt es ja auch gefühlt jedes Jahr eine Neuinterpretation dieses Charakters. Und zum Teil sehr gute Nebenfiguren wie Catwoman oder den Joker.

Seit wann beschäftigt Sie die Idee zu einem Film über die Kaiserin und ihr nächstes Umfeld? Was war der Anstoß dazu?

Das Thema lag nicht besonders auf der Hand bei mir. Aber Auslöser waren die alten Sissi-Filme mit Romy Schneider, die ich mit meiner Tochter, die im Ausland aufwächst, angesehen habe. Damit sie Deutsch lernt. Und ich war überrascht, dass ich die Filme jetzt, anders als als Kind und Teenager – da fand ich sie peinlich –toll fand. Aber es macht ja keinen Sinn sowas heute noch mal zu wiederholen. Ich erzähle viel mehr die Geschichte der Hofdame Irma, und was mit ihr passiert, als sie auf Sisi trifft. Ich habe mich in jener Zeit sehr stark mit Machtverhältnissen beschäftigt. In Freundschaften, Arbeitsbeziehungen. Dann kam die Dokumentation über Michael Jackson heraus. Ich fand es faszinierend, wie er es auch auf Grund seines Status als Popstar geschafft hat, die Opfer durch das Aufbauen großer Nähe und das dann wieder Wegstoßen, langsam gefügig zu machen. Den Prozess des Groomings. Ich selbst war auch schon in solchen ungleichen Beziehungen. Ich wollte das genauer untersuchen.

Zu Beginn befindet sich Sisi in einer abgeschlossenen Welt. Fast ausschließlich von Frauen umgeben, in idyllischer Umgebung. Erst nach und nach spielen Männer eine Rolle - und die Probleme nehmen zu. Wie wollten Sie diese Männerrollen zeichnen?

Einer der ersten Sätze, die Irma im Film sagt ist: „Bei Männern musss ich immer an Tischtücher denken.“ Das scheint Rätselhaft, ist aber eine Vorbereitung darauf, was dann später kommt. Ich habe das Drehbuch ja mit meinem Partner, dem Schriftsteller Christian Kracht zusammengeschrieben. Auch er schreckt, so wie ich, vor gewissen Machtmännern, oder Männerbündnissen zurück und kommt mit ihnen nicht zurecht. Somit war es für uns beide kein Problem, den Kaiser als spießigen Aggressor zu portraitieren. Er und einige andere Herren kommen also in dem Film nicht besonders gut weg. Wir haben viel gelacht beim Schreiben über diese Männer. Und andere wie zum Beispiel Graf Berzeviczy, sind engste Vertraute. Der Graf soll eigentlich bei Sisi spionieren, und dem Hofe berichterstatten, was da in Griechenland vor sich geht. Er tut es aber nicht, denn er selber ist ziemlich zufrieden in dieser Welt der Freiheit von Frauen umgeben. Das ist ziemlich rührend. Und der schwule Erzherzog Viktor ist vielleicht der Einzige Mann, der Sisi in dem Film aufrichtig liebt, ohne irgendwelche Hintergedanken. Viktor und Berzeviczy sind Männer, die wir als Autoren eher sympathisch finden.

Bei aller Anpassung an höfische Gepflogenheiten und Schönheitsideale wird Kaiserin Elisabeth immer wieder als Beispiel für einen frühen Feminismus betrachtet. Ein Feminismus, den sich damals nur ganz wenige Frauen überhaupt leisten konnten. War das ein wichtiger Aspekt für Sie?

Nein, denn das was man heute als Feminismus bei Sisi hineininterpretieren will, war ja im Adel des 19. Jahrhunderts absolut normal. Man durfte damals als Frau aus dieser Schicht Reisen, Lesen und Schreiben, Sprachen lernen. Reiten, Schwimmen, Fechten, all das war, anders als Frauen aus anderen Schichten, Teil der Erziehung. Auch Affären waren erlaubt, mit Männern und Frauen, solange sie nicht an die Öffentlichkeit gerieten. Tattoos auch. Diesen Aspekt fand ich eher unspektakulär. Aber Sisis Borderline- Persönlichkeit und was das mit den Menschen in ihrem Umfeld macht, das hat mich mitgenommen. Ihre Position erlaubt es ihr als Kaiserin, ihre Launen auszuleben. Das fand ich interessant, denn Frauen, die sich außerhalb der Konventionen verhalten, werden stark verurteilt, man nennt sie gerne „schwierig“ Ich war neugierig zu sehen, was passiert, wenn eine Frau auf Grund ihrer Position so sein darf wie sie will und wie sie sich fühlt, ohne Rücksicht auf andere. Ohne dass ich sie dafür bewerte.

Wie geht es Ihnen nach 90 Minuten „Sissi“ von Ernst Marischka mit Romy Schneider?

Erschöpft, aber gut. Der dritte Teil ist, finde ich, großes Kino. Eindringliche Bilder und eine sehr traurige Kaiserin. Das berührt mich schon.

Wie kamen Sie auf die Figur Irma Gräfin Sztáray von Sztára und Nagy-Mihály?

Ich habe Tagebücher von Sisis diversen Hofdamen gelesen. Das sind absurde Liebeserklärungen, in denen man den emotionalen Ritt dieser Frauen spürt. Wie sie ihre Chefin verehrt haben und gleichzeitig ihren Launen ausgesetzt waren. Ich habe daraus eine fiktionale Figur entwickelt, die so heißt, wie eben die Hofdame die historisch am Ende von Sisis Leben im Dienst war. Die von Sandra Hüller gespielte Irma hat mit der Realität nicht viel zu tun. Das Original hatte zum Beispiel ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Mutter und diese war auch nicht so brutal und gemein, wie die Mutter im Film.

Sie scheinen bei den Hauptrollen nicht an originaler Sprachfärbung interessiert gewesen zu sein. Ein bewusstes Stilmittel, um eine Distanz zum übergroßen Klischee zu schaffen?

Sie meinen, warum Sisi nicht Bayerisch spricht und Irma nicht mit ungarischem Akzent? Das habe ich ehrlich gesagt keinen Moment lang in Erwägung gezogen. Weil so ein historischer Realismus für mich als Geschichtenerzählerin nicht wichtig ist. Für mich war Sandra Hüller einfach von Anfang an die Figur der Irma und Susanne Wolff Sisi. Ich wollte, dass die Beiden natürlich sprechen, in einer Sprache, in der sie sich sicher fühlen, um zeitgenössische Themen behandeln zu können. Wichtiger als Stilmittel war für mich die körperliche Haltung der Schauspielerinnen. Dass sie niemals „höfisch“ gerade und steif sitzen. Und eben wie Menschen im Privaten auch mal auf dem Fußboden. Dass man sich viel berührt. Das ist für Irma die große Überraschung, wenn sie nach Korfu kommt. Hier gelten ganz andere Regeln, als sie es am Hofe erwartet hat.

Beide Hauptfiguren haben nicht einmal bei ihren Müttern Rückhalt. Ein glückliches Leben scheint von vornherein unmöglich. Was macht die Beziehung zwischen Sisi und Irma aus?

Der Schlüssel ist die Besetzung durch Sandra Hüller und Susanne Wolff. Das sind zwei großartige Schauspielerinnen, die gegenseitig sehr großes Interesse aneinander haben, und neugierig waren, endlich mal miteinander zu arbeiten. Und sie spielen eben auch zwei Frauen, die sich füreinander interessieren. Irma wird förmlich von Sisi und ihren emotionalen Zuständen mitgerissen und Sisi findet Irma interessant genug, sie um sich zu dulden und ihr sogar eine gewisse Nähe zu erlauben.

Sie haben in relativ kurzer Zeit viele Kilometer von Drehort zu Drehort zurückgelegt, Sandra Hüller hat das in einem Interview als „ganz schönen Ritt“ bezeichnet. Wie blicken Sie auf die Dreharbeiten zurück?

Ich glaube, dass es für die beiden Hauptdarstellerinnen emotional eine große Herausforderung war, die angespannte Beziehung der beiden Frauenfiguren über viele Monate zu tragen. Wir haben nicht chronologisch gedreht, mussten ziemlich im Buch herumspringen.  Ich muss aber sagen, dass sich für mich als Regisseurin bei diesem Film insgesamt alles leicht anfühlte. Es hat riesigen Spaß gemacht hat. Ich hatte bis zum Ende ein sehr tolles Team um mich, viele Menschen, die ich auch privat mag, das war jeden Tag eine große Inspiration.

Ihr erster Spielfilm, „Finsterworld“, liegt zehn Jahre zurück. Ist das eine Frequenz, die sie weiterführen wollen, oder haben Sie - und Christian Kracht - ganz andere Pläne?

Die lange Pause hatte bei mir leider gesundheitliche Gründe. Aber ich liebe meinen Beruf. Mein nächster Kinofilm ist schon in Vorbereitung und wird hoffentlich nächstes Jahr gedreht.

Was waren die Vorgaben für das Kostümdesign?

Bequeme, elegante Kleider, die moderne, selbstbewusste Frauen erzählen. Keine Rüschen, dafür Hosen beim Reiten. Keine Korsetts außerhalb des Höfischen für die Frauen, dafür eines für Erzherzog Viktor. 

Welche erzählerischen Möglichkeiten ergaben sich durch den Fokus auf die späten Lebensjahre Sisis?

Das Gute ist, dass es über diese Zeit relativ wenig historisches Wissen gibt. Es gibt auch kaum Fotos. Das hat mir große Freiheit gegeben und mich ermutigt, zu Erfinden. Auch fand ich es interessant, dass Sisi sich im höheren Alter offenbar nicht für ihre Kinder oder ihren Mann interessierte. Ich wollte nicht die Geschichte einer depressiven Mutter oder Ehefrau erzählen. Sondern die Geschichte einer Frau, die sich von den Konventionen emanzipiert hat, es aber trotzdem nicht schafft, sich vollends zu befreien.

Groteske Situationen haben Sie diesmal sparsamer eingesetzt. Es entsteht der Eindruck, dass Ihnen dieser Stoff sehr wichtig war, was auch letztlich erzählerisch zu betonter Ernsthaftigkeit führt. Stimmt das?

Der Film hat ja im ersten Teil komödiantische, zum Teil fast alberne Zwischentöne. Aber es geht hier um Freundschaft, Machtverhältnisse und Missbrauch auf vielen Ebenen. Das sind keine Themen, über die man leichtfertig lachen kann. Und so sind viele Szenen so geschrieben, dass einem das Lachen vielleicht ein wenig im Halse stecken bleibt.

Peter Temel

Über Peter Temel

Seit 2009 beim KURIER. Zunächst Entwicklung des Kultur-Themenangebots auf kurier.at. Später bei härteren Themen der Innen- und Außenpolitik angelangt, dann Aufbau und Gestaltung des Satire-Portals "KURIER mit Schlag". Aktuell wieder im Kulturbereich verankert und mit Freude TV-Tagebücher schreibend. Habe eigentlich immer "was mit Medien" gemacht, Geschichte und Philosophie studiert. Privat stehen Fußball, Skifahren, Wandern hoch im Kurs.

Kommentare