Keanu Reeves: „Ich führe ein ziemlich normales Leben“

Der Grund, warum wir alle hier sind, ist der neueste Teil einer Erfolgssaga: „John Wick: Kapitel 4“ kommt am 22.3. ins Kino. 2014 startete der erste Film über einen Auftragskiller im Ruhestand. Als Wick überfallen und der Hund seiner verstorbenen Frau getötet wird, setzt er zu einem blutigen Rachefeldzug an. Das war stylish und spannend, ungemein gewalttätig und wollten ungemein viele Menschen sehen. Auf 2,4 Millionen Kinozuschauer kamen die ersten drei Kapitel.

Nun also der nächste Streich. Davon, die Reihe auf ein neues Level zu heben, spricht der Regisseur. Tatsächlich bietet der Film eine Hochschaubahnfahrt an Action, perfekt choreografiert, visuell beeindruckend und ein wohl nie zuvor da gewesenes Action-Gewitter. In Osaka und Berlin spielt die Story, Paris wird von Wick und den Killern, die ihn hetzen, quasi in Schutt und Asche gelegt. „Es gibt nicht weniger als 14 große Action-Sequenzen“, weiß Reeves, die Verfolgungsjagd durch Paris sei „episch“. „Ich liebe John Wick, seinen Einsatz, Engagement, Willen. Ich liebe seine Einstellung, niemals aufzugeben.“

Schüchterner Star

So viele Schüsse im Film fallen mögen, so sparsam geht sein Filmheld mit Worten um. Und auch Keanu Reeves ist keine Plaudertasche, die gern Schnurren aus dem Nähkästchen erzählt. Als er den dunklen, ganz in Schwarz eingerichteten Raum betritt, in dem eine beinahe sakrale Stimmung herrscht und in dem man zusätzlich die bodenlangen Vorhänge zugezogen hat, wirkt er wie aus der Welt gefallen. Das Entrückte, das Reeves in all seinen Filmen umflirrt, verkörpert er auch in persona.

Anfangs wirkt er, als wollte er gerade überall sein, bloß nicht hier. All die Leute, die auf ihn warten, Fragen stellen möchten. Die Aufmerksamkeit, sie scheint ihn zu verunsichern. Davor schützt ihn auch der dunkle Anzug nicht, den er trägt, und die Krawatte. In einer Star-Welt, die vor Selbstbewusstsein strotzt, ist Reeves Trumpf sichtbare Verletzlichkeit. Keanu, der Rätselhafte. Die wallenden Haare trägt er schulterlang wie der Heiland, dazu dichten Vollbart, leicht von grauen Strähnen durchsetzt. Aus ihm etwas herauszubekommen erscheint bald so schwierig, wie Wasser aus einem Stein zu pressen. Doch dass die Action im neuen „John Wick“ diesmal ganz besonders aufwendig und spektakulär geworden ist, weiß auch er.

Es hat Spaß gemacht, wieder in einem Muscle-Car zu sitzen und diese Autoverfolgungsszenen zu filmen. Ich konnte ein paar Dinge tun, die mir in der realen Welt sonst nicht möglich sind. Es gab jede Menge Autos, ich versuchte, nicht von ihnen überfahren zu werden, dann wieder während voller Fahrt aus ihnen auszusteigen. Das alles zu einem Bild zusammenzufügen war herausfordernd. Mir geht es darum, die Vision des Regisseurs zu verwirklichen – das ist die größte Herausforderung für mich.

Den Umgang mit dem Nunchaku, zwei Holzstücke, die durch eine Kette miteinander verbunden sind und so eine gefährliche Waffe ergeben. Einerseits will man sicher damit umgehen, andererseits den richtigen Rhythmus in der Handhabe dafür finden. Es braucht wirklich Zeit, um diese Technik zu erlernen. Das war brutal, gerade, was die Kampfchoreografie dieses Films betrifft.

Ich hatte die Möglichkeit, vor den Dreharbeiten drei Monate lang mit Dave Camarillo, einem sehr guten Jiu-Jitsu-Trainer, zu arbeiten. Er hat mir beigebracht zu kämpfen, gleichzeitig war sein Mindset wirklich wunderbar. Ich war fleißig und versuchte, alles von ihm zu lernen, was ich nur konnte.

Kämpfen, und übers Kämpfen zu reden: Keanu Reeves fällt es leichter, über die Kunst des Handkantenschlags zu erzählen, als alles andere. Der Kanadier, in Beirut geboren, und mit hawaiischen und chinesischen Einflüssen väterlicherseits, dessen Name „kühle Brise“ bedeutet, ist Martial-Arts-Fan. Im Action-Fach hat der Mann, der als geheimnisvoller Neo in den „Matrix“-Filmen das Fantasy-Genre revolutionierte, seine Bestimmung gefunden. Hier kann er, mit wenigen Worten und tollem Kampfstil, sein größtes Atout entfalten: sein Charisma.

Easy Rider

Er liebe die Arbeit mit Waffen, erzählt Reeves. Die Technik fasziniert ihn. Auch mit Pfeil und Bogen zu hantieren, trainierte er für den Film. Wenn man noch etwas über Reeves Vorlieben wissen muss, dann ist es aber das: sein Hang zu schnellen Motorrädern. Eine 22 Zentimeter lange Narbe an seinem Bauch erinnert daran. Zugezogen bei einem schweren Unfall, 1998, erlitt er einen Milzriss. Daran, seiner Leidenschaft nachzugehen, hindert ihn das aber nicht. Er besitzt eine beeindruckende Privatsammlung an heißen Öfen, darunter eine 1973 Norton Commando 850 MK2A sowie die Ducati 998 aus „Matrix Reloaded“. Und er gründete 2011 seine eigene Marke: Arch Motorcycle. Speziell für Kunden maßgefertigte Modelle, sehr rasant. Das ist Keanu, der Easy Rider.

Leider konnte ich nicht so viele Bike-Szenen im Film unterbringen, wie ich es mir erhofft hatte. Aber was ich machen durfte, hat dann wirklich Spaß gemacht. Einen Wheelie zu machen etwa. Und weil es John Wick ist, funktioniert er das Motorrad selbstverständlich zu einer Waffe um. Aprilia war so gnädig, uns mit Bikes auszustatten. Ich liebe es, auf zwei Rädern unterwegs zu sein.

So viel zum Action-Talk. 58 Jahre ist Reeves jetzt alt. Er hat mit Regisseuren wie Bernardo Bertolucci oder Gus Van Sant gedreht, mit „Matrix“ Filmgeschichte geschrieben, war dann von Hollywood abgeschrieben, bis ihm mit den „John Wick“-Filmen ein fulminantes Comeback gelang. Wie lange hat er ihn wohl noch in sich, den Action-Star?

Liam Neeson, er ist eine Legende, nicht wahr? Er ist unglaublich, etwas ganz Besonderes. Was den Körpereinsatz angeht, wird es tatsächlich nicht leichter mit den Jahren. Das gehört wohl dazu. Aber immerhin habe ich die Chance, es zu versuchen. Ich kann mich nur glücklich schätzen, eine solche Karriere und Möglichkeiten zu haben. Ich finde das Action-Genre schön. Es hat seine Herausforderungen, und wenn man älter ist, braucht man auf jeden Fall mehr Erholung.

Auch ein Keanu Reeves braucht seine Pausen. Er ist eben doch ein Mensch wie du und ich. Berühmt ist seine Bescheidenheit und Bodenständigkeit. In einem Video aus 2011 ist zu sehen, wie er mit der U-Bahn fährt und einer Frau seinen Sitzplatz anbietet. Für die Stuntcrew von „Matrix“ verzichtete er auf einen Teil seiner Gage. Zusätzlich kaufte er jedem eine Harley-Davidson.

Vielleicht sind es die vielen Schicksalsschläge, die er erleiden musste, die Reeves nie abheben ließen. Sein bester Freund River Phoenix starb an einer Überdosis. Reeves Tochter wird tot geboren. Seine Partnerin starb bei einem Autounfall. In den Neunzigerjahren pflegte er seine an Leukämie erkrankte Schwester. Trotz aller Tragik hat Reeves einen positiven Blick aufs Leben beibehalten und verströmt den Gleichmut eines buddhistischen Weltenführers. 

Erklären kann ich mir das auch nicht. Aber ich weiß all den guten Willen zu schätzen. Offensichtlich gefällt den Leuten, was ich mache.

Es berührt mich. Und es ist sehr ungewöhnlich. Aber ich führe ein ziemlich normales Leben. Das Leben, das ich brauche. Nur manchmal, für einen Film, tausche ich es ein. Und dann gehe ich wieder zurück zu meinen Leuten. 

Ruhm ist schon irgendwie seltsam. Wenn Leute die Wände deines Hauses hochklettern und versuchen, einzubrechen. So etwas ist nicht gut. Das mit den Bakterien hingegen, das amüsiert mich. 

Das Gespräch neigt sich dem Ende zu. Bleibt noch eine Frage. Reeves soll seine zwei kultigsten Rollen gegeneinander abwiegen. 

Ich bin für beide Rollen wirklich dankbar. Ich liebe beide Filme, die Charaktere und die Filmemacher, mit denen ich dafür zusammenarbeiten durfte. Beide Rollen haben mein Leben verändert und waren außergewöhnliche Erfahrungen. Ich weiß nicht, ob ich sie vergleichen sollte. Sie sind so unterschiedlich, und doch haben sie Gemeinsamkeiten. John Wick leidet an einem schmerzhaften Verlust der Liebe, und Thomas Anderson hat diese Sehnsucht, viel zu begreifen. Das ist, was sie eint: die Liebe.