Polly Adler: Interview mit den Schauspielerinnen des neuen Stücks

Ein Gespräch der besonderen Art: Bevor Petra Morze & Co. das freizeit.live-Fest und das Rabenhof Theater rocken, hielten sie eine exklusive Audienz. Und zeigten sich ebenso charmant wie scharfsinnig,

"Knietief im Glamour“ ist die zweite Kooperation der Schauspielerinnen Petra Morzé, Sona MacDonald und Sigrid Hauser mit der so scharfzüngigen wie respektlosen Queen of "freizeit"-Kolumne Polly Adler, hinter der natürlich Autorin Angelika Hager steckt. Bei Prosecco und Plätzchen plauderte das Quartett über Lifestyle, Wokeness und Rollentausch, Bodyshaming, Männerfantasien – und natürlich ihr aktuelles Programm, das auch beim freizeit.live-Event im Palais Liechtenstein zu sehen sein wird.  

Was hat Angelika Hager gegen drei Ausnahmeschauspielerinnen und -Sängerinnen in der Hand, dass die für sie auf Müllhalden posieren und sich im Rabenhof-Theater gegenseitig auf die Schaufel nehmen, während sie knietief durch etwas brüchigen Glamour waten?

Petra Morzé: Wollen Sie das wirklich wissen? ... Ich kann ganz offen und ehrlich sagen, dass es das gar nicht braucht, dass Angelika etwas gegen uns in der Hand hat. 
Sigrid Hauser: Sie hat einfach ein wirklich beeindruckendes Œuvre geschaffen. Und die Menschen, die zu unseren Aufführungen kommen,  feiern das begeistert ab. Da ist es einfach eine Freude, dabei zu sein! 
Sona MacDonald: Es macht tatsächlich Menschen glücklich ... 
Petra Morzé: Sie freuen sich, dass jemand ausspricht, was sie denken oder sich manchmal gar nicht zu denken trauen.
Sie nehmen sich auch im aktuellen Stück kein Blatt vor den Mund. Jeder bekommt sein Fett ab – wenn etwa „Transmänner auf ihre Menstruationsrechte pochen“. Ecken Sie da nicht immer wieder an?
Angelika Hager: Natürlich. In dem konkreten Fall auch sehr direkt, bei meiner Tochter. Die Formulierung ist ja eine Anspielung auf Schriftstellerin J. K. Rowling, die sich mit ihren Aussagen zur Transgender-Debatte in Schwierigkeiten brachte. Meine Tochter wollte damals sämtliche Harry Potter-Romane – die sie wirklich geliebt hat – sofort ins Altpapier schmeißen. Und mit solchen Aussagen wird man ganz schnell zum Feindbild „TERF“: Trans-exclusionary radical feminist.
©Kurier/Juerg Christandl
War witzig sein früher einfacher? Also bevor wir „woke“ wurden?
Angelika Hager: Mir ist das relativ egal. Nein, eigentlich liebe ich es jetzt ganz besonders, provokativ zu sein. Denn ich finde es grauenhaft, wenn überall die moralischen Hochkommissare stehen und mit dem Scherzfallbeil winken. Satire und Karikatur überzeichnen, verzerren, überspitzen. So funktioniert Humor seit jeher. Wenn du überall Schaumpolster einbauen musst, damit's ja niemanden weh tut, dann kannst du auch gleich zusperren.
Sona MacDonald: Wobei wir uns ja meistens selbst auf die Schaufel nehmen.
Sigrid Hauser:  Aber natürlich darf man andere auch noch auf die Schippe nehmen. Das stimmt ja nicht, was überall behauptet wird, „dass man nichts mehr sagen darf“. Man muss ja nicht verletzend sein dabei! Und es ist auch okay, wenn Menschen sich dann wehren. Eine Dame hat sich etwa über einen Gag mit einem Kleinwüchsigen aufgeregt und uns darauf angesprochen. Das fand ich gut. Und sie hatte auch vollkommen Recht. Es gibt auch andere Möglichkeiten, Witze zu machen – vielleicht erneuert sich durch diese Interaktionen ja auch der Humor. Ich betrachte Feedback eigentlich immer eher als Bereicherung. 
Weil wir zuvor gerade das Transgender-Thema gestreift haben: Zwei von Ihnen haben in der vergangenen Saison in Hosenrollen geglänzt. Sigrid Hauser als Frosch in der Fledermaus und Sona MacDonald gleich drei Mal,  als Salieri, als Prospero in Shakespears „Sturm“ und als Mackie Messer in der „Dreigroschenoper“. Wie fühlte sich der Rollentausch an?
Sona MacDonald:  Aufregend, ein großer Anreiz. Mackie wurde ja noch nie mit einer Frau besetzt. Ich glaube, es ist eine tolle Möglichkeit, denn vielleicht hören die Zuschauer anders auf den Text, vielleicht erkennen sie,  was hinter der vertrauten Fassade ist, erkennen den Menschen dahinter. Aber es war auch sehr schwer ... weil man natürlich schon die Frage im Kopf hat: Wer wird da unten im Zuschauerraum dagegen sein, dass ich als Frau den Mackie spiele? Das macht schon auch was mit dir.
Sigrid Hauser: Ja, man wird schon sehr genau beobachtet ... 
Sona MacDonald: Dabei ist es in der Opernwelt ganz selbstverständlich, Octavian im Rosenkavalier! 
Sigrid Hauser: Selbst in der Fledermaus, der Orlofsky! Aber ob der Frosch Mann oder Frau ist, fällt dann plötzlich ins Gewicht. Vielleicht, weil er so eine Art Nationalheiliger und eben wirklich sehr beliebt ist. Es war wahnsinnig spannend. Als ich zum ersten Mal auf die Bühne bin, konnte man eine Stecknadel fallen hören. 
Wie nähert man sich dem Geschlechtertausch an?
Sigrid Hauser: Wir versuchen, uns in das andere Geschlecht einzuleben, es auszuloten und vor allem authentisch darzustellen. An welcher Stelle brauche ich andere Kraft, andere Energie – wie spiele ich mich dort hin? Aber ich finde eigentlich, einen Mann zu spielen ist leichter. Erstens haben sie immer die bequemeren Sachen an, man muss nicht aufpassen, wie man sich hinsetzt, dass man nicht über den Rocksaum stolpert, man muss keine hohen Schuhe tragen. Und zweitens muss ich die Frau, die ich spiele, auch erst kreieren. Denn diese ganzen Bühnen-Diven existieren in Wirklichkeit ja nicht
Wie darf man das verstehen?
Petra Morzé: Im Grunde sind diese Frauen Männerfantasien.
Sona MacDonald: Auch wenn man sich die Filme bis in die 60er- und 70er-Jahre anschaut. Die meisten Autoren waren Männer. Und die Regisseure, die Produzenten. Das hat sich erst in den 90ern zu verändern begonnen.
Sigrid Hauser:  Wir Frauen haben  diese Fantasien und angeblichen Ideale  auch selbst immer wieder reproduziert. Davon müssen wir uns befreien, das sehe ich als große Aufgabe für uns. Aber was ist ein befreiter weiblicher Blick? Ich bin da noch am suchen.
Petra Morzé: Eine Frau ist immer „zu“. Zu dick, zu dünn, zu groß, zu alt – bei einer Frau passt's nie oder zumindest wird ihr dieses Gefühl gegeben. Und sie muss alles dafür tun, diesen Makel auszugleichen. So lange sie jung ist, schafft sie das irgendwie, da wird sie ausgequetscht, und dann kann man sie nicht mehr brauchen. In den USA ist ja ein Faktor bei der Besetzung auch, ob du als Frau „fuckable material“ bist, wie Franka Potente nach ihrem Hollywood-Ausflug berichtet hat. Das muss man sich einmal vor Augen führen!

Gelten diese Mechanismen auch abseits von Bühne und Leinwand, also im richtigen Leben?

Angelika Hager: Da muss man doch nur einmal auf Instagram schauen. Junge Frauen inszenieren sich wie Pornostars, andere gefallen sich als Trad-Wife-Influencerinnen und präsentieren einen Lifestyle als 50er-Jahre Hausfrau, nach dem Motto: Mein Mann verdient genug, ich muss nicht arbeiten. Und Frauen unseres Alters trauen sich nicht, zu ihrem Gesicht und ihren Falten zu stehen, sie benutzen 70 verschiedene Digitalfilter um sich glattzubügeln, jünger und schlanker auszusehen.

Ein Phänomen, mit dem Sie sich  auch in ihrem aktuellen Programm beschäftigen?

Angelika Hager: Natürlich, wir scheuen vor KEINEM Krisengebiet zurück. 

Polly Adler: "Knietief im Glamour"

Polly Adler: "Knietief im Glamour"

Sigrid Hauser, Petra Morzé, Angelika Hager und Sona MacDonald sind mit „Knietief im Glamour“ am 6., 13. und 20. Oktober jeweils um 11 Uhr im Theater Rabenhof zu sehen, rabenhoftheater.com

Wie im Text zur Sprache kommt, hat Petra Morzé tatsächlich sechs Geschwister. Darf man daraus schließen, dass auch alles andere im Stück zu 100 Prozent der Wahrheit entspricht?

Sigrid Hauser, Sona MacDonald, Petra MorzÉ: Um Gottes Willen, nein!
Angelika Hager: Wir stülpen natürlich unser Innerstes nach außen – und ich plündere schamlos die Biografien meiner wunderbaren Kolleginnen. Das hat dann schon ETWAS Persönliches, das wir weiterspinnen und das zu Improvisationen führt. Aber natürlich hat sich keine, wie in einer unserer Nummern, auf Parship in einen maximal Kleinwüchsigen verliebt. Der Terminus Zwerg ist ja inzwischen ein No-Go. 

Interview mit Polly Adler, Petra Morze, Sona MacDonald, Sigrid Hauser

Hahn im Korb: Gleich mit vier außergewöhnlichen Frauen durfte Redakteur Andreas Bovelino einen Nachmittag verbringen... 

©Kurier/Juerg Christandl

Womit wir wieder beim  Thema Bodyshaming wären ...

Angelika Hager: Ich mach ständig Bodyshaming auf der Bühne – vor allem an mir selbst. Wir alle tun das. Das ist vielleicht Teil des Erfolges, weil unsere Zuschauerinnen denken: Schau, die ham die gleichen Probleme wie wir – und die reden auch noch drüber!  
Sona MacDonald: Selbstironie ist ein wesentlicher Teil des Konzepts.
Angelika Hager: Und dass wir mit Kraft der Selbstironie all diese Dinge beackern, erleichtert die Menschen irgendwie, von denen manche mehrere Male in „Knietief im Glamour“ kommen. Denn wir liegen mit all unseren Schwächen, Versagensängsten und Defiziten auf dem Wühltisch.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

Kommentare