Superstar Moby im Interview: "Musik ist nur bewegte Luft"

Zwischen Neurobiologie und Quantenphysik hatte Moby nun doch Zeit für ein neues Album mit Ausnahmekönnern wie Gregory Porter, Mit der "freizeit" sprach er im Interview auch über seinen berühmten Vorfahren.

Mehr als 20 Millionen verkaufte Platten, Preise über Preise, volle Tanzhallen und Hits, die jeder kennt, nicht nur weil sie gerne für Erfolgsserien wie "Stranger Things" verwendet werden.

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Trotzdem würde niemand den Kopf nach dem kleinen blassen Mann drehen, wenn er die Mariahilfer entlangschlapfte. Richard Melville Hall ist wahrscheinlich der unwahrscheinlichste Popstar, der je die Charts beherrschte. Das Auffallendste an ihm sind seine Tattoos und damit fällt heute niemand mehr auf. Dafür spricht seine Musik für ihn – und Mr. Moby spricht mit der über sein neues Album Resound NYC, die heutige Jugend, und seinen berühmten Großonkel Herman Melville.

Was hat Sie dazu bewegt, einige Ihrer größten Hits komplett neu aufzunehmen?
Auf vielen dieser Songs habe ich alte Vocal-Samples verwendet. Nun wollte ich versuchen, diesen Aufnahmen neues Leben einzuhauchen. Eine neue Stimme zu geben. Das funktionierte aber nur, indem ich auch die komplette Musik neu einspielte.
Die „alten Stimmen“ stammen sehr oft von Aufnahmen, die Alan Lomax in den 1930ern und 1940ern in den Südstaaten für die Kongressbibliothek gemacht hat. In Kirchen und auf Feldern oder in Hinterhöfen. Faszinierende Dokumente, die durch Sie ein Millionenpublikum erreicht haben ...
Ja, die sind in der Tat etwas ganz Besonderes. Und sie sind ja nicht weg, die Aufnahmen gibt es nach wie vor. Aber jetzt, 20 Jahre später eben auch mit neuen Arrangements und Vocals. Und auch manche dieser neuen Stimmen haben faszinierende Geschichten ...
Zum Beispiel?
Das sind so viele, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll ... „Run On“ etwa. Da gibt es diese wunderbare Soul-Sängerin in Buffalo, New York, sie heißt Danielle Ponder, die ich angefleht habe, diesen Song zu singen. Bevor sie ins Studio kam, war sie im Krankenhaus bei ihrem alten Dad. Und sie hat ihm erzählt, dass sie diesen Song singen wird. Und ihr 89-jähriger Vater, dem es wirklich nicht gut ging, bekam leuchtende Augen und er erzählte ihr, dass er dieses Lied schon als kleiner Bub gesungen hat. Im tiefen Süden im frühen 20. Jahrhundert, aus einer Zeit, deren Lebensumstände wir uns heute kaum vorstellen können. Danielle nahm ihn mit ihrem Handy auf, als er ihr schließlich den Song vorsang. Und sie brachte die Aufnahme mit ins Studio.
Und die konnten Sie verwenden?
Ja, ich hab sämtliche Instrumental-Tracks, die wir bereits im Kasten hatten, weggeschmissen, weil sie viel zu mächtig produziert waren für die Stimme eines 89-Jährigen. Wir haben alles neu aufgenommen, und so singt Danielle  ein intimes Duett mit ihrem Vater. Und das sind dann ganz neue magische Momente, bei denen ich froh bin, dabei sein zu dürfen.
Neben Stars und Genre-Größen wie Danielle Ponder findet man auch einen völlig unbekannte Namen in den Credits. Wie kam es dazu?
Ah, Sie meinen  Paul Banks, richtig? Das war tatsächlich ein unglaublicher Zufall. Für „When it's cold I’d like to die“ fanden wir einfach nicht den richtigen Sänger. Einige bekannte und wirklich gute Leute hatten wir schon aufgenommen, aber irgendwie fühlte es sich in keiner Version richtig an. Unser Tontechniker war dann zufällig auf einer Hochzeitsfeier in Texas und dort spielte eine  Band beliebte Covers zur Unterhaltung. Und wie ihr Sänger Paul Banks das machte, faszinierte ihn, also lud er ihn ins Studio ein, um diesen Song zu versuchen – und zack, das war es! Was also all die anderen, bekannten Musiker nicht schafften, gelang einem Hochzeitssänger aus Texas, das ist schon verblüffend ...
Wie kommt es eigentlich, dass ihre erfolgreichsten Songs meistens von Gastmusikern gesungen werden?
Als ich ein Teenager war, wollte ich der beste Sänger der Welt werden. Bewundert und im Scheinwerferlicht und mit allem, was dazu gehört. Aber ich musste schnell einsehen, dass ich höchstens durchschnittlich werden konnte. Das hat mich natürlich frustriert, weil ich ja dieser supertolle Frontman sein wollte. Aber andererseits hatte es auch eine gute Seite. Denn es brachte mich dazu, mit anderen Musikern, anderen Sängern zu arbeiten. Wenn ich singen könnte wie Bono oder David Bowie hätte ich nie lernen müssen auf andere Stimmen zu hören! Aber so war ich gezwungen,  außergewöhnliche Sänger zu finden und mit ihnen aufzunehmen. Und das ist eigentlich das absolut Großartige daran, dass mein Teenagertraum gescheitert ist: Dass ich mit Ausnahmetalenten wie zum Beispiel Gregory Porter meine Songs spielen kann.
Aber eigentlich kommen Sie vom Punk, ist das richtig?
Musikalisch hab ich mit Punk angefangen, das stimmt. Aber die Grenzen waren damals nicht so streng. Als ich in den frühen 80ern in Night Clubs in New York abhing, sah man sich zum Beispiel eine Punk Band wie die Bad Brains an, aber davor spielte ein Reggae-DJ und nach dem Konzert wurde New Wave aufgelegt. Das war eine fantastische Zeit der musikalischen Diversität – und
 die wirkt sich bis heute auf alle aus, die in dieser Zeit aufgewachsen sind, wie Rick Rubin oder auch die Beastie Boys.
Und welches Genre hat Sie ursprünglich geprägt?
Als Kind war ich Klassik-Rock-Fan. Irgendwie. Aber die Musik in den 1970ern war einfach sehr eklektisch. Im Autoradio meiner Mom hörte ich Aerosmith und gleich darauf die Bee Gees, dann Elton John,  gefolgt von Kiss – und darauf James Taylor. Dieser Ablauf machte für mich absolut Sinn, den stellte ich nicht in Frage. Die ersten drei Konzerte, die ich  sah, waren Yes, Fear und Depeche Mode. Klassik-Rock, Punk und Synth-Pop.
Welche Musik hören Sie persönlich heute?
Wenn ich am Ende des Jahres meine Top-10 Liste von Spotify bekomme, also die von mir meist gehörten Songs, muss ich lachen, weil sie so absolut chaotisch ist. Letztes Jahr waren es Ultravox, Black Flag, Nick Drake, Lightening Hopkins, Pantera und Musik des frühen 14. Jahrhunderts. Mit zeitgenössischem Pop kann ich nicht viel anfangen. Der ist so brav, so angepasst. Traditionellerweise haben sich Eltern über die Musik ihrer Kinder aufgeregt, weil sie zu aggressiv war. Aber heute? Ich wünschte mir, die Kids würden  IRGENDETWAS hören, das die Welt herausfordert! Ein Freund möchte den Ramones-Film „Rock ’n’ Roll High School“ neu schreiben. In seiner Version sind die Kids unglaublich konservativ und die Lehrer die ausgeflippten Punks. Das würde den heutigen Zustand sehr gut treffen, finde ich.
Viele Ihrer Songs strahlen eine beinahe meditative Kraft aus. Welche Bedeutung hat Musik für Sie persönlich?
Vor 20 Jahren begann ich mit dem „Institute for Music and Neurologic Function“ zusammenzuarbeiten. Dort wird erforscht, wie Musik das Gehirn beeinflusst. Wie sie etwa Neurogenese im Hippocampus fördert. Es ist faszinierend, wie Musik Menschen physiologisch verändert. Und das wird nochmal spannender, wenn man bedenkt, dass Musik die einzige Kunstform ist, die physisch nicht existiert. Das Werk eines Bildhauers kann man angreifen – aber Musik, das ist nur bewegte Luft, Moleküle, die für eine bestimmte Zeit schwingen. Und  DAS lässt jemanden weinen oder lachen, es besänftigt oder verstört! Musik kann alles beinhalten, vom Profanen bis zum Heiligen. Tatsächlich ist Musik so etwas wie ein Gebet.

Moby 

©Universal Music Group

Moby: „Resound NYC(Deutsche Grammophon)

Sie haben auch literarisch für Aufsehen gesorgt. Ihre Autobiografien begeisterten Kritiker und auch Autoren wie Salman Rushdie. Wann schreiben Sie wieder?
Ich würde wirklich gerne einen dritten Memoiren-Band schreiben. Aber: Seit ich „trocken“ bin, ist mein Leben  wirklich langweilig geworden. Zumindest für Außenstehende. Es ist beinahe mönchisch. Ich beschäftige mich mit spirituellen Dingen, Quantenmechanik, Neurowissenschaft. Vielleicht kann ich in zehn, 15 Jahren etwas sagen, das ein wenig Weisheit beinhaltet. Denn es gibt bereits sehr viele Wörter auf der Welt. Wenn ich denen also meine hinzufüge, dann will ich, dass sie auch etwas bedeuten
Eine unvermeidliche Frage, da wir gerade bei der Literatur sind: Wie oft haben Sie „Moby Dick“,  den berühmten Roman Ihres Großgroßgroß-Onkels Herman Melville, schon gelesen?
Ganz ehrlich? Ich habe ihn mit 13 begonnen – und bis heute nicht zu Ende gelesen. Ich hab’s immer wieder versucht, bin eigentlich ein beinahe exzessiver Leser. Aber vielleicht hab ich generell ein Problem mit der „romantischen“ Literatur des 19. Jahrhunderts, ich kann mich auch für Hawthorne oder Tolstoi nicht wirklich begeistern. An „Moby Dick“ liebe ich den allegorischen und den existenzialistischen Aspekt, aber der Mittelteil liest sich, als wäre da jemand pro Wort bezahlt worden. Sorry, Onkel Herman. Wenn die Zeit reif ist, werde ich ihn beenden, davon bin ich allerdings überzeugt. Weil ich mich schon ein bisschen schäme, dass ich es bis jetzt nicht geschafft habe.
Herman Melville war ein großer Abenteurer, erlegte selbst einige Tiere. Eine Familientradition, die sie nicht fortführen, wie ich glaube ...
Nein, ich bin im Tierschutz aktiv. Und Veganer. Aus vielen Gründen, gesundheitliche, umweltbezogene – schlussendlich aber hauptsächlich, weil mir der Gedanke, dass Tieren Schmerzen zugefügt werden, unerträglich ist. In der Natur ist das anders: Ein Wolf tötet, weil er muss. Aber wir Menschen müssen das nicht tun.
Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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