Backstage bei Niavarani: "Sei kein Mensch, das ist gefährlich"
Hinter den Kulissen bei den Proben zur neuen Komödie von Michael Niavarani. Eine Reportage zwischen Babyalarm, Götterreigen und Bauchföhnen.
Otto Jaus hat auf der Bühne einen Buh gelassen. Das blieb nicht ganz unbemerkt, und jetzt, als Kollegin Jenny Frankl es kichernd publik macht, direkt auf der Bühne, zwar vor leerem Zuschauersaal, aber immerhin, on stage und vor uns, also der Presse, ist es ihm fast ein bisschen peinlich.
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„Was soll ich machen, wenn ich lachen muss, kommt’s hinten bei mir raus“, raunzt er entschuldigend und zuckt mit den Achseln. Hihi, kichert seine Kollegin erneut. Von unten zu schaut Michael Niavarani: „Noch einmal von vorn, alles!“, ruft er, und gemeint ist die Wiederholung der Szene aus „Venus & Jupiter“, die hier, im Globe Wien, seit Längerem geprobt wird.
Seine Stimme hat Gewicht. Nicht nur ist Niavarani wahrscheinlich so etwas wie der beliebteste Komiker, ja: Österreichs, auch das Theater ist seins. Und geschrieben hat er das Stück auch. „Noch einmal, aber diesmal mit Talent“, erwidert Jaus wie ein aufsässiger Schüler zum Professor, dann begibt er sich auf Ausgangsposition. Uuund, bitte!
„Huch! Apollo?“
Die Zuschauersitze im Globe sind Blau, das unterscheidet sie von Josefstadt oder Kammerspielen, wo alles in rotem Samt ausgelegt ist, und mitten im Blau des Globe thront Michael Niavarani. Hinter ihm tut sich ein die Sitzreihen aufsteigendes kolossales Schwarz auf, und auch der Theatermacher ist schwarz-blau in Hemd und Sakko, er scheint sich damit kaum von den Sitzreihen abzuheben, verschwimmt damit und löst sich darin auf. Nur der dichte, graue Bart schaut heraus. Die Brille. Und seine dunkelschwarzen Kieselsteinaugen, fokussiert, mit festem Blick stiert er auf die Bühne. Erst aus der dritten Reihe, dann etwa aus der siebenten, zuletzt von ganz vorne. „Das ist super so“, sagt er jetzt, „die Energie ist richtig.“
Dann wird die Szene von vorn angegangen. Auf der Bühne: langjährige Gefährten. Otto Jaus, vor allem bekannt als Teil des Musikerduos Pizzera & Jaus. Jenny Frankl, sie tritt im Simpl auf, schreibt mit Niavarani die Sketches. Also, auf ein Neues. Es könnte das dritte Mal sein oder das einmillionste Mal, so genau weiß das niemand. Jaus sitzt dabei am Bühnenrand, verzweifelt, in der Hand ein Gebinde Wein. „Bacchus, oh mein Bacchus – ohne dich wäre ich verloren!“, jammert er weinerlich. Nur der Wein, schwört er, macht ihm das Menschsein erträglich. Dann platzt Frankl herein. „Wer san Sie, wos mochn Sie do? Sperrstund’ is!“ Um dann sogleich zu erschrecken: „Huch! Apollo?“
Allmacht Niavarani
Ohne Zweifel ist Michael Niavarani mittlerweile so etwas wie eine Allmacht im Komikfach in Österreich. Schon jetzt gibt es bis in den Juni hinein für „Venus & Jupiter“ nur noch Restkarten. Wenn am 21. Mai sein Stück im Theater im Park am Belvedere uraufgeführt wird, mischt er auch da mit: Er hat das Kulturplätzchen mit dem Kabarettunternehmer Georg Hoanzl gegründet. Als Gast sitzt man dann den Sommer lang im lauschigen Garten, trinkt Spritzer, bestaunt Kabarettisten und Musiker.
Eine Allmacht zu sein, das heißt in Niavaranis Fall auch: Wenn er was sagt, wird’s lustig. Das weiß er. Was er dabei sagt, ist relativ unwichtig. Niavarani könnte das Telefonbuch vorlesen und die Leute würden sich biegen vor Lachen. Das weiß er ebenfalls.
Ein bissl ordinär hat er’s halt gern. Auch bei der Probe geht es mitunter deftiger zu. H****kind, Oasch, Schas schallt es von der Bühne: Ärger will Luft gemacht werden, eh immer mit Augenzwinkern. Und das hier ist ja auch nix für Burgtheaterabonnenten. Nicht dass Niavarani die primär ansprechen will, aber schon auch. Ein bisschen Bildungsauftrag darf sein. Die Dramen von Shakespeare dichtet er so um, dass auch Menschen, die beim Anblick gelber Reclam-Hefteln roten Ausschlag bekommen, sich einen Abend lang „Romeo & Julia“, „Richard III.“ und „Sommernachtstraum“ anschauen. Nur eben Nia-Style, also zu brachialem Schmäh auf Wienerisch umgeschrieben, mit Nebenfiguren als Helden und fünftem Akt, wo es bei Shakespeare nur vier gab.
Wer bin ich? Mit wem schlafe ich?
Auch die Handlung von „Venus & Jupiter“ wird nicht bloß Antike-Fans begeistern. Auf die Idee dazu kam Niavarani, erzählt er, als er sich für „Die Geschichte der Komödie“, eine Art Seminarstück, ziemlich oft in die griechische und römische Komödie vertiefte. Sein „himmlischer Schabernack um Liebe, Betrug, Verwandlung, Eifersucht, mit göttlicher Schwäche und menschlicher Ohnmacht“ vermischt jetzt munter beides.
„Zwei Dinge sind in dem Stück wahnsinnig lustig“, erklärt Niavarani, mit Betonung auf wahnsinnig, was er gerne macht, um mit brummig-kecken Timbre anzukündigen, dass er nach einer kurzen dramatischen Pause sein Gegenüber gleich mit einer Offenbarung erhellen wird.
„Erstens, eine Frau betrügt ihren Mann mit ihrem Mann. Und, zweitens, ein anderer Mann begegnet sich selbst.“ Und zwar geht das so: „Weil Gott Jupiter unbedingt mit Alkmene schlafen möchte, die ihrem Mann Amphitryon aber bedingungslos treu ist, muss er sich dafür in ihren Mann verwandeln. Und weil Jupiter seine Tante Venus bittet, sich in Apollo zu verwandeln, damit sie unten aufpasst, während er oben Sex hat – begegnet der sich plötzlich selbst.“ Ein Spiel mit den Identitäten, nicht umsonst haben Molière, Kleist oder Giraudoux den Amphitryon-Mythos um Schein und Sein dramatisiert. Und jetzt also auch Niavarani.
„Eigentlich eine klassische Boulevard-Komödie“, wirft Jenny Frankl amüsiert ein. Was nicht heißt, dass das Stück nicht auf hoher Literatur beruht. Niavarani kombinierte dafür die Tragödie „Alkestis“ von Euripides und die Verwechslungskomödie „Amphitryon“ von Plautus.
„Es geht um drei Themen, die die Menschen wahnsinnig beschäftigen“, sagt Niavarani, mit Betonung auf wahnsinnig: „Wer bin ich? Mit wem schlafe ich? Und warum sterbe ich?“ Am Schluss habe er sich vor lauter Recherche selber nicht mehr ausgekannt, darauf beschlossen, alles zu vergessen und einfach drauflos zu schreiben. Auf der Bühne sagt Otto Jaus inzwischen: „Ich weiß ganz genau, dass ich ich bin!“ Und Jenny Frankl erwidert: „Und ich bin nicht ich?“
Schmähführen mit Sinn
Niavarani schaut aufmerksam zu, dann sagt er, halb ernst, halb im Scherz, man weiß es nicht: „Bietet auch mal etwas an“, also Varianten, wie man die Szene zwischen den Säulen spielen könnte, Ideen, um sie zu verdeutlichen, Einfälle, um sie lustiger zu machen. „Ich dachte, das ist Aufgabe des Regisseurs?“, erwidert Jaus. „Dann vergiss es, denn dann sind wir verloren“, antwortet wiederum Niavarani.
Es rennt der Schmäh. Schließlich erklimmt er selbst die Bühne, zeigt, was er sich vorstellt. Von nun an greift Apollo sich in den Schritt, zieht die Nase hoch, stemmt die Arme in die Seiten, sendet also männliche Dominanzsignale aus. Alles beginnt von vorn, Jaus vergisst seinen Text („Des gibt’s ja net, so vü gsoffn hob i goar net!“), dann sitzt die Szene, zumindest fürs Erste. Niavarani ist zufrieden. „Danke, sehr lustig“, sagt er.
Was nicht heißt, dass man bei aller Komik dieser keinen Sinn abringen könnte. An Gala-Abenden mit Harald Schmidt, John Cleese, Maria Happel macht Niavarani das bereitwillig, im Zwiegespräch und gegen Eintritt. Anderswo scheint er sich zu zieren, aber es lohnt sich nachzufragen, weil sich hinter dem Willen zur Wuchtel immer ganz schnell eine Welt aus Tiefsinn und Theaterwissenschaft unter besonderer Berücksichtigung unbedingter Selbstironie auftut.
Dazu sitzen wir inzwischen an einem Tisch im Backstage-Kammerl des Globe und reden, es ist wahnsinnig hektisch, neben Frankl und Jaus sind Georg Hoanzl und einige Mitarbeiter sowie unser Kamerateam da, jemand stellt Niavarani einen Aschenbecher hin und er raucht sich sofort eine Marlboro light an. Mythologie sei ein Synonym für unsere Zivilisation, sagt er dann. Aufs Heute umgelegt, seien die Götter jene, die sich zwar alles leisten könnten, aber jede Menge andere irrsinnige Probleme haben. „Das Göttliche ist eigentlich eine Qual“, sagt er. Jupiter wolle ein Sterblicher sein, weil erst durch den Tod das Leben Sinn bekomme, was für uns alle zuträfe. Trotzdem sei das Menschsein eine hochriskante Angelegenheit, was nicht zuletzt den Göttern bewusst sei: „Die Venus warnt den Jupiter, sei kein Mensch, das ist gefährlich: Die haben komische Gefühle“, referiert Niavarani. „Und tatsächlich entwickelt er eines der gefährlichsten Gefühle: Er liebt.“
Babyalarm und Bauchföhn
Weil aus Liebe mitunter Kinder entstehen, muss Otto Jaus jetzt gleich gehen. Zweimal schon hat er den Aufenthalt bei uns im Backstage-Bereich verlängert, jetzt muss er echt los, aber wirklich: Zu seiner Partnerin, die könne immerhin jeden Moment ihr Baby erwarten, schon während der Probe holte er alle paar Minuten sein Handy aus der Hose, nervöser Blick aufs Display: wieder keine Nachricht. Noch nicht. Über seinen Regisseur weiß er nur Gutes zu berichten: „Der Nia versteht wirklich was von der G’schicht. Sie ergibt Sinn.“
Ob es nicht nervt, wenn der Regisseur sich wichtig macht, auf die Bühne kommt und allen erklärt, wie man’s richtig macht? Nein. „Das Schöne ist“, erzählt Jaus, „dass man sich bei ihm traut, auch komplett schlecht zu sein.“ Das wiederum stimmt mit Niavaranis Konzept von Regie überein. „Am wichtigsten sind die Schauspieler, am unwichtigsten ist der Regisseur“, erklärt er. „Ich muss nichts anderes tun, als ihnen die Möglichkeit geben, auch peinlich zu sein, ohne bestraft oder ausgelacht zu werden.“ Wobei es nicht Niavarani wäre, würde er bei diesem seriösen Anliegen keine Chance auf einen Schmäh wittern: „Zugleich ist es das Geheimnis unseres Erfolges, etwas schlecht zu machen – zu gut dürfen wir ohnehin nicht sein“, schmunzelt er und seine Stimme gluckst vor lauter Freude am Schabernack.
"Ach, hoit die Papp'n"
Niavarani, Jaus und Frankl sind Freunde, man schätzt und liebt sich. Bei der Arbeit kann das helfen – oder eben nicht. „Privat reden wir ganz anders miteinander“, erzählt Frankl, „aber bei der Arbeit fällt der Höflichkeitsfilter irgendwann weg.“ – „Ach, hoit die Papp’n, stimmt doch goar net“, mischt Niavarani sich mit einer Wuchtel ein. Dann fügt er hinzu: „Mit Menschen, von denen man etwas hält, ist man oft um Vieles strenger als mit anderen, von denen man weniger hält.“
In einem Interview gab Frankl einmal zu, dass sie sich, wenn es einmal stressig wird, im Badezimmer gern den Bauch föhnt, weil es so herrlich beruhigend auf sie wirkt. Auch jetzt, nach einem langen Probentag? Immerhin tritt sie bei Niavarani im Kabarett Simpl auf, schreibt die Bücher dafür mit ihm, nun kommt auch noch ein Götterlustspiel im Theater im Park dazu. Nia all the time. Sie lächelt. „Den Bauch föhnen musste ich mir schon sehr lange nicht mehr.“
Dafür hat sie Niavarani etwas beigebracht: die Frauen- und Männerrollen in seinen Stücken zu hinterfragen. Bei der Arbeit fürs Simpl hätte er das noch nicht draufgehabt, gibt Niavarani zu. Für „Venus & Jupiter“ ging das mit der Gleichberechtigung dafür schon von ganz alleine. Die Mythologie dichtete er so um, dass Patriarch Jupiter ein „alter weißer Gott“ ist und auch eine Frau einen spannender Part hat. John Cleese, legendärer Monty Python-Gründer würde das vermutlich gefallen. Mit ihm tritt Niavarani bisweilen auf. Auch ein Kollege, der zum Freund wurde? „Sagen Sie ihm das bloß nicht“, feixt Niavarani. „Er darf das nie hören.“
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