Star-Fotograf Martin Parr: "Mir war immer der Kontrast wichtig"
Die Queen hat ihn geehrt – nun bekommt der Brite Martin Parr in beim Foto-Festival in Baden einen Preis für sein Lebenswerk. Die "freizeit" sprach mit dem streitbaren Meister.
Es war ein fulminanter Start, den der knapp 20-jährige Martin Parr in den frühen 1970ern hinlegte. Als Dokumentarist mit einem fast magischen Blick für das Besondere im Alltäglichen fotografierte er damals die ländliche Bevölkerung in Yorkshire bei der Arbeit und immer wieder beim Kirchgang. Eine rauhe Gegend, in der damals viele alte Höfe am Existenzminimum dahinsiechten oder überhaupt aufgegeben werden mussten.
Aber der Shooting-Star ließ sich nicht in ein ästhetisches Eck drängen und sorgte schon mit seiner nächsten Serie für gehörige Kontroversen. Was ihn keinesfalls zum Zurückrudern bewegte. Auch deshalb ist er einer der wichtigsten Fotografen, die Europa in den vergangenen fünf Jahrzehnten hervorgebracht hat.
Für sein Lebenswerk wird er jetzt im Rahmen des La Gacily-Fotofestivals in Baden bei Wien geehrt.
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„Das freut mich natürlich sehr. Und ebenso freut mich, dass ich nach vielen Jahren endlich mal wieder nach Wien kommen werde“, erklärt der Honorar der "freizeit", die ihn in seiner Heimatstadt Bristol erreicht hat.
Dabei ist der Brite Ehrungen durchaus gewohnt, sei es von der Royal Photographic Society, der Royal Academy of Arts oder der britischen Krone selbst, die ihn zum „Commander of the Order of the British Empire“ ernannt hat. Und das, obwohl Parr sich nie an irgendeine Art Kunstgeschmack angebiedert hat.
Zugeständnisse machte er nur einmal, eben zu Beginn seiner Karriere: „Ich fotografierte damals schwarz-weiß. Farbe war verpönt, nur etwas für Touristen oder die Werbung. Und als junger Fotograf wollte ich natürlich ernst genommen werden. Also verzichtete ich auf Farbe. Das fanden alle toll. Dabei habe ich prinzipiell nichts Anderes fotografiert als später“, erinnert er sich.
Farbe macht den Unterschied
Das „Später“ kam dann aber wie ein Donnerschlag. Denn in den frühen 80ern gab Parr seiner heimlichen Liebe zur Farbe nach und fotografierte seine Serie von Arbeiterklassen-Familien, die im damals wenig pittoresk verwahrlosten Badeort Bristol Urlaub machten. Und er tat das in seinem heute zur Trademark gewordenen Stil. Mit einem Makro-Objektiv kam er jedem kleinsten, alltäglichsten Detail nah, durch einen Ringblitz erzeugte er auch um die Mittagszeit unglaublich satte Farben.
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La Gacily Baden
Das größte Fotografie-Festival Europas. Zum siebten Mal findet es nicht nur in der gleichnamigen bretonischen Stadt statt, sondern auch in Baden bei Wien. Wobei der österreichische Event mit knapp 500.000 Besuchern die französische "Mutterveranstaltung" längst übertroffen hat. In die Bretagne kommen durchschnittlich etwa 300.000 Zuschauer.
Rund 1.500 Fotografien, bis zu 200 Quadratmeter groß, werden in der gesamten Stadt aufgestellt.
„Amerikanische Fotografen wie William Egglestone und Stephen Shore hatten sich über das Schwarz-Weiß-Dogma hinweggesetzt. Ich war auch ein großer Bewunderer der Postkarten von John Hinde“, sagt Parr. Tatsächlich erinnern seine Bilder oft an die wunderbaren Postkarten, die man etwa aus den 60er-Jahre Italienurlauben kennt.
Nur dass die Idylle auf den zweiten Blick eben zerbröselt wie der Putz der einst grandiosen Hotels.
„Das war bereits in der Thatcher-Ära. Mir war immer der Kontrast wichtig: diese früher glamouröse Umgebung – und die Menschen, die einfach keine anderen Mittel haben, als sich hier irgendwie einzurichten, ein paar freie Stunden zu genießen. Während andere an die schönsten Orte der Welt fliegen“, erklärt Michael Parr.
Sein daraus entstandener erster Foto-Band The Last Resort: Photographs of New Brighton (1986) war eine absolute Sensation, die Ausstellungen in Liverpool und London wurden quasi gestürmt.
Er brachte Parr aber auch eine gehörige Portion Kritik, vor allem von Seiten der Eliten ein. Da nutze ein wohlbehüteter Mann des gehobenen Mittelstands die englische Arbeiterklasse aus, hieß es sowohl aus sehr rechten, wie auch sehr linken Kreisen. „Wäre ich bei schwarz-weiß geblieben, hätte sich vielleicht niemand daran gestört“, meint Parr.
Magnum & Mode
Der Konflikt ging so weit, dass es beinahe zu einem Aufstand innerhalb der renommierten Magnum Fotoagentur kam, als der inzwischen weltbekannte Parr 1994 aufgenommen werden wollte.
Sein Kollege und erbitterter Feind, der vor allem als Kriegsfotograf bekannte Philip Jones Griffiths, ging so weit, eine Petition zu starten, um die Aufnahme Parrs zu verhindern. „Er nannte mich einen zynischen Manipulator“, erinnert sich Parr achselzuckend.
Er wurde mit einer Stimme Mehrheit aufgenommen. Im Jahr 2014 wurde er schließlich zum Präsidenten von Magnum Photos gewählt. „Ich müsste lügen, wenn ich sagte, dass ich damals nicht ein wenig Genugtuung verspürt hätte“, sagt er heute trocken.
Ist es eigentlich erstaunlich, dass ein Dokumentarist sozialer Zustände und Unterschiede auch ein gefeierter Modefotograf ist? Michael Parrs Kampagnen für Paul Smith, Louis Vuitton, und andere sorgen regelmäßig für Aufsehen und sind im eben erschienenen – und absolut empfehlenswerten – Band Fashion Faux Parr (Phaidon) zusammengefasst.
„Ungewöhnlich? Wieso?“, sagt Michael Parr lachend. „Die Sprache meiner Bilder bleibt gleich. Nur die Arbeit ist ein wenig anders, weil die Models tun, was ich will. Und ja, einen wesentlichen Unterschied gibt’s doch: ich werde bezahlt!“
Im würdigen Rahmen
Dass Parr ausgerechnet in Baden geehrt wird, passt durchaus. Denn das La Gacily-Festival ist die größte Open-Air-Fotoausstellung Europas.
Neben der Parr-Retrospektive ist ein weiterer Schwerpunkt heuer den Meistern der Umweltfotografie gewidmet, Bilder von Sebastião Salgado, Pascal Maitre, Luca Locatelli, dem zweifachen World-Press-Photo-Award-Gewinner Alain Schroeder, der jahrelang die letzten Orang Utans auf Sumatra begleitete oder der iranischen Afrikareisenden Nadia Ferroukhi.
Dazu unter anderem ausgewählte Bilder von Peter Lagerfelds Lieblingsfotografin Vee Speers, über die der Meister einst sagte, sie zeige „Schönheit, wo sie furchtbar fehlt“.
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