Womanizer-Erfinder Michael Lenke: "Orgasmus ist ein Grundrecht!"
Der meistverkaufte Vibrator der Welt wird heuer zehn Jahre alt. Die "freizeit" sprach mit seinem Erfinder über Wissenschaft, Experimente, Sex – und sein neuestes Spielzeug, das er gemeinsam mit seiner Tochter entwickelte.
Metten im Kreis Deggendorf: satte Wiesen, sanfte Hügel, glückliche Kühe, traditionsreicher Katholizismus – eine bayerische Bilderbuch-Gemeinde. Tormannlegende Sepp Mayer war der größte Sohn der Stadt. Bis vor zehn Jahren. Damals wurde in einem der vielen Hobbykeller der hübschen Häuschen mit ihren adretten Giebeldächern der weibliche Orgasmus revolutioniert.
Also nicht der Orgasmus an sich, an dem gibt's wohl nichts zu verbessern, aber der Weg dorthin.
Denn genau hier in Metten erfand Michael Lenke den „Womanizer“: Ein kleines Ding, das auf den ersten Blick nichts mit gängigen Vibratoren zu tun hat, aber, wie man sagt, den Sextoy-Markt in ähnlicher Weise umkrempelte wie das iPhone ein paar Jahre zuvor die graue Welt der Handys.
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Unglaubliche 80 Millionen dieser kleinen Freudenspender sollen mittlerweile in Umlauf sein. „Da sind viele gefakte Exemplare aus Asien dabei“, schränkt Lenke ein, „aber wichtig ist doch, dass sie funktionieren. Denn der Orgasmus ist ein Grundrecht.“
Es war nämlich eine erschütternde Statistik, die Michael Lenke überhaupt erst dazu gebracht hat, sich Gedanken über Sex-Spielzeuge zu machen.
Lenke war Anfang 60, als ihn eine Zeitungsmeldung nicht mehr in Ruhe ließ. Nach einer Studie hätten mehr als 50 Prozent der Frauen Probleme, überhaupt jemals zum Orgasmus zu kommen. „Das darf nicht sein!“, dachte sich der Bayer und fing an zu basteln. Testen konnte er die Ergebnisse seiner Tüfteleien freilich nicht selbst, das übernahm seine Frau. „Diese Phase war sehr schwierig“, erinnert er sich heute. „Weil wenn’s nicht funktioniert, ist es halt ein Elend für sie ...“
Das Revolutionäre an Lenkes Erfindung ist ja, dass sein Gerät nicht mit Vibration arbeitet, ja nicht einmal mit Berührung. Nur durch Veränderung des Luftdrucks werden die Nervenenden der Klitoris stimuliert. Aber so weit musste es erst einmal kommen. Lenke verwendete die Luftpumpe eines Aquariums, samt dem dazugehörigen Motor, die Saugkraft war einmal viel zu stark, dann zu schwach, der Prototyp sah, um es freundlich zu formulieren, nicht gerade sexy aus. Nach zwölf intensiven Testmonaten gab eine entnervte Frau Lenke ihrem Mann folgenden Rat: „Jetzt hör endlich auf und beschäftige dich wieder mit anderen Entwicklungen!“
um Glück für Millionen Frauen, und über Umwege natürlich auch für die Männer, Wirtschaftswissenschaftler würden hier wahrscheinlich von Umwegrentabilität sprechen, hat Michael Lenke nicht auf den Rat seiner Frau gehört. Wobei das auf keinen Fall heißt, dass Mann das im Normalfall nicht unbedingt tun sollte, meine Herren! Wer nicht selbst ein genialer Erfinder ist, muss sich an diesem Akt der Befehlsverweigerung wirklich kein Beispiel nehmen.
In Henkes Fall kam aber nach weiteren sechs Monaten unermüdlicher Forschung seine Frau nach einem Test zu ihm und sagte: „Ich glaub, jetzt hast du es geschafft!“ Ob sie dabei lächelte, ist nicht überliefert.
Eine filmreife Erfolgsstory
Danach wurde sein Prototyp optisch aufgepeppt, und zuerst an einer Gruppe von 60 Frauen zwischen 18 und 60 Jahren getestet. Die Frauen testeten in Anwesenheit des Erfinders. „Das hört sich jetzt etwas eigenartig an“, erklärte er später, „aber ich musste mich hundertprozentig verlassen können, dass nicht irgendwelche Gefälligkeitsgutachten erstellt werden. Ich wollte das schon selber wissen. Das war entscheidend.“ Der Mann ist einfach gründlich, wenn er kein Bayer wäre, würde er auch einen guten Schweizer abgeben.
Die Studie verlief dermaßen gut, dass Henke als Kaufargument angeben konnte: „Bei über 90 Prozent der Frauen garantieren wir einen Orgasmus.“ Und sein Versprechen scheint sich in den letzten zehn Jahren durchaus bewahrheitet zu haben. Zumindest ergaben Umfragen im Jahr 2021 eine Kundinnenzufriedenheit von 93 Prozent.
Darauf folgte eine Erfolgsstory, die ihresgleichen sucht, wer sich etwa die Käufer-Bewertungen eines Online-Versandhauses wie Amazon durchliest, schüttelt in ungläubiger Überraschung den Kopf, acht Sekunden zum Orgasmus lautet hier ein rekordverdächtiger Kommentar, die Verkaufszahlen katapultierten Lenke finanztechnisch in die Champions-League. Dennoch glaubt man ihm, wenn er betont, dass das Wichtigste am Womanizer für ihn Dankesschreiben wie das einer knapp 70-jährigen Frau seien, die durch seine Erfindung den ersten Orgasmus ihres Lebens erleben durften.
Noch mal mit Gefühl
Ausgesorgt hatte der smarte Erfinder nämlich schon mit 26. Damals hat er ein System zur genfreien Veränderung des Pflanzenwachstums erfunden. Klingt nicht spektakulär, war als „Happy Bonsai“ allerdings ein absoluter Verkaufsschlager. „Da war dieser Miniatur-Löwenzahn, der zwischen zwei Steinplatten unserer Terrasse herauswuchs. Er blühte ganz normal, hatte aber nur den Bruchteil der Größe eines normalen Löwenzahns. Und ich musste einfach wissen, warum“, erzählt er. Er stemmte kurzerhand die Terrasse auf, was ihn schon vor 50 Jahren in sanften Konflikt mit seiner Frau brachte, um den Dingen auf den Grund zu gehen.
Und genau so geht es ihm auch heute, da er als wohlverdienter Pensionist in seinen 70ern hauptsächlich in Mallorca lebt. „Aber deshalb stellt man ja das Nachdenken nicht ein“, sagt er lachend, und: „Ich werde wohl nie aufhören, Dinge zu erfinden.“
Tatsächlich hat Lenke gemeinsam mit seiner Tochter Friederike Baliamis bereits ein neues „Spielzeug“ erfunden: den „ViFinger“. Und natürlich macht auch dieser wieder etwas völlig anders als alle gängigen Vibratoren bisher. „Es bringt deinen Finger zum Vibrieren, es gibt also Hautkontakt“, erklärt die Tochter des Erfinders. „So werden Frauen auch dazu ermutigt, sich selbst zu berühren.“
Ein wichtiger Punkt, denn genau das sehen manche Psychologen als Problem an der Lust mit handelsüblichen Vibratoren: Dass durchs Verwenden eines anonymen Objekts die Beschäftigung mit dem eigenen Körper und damit auch seine Akzeptanz, zu kurz kommt. „Der ViFinger ist ganz bewusst auch ein Statement gegen Bodyshaming“, sagt Friederike Baliamis dementsprechend.
Hier drängt sich natürlich eine Frage auf, die geschmackvoll formuliert werden will, aber doch auf jeden Fall gestellt werden muss. War die Testphase ähnlich fordernd, wie die des Womanizers? „Ach DAS meinen Sie!“, antwortet Friederike Baliamis unter herzlichem Lachen. „Nein, nicht wirklich. Denn im Grunde haben wir dieses Toy aus einer Erfindung, die mein Papa schon vor über 25 Jahren gemacht hat, weiterentwickelt.“
Magic Finger hieß das Teil damals und wurde als Gerät zur Gesichtsmassage beworben. So wie die „Massagestäbe“ fürs Gesicht in diversen Katalogen? „Genau“, antwortet Michael Lenke ebenfalls lachend, „und es war ein 100-prozentiger Flop!“
Über manche Dinge sprach man im vorigen Jahrhundert nämlich einfach nicht, vieles, allzu vieles war uns peinlich. „Papa ist ein fantastischer Erfinder“, sagt Friederike Baliamis, „aber manchmal war er seiner Zeit einfach um einiges voraus.“
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