Fotograf Steve McCurry: "Ich will Dinge mit eigenen Augen sehen"
Kaum jemand hat die internationale Foto-Reportage der letzten 40 Jahre so geprägt wie der Amerikaner Steve McCurry. Im Semper Depot läuft eine einzigartige Ausstellung seines Lebenswerks, inklusive des „Afghanischen Mädchens" natürlilch.
Kein Bild zierte öfter das Cover des National Geographic als das „Afghan Girl“, das Steve McCurry 1984 in einem Flüchtlingslager in Pakistan fotografiert hat. Der vielfach preisgekrönte Fotograf hat Kriege dokumentiert und Alltagsszenen, einzigartige Porträts am Straßenrand geschossen und ekstatische Feste dokumentiert, ebenso wie ergreifende Familienszenen in den entlegensten Gegenden der Welt.
Mit der freizeit sprach McCurry über seine Motivation, dorthin zu gehen, wo kaum jemand ohne militärischen Auftrag den Fuß setzt, über den Wert des Lebens – und den Sinn des Reisens.
Gleich Ihre ersten Fotoreisen führten Sie in den späten 1970ern direkt von der Uni nach Indien und dann Afghanistan. Später waren Sie im Bürgerkrieg im Libanon, dem Aufstand auf den Philippinen, dem Iran-Irak- und dem Jugoslawien-Krieg – warum diese sozialen und militärischen Brennpunkte?
Ganz unterschiedlich. Teilweise hatte ich Aufträge, manches war aus persönlichem Interesse. Es ist bei mir ganz einfach so, dass ich ...
... dass ich Situationen, Menschen und Gegenden, über die gesprochen oder berichtet wird, lieber mit eigenen Augen sehe.
Dabei stand auch Ihr eigenes Leben mehr als einmal auf dem Spiel, wie ich gehört habe.
Ja, ein Flugzeugabsturz in Slowenien hätte fast mein Ende bedeutet – und dann gab’s auch einige haarige Situationen in Afghanistan. Also vermutlich waren es mehr als zwei Mal. Ich kann Ihnen allerdings versichern: Man sieht das eigene Leben danach anders, vor allem weiß man es mehr zu schätzen.
Obwohl Sie für Ihre Reportagen in arme, instabile und oft auch vom Krieg gebeutelte Regionen der Erde reisen, scheinen die Bilder eine beinahe magische Ruhe auszuströmen, beinahe eine Art inneren Frieden.
Das war nie meine Absicht – aber mir gefällt, wie das klingt. Ja, ich mag Ihre Interpretation. Ich will mit meinen Bildern zeigen, dass wir alle Menschen sind, egal welche Hautfarbe wir haben, wo wir leben, welcher Religion wir angehören. Wir sind hier an diesem Platz und zu dieser Zeit – und das nur für einen wirklich kurzen Moment. Was wollen wir, was werden wir tun? Es geht um Respekt für das Leben selbst, dieses flüchtige, zerbrechliche Geschenk. Wir sollten es nutzen, versuchen, ein erfülltes Leben zu haben – und einander zu respektieren!
Das wird uns leider von den Menschen an den Schalthebeln der Macht kaum oder auf jeden Fall zu wenig vorgelebt ...
Sie meinen die Regierungen? Es wäre natürlich schön, wenn die als Role-Model taugen würden. Tun sie aber leider nicht. Regierungen geht’s nur um Macht, mal mehr, mal weniger direkt. Von denen können wir nicht viel erwarten.
Als Sie 1984 das Bild von dem afghanischen Mädchen mit den grünen Augen machten, hatten Sie bereits die Robert Capa Goldmedaille für ihre Fotoreportage über die russische Invasion Afghanistans bekommen. Trotzdem ist es dieses Bild, das Sie mit einem Schlag auch für Nicht-Insider bekannt machte. Wie kam es dazu?
Es war in einem Flüchtlingscamp in der Nähe von Peschawar, an der pakistanisch-afghanischen Grenze. Ich hörte Lachen aus dem Schulgebäude für Mädchen, was doch ungewöhnlich war. Dann sah ich sie – und war ganz einfach fasziniert von ihrer Erscheinung. Sie war damals etwa zwölf Jahre alt ...
Und beinahe 20 Jahre später haben Sie sie endlich wiedergefunden?
Ja, es dauerte leider lange, war eine richtige Detektiv-Arbeit. Aber schließlich ist es uns 2002 gelungen. Sie hatte damals schon drei Töchter, man sah ihr das harte Leben in der afghanischen Provinz, in die sie zurückgekehrt war, an. Aber sie hatte noch immer dieses Strahlen in den Augen. Zum Glück konnten wir sie unterstützen, vor allem auch als die Taliban das Land wieder eroberten. Sie lebt jetzt in Sicherheit in Italien ...
Ihre Bilder sind, um einen in Verruf geratenen Ausdruck zu verwenden, ikonografisch. Wie gehen Sie da ran? Was bringt Sie so nah an die Menschen – oder an Situationen, wie die beiden Männer auf der Dampflok vor dem Tadsch Mahal etwa?
(lacht ein wenig nachdenklich) Ja, die Gleise ... Die sind inzwischen weg. Die Lock gibt's auch nicht mehr. (räuspert sich) Ich glaube, es geht in erster Linie darum zu reisen, zu beobachten.
Das tun andere auch ...
Ich kann das selbst nur sehr schwer beurteilen. Ich habe mich eben immer sehr für Menschen interessiert. Manchmal ist es schwierig, weil auch in entlegenen Teilen der Welt eine große Hektik herrscht. Da brauchst du eben Zeit. Ich bin vier Monate in Zügen durch Indien gereist, als das Bild entstanden ist, das Sie vorhin angesprochen haben.
Reisen ist überhaupt eine Ihrer großen Leidenschaften, glaube ich. Nicht erst, seit Sie fotografieren, oder?
Stimmt. Als Student bin ich quer durch Afrika gereist, war in Tansania, Uganda, Malawi, dann in Ägypten. Es waren, wie gesagt, einfach immer Plätze, die ich selbst sehen wollte und nicht nur in irgendwelchen Medien. Das Buch „The Great Railway Bazaar“ von Paul Theroux hat mich damals, 1975, sehr inspiriert. Aber ich bin auch schon davor mit Bahn und Bus von Amsterdam nach Slowenien, Belgrad, Istanbul und schließlich bis Israel gefahren. 1969 war das, glaube ich. Damals war ich auch zum ersten Mal in Österreich, ich habe in Salzburg in einer Jugendherberge übernachtet. Sehr schön, so weit ich mich erinnern kann ...
Und wann waren Sie das erste Mal in Wien?
Ich fürchte, es ist Zeit für ein Geständnis. Obwohl ich eigentlich ganz Europa bereist habe, alle Hauptstädte, viele Dörfer und Kleinstädte, war ich noch nie in Liechtenstein, Andorra – und in Wien.
Tatsächlich! Wieso?
Es hat sich aus irgendeinem Grund einfach nie ergeben, ich weiß selbst nicht genau warum.
Aber Sie kommen zu Ihrer großen Ausstellung, oder?
Ich hoffe, dass es klappt. Ich unterrichte gerade in Rom, aber wenn es sich irgendwie einrichten lässt, komme ich natürlich gerne.
Fotografieren Sie in Rom auch eine neue Serie?
Ich fotografiere eigentlich immer. Und Rom ist in der Tat faszinierend. Diese moderne, brodelnde Stadt, ihre weniger bekannten, weniger glamourösen Seiten – und alle treffen auf diese vielen Schichten der Renaissance, des Mittelalters, der Antike. Eine echte Fundgrube. Aber eigentlich fotografiere ich hier nur für mich, ohne großen Plan.
Das wäre auch einmal eine Ausstellung: Der unbekannte McCurry!
Ja, oder: Der ungesehene, der unsichtbare...
Sie sind jetzt 73 und haben die halbe Welt gesehen. In welchem Land würden Sie gerne als Nächstes fotografieren?
Ich wollte immer in den Iran, aber das ist leider ein sehr heikler Ort, für einen Amerikaner sowieso und mit fotografieren kann man sich dort auch schnell Probleme einhandeln. Vor allem, wenn man wie ich keine inszenierten Shootings mag. Und da ich mein Leben liebe, so wie es ist und meine Schreckmomente, wie besprochen, hinter mir habe, wird das wohl in nächster Zeit nichts werden. Aber ich werde nach Guatemala gehen. In Mittel- und auch Südamerika war ich noch eindeutig zu selten und habe dort vor allem nie professionell fotografiert.
Darauf sind wir jetzt schon gespannt. Vielen Dank für das Interview, Mr. McCurry.
(freizeit.at)
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Über Andreas Bovelino
Redakteur bei KURIER freizeit.
Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.
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