Wir sind nach Grado geradelt! Ein Familien-Abenteuer

Alle reden darüber, wir haben es gewagt: Die Familie Bovelino fuhr mit Fahrrädern von Salzburg nach Grado. Ein erweiterter Selbstversuch.

Die sogenannte "Ciclovia", der Alpe-Adria-Radweg von Salzburg nach Grado, hat sich in den letzten Jahren zu einem der beliebtesten Radwege Europas gemausert. Zwischen 420 und 460 Kilometer (je nach Streckenwahl) muss man bewältigen, gesamt geht es 2.391 Meter bergauf und 2.641 Meter bergab.
Vor allem der E-Bike-Boom verhalf der Tour zu ihrer außergewöhnlichen Beliebtheit. Aber davon wollten wir natürlich nichts wissen. Wir machten uns mit unseren 8-Gang-Citybikes auf die Reise. Und einem kleinen Anhänger, der bei Steigungen zu riesigen Ausmaßen anwuchs. Okay, unser knapp 13-jähriger Junior hatte ein 21-Gang-Mountainbike. Mit dem er uns auch regelmäßig bei Bergetappen um die Ohren fuhr...
Tag 1: Salzburg - St. Johann. 64 km, 485 m bergauf, 360 m bergab.
Wir wollen um 8:00 Uhr losfahren, schaffen es aber natürlich nicht.
©Ewald Maier / privat
Es ist kühl und nieselt, entlang der Salzach weht uns ein heftiger Wind entgegen. Die ersten Kilometer ziehen sich, das kann ja heiter werden... Irgendwie sind wir froh, dass wir es mal bis Hallein geschafft haben. Macht 450 km minus 16,7 - juchuh!
Golling/Bluntautal verwirrt uns mit jeder Menge Umleitungen und bringt auch die ersten Steigungen. Richtig übel wird's dann beim Pass Lueg vor Werfen. Kein Radweg, wir mühen uns auf der Bundesstraße. Dafür ein richtig guter Eiskaffee beim Gasthaus Stegenwald. Sehr freundlich auch, und vielen Dank für die Wortkreation "Lederhosen Whisky" für den Almdudler, den unser Sohn bestellt hat!

Wir fahren bis St. Johann, übernachten in der Jugendherberge, Zimmer mit Salzachblick - absolut empfehlenswert. (Zur Website: hostel-sanktjohann.at)
Ebenfalls empfehlenswert: Der "Venedigerwirt" gleich ums Eck. Supergute Fleischgerichte, frische Pilze, tolle Pizzen - perfekt. (Infos zum Venedigerwirt: vuyo.me)

©privat

Nach einem Weißbier fallen wir um 21 Uhr todmüde ins Bett.

Tag 2: St. Johann - Bad Gastein, 42 km, 563 m bergauf, 220 bergab.

Wir machen gleich von Beginn an ordentlich Höhenmeter. Es geht an idyllischen Weilern und Höfen vorbei. Wir haben viel Zeit, die herrliche Landschaft zu genießen, weil wir die Räder über weite Strecken schieben müssen. Wir merken uns: Ein schickes City-Bike mit eleganter Naben-8-Gang-Schaltung ist keine Bergziege.
©privat

Dass es zwischendurch immer wieder runtergeht, beinahe bis aufs Niveau der Bundesstraße, die schon so weit unter uns lag, ist zwar erholsam, aber auch ein bissl frustrierend. Aber zum Glück geht's dann ja gleich wieder umso steiler bergauf.

In Dorfgastein gönnen wir uns beim Egger Wirt einen abermals guten Eiskaffee. Eine richtige Offenbarung ist dann allerdings das Eis in Hofgastein in der Konditorei Bauer. Selbst gemacht, an keinen Zutaten gespart, ausgezeichnet. Die Kalorien werden wir dann beim Anstieg nach Badgastein gleich wieder los.

Ist man beim Ortsschild, hat man schon einiges geschafft. Aber bei weitem noch nicht alles ...

©privat

Für alle, die immer von diesen steilen, verwinkelten griechischen Bergdörfern schwärmen: Hier in den österreichischen Alpen ist ein Dorf, das wirklich Maßstäbe setzt.

Ich konnte meiner Frau leider nicht zu Hilfe kommen, weil ich filmen musste
 
Überhaupt Badgastein: Tolles Flair zwischen alt und neu, vergangenem Glanz und frischem Hipstertum. Wirklich lässig, hier wären wir gern länger geblieben.
Auch weil das Hotel Selina - eben so ein alter Prachtbau mit Thermalpool - wirklich cool ins neue Jahrtausend geholt wurde. Toll!

Die Figur hat tatsächlich mehr gelitten als das wesentlich ältere Thermalbad... :(

©privat
Tag 3: Badgastein - Seeboden am Millstätter See, 61 km, 269 m bergauf, 716 m bergab.
Nach Böckstein zieht es sich noch einmal ordentlich bergauf, dann kommt die kurze Zugfahrt durch den Berg ins kärntnerische Mallnitz - und dann geht's aber richtig runter. Mit dem Anhänger bekommt man fast ein bisschen Angst, und ja, leider verläuft auch dieser Streckenteil direkt auf der Bundesstraße.

Egal wie steil: Wir schaffen das. So ein Familienabenteuer schweißt zusammen

©privat

Nach dem ausgiebigen Geschwindigkeitsrausch wird's leider richtig mühsam. Theoretisch fahren wir weiter bergab zum Millstätter See, aber die Streckenführung bringt uns an den Talhängen immer wieder ziemlich weit bergauf. Dazu brennt die Sonne erbarmungslos auf uns runter.

So wird ausgerechnet der erste "leichte" Tag, ohne offizielle Steigung, zum mühsamsten. Dass es in ganz Seeboden praktisch kein Gasthaus mehr gibt, sondern nur "Hauben"-Gasthöfe, die allesamt Garnelen und Rumpsteaks servieren und ihre Preise am Wiener Steirer-Eck orientieren, ist der klägliche Endpunkt dieser Etappe der Qualen.

Verschleißerscheinungen: Irgendwo in Kärnten löste sich der Schuh Sabines auf. Wir haben das Tarantino-mäßig gelöst

©privat

Lichtblick: Die Pizzeria Hawe d' Ehre. Das einzige Restaurant, das uns auch ohne Reservierung bewirtet, entpuppt sich als frisch und jung mit einer unglaublich schnellen und freundlichen Belegschaft. Ja, die Pizza war auch supi.

Tag 4: Seeboden - Villach, 43 km, 118 m bergauf, 144 m bergab.
Urgemütliche Etappe. Es geht zuerst der Lieser, dann der Drau entlang. Wunderbare Flusslandschaften und abgesehen von ein paar Staustellen keine nennenswerten Steigungen. Es gibt auch ein paar hübsche Badeplätze, aber wir wollen doch lieber Villach erreichen. Das erste Etappenziel, für das wir keine Vorreservierung haben.

Zwei Abenteurer in Villach ...

©privat

Villach selbst ist einfach nur durch und durch hübsch, an der Drau gönnen wir uns - erraten - einen Eiskaffee, der wieder ziemlich gut ist. Die Kellnerin bemerkt, dass wir eine Übernachtungsmöglichkeit suchen und empfiehlt uns das Hotel Mosser gleich die Bahnhofstraße hoch. Ein alter Kasten, richtig klass, der sich voll auf die explodierende Bikerszene eingestellt hat. Denn die Ciclovia, also der Alpe-Adria-Radweg von Salzburg nach Grado, ist längst ein touristischer Faktor. Es sind richtig viele Radler unterwegs, die meisten natürlich mit E-Bikes. Man trifft sich an den Etappenzielen, manchmal unterwegs.

Die E-Biker schauen dann immer so mit einer Mischung aus Anerkennung und dem Bedürfnis, sich zu rechtfertigen an. "Was, ihr fährt ohne Akku? Wow, wir würden ja auch, aber wir..." Ich denke mir: Besser man fährt mit E-Bike als gar nicht, oder?

Tag 5: Villach - Tarvisio, 37 km, 351 m bergauf, 251 m bergab.
Zuerst geht's ins Gailtal, was den knapp 13-jährigen Familienspross zu einigen Sprüchen verleitete, die seit Generationen wohl jeder 13-Jährige, der durchs Gailtal fährt, in ähnlicher Form getan hat. Und natürlich der erwachsene Wolfgang Ambros, aber das ist eine andere Geschichte...

Dann: Noch eine Bergwertung, die letzte, wie wir hoffen. Und endlich: Italien!

Endlich: Wir sind in Italien!

©privat

Gleich nach der Grenze wird's für Radler aber noch einmal überraschend steil, und zwar so, dass auch die E-Biker absitzen und schieben. Wir sind das Schieben ja gewohnt, außerdem sind unsere Räder viel leichter, was uns doch ein wenig Freude bereitet. Tarvisio entpuppt sich als richtig hübscher Flecken, man kannte es früher ja nur wegen des letzten Marktes vor der österreichischen Grenze, die letzte Gelegenheit, sich eine superschicke Kunstlederjacke zu kaufen und so. Aber es ist sympathisch, das Essen ausgezeichnet, und die Wirtin in unserem Hotel Triest erklärt uns, dass man hier im Winter ausgezeichnet Skifahren kann. Wäre durchaus ein Grund, wiederzukommen...
Tag 6: Tarvisio - Venzone, 61 km, 339 m bergauf, 605 m bergab.
Die schlechte Nachricht: Tarvisio is noch längst nicht der höchste Punkt, den es auf diesem Alpenübergang zu bewältigen gibt. Das zieht sich noch, die erste Stunde sind wir voll mit treten beschäftigt, die E-Biker ziehen mühelos an uns vorbei. Nun sind sie an der Reihe mit verstohlen Grinsen.

Endlich ging's bergab. Die Fahrt durch das Kanaltal ist ein echter Genuss

©privat

Die Abfahrt auf der alten Bahntrasse, zuerst der Fella, dann dem Tagliamento entlang, ist ein Traum. Freihändig ist es fast, als würde man am grünen Fluss entlang fliegen. Ein Eiskaffee in Chiusaforte muss ganz einfach sein, es ist der beste auf unserer bisherigen Reise. An der alten Bahnstation dort hat sich ein regelrechter Radlertreff entwickelt, die Wirtin hat ihre Freude mit uns.

©privat

Übernachtet wird in Venzone, der Ort gilt zu Recht als einer der schönsten Norditaliens. Am alten Hauptplatz sitzen und von der Aperitivo-Bar auf der einen, ins kleine Ristorante auf der anderen Seite zu wechseln - einfach herrlich.

©privat

Am Tagliamento vor den Stadttoren lässt es sich auch wildromantisch baden, das Wasser ist traumhaft schön, aber mir eindeutig zu kalt. Ich warte bis Grado.

Der Tagliamento: herrlicher Strand, ein bisschen frisch

©privat

Tag 7: Venzone - Udine/Pradamano, 60 km, 217 bergauf, 121 bergab
Wer, wie meine Frau und mein Sohn, den italienischen Teil der Ciclovia schon einmal gefahren ist, wird hier leider überrascht. Statt dem Flusslauf entlang führt die Strecke durch jedes Dorf und jede Wohnsiedlung zwischen Venzone und Udine. Was dann doch wieder sinnlose Höhenmeter bedeutet. Und radeln unter glühender Sonne, statt im Schatten von Bäumen.

Warum die Streckenführung geändert wurde? Wir können nur mutmaßen. Die kleinen Gemeinden wollen auch vom Trend Ciclovia profitieren. Überall gibt's kleine Radler-Cafes und mehr oder weniger spontan aufgestellte Buden zur Radlerverpflegung. Und ja, E-Bike-Ladestationen. Und mit den schweren Trümmern hätte man auf dem Flussweg eher Schwierigkeiten - andererseits haben die Elektroradler keine Schwierigkeiten, die unzähligen Hügel zu diversen Dorfkirchen oder Reihenhaussiedlungen zu bewältigen ...

In Pradamano übernachten wir in einem grandiosen Agriturismo: Das alte Landgut eines Grafen namens Ottelio. Der aktuelle Gastgeber hat zwar kein blaues Blut mehr, ist aber supernett und tischt ein wirklich hübsches Frühstück auf. Außerdem sind wir ihm dankbar für seinen Tipp zum Abendessen: das Weingut Milocco, die selbst einen grandiosen Prosecco machen, eine unglaublich gute Tomatensoße und die besten Salbeibutter-Gnocchi von überhaupt.

Tag 8: Udine - Grado, 60 km. 61 m bergauf, 234 m bergab

Man kann das Meer schon spüren, beinahe riechen. Die trägen Flussläufe, dicht bewachsen, beinahe tropisch, der sanfte Wind, dann die ersten Lagunenausläufer. Und schließlich ist er da, der Damm, der Grado mit dem Festland verbindet.
4 km durchs Meer, dann hat man es geschafft. Man fährt beinahe wie auf Wolken, egal wie anstrengend die letzten Tage waren.
Die erste Anlegestelle in Grado? Die Bar al Porto. Nein, kein Eiskaffee diesmal, sondern ein Aperol Spritz. Den haben wir uns verdient.
Das Meer hat karibische Temperaturen, ist überraschend sauber, und in der kleinen Vorortsiedlung Pineta, wo wir wohnen, ist alles gleich nochmal entspannter.
©privat
Mit den Schlapfen und der Luftmatratze an den Strand, lesen, ein bissl Volleyballspielen mit dem Junior, sich einen Sonnenbrand holen, weil die Sonne uns in Italien einfach näher ist und wir das in den vielen grauen Monaten zuhause immer wieder vergessen - mehr Urlaub wie früher geht gar nicht.
©privat

Wir bleiben länger als wir vorhatten. Und zurück nach Salzburg? Geht's mit dem Zug! :)

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

Kommentare