Helmut Newton: Starke Frauen, wohin man schaut
Helmut Newton provozierte mit seinen Akten. Ein Buch und eine Ausstellung kuratieren die kommerzielle Fotografie des Starfotografen.
Es gibt ein Bild im umfangreichen Werke-Universum des Helmut Newton, das seinen Arbeitsethos wohl nicht ganz unabsichtlich treffend einfängt. Ein Selbstporträt. Newton, den Zeigefinger zum Pistolenlauf gestreckt, den Daumen gespannt wie ein Abzug, der Blick mitleidslos wie sein Fingerzeig direkt in die Kamera gerichtet. Immer am Drücker, scheint das Foto auszusagen, stets bereit zu tun, was nötig ist: So bezeichnete sich der weltberühmte Fotograf nämlich, als „Auftragskiller“. Ob Kunst oder Kommerz, diese Kategorien waren für Newton nebensächlich. „Wenn meine Fotos zufällig in einer Galerie oder einem Museum ausgestellt werden, soll es mir recht sein. Aber das ist nicht der Grund, warum ich sie mache.“ Was zählte, war das Ergebnis. Das musste gut sein. Er war „A Gun for Hire“.
Ein neu aufgelegtes Buch selben Titels und die Ausstellung „Helmut Newton. Brands“ geben davon jetzt umfangreich Zeugnis. Die erotischen, ikonischen Aktfotografien, für die der Meister berühmt wurde, beinhalten sie nicht. Dafür Newtons Auftragsarbeiten aus dem Bereich der Modefotografie, etwa für die italienische oder die amerikanische Vogue, genauso wie für im Renommee hoch oben angesiedelte Luxusmarken wie Chanel, Versace oder Yves Saint Laurent.
Profession statt Kunst
„Als ich jung und mittellos war und als Fotograf anfing, beschloss ich, jeden Auftrag anzunehmen, der sich bot“, erklärte Newton einmal seinen pragmatischen beruflichen Zugang. „Ich hatte mich dafür entschieden, meinen Lebensunterhalt mit dem Fotografieren von was auch immer zu verdienen und meine Profession nicht als edle Kunst zu betrachten.“
Launig dahingesagt, vielleicht, aber vor allem ein Zitat, das gut Newtons Selbstwahrnehmung darlegt. Sein Können war, wie das seines Idols, der Fotografin Yva, bei der er in den Dreißigerjahren in die Lehre ging, mit Porträt-, Akt- und Modefotografie breit gefächert. Ein lukrativer Job, bei dem er für einen Tag Arbeit fürstlich entlohnt wurde, ließ ihn frohlocken. Zeitweise brauste der Fan schöner Autos in einer Corvette mit aufgemalten züngelnden Flammen durch die Gegend. Selbstverständlich flog er erster Klasse, „damit ich meine Beine ausstrecken kann“. Und er lebte in Monte-Carlo und Hollywood.
Zugleich spiegelt das Zitat aber auch Newtons selbst vorgenommene Entmystifizierung als hoher Künstler wider. Elfenbeinturm? Nein, Danke. Der Deutsche war ein Mann, der nirgends dazugehören wollte. Weder zur Glamourwelt, deren Personal er auf Bilder bannte, noch zu den Prominenten, noch zur elitären Kunst- oder Mode-Szene. Nur so konnte er von niemandem vereinnahmt werden – und ganz er selbst bleiben.
Die Fotos für die Modekataloge, sie ermöglichten Helmut Newton erst die finanzielle Unabhängigkeit, jene Bilder zu schießen, für die er berühmt wurde, wusste June Newton. Sie verstarb, selbst eine angesehene Fotografin (unter dem Namen Alice Springs) 2021, 17 Jahre nach ihrem Mann. Hinter den Kulissen kümmerte sie sich um seine künstlerischen Angelegenheiten: „Er ging alle Bereiche seiner Arbeit mit derselben kreativen Schaffensfreude und Energie an.“
Das Resultat: eindrucksvolle Bilder von starker kompositorischer Kraft. Für das italienische Modehaus Blumarine setzte Newton etwa auf florale Akzente: Vor einem raffiniert verschlungenen, in höchster Blüte stehenden Rosenstrauch posieren seine Modelle da, mitunter im Tutu, mit Stola oder gut behütet mit Zylinder. Ein symmetrisch abgestimmter Augenschmaus.
Monica Bellucci wiederum inspirierte Newton dazu, ihr für Bilder für dieselbe Marke riesig erscheinende knallrote Boxhandschuhe überzuziehen. Martialisch aufmunitioniert, die Arme kampfbereit in die Seiten gestützt, so sitzt sie da, mit knallroten Lippen und hochgepushtem Dekolleté im schwarzen Minidress mit Netzstrümpfen: halb Verführerin, halb Amazone.
Denn selbstverständlich geizt das Buch nicht mit dem Newton’schen Archetypus der Weiblichkeit: starke Frauen, wohin man blickt, mitunter mit lasziv geschürzten Lippen und Strumpfhaltern, aber immer überlebensgroß. Das Mädchentrio, das der Erotomane für einen Bikinikalender in einem Sportwagen in Szene setzte, wirkt wie aus einem Tarantino-Film. Auf einem Foto für die Vogue stemmt eine kriegerische Hünin breitbeinig und in High Heels einen Felsbrocken in die Höhe – und droht, ihn uns direkt ins Gesicht zu schmeißen.
„Die Helmut-Newton-Frau war ein atemberaubendes Exemplar, das man auf den ersten Blick erkannte“, so Anna Wintour, legendäre Chefredakteurin der Modebibel. 20 Jahre arbeiteten sie zusammen. Für Wintour war der Starfotograf ein „visuelles Genie“: „Er widerlegte jeden Gedanken, die Seiten eines am Mainstream orientierten amerikanischen Modemagazins seien feindliches Terrain für aufregende Kunst.“
Newton vereinte eben beides. Ob er nun wollte – oder nicht.
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