Inge Morath: Selbstporträt

Fotografin Inge Morath: Die charmante Voyeurin

Sie war eine der größten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts – Inge Morath hat mit ihren Bildern von Österreich aus die Welt erobert. Am 27. Mai hätte sie ihren 100. Geburtstag gefeiert.

"Schauen muss man können“, sagte Inge Morath einmal lapidar in einem Interview, als es darum ging, was einen guten  Fotografen ausmacht. Und schauen konnte die Grazerin, die mit ihren Bildern Weltruf erlangte, wie kaum eine Zweite. Zum richtigen Zeitpunkt den Auslöser zu drücken, sei ein Glücksgefühl, vergleichbar nur mit dem eines Kindes, das zum ersten Mal auf den Zehenspitzen stehend ein ersehntes Objekt greifen kann, sagte sie ebenfalls. Ein Satz, eine Erkenntnis, die uns auch im üppigen Bildband „Hommage“, der eben anlässlich ihres 100. Geburtstags erschienen ist, begegnet.

Das legendäre „Lama am Times Square“ ist natürlich dabei, ebenso wunderbare, selten gesehene Bilder von Audrey Hepburn aus Mexiko, wo sie gemeinsam mit Burt Lancaster den Western „Denen man nicht vergibt“ drehte.

Außerdem lest ihr in dieser Geschichte noch

  • Zwei Frauen und ein Mann: Marilyn, Inge & Arthur
  • Magnum: Eine Frau setzt sich in der Männerwelt durch
  • Wieso Inge Morath sieht, was sonst niemand zu sehen bekommt
Inge Morath: Ein Lama am Times Square

Was macht ein Lama am Times Square? Dank Inge Morath wissen wir, dass es Linda hieß und einer einigermaßen exzentrischen New Yorker Familie gehörte

©©Inge Morath © The Inge Morath/Inge Morath/Magnum Photos/ courtesy CLAIRbyKahn, Schirmer/Mosel Verlag

Tatsächlich zum Schießen: Charlton Heston, der in seinem Wohnzimmer mit einer Spielzeug-Winchester über den Boden kugelt. Andy Warhol natürlich, der sich auf einer Ausstellung in New York von der knapp 80-jährigen Bildhauerin Louise Bourgeois einige anscheinend höchst interessante Details erklären lässt. Und natürlich eine verträumte und irgendwie verloren wirkende Marilyn Monroe, die zwischen zwei Szenen zu ihrem letzten Film „Misfits“ barfuß durchs dürre Umland der Glücksspielmetropole Reno, Nevada spaziert. Kurz darauf wird sie einen Baum umarmen als würde sie Halt suchen – auch dieses Bild fehlt natürlich nicht im Buch.

Marilyn Monroe wie Inge Morath sie sieht

Nachdenklich und unglamourös –  Marilyn Monroe, spaziert während einer Drehpause barfuß durchs dürre Nevada

©©Inge Morath /Magnum Photos./Inge Morath/Magnum Photos/ courtesy CLAIRbyKahn, Schirmer/Mosel Verlag

Es sind wahrhaft einzigartige Fotos, die Inge Morath gelungen sind – und die so völlig unaufdringlich ihren Stempel tragen. Aber wer war diese ungewöhnliche Frau, die als erste Fotografin im exklusiven Männer-Club „Magnum Photos“ Fuß fassen konnte?

Die mit dem legendären Robert Capa befreundet  war ebenso wie mit Henri Cartier-Bresson? Die sämtliche literarischen – Updike, Roth! – und bildnerischen – Picasso, Giacometti, Moore! – Genies vor die Linse bekam und die die größten Hollywood-Stars in gänzlich unprätentiösen Settings ablichtete? Und ja, auch das: Für die der große amerikanische Autor und Intellektuelle Arthur Miller seine Ehefrau Marilyn Monroe verließ?

Der Schriftsteller Philip Roth beschrieb die zarte Österreicherin als „lebhafte, fesselnde, scheinbar harmlose Voyeurin“ und fuhr fort: „Sie ist ein sanfter Eindringling mit einer unsichtbaren Kamera. Wenn du eines ihrer Objekte bist, merkst du gar nicht, dass sie dein Geheimnis schon längst ergründet hat.“

Warhol und Bourgeois

Andy Warhol ist ganz Ohr, Louise Bourgeois erklärt 

©Inge Morath/Magnum Photos/ courtesy CLAIRbyKahn, Schirmer/Mosel Verlag

Dabei hat die 1923 geborene Ausnahmefotografin die Kamera erst relativ spät für sich entdeckt. Nach der Matura studierte sie Sprachen in Berlin, Englisch, Französisch, dann Rumänisch. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs floh sie nach Österreich, wurde Korrespondentin für eine deutsche Agentur in Salzburg und Wien und begann in dieser Zeit auch zu fotografieren.

"Du Idiotin!"

Über die Vermittlung des Wiener Farbfoto-Pioniers Ernst Haas gelangte sie nach Wien, wo sie als einzige Frau in der kurz davor gegründeten, mittlerweile legendären Fotoagentur Magnum aufgenommen wurde. Allerdings nicht als Fotografin, wir sind in den patriarchalen 50ern, sondern zum Verfassen von Bildtexten. Und zum Scouten lohnender Reportagen. Die dann einer der Jungs fotografierte. 1951 schloss sie ihre Fotografinnenausbildung ab – und schrieb weiter Bildtexte.

Es war 1953 in Venedig, als sie die überraschend melancholische Regenstimmung derart begeisterte, dass sie Magnum-Gründer Robert Capa anrief und ihn bat, schnell einen Fotografen zu schicken. „Du Idiotin – mach doch endlich selbst ein Foto!“, soll er ihr charmant wie es seine Art war gesagt haben. Und das tat sie dann auch.

Morath wurde also bei Magnum tatsächlich Fotografin, zuerst als Assistentin von Cartier-Bresson, doch bald kamen Aufträge von Vogue, Paris Match und anderen Hochglanzmagazinen. Und natürlich ihre famosen Reisereportagen, die werden über ihre Star-Porträts oft vergessen. Von der Corrida in Pamplona über Arbeiterbilder in Russland bis nach China hielt sie typische und untypische, alltägliche und ungewöhnliche Dinge auf ihre unaufdringliche Weise fest.

Inge Morath: Selbstporträt

"Du Idiotin", sagte Magnum-Chef Robert Capa zu Inge Morath und brachte sie so dazu, endlich selbst zu fotografieren

©1958 ©Fotohof archiv / Inge Morath / Magnum Photos

Und Menschen, immer wieder, sie waren es, die Inge Morath faszinierten – und nicht die berühmten Namen. Vielleicht war das ja ihr Geheimnis, wie sie ihre prominenten Motive „mit heruntergelassener Deckung“ erwischte, um noch einmal Philip Roth zu zitieren.

Für John Huston, an dessen Sets sie öfter fotografierte, unter anderem eben auch Arthur Miller und Marilyn Monroe, war sie „die Hohepriesterin der Fotografie. Sie bleibt nie an der Oberfläche, weil sie erkennt, was darunter ist, was den Kern ausmacht.“

Mit Arthur Miller fand sie ihren Lebensmenschen. Seine Ehe mit Marilyn lag bereits in Scherben, bevor sie die beiden am Set von „Misfits“ fotografierte, auch das wird sie erkannt haben. Die gemeinsame Tochter Rebecca Miller ist zwar keine Fotografin, aber eine preisgekrönte Regisseurin. Und mit Daniel Day-Lewis verheiratet, der für sie die schöne Isabelle Adjani verließ ...

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

Kommentare