Charles M. Huber: "Dafür hätte ihm eine bayerische Watsche gebührt“

Zehn Jahre lang löste Charles M. Huber als Assistent des „Alten“ komplizierte TV-Kriminalfälle. Jetzt hat er ein lesenswertes Buch Buch zum komplizierten Verhältnis Europas zu Afrika herausgebracht.

Er ist so leidenschaftlicher Bayer wie leidenschaftlicher Afrikaner: Charles M. Huber kennt beide Welten gut, ist in einem niederbayerischen Dorf aufgewachsen, bevor er zuerst im deutschen Film, später in der Weltpolitik mitmischte. Mit der "freizeit" sprach er über sein aktuelles Buch „Weltbühne Afrika“, die Schwierigkeit, überholte Klischees abzustreifen, afrikanische Kultur, bayerische Watschen – und über Weißbier natürlich.

Sie haben eben ein viel beachtetes Buch zur Weltlage, vor allem in Bezug auf Afrika herausgebracht. Wie wurde aus dem Kommissar Henry Johnson der Politiker, Präsidentenberater und Sachbuchautor Charles M. Huber?
Ich wollte den Menschen ein schwieriges Thema näher bringen. Und zwar im Sinne einer vielschichtigen Entwicklung und Analyse. Wie sieht der Huber die Welt, natürlich auch als Politiker. Es ist der Versuch, über meine Person gewisse Dinge jenseits gängiger und verallgemeinernder Sichtweisen darzustellen. Etwa warum sich das Narrativ über Menschen anderer Hautfarbe, im konkreten Fall der schwarzen, derart gestaltet hat, wie es heute ist.
Sie beschreiben  in Ihrem neuen Buch aber auch persönliche Erlebnisse. Über Ihre Kindheit in einem niederbayrischen Dorf, Ihre Zeit in München. Stimmt es, dass Ihre damalige Frau von einem Metzger in München nicht bedient wurde, weil sie mit einem „Schwarzen“ verheiratet war?
Ja, das stimmt. Das war im München der 1980er. Aber meine persönlichen Erlebnisse sind im Rahmen des Buches nicht so wichtig. Ich  will den Blick nicht auf das Individuelle beschränken, dafür geht es um zu viel. Anekdoten allein würden dem gesamten Sachverhalt nicht gerecht werden.  Ich bin an einigen Stellen zwar Protagonist des Themas, aber nicht das Thema an sich. Ich bin nur der Erzähler – über meine Person versuche ich darzustellen, wie die Sicht auf Menschen meiner Hautfarbe, die noch aus dem Propagandaschema der Kolonialzeit stammt, mit der Behandlung Afrikas auf wirtschaftlicher Ebene in Verbindung steht. 
Als Protagonist bereisten Sie etliche afrikanische Länder. Wie stellt sich dort die Situation für Sie dar?
Anders, als wir es in Europa seit vielen, vielen Jahren vermittelt bekommen. Oder sehen wollen. Nehmen Sie etwa die Covid-Krise. Während man in Europa davon ausging, dass es hier besonders schlimm werden würde, weil „die“ das sicher nicht in den Griff bekommen, wurden in Wahrheit vorbildliche Maßnahmen ergriffen und eine erfolgreiche Eindämmungspolitik betrieben.
Woher haben wir unsere Sichtweise? Und warum?
Schauen Sie, für Europa und den gesamten Westen wurde Afrika lange Zeit durch barbarische Diktatoren wie Idi Amin und Bokassa symbolisiert. Das waren aber Männer, die aus der britischen beziehungsweise französischen Armee kamen und bewusst von westlichen Regierungen unterstützt wurden, weil sie bei der Ausbeutung des Landes geholfen, Kriege in deren Sinn geführt, und vor allem deren ökonomische Interessen vertreten haben. Demokratie und Menschenrechte wurden  erst ein Thema, als diese plötzlich aus diesem System ausscherten.
Wie konnte es so weit kommen?
Das Narrativ war über Jahrhunderte ja Folgendes: Man definierte über solche Symbolfiguren „schwarz“ als barbarisch und unfähig, um damit zu rechtfertigen, dass man die afrikanischen Länder „verwalten“ müsse. Also man „half“ ihnen schon damals, während es in Wahrheit um Rohstoffe ging. Daher lag es  nie in der Absicht der Kolonialmächte, dass sich diese Länder entwickeln. An diesem System hat sich bis heute nichts geändert.
In dem Zusammenhang schreiben Sie auch darüber, dass afrikanische Geschichte erst ab dem Zeitpunkt bewusst ist, als Afrika durch Sklaverei und Kolonialismus zum Opfer wurde. 
Ja, das ist leider so. Und zwar nicht nur in unseren Köpfen, sondern auch bei vielen Afrikanern. Auch westliche Anthropologen haben dabei eine Rolle gespielt, Hancock schrieb beispielsweise die Pyramiden des Sudans einfach den Ägyptern zu.
Warum sind die frühen afrikanischen Hochkulturen wie der Wolof im Senegal oder der Malinke und Bambara in Mali nicht im Bewusstsein verankert?
Es  gibt kaum geschriebene Geschichte, die dem Volk zugänglich war. Außer der arabischen und der äthiopischen Schrift gab es keine Möglichkeit der Dokumentation. Die Geschichte Afrikas wurde also erst viel später geschrieben. Von den Europäern, den Siegern und gemäß deren propagandistischen Schemata. Das führte zur durchdringenden Viktimisierung, denn auch sehr viele Afrikaner kennen ihre eigene Geschichte erst ab der Zeit, als sie zu Verlierern, praktisch zu Opfern, wurden.
Und die Griots, diese beinahe homerischen westafrikanischen Geschichtenerzähler?
Die überliefern die Geschichte ihrer Familien, kaum überregionale Zusammenhänge.  Ein gesamtes Geschichtsbewusstsein konnten und können sie nicht vermitteln. Um inneres Selbstbewusstsein und Nationalstolz im positiven Sinne des Wortes zu erzeugen, muss man aber wissen, worauf die Größe dieser Nation und seiner Kultur beruht. Wer seine wahre Geschichte nicht kennt, ist wie ein Baum ohne Wurzeln. 
Sie waren zehn Jahre lang einer der bekanntesten TV-Schauspieler im deutschsprachigen Raum. Wann kam für Sie der Moment, als Sie gesagt haben: „Mir reicht das nicht. Ich will etwas anderes?“
Das Gefühl war im Prinzip schon immer da.  Ich wollte mich weiterentwickeln. Sehen, was in mir drin ist, auch was meine Betrachtung der Welt betrifft. Mir fiel auf, dass die Möglichkeiten die sich in Afrika, z. B. für Deutschland, eröffnen könnten, nicht auf dem Radar der europäischen Politik waren. Die Franzosen, die sich nach wie vor dort quasi als Kolonialmacht verstehen, ausgenommen. Aus diesem Grund bin ich schließlich selbst  Politiker geworden. 

Ein TV-Promi zu sein, scheint doch für viele Menschen so erstrebenswert wie unerreichbar zu sein ...

Es hat auch mich gefreut, populär zu sein, Erfolg zu haben. Aber das ist nicht alles im Leben. Warum ich konkret beim „Alten“ aufgehört habe, hatte verschiedene Gründe.
Und zwar?
Ich wollte schauspielerisch  etwas anderes machen. Ich wusste damals allerdings nicht, dass es schwierig ist, einen Arzt zu spielen, wenn einen ganz Deutschland als Kommissar kennt. Weil man typegecastet ist, wie’s so schön heißt. Aber den Arzt hab ich schließlich doch noch gespielt ... 
In der „Klinik unter Palmen“ mit Harald Juhnke, richtig?
Ja, damit bin ich beim zweiten Grund. Es gab damals den Skandal um Harald, weil er in den USA einen schwarzen Assistent Manager eines Hotels rassistisch beschimpft haben soll. Ich hab vor dem Dreh das Gespräch mit ihm gesucht. Er hat mir erklärt, dass er so betrunken war, dass er ehrlich nicht mehr weiß, was er gesagt hat. Dass es aber absolut nicht seiner Einstellung entspricht, immerhin hatte er einen halb-vietnamesischen Sohn, und Rassismus lag ihm fern. Ihn habe ich als lässigen, ehrlichen Kollegen kennengelernt. Ich hab infolgedessen damals aber auch den Hintergrund meines Endes beim „Alten“ öffentlich gemacht. Ich will hier nicht zitieren, was ein Produktionsmitarbeiter über mich, meine Familie und meine Kultur gesagt hat – aber dafür hätte ihm eigentlich eine ordentliche bayerische Watsche gebührt. Nur wäre dann natürlich ICH der Böse gewesen und hätte das Stereotyp des aggressiven Schwarzen erfüllt. Also blieb mir nichts anderes übrig als zu gehen.
Der Alte

Charles M. Huber und Michael Ande in "Der Alte"

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Ein Skandal über den es skandalöserweise kaum Medienberichte gab!
Doch, die gab es. Aber mit verzerrten Inhalten. Ich wurde als Querulant dargestellt. Rassismus durfte es damals in Deutschland  nicht geben. Rassismus  hat man  totgeschwiegen. Aber Multikulti heißt noch lange nicht, dass es diesen zwischen den einzelnen Einwanderergesellschaften nicht gibt. Eher im Gegenteil. Daher ist es wichtig, sich der Diskussion zu stellen. Diese Dinge müssten im Sinne eines gesellschaftlichen Friedens aufgearbeitet werden, auf ehrliche Art und Weise und dies von allen Seiten.
Sie sind Ihrer bayerischen Heimat sehr verhaftet, lieben viele Traditionen. Sie kennen und lieben auch Afrika, Ihre Wurzeln im Senegal, wo Sie lange gelebt und als Berater des Präsidenten gearbeitet haben. Auch dort ist für Sie Heimat. Wie können  Europa und Afrika einander näherkommen, einander besser verstehen?
In Wahrheit steht Afrika Europa sehr nahe. Was die Mentalität anbelangt sicher näher als etwa China. Dennoch ist China in Afrika aktiver und verschleiert eigene Interessen nicht als sogenannte Entwicklungshilfe. Tatsächliche Hilfe der wohlhabenden Länder müsste so aussehen, dass den Afrikanern die  Möglichkeit eröffnet wird, die eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten anzugehen, Steuern  zu generieren, um weniger von institutioneller Hilfe aus dem Ausland abhängig zu sein. Und zwar nicht für den Preis, billige Rohstoffe zu beziehen, die verarbeitet und dann teuer zurückverkauft werden und die gesamte Wertschöpfung in Industrieländer zu verlagern. Nur so kann man auch die Migration, den Zulauf junger Leute in radikale Gruppen eindämmen. Terrorismus in Afrika ist ein Erwerbsmodell, eine Plattform, um Revanchismus auszuüben und keine religiöse Haltung. 
Muss sich dazu nicht auch unsere Wahrnehmung Afrikas ändern?
Sagen wir es einfach einmal so. Sie sollte der Realität angepasst werden.  In diesem immer noch reduzierten Blick auf einen ganzen Kontinent wird vergessen oder einfach übersehen, dass die besten Absolventen an amerikanischen Spitzenunis längst aus Nigeria und Ghana kommen, dass es fantastische Literatur aus afrikanischen Ländern gibt, Filme, Kunst und diese Haltung, die Afrikaner veranlasst hatte,  die  Partnerschaft zu Europäern in Frage zu stellen, besonders zu Frankreich, was sich auch im Abstimmungsverhalten auf UN-Ebene verdeutlicht.
Apropos Kultur: Lassen Sie uns mithelfen, Afrika nicht nur in überholten negativen Klischees zu sehen. Welche afrikanische Literatur empfehlen Sie unseren Lesern?
Da gibt es so viel – wo soll ich anfangen? Mit Léopold Sédar Senghor vielleicht, der 1968 bereits den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewonnen hat. Es ist  nicht alles übersetzt, aber „Bis an die Tore der Nacht“ ist auf jeden Fall auch auf Deutsch erhältlich. Der nigerianische Literatur-Nobelpreisträger Wole Soyinka natürlich, und von der jüngeren Generation David Diop, von dem es aktuell den Roman „Reise ohne Wiederkehr“ auf Deutsch gibt oder Marie NDiaye – die senegalesisch-französische Schriftstellerin hat zurecht viele internationale Preise bekommen.
Filme und TV-Serien?
Die seit langem sehr große nigerianische Filmproduktion, also Nollywood, wie sie deshalg genannt wird, hat inzwischen auch qualitativ zugelegt, da gibt’s sogar auf Netflix & Co. einiges zu sehen. Die Doku-Serie „Africa Rising“ über afrikanische Musik, Mode und Kunst sowie die Doku von Raoul Peck, „I am not your Negro“, die lange auf dem Sender Arte lief, kann ich auf jeden Fall empfehlen.

Und weil das Näherkommen immer auch durch den Magen geht: Welches afrikanische Gericht ist Ihr liebstes?

(lacht) Da könnte ich jetzt unter Afrikanern eine Debatte lostreten, aber ich sag’s einfach: Senegalesischer Jollof-Reis mit gefülltem Fisch, Ceebu jën oder auch Thieboudienne ist mir am liebsten, einfach köstlich.

Da Sie allerdings auch ein g’gestandener Bayer sind: Welches ist Ihr liebstes Bier?

Weißbier. Ich trinke nur mehr alkoholfrei, und da ist mir das Erdinger am liebsten. Dazu muss ich allerdings sagen: Vor allem in Niederbayern gibt es noch wirklich viele kleine Brauereien, praktisch in jedem Dorf. Auch in dem Ort, wo ich aufgewachsen bin, in Großköllnbach mit seinen gerade einmal 1.200 Einwohnern. Da gibt es praktisch kein schlechtes Bier. Und sicher findet jeder sein eigenes Lieblingsbier.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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