Anastacia im Interview

Anastacia im Interview: "Ich dachte 1.000 Mal ans Aufhören“

Millionen verkaufte Alben, Nummer eins Hits weltweit – und doch gewann Anastacia ihre wichtigsten Kämpfe abseits der Bühne. Nach einer Pause meldet sie sich jetzt mit einem neuen Album zurück.

Sie ist eine Powerfrau im wahrsten Sinn des Wortes: Anastacia beherrschte die Charts der frühen 2000er nach Belieben, nicht nur ihre markante Stimme gilt als Alleinstellungsmerkmal, sie kreierte sogar einen eigenen Stil, den sie selbst „Sprock“ nennt. Eine Art Expresszug-Mischung aus Soul, Pop und Rock. Dass sie davor jahrelang von 25 Dollar am Tag leben musste ließ sie ebenso wenig aufgeben, wie zwei Brustkrebserkrankungen  in den Jahren 2003 und 2013. 

Nach einer Pause von über sechs Jahren meldet sie sich jetzt energiegeladen zurück. Mit einer ganz besonderen Sammlung von Tracks. Ihre neue CD „Our Songs“ enthält ausschließlich Coverversionen.  Allerdings keine von legendären internationalen Klassikern oder Evergreens – sondern  von  deutschen Hits.

Zwölf Songs, die ausschließlich von deutschen Musikern stammen – wie kamen Sie auf die ungewöhnliche Idee für Ihre neue CD?
Das kam schrittweise. Ich habe einige Freunde in Deutschland, kenne eben auch Campino und die Toten Hosen, und ihr „Tage wie diese“ war dann auch der erste Song, den ich gecovert habe. Und ich fand es plötzlich richtig spannend, Songs zu covern, die ich nicht schon kenne, seit ich ein Teenager bin.
Dabei ist es wirklich erstaunlich, wie sehr sie sich die Songs auf Ihrer neuen CD zu eigen gemacht haben. Ist das die Magie des "Sprock"?
lacht) Ja  genau, das ist es! Das ist Sprock total. Soul, Pop und Rock gehören in meiner Welt zusammen, und genau so klinge ich. Das werde ich nicht ändern.
Da Sie diese drei Genres erwähnen: Die Original-Songs, die sie covern, kommen aus völlig verschiedenen musikalischen Ecken, Pop, Wave, Punk – und sogar Schlager. War das nicht eine ungeheure Herausforderung?
Darauf hab ich, ehrlich gesagt, gar nicht geachtet. Mir ging’s nur um die Musik. Meine deutschen Freunde schickten mir 50 Songs aus verschiedenen Jahrzehnten, das wollte ich unbedingt, ich wollte nicht nur einem zeitlich begrenzten Trend folgen. Ich kannte die meisten Interpreten nicht, wusste nichts von ihnen – ich wollte nur, dass es Kollegen waren, mit denen ich mich auch privat verstehen würde.
Sie hatten also keine Ahnung, wer hier singt und worum es in den Songs ging?
Exakt. Zumindest zu Beginn nicht. Ich lasse nur die Musik auf mich wirken. Und dann finde ich einen großartigen Song und folge seiner Melodie, bis sie  in mir ist, „meins“ wird. Und dann spreche ich über den Interpreten, die Zeit, in der der Song rausgekommen ist, seine Bedeutung. Und ich verstehe schon ein wenig Deutsch … (lacht)
So haben Sie auch alle Songs des Albums selbst aus dem Deutschen ins Englische übersetzt?
Dafür habe ich natürlich mit Deutschen über die Texte und ihre Bedeutung gesprochen und das dann so übersetzt, dass es wieder zum Song passt. Und nein, nicht alle, Campino von den Toten Hosen hat „Tage wie diese“ selbst übersetzt, er hat ja eine britische Mutter, ist zweisprachig. Und wie! Sie haben mir die englische Version gleich selbst aufgenommen und ich dachte mir, wow, was für einen Sänger die Jungs da für diese Demo engagiert haben, Wahnsinn! Tolle Stimme,  und sogar Native Speaker, mit einem Akzent als käme er direkt aus Manchester. Dabei war es Campino selbst, der da gesungen hat!
Er selbst hat gesagt, er sei froh, dass „Tage wie diese“ endlich von jemandem gesungen wird, der wirklich singen kann  …
(lacht) Oh, danke Campino, so süß! Aber ja, da ist er echt zu bescheiden. Er ist nicht nur wahnsinnig nett und cool – er kann auch was am Mikro, keine Sorge … Also ja, das war der eine Song, den ich nicht übersetzt habe, und der andere war Cello von Udo Lindenberg.  Da hätte ich mich nicht drübergetraut, so ein emotionaler Song, Udo erzählt da eine einzigartige Geschichte ...
Sie sind mittlerweile seit 22 Jahren ein riesiger Popstar mit einer ebensolchen Sammlung an Platin-Schallplatten. Darüber vergisst man gerne, dass Sie davor auch schon mehr als ein Jahrzehnt im Pop-Business waren  …
Ja, aber mich wollte einfach niemand unter Vertrag nehmen. (schnieft scherzhaft)
Aber Sie haben sich nicht unterkriegen lassen! Dachten Sie in der Zeit nie daran, aufzuhören?
ch dachte 1.000 Mal ans Aufhören! Aber die Musik bedeutete mir einfach zu viel.
1993 gelang es Ihnen, einen Song mit David Morales aufzunehmen, „Forever Luv“. Er war auch damals schon ein angesagter Producer und DJ …
Ja, aber das war trotzdem eher Indie. Jedenfalls brachte es mir keinen Record Deal. Die zuständigen Manager bei den Labels sagten dasselbe wie alle anderen Jahre zuvor – und leider noch Jahre danach (imitiert die Entscheidungsträger hinter dem Schreibtisch): Mmmmh, faszinierende Stimme … verblüffend … hoch interessant … Aber im Moment passt mir das leider in keine Produktion, es ist einfach nicht die Zeit für so etwas … Das war schon sehr frustrierend.
Wie haben Sie sich in diesen Jahren über Wasser gehalten?
Ich hatte so viele verschiedene Gelegenheitsjobs, dass ich gar nicht mehr genau weiß, WAS ich alles getan habe. Außer singen konnte ich ja eigentlich nichts. Ich war Kellnerin, natürlich, Assistenztrainerin in einem Fitness-Club und immer wieder bei Friseuren und in Beauty-Salons ... Ich dachte, so bekomme ich vielleicht mal einen Backstage-Job, denn was gibt es im Musik-Business Wichtigeres als Haare und Make-up? (lacht)
Sie waren auch als Tänzerin in einigen Musikvideos zu sehen, etwa bei Salt 'n' Peppa. Haben Sie nebenbei eine Tanzausbildung gemacht?
Nein, ich hab absolut keine Ausbildung was das Tanzen betrifft. Ich war das blonde Girl mit Rhythmus – das fanden einige Produzenten cool für Hip-Hop-Videos. Und es hat Spaß gemacht. Ich war ja auch Tänzerin im Studio für diese Musiksendung Club MTV, falls die noch jemand kennt. Und nach den vielen Enttäuschungen mit MEINER Musik dachte ich, ja, das ist das meiste, was ich erreichen werde. Und es war cool – ich bekam ein Essen, 25 Dollar am Tag UND  ich war mitten drin, wenn die Stars ihre Auftritte hatten.
Was waren für Sie als „Fan“ die Highlights der Sendung?
Ach, es waren ja wirklich alle da, die damals in den Charts waren. MTV war in den 80ern und frühen 90ern ja wirklich groß, jeder wollte hin. Wie hieß dieser junge Brite, der so irre populär war? ... Rick Astley, genau, das war echt ein Traum. Und als Janet Jackson kam, bin ich beinahe ausgeflippt, das war einfach unglaublich.
CD Anastacia: "Our Songs"

Anastacias neue CD bringt ein überraschendes Wiederhören mit alten Bekannten. Alten deutschen Bekannten ... (Edel, bereits im Handel)

©Edel Music & Entertainment GmbH
Und dann ging alles unerwartet schnell – und Sie waren selbst der Star! Wie war das im Jahr 2000 für Sie?
Ja, ganz plötzlich ging es ab! (lacht) Man ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort – und alles, was mehr als zehn Jahre so mühsam war und unmöglich schien, klappt auf einmal. Es war unglaublich, ich konnte es wirklich kaum fassen. Gerade wollte ich endgültig den Hut drauf hauen, dachte daran, doch wieder zur Uni zu gehen und Psychologie zu studieren – und dann hatte ich mit „Not That Kind“ plötzlich einen Hit ...
Wissen Sie, dass Sie für eines Ihrer „guilty pleasures“ ernsthafte Schwierigkeiten mit Ihrem Großonkel bekommen würden?
Nein! Wegen welchem?
Im einzigen offiziellen Brief, den er je an eine Behörde schrieb, protestierte er gegen die Eröffnung eines McDonald’s in seiner Nachbarschaft in Chelsea ...
Oh mein Gott, Onkel Dirk würde sich echt für mich schämen! Ja, es stimmt, ich war wirklich lange ein Fast-Food-Junkie – woher wissen Sie das? (lacht) Aber ich habe mich  gebessert, ganz ehrlich – nur noch hin und wieder ein paar Chicken Nuggets ...
Hit ist beinahe ein wenig untertrieben. Gold und Platin in zehn Ländern weltweit, in Australien sogar dreifaches Platin. Und in dieser Tonart ging's dann ja weiter ...
Ja, die nächsten paar Jahre waren der absolute Irrsinn. Touren, TV-Shows, Aufnahmen im Studio – aber vielleicht auch gut so, ich war zu beschäftigt um über all das nachzudenken oder gar abzuheben. Obwohl mir schon manchmal beinahe schwindlig wurde. Der Job als Tänzerin für 25 Dollar Tagesgage hat mich zwar einigen Stars nähergebracht, aber nicht darauf vorbereitet, wie es tatsächlich ist, wenn alle Scheinwerfer auf dich gerichtet sind.
Und dann kam der Brustkrebs. Zwei Mal. Sie sind sehr offen damit umgegangen, was hat Sie dazu bewogen?
Weil es für alle Frauen wichtig ist, zu wissen. Zu wissen, wie hoch das Risiko ist, und welche Möglichkeiten wir haben, damit umzugehen. Darüber zu sprechen, nimmt dem Krebs die Macht, und es ist umso wichtiger, weil viele falsche Zahlen im Umlauf sind. Und wie Sie wissen: Ich bin keine Frau, die einfach aufgibt.
Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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