Popstar Birdy erfindet sich neu

Popstar Birdy im Interview: "Ich konnte nicht mehr so weitermachen“

Mehr als zehn Jahre war sie das "traurige Mädchen am Klavier“, und die Welt liebte sie dafür. Jetzt hat Superstar Birdy sich neu erfunden: Mit ihrem Album „Portraits“ kürt sie sich zur glitzernden Queen of Pop.

Sie feierte Erfolge, die für zwei Musiker-Karrieren reichten und ist doch erst Mitte 20: Birdy, mit bürgerlichem Namen Jasmine Lucilla Elizabeth Jennifer van den Bogaerde, gelang bereits mit 14 der ganz große Durchbruch. Doppelplatin für ihre erste Single „Skinny Love“, Gold bis Dreifachplatin für ihre selbstbetitelte Debüt-CD, Preise und Auszeichnungen im Übermaß, ihr Bild zierte die Cover von Musik- und sämtlichen einschlägigen Hochglanzmagazinen.

Und plötzlich ist sie jetzt auch mit tanzbarem Pop überaus erfolgreich. Mit der freizeit sprach sie über ihr neues Selbstgefühl, ihren Hang zur Melancholie, die Liebe zur Klassik – und ihren legendären Großonkel Dirk Bogarde.

Gleich zu Beginn ein nicht unwichtiges Detail: Wie soll ich Sie ansprechen, Jasmine oder Miss Bogaerde? Oder tatsächlich Birdy?
Doch, doch, Birdy ist gut. Es ist ja in dem Sinn kein Künstlername, es ist mein Spitzname seit ich ein Baby war. Meine Familie nennt mich so, auch viele meiner Freunde.
Dann lassen Sie uns gleich zu Ihrem neuen Album kommen. Es ist meiner Meinung nach eines der besten Pop-Alben, die heuer erschienen sind. Aber es ist eben Pop – und nicht „Birdy am Klavier“, wie wir es bisher gewohnt waren. Würden Sie selbst Ihren Stil-Wandel als radikal bezeichnen?
Oh, vielen Dank! Und ja, wahrscheinlich könnte man das so nennen ... radikal. Es ist viel elektronischer als alles, was ich bisher gemacht habe – und es ist groß, aufwendig  produziert.
Und es hat tanzbare Uptempo-Nummern! Haben Sie mit der neuen CD nur Ihre Fans oder auch sich selbst überrascht?
Ja, doch, ich hab mich selbst schon auch einigermaßen überrascht. Ich dachte mir nie, dass ich in diesen musikalischen Räumen existieren könnte, tanzbare Musik mit einem gehörigen Anteil Elektronik. Aber ich mag diesen Stil, auch so richtig große Arrangements und fühlte mich inspiriert, mich hineinzustürzen. Und das war dann die große Überraschung, dass ich mich damit auch wohl gefühlt habe, authentisch.
Was genau war diese Inspiration, die Sie angesprochen haben? Die Sie zu diesem Stilwechsel bewogen hat?
Nach meinem letzten Album konnte ich einfach nicht so weitermachen. „Young Hearts“ war so persönlich und emotional, mehr ging einfach nicht. Ich habe damals mit meinen Songs das Ende einer Beziehung aufgearbeitet und es hat mich ausgelaugt. Erst als ich mit „Portraits“ begann, habe ich wieder dieses Feuer in mir gespürt. Da wusste ich, ich will etwas machen, das sich groß und dramatisch anfühlt. Keine „sad songs“ mehr!
Obwohl Sie selbst in einem früheren Interview gesagt haben, dass sie keinen Song schreiben KÖNNEN, der nicht traurig ist?
Ja, ich bin dieses Mädchen, das immer sooo traurig ist – erwischt! (lacht) Nein, das stimmt schon, aber ich glaube, ich sollte da lieber von einer gewissen Melancholie sprechen. Und die ist schon immer präsent, auch in Uptempo-Nummern, die tanzbar sind.
Und woher kommt diese Melancholie?
Haben wir die nicht alle irgendwo, tief in uns? Nein? (lacht) Okay, vielleicht hat es ja mit meiner Kindheit zu tun, ich habe viel klassische Musik gehört, schon als Baby, am Klavier vor allem, meine Mutter ist Konzertpianistin. Viele klassische Stücke neigen zur Melancholie, und Klavier ist ohnedies ein schwermütiges Instrument.
Wollten Sie selbst auch klassische Pianistin werden?
Ja, natürlich, als Kind schien mir das irgendwie – selbstverständlich. Ich fing mit fünf Jahren an zu spielen und wollte so werden wie meine Mutter.
Was kam dazwischen?
Meine Mutter war meine Lehrerin ...
Oje, war's so schlimm? War sie so streng?
Nein, im Gegenteil, je älter ich wurde, desto mehr tanzte ich ihr auf der Nase herum, hab Theater gemacht, wenn ich während der Stunde keine Lust hatte. Denn meine Lehrerin war eh „nur“ meine Mom, und ich wusste, sie würde nicht schimpfen. Ich glaube, manchmal lernen wir mehr, wenn wir uns ein bisschen fürchten.
Aber geübt haben Sie trotzdem?
Ja schon, geübt hab ich viel. Ich habe auch wirklich gerne gespielt, vor allem Ravel und Chopin, also eher romantisch-melancholische Stücke, dafür habe ich eine Schwäche, wie Sie inzwischen wissen. Aber so mit 13, 14 habe ich dann aufgehört, Stunden zu nehmen.
Das war, als sie mit „Skinny Love“ Ihren ersten Millionen-Hit hatten, nicht?
Ja genau. Da war dann auch sehr viel los in meinem Leben, ich musste ja weiter zur Schule, hatte aber auch viele Auftritte, TV-Shows, war immer wieder im Studio ...
Wie fühlt sich so ein unglaublicher Erfolg für eine 14-Jährige an? Wir sprechen hier ja von Plattenverkäufen in Millionenhöhe, Spitzenplatzierungen in den weltweiten Charts – und  Sie waren plötzlich Stargast in den großen BBC-Sendungen!
Es war irgendwie surreal. Ich meine, ich hab mich ja nie um diese Art Erfolg bemüht. Ich hab eigene Songs komponiert, seit ich Klavier spielen konnte, und später eben auch Stücke anderer Musiker, die mir gefielen, auf meine Weise interpretiert. So wie Millionen Jugendliche auf der ganzen Welt es tun. Und plötzlich waren alle Scheinwerfer auf mich gerichtet. Das ist schon ein eigenartiges Gefühl.
 Hatte das Auswirkungen auf die Beziehung zu Freunden und Schulkollegen?
Es brachte natürlich eine eigene Dynamik mit sich. Ich meine, wir gehen in die Schule oder sitzen in der Klasse, und im Radio läuft ständig mein Song. Das ist schon eine aufregende Sache – aber es war irgendwie so, als würde es uns allen passieren. Das waren WIR, alle meine Freundinnen hatten daran Anteil, und rückblickend betrachtet, war das für mich sehr gut, weil es mich den anderen Kindern näher brachte. Ich war ja eigentlich sehr schüchtern und verschlossen.
Neue CD "Portraits"

Birdy: Portraits (Warner Music) - das aktuelle Album mit 11 neuen Songs ist im Handel erhältlich

©Warner music
Weil wir gerade über Ihre Kindheit sprechen: Ihr Vater ist Schriftsteller, Ihre Mutter Pianistin, unter Ihren Vorfahren sind jede Menge Majore, Oberste und Adelige. Wie „posh“ sind Sie aufgewachsen?
Ha! Diese Frage habe ich mir noch nie gestellt ... Aber ich glaube, sie war weniger nobel oder vornehm als ein bisschen verrückt. Meine Eltern waren Künstler, und in der Familie gab es so viele Schriftsteller und Maler und Musiker. Und immer war jemand zu Besuch, es war bunt und kreativ und von diesem Gefühl durchdrungen, dass einfach alles möglich ist. Es war eine wunderbare Umgebung zum Aufwachsen.
Einer dieser Verwandten war einer meiner Lieblingsschauspieler: Dirk Bogarde.
Oh ja, mein Großonkel! Ich liebe seine Filme auch. Leider hab ich ihn nicht mehr bewusst kennengelernt, ich war erst zwei, als er starb. Aber ich weiß, dass er mich einige Male im Arm gehalten hat.
Wissen Sie, dass Sie für eines Ihrer „guilty pleasures“ ernsthafte Schwierigkeiten mit Ihrem Großonkel bekommen würden?
Nein! Wegen welchem?
Im einzigen offiziellen Brief, den er je an eine Behörde schrieb, protestierte er gegen die Eröffnung eines McDonald’s in seiner Nachbarschaft in Chelsea ...
Oh mein Gott, Onkel Dirk würde sich echt für mich schämen! Ja, es stimmt, ich war wirklich lange ein Fast-Food-Junkie – woher wissen Sie das? (lacht) Aber ich habe mich  gebessert, ganz ehrlich – nur noch hin und wieder ein paar Chicken Nuggets ...
Dirk Bogarde hat später auch als Autor Anerkennung gefunden – Sie haben sich in einem frühen Interview selbst als „Leseratte“ beschrieben. Welche Empfehlung haben Sie für unsere Leser?
Ach, ich komme unglücklicherweise nicht mehr so viel zum Lesen wie als Teenager. Aber „Klara und die Sonne“ hat mich letztes Jahr wirklich gefesselt. Von Kazuo Ishiguro, der auch „Was vom Tage übrig blieb“ geschrieben hat. Und wenn’s gerade um Empfehlungen geht, dürfen es auch musikalische sein? Madison Cunningham sollte unbedingt mehr gehört werden, für mich ist sie so etwas wie die Joni Mitchell unseres Jahrhunderts. Und Courtney Marie Andrews, sie ist unglaublich. Und Ryan Beatty, der hat gerade ein richtig gutes Album herausgebracht: „Calico“!
Vielen Dank für die Tipps – ich werde mich sofort durchlesen und -hören. Außer Courtney Marie Andrews kenne ich tatsächlich niemanden von Ihrer Playlist – aber Courtneys „May Your Kindness Remain“ ist einer meiner Lieblingssongs.
Echt? Cool, sie ist wirklich fantastisch.
Aber weil sie eben auch Joni Mitchell erwähnt haben. Sie wird oft als eines Ihrer Vorbilder genannt, so wie Etta James – oder auch Nina Simone. Ich höre auf Ihrem neuen Album aber durchaus Anklänge an Kate Bush. Und da gibt’s ja noch weitere Parallelen, sie wurde damals ja auch als Teenager berühmt ...
Ja, Joni Mitchell hab ich mich sehr früh nahe gefühlt. Nur halt auf dem Klavier, statt an der Gitarre. Aber es stimmt schon,  ja, das mit Kate Bush ist Ihnen ganz richtig aufgefallen.
Ich denke da vor allem an Songs wie „Raincatchers“ oder „Ruins II“.
Genau, ich liebe diese Größe, die viele ihrer Songs haben, das Drama. Und sie ist natürlich eine fantastische Songwriterin. Aber ich habe sie wirklich erst in den letzten Jahren für mich entdeckt.  Wir haben  live dann auch „Running Up That Hill“ gecovert, das erste Mal sogar schon 2016, glaube ich.  Aber als Kind zu Hause habe ich sie nicht gehört. Meine Mutter hat sofort die Stereoanlage ausgeschaltet, wenn Pop gelaufen ist (lacht)  ...
 Da war sie dann also doch streng. Also gar kein Pop in Ihrer Jugend?
Na ja, mein Dad hat schon auch „poppigere“ Musik gehört, aber das waren dann so Sachen wie die Beatles oder Tracy Chapman. Die ich heute noch liebe. Allerdings eben keine Kate Bush.
Es ist merkwürdig, wenn wir von Ihrer Jugend sprechen – Sie sind jetzt erst 27 geworden. Aber Sie sind schon so lange im Rampenlicht, dass man das vergisst. Sie haben ja sogar schon eine Pause von fünf Jahren eingelegt!
Stimmt, mir kommt es auch vor wie ein ganzes Leben. Vielleicht ja deshalb auch die Pause ... 
Das war nach Ihrem dritten Album „Beautiful Lies“, oder? 
Genau ... und eigentlich würde ich es nicht unbedingt eine Pause nennen. Ich brauchte einfach eine Auszeit, ich war praktisch nonstop auf Tour davor, ein Live-Gig nach dem anderen, es war extrem intensiv, und ich war noch so jung (lacht)  – sehen Sie? Mir passiert das selbst! 
Wie alt waren Sie da?
20. Und ich hab meine Sachen gepackt und bin mit meiner Schwester drei Monate nach Indien. Ich hatte auch gerade eine Trennung hinter mir und einen schrecklichen Writer’s Block, ich dachte, mir würde nie wieder ein Song einfallen. 
Diese Befürchtung hat sich zum Glück nicht bewahrheitet ...
Nein, aber es waren schwierige Jahre. Nach dem Indien-Trip bin ich in eine Blockhütte in den Topanga Canyon in Kalifornien gezogen, hoffte wohl, dass mich das inspiriert, so ähnlich wie Joni Mitchell und Crosby, Stills and Nash damals gleich in der Nähe im Laurel Canyon.  
Und, hat es geholfen? 
Na ja, die nächste CD ist erschienen, oder? (lacht) Aber ja, da waren dann wohl knapp fünf Jahre dazwischen. Und wie gesagt, sie ist so persönlich und emotional, wie ich es nicht ein zweites Mal produzieren kann – und will. 
Wobei bis zur aktuellen auch wieder zwei Jahre vergangen sind!
Stimmt – da könnte man sich glatt fragen: Was macht sie bloß die ganze Zeit? (lacht) 
Keine Sorge, das werden wir auf keinen Fall! Nur noch eines: Wann kommen Sie nach Österreich?  
Im Herbst ist eine USA-Tour geplant. Im Frühjahr dann Europa – und hoffentlich Austria!
Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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