Die Bardot im Boyfriend Shirt

So sieht Sex aus! Das Boyfriend-Shirt

Unschuldiges Weiß oder zart blau gestreift, auf jeden Fall zu groß und leicht zerknittert – das angesagte Boyfriend Shirt hat eigentlich eine lange Geschichte. Und die ist prickelnder als man auf Anhieb denken würde.

Brioni, Prada , Aspesi – oder H&M und Zara, es ist egal auf welchem Preisniveau, Boyfriend-Hemden sind das Ding der Stunde. Alle möglichen – weiblichen, sonst macht's ja keinen Sinn – Stars werden gespottet, wie sie Hemden, die von ihren Ehemännern, Freunden, Liebhabern sein könnten, aber es mit größter Wahrscheinlichkeit nicht sind, tragen, und damit einfach umwerfend sexy aussehen. So wie gerade erst Victoria Beckham, die in der Netflix-Doku „Beckham“ natürlich im Herrenhemd über ihren Göttergatten spricht, was die Verkaufszahlen nochmal ankurbelte.

Aber warum ist das so? Warum findet die ganze Welt Frauen in zeltartigen Hemden so verführerisch? Die Antwort könnte ein Blick in die Filmgeschichte erleichtern...

Außerdem lest ihr in dieser Geschichte noch

  • Pretty Woman: Julia Roberts "danach"
  • Ausgerechnet Doris Day hatte Sex?!
  • "Sündige" Audrey Hepburn, "böse" Brigitte Bardot

Welcher fällt uns als erstes ein, wenn wir an Boyfriend-Hemd-Situationen denken? Wohl der mit Julia Roberts. Sie trug vor etwas mehr als 33 Jahren in der heute so nicht mehr drehbaren Cindarella-Story „Pretty Woman“ in einer ikonografischen Szene das leicht zerknitterte weiße Hemd von Richard Gere. Wir erinnern uns – das ist gleich für den historischen Kontext wesentlich – der fesche Millionär, den Gere spielt, hat sie „gebucht“ und trotz anfänglicher Bedenken seine bezahlte Leistung auch konsumiert ...

 Julia Roberts in „Pretty Woman“

Geburtstagskind Julia Roberts - am 28. Oktober wird sie 56 - im Boyfriend Shirt ("Pretty woman, 1990)

©imago images/Everett Collection/©Buena Vista Pictures/Courtesy Everett Collection/imago images

Einige Jahre später lehnte Angelina Jolie verführerisch in Brad Pitts Türrahmen, und tatsächlich soll der Dreh zu „Mr. & Mrs. Smith“ (2005) der Beginn ihrer Beziehung gewesen sein. Und dann war da noch Star-Fotograf Peter Lindbergh, der vor zehn Jahren sechs Supermodels in weißen Herrenhemden, schwarzen Heels und sonst nicht viel mehr ablichtete.

Peter Lindbergh

Fotograf Peter Lindbergh steckte sechs Super-Models in weiße Hemden.

©Balawa Pics / Action Press / picturedesk.com/Balawa Pics/Action Press/picturedesk.com

Es gibt also einige Vorbilder für Kendall und Kylie, Sienna, Kim & Co. Das Phänomen ist allerdings noch viel älter – und hat seinen Ursprung im prüden Hollywood der 1950er und 60er.

Gar kein Sex mehr?

Dort war nach relativ frivolen Anfängen ab Mitte der 1930er der sogenannte „Hays Code“ für sämtliche Produktionen gültig. Der Verbot neben blasphemischen Inhalten und Plots, in denen die bösen Jungs davonkommen vor allem auch eines: Sex. In jeder Darstellungsform, auch zwischen Ehepartnern. Das ging so ins Detail, dass sogar verheiratete Paare nur in Ausnahmefälle ein Doppelbett überhaupt haben durften. Sich gleichzeitig in der Horizontale zu befinden war ohnehin verboten, außerdem musste der Fuß eines Schauspielers immer den Boden berühren.

Lucille Ball drehte als Hochschwangere eine komplette Folge von „I Love Lucy“, ohne dass im Rahmen der Handlung auch nur einmal das Wort „schwanger“ erwähnt werden durfte. Nicht, weil das Wort an sich obszön war, sondern das, was dazu führt, dass man es wird.

Die Regisseure ihrerseits versuchten mit allerleid Tricks, dem Publikum klar zu machen, was gerade Sache ist, beziehungsweise gleich sein würde –  legendär ist etwa Alfred Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ (1959), in dem Cary Grant die schöne Eva Marie Saint im Schlafwagenabteil eines Zuges küsst, den man gleich darauf in einen Tunnel einfahren sieht.

 

Und dann kam das Herrenhemd

Ausgerechnet Doris Day, die sauberste aller Sauberfrauen Hollywoods, brachte dann plötzlich mehr prickeln auf die klinisch sauberen Leinwände.  „Bettgeflüster“ (1959) etwa und „Ein Pyjama für zwei“ (1961), beide mit Rock Hudson,  boten ihr die Gelegenheit, ausgiebig in viel zu großen männlichen Oberteilen im Bild zu sein, während sie ganz unschuldig mit dem obenrum nackten Mann an ihrer Seite flüsterte. Und das Publikum fragt sich natürlich: Warum? Und: Waren die etwa zuvor beide nackt? Gleichzeitig?!

Aber es ist der vorangegangene Akt, den ebendieses Hemd impliziert, der wonnige Schauder beim Publikum auslöste – da konnte auch die überwältigende Symbolkraft von Hitchcocks Zug-im-Tunnel-Szene nicht mithalten.

Audrey Frühstück bei Tiffanys

George Peppard beobachtet Audrey Hepburn ein wenig ungläubig in „Frühstück bei Tiffany“

©imago images/Mary Evans/Mary Evans/imago images

Männerhemden gab’s bald überall, ebenso hübsch wie aufreizend nachlässig schminkte sich zum Beispiel Audrey Hepburn darin als „leichtes Mädchen“ Holly Golightly vor ihrem Spiegel. Während ein mit und von  ihr ständig überforderter George Peppard sie ungläubig dabei beobachtet. Weshalb hat sie dieses Hemd an?, scheint sein verwirrter Blick zu sagen, Von wem hat sie es?, und: Warum hat sie es!?

Trè chic in Frankreich

Und wer sollte Boyfriend Shirts in den 1960ern denn lässiger tragen als französische Schauspielerinnen wie Brigitte Bardot? In Louis Malles „Privatleben“ (1962) zum Beispiel, einem ihrer anspruchsvolleren Werke, dem sie durch ihren Stil dennoch einen unverwechselbaren Stempel aufdrückte. Privat sowieso, an der Côte d’Azur in Gilbert Bécauds Hemden, Glenn Fords und natürlich denen von Playboy Gunter Sachs.

Wenig später erreichte die zur Schau gestellte Intimität mit Jane Birkin und Serge Gainsbourg ein neues Level. Weil sie einerseits ohnehin immer wirkten, als wären sie gerade aufgestanden und hätten sich andererseits  beim Anziehen am Kleiderhaufen des Partners bedient.   Und dennoch hatten die beiden einen ganz eigenen Chic, unglaubliche zwölf Jahre lang. Ganz wie Pitt und Jolie verliebten sich Jane Birkin und Serge Gainsbourg 1968 beim Dreh ihres ersten gemeinsamen Films „Slogan“.

Und jetzt raten Sie, was die von Birkin verkörperte, 18-jährige Evelyne nach ihrer ersten Nacht mit dem 40-jährigen Serge Fabergé (Gainsbourg) anzieht? ... Genau.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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