Star-Architekt Matteo Thun: "Das einzige No-Go ist in Dubai zu bauen"

Er ist einer der wichtigsten Gestalter der Welt. Der Südtiroler ist stets auf der Suche nach der Seele. Ein Gespräch über Eitelkeiten, Räder und warum er für einen Baustopp in den Alpen ist.

Für einen Revoluzzer ist er ausgesprochen höflich. In den Achtzigern hat Matteo Thun alte Zöpfe abgeschnitten. Mit der Gruppe Memphis stellte er wieder verstärkt die Form statt die Funktionalität in den Vordergrund.

Die freizeit trifft ihn in der Wiener Campari Bar, die er gestaltet hat. Dort sind noch bis Sonntag, 22. 10., Objekte seiner Arbeit für Campari zu sehen. Gleich zur Begrüßung erzählt der Architekt sogleich, wie er es mit Wandlichtern geschafft hat, den langen, schmalen Raum optisch zu erweitern.

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Zum Gespräch bittet er in eine Nische, die mit rotem Samt ausgestattet ist und wenig Nebengeräusch zulässt.

Was braucht es, damit man sich in einem Raum wohlfühlt?
Matteo Thun: Das Verständnis für den Ort, für dessen Gesetze und Kultur. Es braucht schlicht und einfach ein Verständnis über die Seele des Ortes, an dem Menschen glücklich sein können. Und an dem die klimatische Situation gleichermaßen respektiert ist wie die kulturelle.
Sie propagieren die Botanische Architektur, in der die Natur ein Bestandteil der Gebäude ist. Warum gibt es immer noch so viel Beton?
Der Beton dieses Jahrhunderts heißt Holz. Das ist nicht meine Aussage. Aber es ist schlicht und einfach ein Mega-Trend, der nachvollziehbar ist. Holz generiert Patina. Es sieht nach 200, 300 Jahren immer schöner aus. Beton hingegen wird immer hässlicher. Stahlbeton rostet, Holz bleibt stabil. Holz ist unabhängig vom CO2-Fußabdruck das beste Material, das wir je hatten.

 

Matteo Thun in der Campari Bar in Wien, die er – wie die Gläser im Vordergrund – entworfen hat.

©KURIER/Jeff Mangione
Warum dauert es so lange, bis es sich durchsetzt?
Die Betonmafia hat fast 100 Jahre Trainingsvorteile. Ich selbst trainiere seit 30 Jahren mit Holz. Wir haben ein Defizit im Know-how bei der Produktion und in der Durchsetzung logistischer Faktoren.
Interessieren Sie eigentlich Märkte wie Dubai oder China, wo groß gebaut wird?
Das einzige No-Go für einen Architekten, der ethischen Prinzipien folgt, ist in Dubai zu bauen. Jeder andere Ort der Welt ist willkommen, um herauszufinden, was man dort machen kann. Wenn die Kinder von unseren Kindern in 50 Jahren nach Dubai fahren, werden sie sagen, unsere Eltern waren verrückt.
Wo würden Sie besonders gerne etwas planen?
Ich würde den Spieß umdrehen. Ich wäre für einen totalen Baustopp im Alpenraum. Meine Heimat Südtirol hat ein Kapital, und das sind die Dolomiten. In den Dolomiten zu bauen, würde bedeuten, optische Hürden vor Gebilde zu stellen, die der Grund des Tourismus sind. Sie sind der Grund, warum Südtirol einen Mehrwert hat. Kein Mensch kommt nach Südtirol, um moderne Architektur zu sehen. Alle kommen hierher, weil die Natur, die Konfiguration des Alpenraums besonders schön ist.
Das heißt, Sie bauen dort nichts mehr?
Ein Baustopp ist aber undemokratisch. Deshalb plädiere für eine totale Integration in die Landschaft, wenn man baut.
©KURIER/Jeff Mangione
Sie sagten einmal, zu Ihnen ins Mailänder Büro kommen die Mitarbeiter mit dem Fahrrad ...
Selbst die nahe U-Bahnstation wird kaum verwendet. Aus dem einfachen Grund. Mit dem Rad geht es schneller.
Ist das Fahrrad ein Objekt, das schon perfekt ist? Oder gibt es da doch immer wieder was zu verändern?
Es gibt ständige Veränderungen. Ich bin ein Fan des Elektro-Fahrrads. Und das verbessert sich von Jahr zu Jahr. Das Gewicht wird geringer. Die Distanzen werden länger. Die Bremsqualität wird besser.
Und vom Aussehen her?
Das ist nicht relevant. Die Funktion steht im Vordergrund.
Sie sind an sich gegen das Bauhaus-Prinzip. Form folgt der Funktion. Warum eigentlich?
Fred Kiesler war ein Wiener Visionär, der in New York gelebt hat. Er hat in den 1930ern eine fantastische Aussage getätigt. Form folgt Funktion. Funktion folgt Vision. Und die Vision folgt der Wirklichkeit. Damit ist alles gesagt. Es lebe der Fred Kiesler.
Sie haben bei Oskar Kokoschka studiert. Wie war er so als Mensch?
Extrem unhöflich, maximales Interesse an Frauen.
Damit waren Sie abgeschrieben?
Vollkommen unten durch.
Sie sind gegen den Personen- und Starkult in der Design- und Architekturszene. Wieso sträuben Sie sich dagegen?
Mein Vertrauen in die nächste Generation ist so hoch, dass ich Starallüren rigoros ablehne. Ich punkte mit der Fähigkeit, mit der nächsten Generation interdisziplinär für eine Sache da zu sein und nicht für sich selbst.
Dabei sitzen wir hier, und Sie werden als Star interviewt.
Ich habe früh begonnen, für diese Marke zu arbeiten, die roten Alkohol für Mischgetränke verkauft. Wir haben diese Bar hier 2019 gestaltet und ich bin sozusagen hier als Dienstleister.
Wenn Sie gegen das Star-Prinzip sind, haben Sie wohl auch keine Objekte von Ihnen selbst daheim?
Null komma null. Ich will mich nicht selbst beweihräuchern und liebe wie fast alle Architekten leere Wände.
Gibt es Gegenstände, bei denen sich eine Neugestaltung lohnen würde?
Es gibt immer wieder Varianten von Funktionen, die man neu überdenken muss. Etwa, weil sich die Verhaltensweisen geändert haben. Zum Beispiel habe ich gerade einen Weinkühler kritisiert, weil der Griff sehr unbequem nach unten fällt. Ich bekam die Antwort, das sei ein Werbegeschenk, und das müsse preisgünstig sein. Aber auch preisgünstige Griffe sind möglich.
Sie haben für Campari, Illy und Meinl gearbeitet. Hat das Vorteile, wenn man Gourmet-Marken betreut?
Das kann ich so nicht beantworten. Wir sind immer auf der Suche nach der Seele der Marke. Wenn wir glauben, die Seele gefunden zu haben, dann macht das Spaß. Wenn nicht, sollten wird den Job aufgeben.
©KURIER/Jeff Mangione
Wie sieht es aus, wenn Sie eine Seele ausloten?
Ich habe intuitiv bemerkt, dass der Meinl-Mohr traurig nach unten schaut. Er war dienend und gebückt. Ich habe empfohlen, ihn um 15 Prozent anzuheben, dass er den Betrachtern glaubwürdig in die Augen sieht.
Sie sind in Ihrer Jugend Rennen gefahren. Wie sehen Sie das heute? Sollen Autos schnittig sein? Ist das ein Anachronismus?
Das ist eine schwierige Fangfrage. Ich habe 2004 meinen Porsche Carrera 4 verkauft. Das passierte zum großen Ärger meiner Kinder. Sie fragten, wie ich ein so tolles Auto nur verkaufen könne. Es ist aber nicht möglich, dass ich Meinungen vertrete und sie dann hinten herum sabotiere.
Wie soll ein Auto heute von der Form her beschaffen sein?
Das Auto ist heute aufgrund der Vielzahl der Geräte, die auf den Straßen unterwegs sind, ein Fortbewegungsmittel und kein Instrument der Selbstdarstellung. Der Karosseriemeister wie Pininfarina, Bertone ist ein Berufsbild, das revisionsbedürftig ist.
Dann doch lieber Fahrräder designen?
Das Fahrrad hat das Rennen gemacht. Siehe China. In den Städten funktioniert der Verkehr zwar schlecht, aber dann doch. Und das nur, weil ein Großteil mit dem Rad fährt.
Zur Person

Zur Person

Matteo Thun wurde 1952 in Bozen geboren. Er zählt zu den bedeutendsten Designern der Welt. Er war Schüler von Oskar Kokoschka an der Salzburger Akademie und studierte Architektur in Florenz. Mit Ettore Sottsass gründete der Südtiroler 1981 die Memphis Group. Er entwarf für Illy und Meinl Kaffee-Tassen oder plant eine Seniorenresidenz in Bayern. 
 

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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