Stefanie Reinsperger

Stefanie Reinsperger ist Sisi: "Sie ist Opfer - und Täterin"

Am Burgtheater entthront Stefanie Reinsperger den Mythos Sisi. Ein Gespräch über Feminismus, Körperkult und ihr Berserker-Image.

Sisi fasziniert, Sisi verkauft sich, Sisi regt auf. Dem will sich auch das Burgtheater nicht verschließen: "Elisabeth!" geht dem Popstar-Mythos von Kaiserin Elisabeth von Österreich auf den Grund und den Geschichten, die sich um sie ranken. Und beleuchtet sie unter feministischen Aspekten.

Den mitreißenden Monolog – ein Herzensprojekt – spricht Stefanie Reinsperger. Nach neun Jahren in Berlin ist der Theaterliebling und Star des Dortmund-"Tatort" seit dem Vorjahr wieder in Wien, spielt an der Burg bereits erfolgreich den "Liliom".

Zum Interview treffen wir die Schauspielerin, die aus Biedermannsdorf bei Wien stammt, im prunkvollen Erzherzog-Zimmer des Burgtheaters. Die Proben sind für heute geschafft, jetzt spricht sie ihren eigenen (Klar-)Text – kraftvoll, mit Herz.

Sie wollen Sisi entthronen, das könnte manche verschrecken. Müssen die Fans der kaiserlichen Ikone sich fürchten? 

Müssen tut keiner irgendwas. Aber Mareike Fallwickls Text entblättert Sisi Schicht um Schicht und hinterfragt die Geschichtsschreibung. Wenn ich das spiele, bereitet es mir extrem Spaß, mit Klischees zu brechen, dann sie wieder extrem zu bedienen und darin aufzugehen. Ich bin ja auch Sisi-Fan, sonst würde ich diesen Abend ja gar nicht bestreiten.

Verliebt in Franz: Als Romy-Schneider-Fan war Reinsperger einst verliebt in Karlheinz Böhm

©Hilde van Mas

Manchmal muss man sich an seinen Ikonen auch abarbeiten. Wie sehr sind Sie Sisi-Fan?

In erster Linie bin ich Romy-Schneider-Fan. Und ich war so verliebt in den Karlheinz Böhm, dass ich als Schülerin beim Geschichtstest auf die Frage, wer Kaiser von Österreich war, geantwortet habe, Karlheinz Böhm. So sehr habe ich ihn geliebt. Romy und Sisi sind eng verknüpft, dabei ähnelten sie sich gar nicht. Als Kind hat mich das irritiert. Ich habe mich gerne in dieser Welt verloren.

Was sagt uns Sisi heute noch? 

Das kommt darauf an: Wir benutzen Sisi gern, wie der Zeitgeist es verlangt. Für die einen ist sie feministische Vorreiterin, für andere Modeikone. Und wieder für andere Vorbild, was Askese und Körperoptimierung betrifft. Wir stellen uns unsere Ikone gerne dorthin, wo es uns gerade passt.

Die Aufführung unterzieht Sisi einer feministischen Untersuchung. Was ist die Diagnose?

Die Diagnose überlassen wir dem Publikum. Wir stellen erstmal alles auf den Kopf und lassen die seit 127 Jahren tote Sisi berichten, was sie in dieser Zeit beobachtet hat. Auch wir benutzen Sisi. Denn es geht im Stück auch um bedeutende Frauen der Geschichte, die weniger berühmt sind. Ungehörte und unerhörte Frauen. Es geht darum, wer Geschichte aufschreibt, nämlich meist Männer. Vielleicht war alles ja ganz anders. Es braucht wenig, eine Geschichte zu verändern. Das Weglassen eines Details reicht.

Reinsperger über die Ikone Sisi: "Eine Feministin mit 30 Zofen? Das ist extrem überheblich und eitel"

©Hilde van Mas

Wie erträglich oder unerträglich ist Sisi für den Feminismus? 

Die erste Reaktion von Mareike Fallwickel, als wir das Projekt an sie herangetragen haben, war: Sisi, um Gottes Willen! Es ist eine schöne Hassliebe, die im Text zwischen den beiden entsteht. Unter ihrem Blickwinkel muss Sisi wenig wiegen und körperlich eigentlich kaum anwesend sein, mit zartem Stimmchen sprechen und sich möglichst passiv verhalten. Nur dann gilt sie als "perfekt". Wenn sie wütend und laut wird und sich gegen etwas stellt, ist das der Perfektion abträglich. Aber um Sisi als Frau zu sehen, muss man ohnehin weit zurückgehen: Als sie verheiratet wurde, war sie 16 Jahre.

Sisi changiert für feministische Frauen oft zwischen Sehnsuchtsfigur und Feindbild. Wie nehmen Sie das wahr? 

Sisi ist beides, Opfer und Täterin. Manchmal ist sie toll, manchmal nervt sie. Sich von der Position der Kaiserin aus als feministische Galionsfigur darzustellen, ist nicht schwer. Aber eine Feministin mit 30 Zofen? Das ist extrem überheblich und eitel. Mit so viel Kohle und so viel Macht lässt es sich vortrefflich unglücklich sein. Es gibt da diesen schönen Satz im Stück: Die Welt liebt es, einer schönen Frau beim Leiden zuzusehen.

Was erkennen Sie von Sisi in sich selbst, worin finden Sie sich wieder?

Ich finde es als Schauspielerin cool, einmal so eine lange Haarmähne zu haben! Ja, da entspreche ich dem Klischee! (lacht) So mit Kleid und Schleppe und allem, das hat mir schon auch gefallen.

Theatertalk: Redakteur Alexander Kern traf Schauspielerin Reinsperger im Erzherzog-Zimmer des Burgtheaters

©Freizeit

Probieren wir ein Gedankenspiel: Wenn Sisi heute noch leben würde, was wäre sie und was würde sie tun? 

Das ist eine schöne Frage. Sie wäre wahrscheinlich eine sehr privilegierte Frau. Eine Frau, aus deren hoher Position aus es ihr sehr leicht fiele, den Anstrengungen des Alltags zu entfliehen, weil sie ganz viel Auszeit und Me-Time benötigt. Und sie wäre eine Frau, die innen drin sehr unglücklich und unfassbar hungrig wäre.

Sisi brachte viele Opfer, um dem geltenden Schönheitsideal zu entsprechen. 

Ich habe mir im Museum ein Originalkleid von ihr angesehen und bin erschrocken, so schmal ist es um die Taille. Das konnte man mit beiden Händen umfassen. Bei der Obduktion wies sie Hungerödeme auf. Es war ein Körper, der geschunden und gemartert war. Sisi hat sicher darunter gelitten, in so jungen Jahren plötzlich so stark in der Öffentlichkeit zu stehen. Es war unmöglich für sie, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Alle sagten ihr, was sie zu tun habe. Dazu gehörte auch, dem Schönheitsideal zu entsprechen. Ein zweischneidiges Schwert: Einerseits wurde sie für ihre Hingabe vergöttert, andererseits hat sie sehr darunter gelitten. So zu leben, ist anstrengend. Es hat viel mit Kontrolle, Perfektionismus und einem unrealistischen Anspruch an sich selbst zu tun.

Ich habe herausgefunden, dass es offensichtlich etwas bedeutet, wenn eine Frau, die aussieht wie ich, auf der Bühne steht. Ich habe mich damit aber angefreundet.

Stefanie Reinsperger

Frauen in der Öffentlichkeit sind Druck und Anfeindungen ihres Aussehens wegen nach wie vor ausgesetzt. 

Ja, und wofür denn verdammt noch mal eigentlich? Warum müssen wir dafür immer herhalten? Können wir das bitte sein lassen. Auch Männerkörper werden kommentiert, aber Frauenkörper öfter. Sobald eine Frau, ob Schauspielerin oder Politikerin im Bild auftaucht, fühlt sich jemand zuständig, etwas zu ihrem Aussehen zu sagen. Der eigene Körper ist für jeden von uns ein hochsensibles Thema und ich finde es immer erstaunlich, wie Menschen sich von außen so immer wieder darüber erheben. Vor allem bei mehrgewichtigen Menschen und dann gern mit der vermeintlichen Sorge um die Gesundheit. Das halte ich nicht mehr aus.

Gerne schonungslos gegenüber sich selbst: "Als Schauspielerin suche ich immer nach dem unbequemsten und schwierigsten Weg für mich"

©Hilde van Mas

Die sozialen Medien machen Hasskommentare noch präsenter. Wie nehmen Sie dieses Problem wahr?

Ja, ich hatte eine Phase, in der Social Media der allerschlimmste Albtraum für mich war. Gleichzeitig habe ich auf diesem Weg auch viele tolle Menschen kennengelernt. Man kann seinen Feed schon auch so füttern und gestalten, dass es einem gut tut. Ich kann mich vernetzen und komme auf neue Ideen. Aber Hass im Netz ist etwas, das real ist und das mich zutiefst erschreckt.

Medientrends wie die Tradwives, die das Leben als Hausfrau verherrlichen, finden Sie vermutlich wenig gut. Oder?

Ich habe davon gehört und weiß mittlerweile, worum es da geht, war mir aber lange nicht sicher: Ist das ein Witz? Oder ist das ernst gemeint? Aber man sieht ja in Ländern wie Amerika, dass es wieder einen klaren Trend zu sehr konservativen Vorstellungen zur Verteilung von Geschlechterrollen gibt.

Wie beurteilen Sie den Zeitgeist, den es aus Amerika unter Trump gerade rüber zu uns nach Europa weht? 

Ich habe das Gefühl, die aktuelle Zeit ist wie ein Gummiringerl, das man an zwei Enden immer weiter auseinanderzieht und das sich immer mehr bis zum Äußersten spannt. Das macht am Anfang großen Spaß und wir finden viel übereinander heraus, aber irgendwann schnalzt es uns um die Ohren. Ich wünsche mir sehr, dass wir einander wieder wahrhaftig zuhören. Aber es ist schwierig. Die Emotionen gehen hoch, viele haben sich lange nicht gehört gefühlt. Trotzdem machen mir die derzeitigen Wahlergebnisse auf dieser Welt extreme Angst.

Sie spielen mit "Liliom" oder der Wiener Version der Oper "Carmen" gern gegen Frauen- wie Männerklischees an. Suchen Sie absichtsvoll nach diesen Rollen?

Das kommt so zu mir, aber ich will auch, dass es zu mir kommt. Das interessiert mich selbst und an der Zusammenarbeit mit Menschen: Dass wir Vorurteile extrem hinterfragen und die Bilder, die wir voneinander haben, extrem dekonstruieren. Als Schauspielerin suche ich immer nach dem unbequemsten und schwierigsten Weg für mich. Es soll mir auf der Bühne möglichst schwerfallen. Und mein ehrliches Suchen nach der Wahrheit, durch mein Zweifeln und Hinterfragen, löst dann hoffentlich auch etwas beim Publikum aus.

Das Theatertier, die Naturgewalt, das Kraftwerk: Die Schauspielerin hat mit diesen Zuschreibungen ihren Frieden gemacht, sagt sie 

©Hilde van Mas

In Kritiken und Porträts über Sie werden Sie gern als Naturgewalt bezeichnet, Sie selbst sprechen über Wahnsinn, den Sie sich selbst auferlegen, und Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst. Kultivieren Sie dieses Bild von sich?

Ich habe mir das nicht ausgesucht, das wurde an mich herangetragen. Ich liebe es zu arbeiten. Mit Menschen, die für dasselbe brennen, etwas zu suchen, und dass wir uns aneinander hochschaukeln können. Diese Begriffe für mich in diesem Zusammenhang sind entstanden, als ich noch sehr jung war. Mittlerweile habe ich meinen Frieden damit gemacht. Ich bin ganz gerne so, eigentlich.

Privat brauche ich aber extreme Harmonie und ganz viel Ruhe und Liebe und Halt. Ich mag schöne, zurückgezogene Abende, die gar nicht wild und laut und explosiv sind.

Stefanie Reinsperger

Ihr Aussehen ist Teil davon, wie Sie wahrgenommen werden. Belastet Sie das? 

Wenn ich spiele, bin ich glücklich. Gleichzeitig geht es um das Thema Körper und Frau, und wie das in einen politischen Kontext gesetzt wird. Das hat mich am Anfang extrem überfordert und verunsichert. Ich habe herausgefunden, dass es offensichtlich etwas bedeutet, wenn eine Frau, die aussieht wie ich, auf der Bühne steht. In erster Linie bin ich Schauspielerin. Alles andere, und dass ich und mein Körperbild für etwas stehen – das ist mir passiert. Aber ich habe mich damit inzwischen angefreundet.

Privat sind Sie harmoniesüchtig. Leben Sie auf der Bühne ein anderes Ich aus?

Mein Schauspiellehrer hat immer gesagt: "Bühne ist Konflikt". Sonst wird es tatsächlich ein wahnsinnig langweiliger Theaterabend. Privat brauche ich aber extreme Harmonie und ganz viel Ruhe und Liebe und Halt. Ich mag schöne, zurückgezogene Abende, die gar nicht wild und laut und explosiv sind. Aber wahrscheinlich, weil ich das ja ganz viel auf der Bühne so habe.

Reinsperger, zurück in Wien: „Ich bin einfach nicht cool genug für Berlin“

©Hilde van Mas

Haben Sie keine Angst auszubrennen? 

Ich brenne jetzt schon seit fast mehr als zehn Jahren, ich würde also sagen, ich habe einen guten Docht.

Ja, aber wie viele Jahre haben Sie noch?

(lacht) Bis jetzt kriege ich es gut hin. Ich habe in dieser Hinsicht ein gutes Gespür für mich selbst. Das musste ich lernen. Heute spüre ich schnell, wenn es mir zu viel wird. Fakt ist: Mein Arbeitspensum bedeutet sehr viel Disziplin und sehr wenig Freizeit und Privatleben. Aber es geht sich aus. Ich bin unfassbar erfüllt, dankbar und glücklich.

Was machen Sie richtig, das anderen nicht so gut gelingt? 

Es liegt sicher auch daran, dass ich immer so tolle Begegnungen hatte und nicht an berüchtigten Horrorproduktionen beteiligt war, keine streitlustigen Regisseure, wo du fertig gemacht wirst. Das macht viel aus. Ich mache mich ohnehin selbst fertig genug.

Weil wir darüber geredet haben, wofür Sisi heute steht – was soll bei Ihnen die Zeit überdauern? 

Ich wünsche mir, dass die Leute einmal sagen: Das war a Leiwande. Und man sich an ein, zwei coole Rollen oder Aussagen von mir erinnert.

Stefanie Reinsperger

Stefanie Reinsperger

Stefanie Reinsperger wurde 1988 in Baden bei Wien geboren. Max Reinhardt-Seminar, danach u. a. Burgtheater. 2017/18 war sie die Buhlschaft im "Jedermann", seit 2020 ist sie "Tatort"-Kommissarin. 2022 erschien ihr Buch "Ganz schön wütend" über erlittenes Bodyshaming. Nach dem Berliner Ensemble wieder an der Burg.

Sie sind 2024 nach sieben Jahren in Berlin nach Wien zurückgekehrt. Hatten Sie Heimweh? 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich ein Inserat aufgeben: Ich suche noch Wohnung! Denn genau genommen ziehe ich erst im Sommer um. Weil ich am Berliner Ensemble aktuell noch mehr Stücke spiele als in Wien. Es tut mir gut, in Wien zu sein. Nah an meiner Familie und meinen Freunden. Ich freue mich schon so auf die Stadt!

Ist Ihnen Wien im Vergleich zu Berlin nicht manchmal zu konservativ?

Ich habe das neun Jahre lang ausgetestet und muss sagen: Ich bin einfach nicht cool genug für Berlin. Das ist auch voll okay. Ich wusste immer, dass Berlin keine Stadt für mich ist, in der ich älter werden will. Berlin ist schnell und anstrengend. Im jetzigen Stadium meines Lebens tut es mir aber besser, ein bisschen Ruhe zu haben.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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