
Oscar-Star Felix Kammerer an der Burg: "Narzissmus ist tödlich"
Der Wiener Hollywoodstar über Christoph Waltz, wie ihm der Geist Heyoka hilft und wer ihn beim Oscar auf der Toilette engagierte.
Es ist Mittag, friedlich ruht das Burgtheater. Durch die ehrwürdigen Hallen wandelt sein Jungstar: Felix Kammerer. Martin Kušej holte ihn einst ans Haus, jetzt feiert er auch bei Direktor Stefan Bachmann Premiere: In der deutschsprachigen Erstaufführung von Ayad Akhtars "Der Fall McNeal" am 1. März bildet er mit Publikumsliebling Joachim Meyerhoff ein Traum-Duo als Vater und Sohn.
Ein Narziss von Schriftsteller trudelt dabei immer tiefer in die Krise: Er behilft sich beim Schreiben mit Künstlicher Intelligenz, sein neues Werk stammt zu einem Gutteil von seiner verstorbenen Frau, und sein Sohn hasst ihn, weil er Privates zum Roman verarbeitet hat.
Ein Theater-Highlight, und auch im Kino ist Kammerer erste Klasse: Seit der Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues" vier Oscars holte, ist der Wiener in Hollywood ein Weltstar.
"Eden" von Oscar-Gewinner Ron Howard mit Jude Law und Kammerer startet im April, abgedreht ist "Frankenstein" von Star-Regisseur Guillermo del Toro mit Christoph Waltz. Aufgeräumt bleibt das Gemüt des Sohnes der Opernsänger Angelika Kirchschlager und Hans Peter Kammerer dennoch: Ruhm, sagt er, interessiere ihn nicht.

Schauspiel-Star Felix Kammerer: "Einfach nur den Text aufzusagen, das ist nicht der Job"
©kurier/Martina BergerWie nervös sind Sie vor einer Premiere?
Eigentlich immer. Und ich hoffe, dass das nie weggeht. Ich finde das toll. Das ist eine sehr gesunde Anspannung.
Wie bereiten Sie sich vor – auf jede Rolle anders oder immer nach einem bestimmten Ritus?
Am Theater fokussiere ich mich auf den Text. Die Sprache bildet den Unterbau für eine Rolle. Beim Film gehe ich psychologischer vor, reichere die Textarbeit mit Referenzpersonen, Tieren und Fabelwesen an, die mir stimmig erscheinen.
Wie darf ich mir das vorstellen?
Bei der Vorbereitung für einen Film bin ich einmal auf einen Geist aus dem indigenen Amerika gestoßen. Der Geist heißt Heyoka. Ein Fabelwesen, das stets das Gegenteil von dem macht, dass man erwartet. Wenn es kalt ist, dann schwitzt dieser Geist. Wenn es heiß ist, friert er. Diese Verwirrung soll dazu anstiften, Dinge zu hinterfragen und anders zu sehen. Darauf habe ich dann die ganze Rolle aufgebaut. Leider wurde aus dem Film nichts, weil in Hollywood gestreikt wurde.
Alle Leute, die ich kenne in diesem Beruf, die narzisstische Züge haben, sind Riesen-Arschlöcher. Das heißt nicht, sie wären nicht erfolgreich – leider.
Wie hilft Ihnen so eine ungewöhnliche Vorgangsweise bei der Arbeit?
Einfach nur den Text aufzusagen, das ist nicht der Job. Der Job ist, das Offensichtliche mit eigenen Gedanken und Interpretationen anzureichern. Das bringt mehr Spaß und birgt größere Tiefe.
Arbeiten Sie noch mit Excel-Tabellen, wie Sie das bei Filmen davor gemacht haben?
Beim Film immer. Die Szenen werden nicht nach Abfolge, sondern durcheinander gedreht. Die Tabellen, in denen ich die Pulsfrequenz notiere, die ich für jede Szene brauche, helfen mir, den Startpunkt für den jeweiligen Energiezustand zu finden. Die Stimmung.
Hollywood protestiert gegen Künstliche Intelligenz, "Der Fall McNeal" thematisiert sie. Auch in der Kunst kommt es dadurch zu Umwälzungen. Wie sehen Sie den Einfluss von KI auf Theater und Literatur?
In der Literatur könnte die KI Probleme machen, was das Theater angeht, mache ich mir keine Sorgen. Was auf der Bühne passiert, kann keine Maschine. Das ist auch, was ich so am Theater liebe: Kein Abend lässt sich reproduzieren, sondern ist einzigartig. KI finde ich extrem unheimlich, aber auch extrem spannend. Wie ChatGPT funktioniert, können wir nicht zur Gänze verstehen. Eine rätselhafte Blackbox. Ich betrachte das mit skeptischer Distanz. Hoffentlich löst die KI mehr Probleme, als sie schafft.

Von der Burg nach Hollywood und wieder zurück: Der Antikriegsfilm "Im Westen nichts Neues" holte vier Oscars
©kurier/Martina BergerDas Stück behandelt auch Plagiatsfragen. Wie weit darf man Ideen anderer einfließen lassen, auch als Schauspieler?
Das ist eine totale Grauzone. Jeder Film, den ich ansehe, ist Inspiration für meine eigene Arbeit. Dann wieder "stehle" ich von anderen Kunstformen, gern auch anderer Länder, meine ganz eigene Version einer Rolle zusammen. Aber ich stehle ja nicht wirklich. Ich lasse mich davon inspirieren.
Ob das eine Künstliche Intelligenz nicht genauso macht? Immerhin wertet sie Referenzmaterial aus und baut daraus etwas Neues. Das ist die Frage, der sich das Stück stellt. Sie ist eher moralisch als justiziabel. Es geht nicht darum, ob wir etwas dürfen. Sondern ob wir das wirklich wollen.
Wie skrupellos muss man als Künstler sein?
Gar nicht, wie ich finde. In meinem Beruf schlüpfe ich in viele Rollen. Füge ich damit jemandem oder mir selbst Schaden zu? Falls ja – einfach nicht tun. Und falls nicht, ist ja alles in Ordnung. Dann kann ich die Geschichten anderer ruhig verwenden. Oft geht es nur darum, dass man um Erlaubnis fragt. Erteilt sie jemand nicht und ich mache es trotzdem, dann mache ich mich zum Arschloch.
Wie wichtig ist es für einen Schauspieler, eine narzisstische Veranlagung zu haben?
Narzissmus ist tödlich. Alle Leute, die ich kenne in diesem Beruf, die narzisstische Züge haben, sind Riesen-Arschlöcher. Das heißt nicht, sie wären nicht erfolgreich – leider. Ich würde es ihnen wünschen. Zum Glück trifft man aber selten auf solche Leute. Und seltener, als ich es erwartet hätte.
Narzissmus hat sein Ablaufdatum, denkt man, und dann wird erst wieder ein Einzelfall aus der Theaterwelt publik.
Narzissmus ist auf keinen Fall notwendig. Er wirkt sich sogar nachteilig aus. Die Branche ist zwar nicht klein, aber die Kommunikation intensiv, so ein Verhalten spricht sich schnell rum. Deswegen bitte einfach nett sein und die Leute gut behandeln. Ist wirklich nicht schwer.
Kein Platz mehr für unnachgiebige Diven und extravagante Egoisten – haben sich die Zeiten tatsächlich geändert?
Ich finde es weder interessant, so zu sein, noch sich so zu geben. Wozu sich als Arschloch präsentieren? Um die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen? Es heißt, selbst schlechte PR ist gute PR, aber ich bezweifle das ehrlich gesagt. Wenn jemand ein schlechter Mensch ist, überlege ich mir zweimal, ob ich mit dieser Person arbeiten möchte. Ich sehe keinen Nutzen darin.
In diesem Beruf arbeiten die Leute besser, wenn sie nahbar, sympathisch und empathisch sind. Narzisstische Menschen werden, gerade in diesem künstlerischen Beruf, niemals die Tiefe entdecken, wie Leute, die offen und liebevoll durch die Welt gehen.
Allüren sind für Leute, die ein bisschen faul geworden sind.
"Im Westen nichts Neues" hat vier Oscars gewonnen und Sie mit Ihrem Debütfilm zum Star gemacht. Wie sehen Sie den ganzen Trubel und die internationale Aufmerksamkeit heute im Rückblick?
Die Oscars werden für mich immer ein essenzieller Moment bleiben, weil sie der Startpunkt meiner internationalen Karriere waren. Viele Arbeitsbeziehungen sind erst dadurch zustande gekommen. Die Arbeit mit Guillermo del Toro für seinen neuen Film "Frankenstein" zum Beispiel ist ausschließlich dadurch entstanden, dass ich bei der Oscar-Verleihung kurz auf der Toilette war.
Klingt spannend. Wurde Ihnen dort etwa die Rolle angeboten?
Die Gala dauert ja ewig lange. Da habe ich mich dazwischen kurz rausgeschlichen für ein paar Minuten Pause. Plötzlich spüre ich, wie mir von hinten eine riesige Pranke auf den Rücken schlägt. Ich drehe mich um und da steht da Guillermo del Toro, der legendäre Regisseur von "Hellboy", der für "Shape of Water" den Oscar gewonnen hat, und fragt mich: Wann arbeiten wir zusammen? Ich dachte, ich träume. Er ist mein Idol.

Vor Ort am Burgtheater: Redakteur Alexander Kern und Felix Kammerer beim Interview
©kurier/Martina BergerDachten Sie, da wird was draus und es kommt tatsächlich zu einer Zusammenarbeit oder waren Sie skeptisch?
Bei so einer Hollywood-Verleihung wird viel gelabert, man macht sich Komplimente, klopft sich auf die Schultern, aber zum Schluss kommt nicht viel raus. Doch zwei Wochen später hat mein Telefon geläutet und so ist jetzt diese tolle Zusammenarbeit mit ihm entstanden. Wir überlegen auch schon die nächsten Filme.
Echte Komplimente und kein falsches Lächeln, wer hätte das gedacht.
Die Begegnung war eine riesige Wohltat und Balsam für die Seele für mich. Ich dachte immer, in Hollywood, das sind alles ekelhafte Leute, eingebildet und arrogant. Aber die wenigsten sind so. Sie sind sehr herzlich und ruhig und zuvorkommend. Ich hatte Glück, es hätte auch anders kommen können und ich wäre Guillermo nie begegnet.
Wie groß ist jetzt die Gefahr, dass Sie bei so vielen gutmeinenden Schulterklopfern und prominenten Freunden die Bodenhaftung verlieren?
Ich wage zu behaupten, dass ich sehr unempfindlich bin für Fame und den ganzen Kram, der damit verbunden ist. Vielleicht geben manche dem nach, weil sie glauben, sich nicht beweisen zu können in dem, was sie tun. Ich war immer sehr zufrieden mit meinen Arbeiten, ob nun kleine Stücke, große Stücke oder kleine Rollen, große Rollen. Und ob hier an der Burg oder am Berliner Theater. Dadurch hatte ich nie den Eindruck, meinen Selbstwert von außen bestimmen lassen zu müssen und zu frohlocken: Jetzt bin ich wer! Selbst wenn ich mit berühmten Leuten arbeite, muss ich denen immer noch zeigen, dass es die richtige Entscheidung war, mich zu engagieren.

Über Christoph Waltz: "Christoph ist ein sehr lustiger, hochintelligenter Kerl, den ich sehr lieb gewonnen habe"
©kurier/Martina BergerMan muss sich erst beweisen.
Das denke ich mir eigentlich bei jedem Filmdreh, ob "Im Westen nichts Neues", "Eden" von Ron Howard oder "Frankenstein". Du bekommst eine Rolle, freust dich drei Minuten lang – und nach drei Minuten Jubel realisierst du: Oh Gott, jetzt muss ich das machen. Und wenn ich es nicht gut mache, sagen sehr viele Leute: Siehst du, hab ich dir ja gesagt – zweimal gings gut, aber beim dritten Mal funktioniert’s nicht mehr. Ein kurzes Leuchten, mehr nicht.
Mehr Selbstzweifel als Selbstinszenierung ist gefragt.
Allüren sind, glaube ich, für Leute, die einfach ein bisschen faul geworden sind. Die wollen nichts mehr vom Beruf, sondern nur noch von sich selber oder von anderen. Und das finde ich relativ uninteressant.
Was können Sie uns schon über "Frankenstein", den Sie mit Guillermo del Toro gedreht haben, erzählen?
Mia Goth und ich stellen ein junges Paar dar, das kurz vor der Hochzeit steht. Guillermo war ein liebevoller und empathischer Regisseur, mit seinen Filmen hat er quasi ein eigenes Genre erfunden, Märchenhorror für Erwachsene. Wir haben sehr lange gedreht, acht Monate. Vier davon in Toronto, dann zwei in Schottland. Und trotz Riesenbudget und Star-Power gilt dennoch: Wenn die Klappe fällt, musst du deinen Job machen – egal, ob du in einem Kellertheater auftrittst oder in Hollywood spielst. Hier wie dort ist es das Einzige, worauf es ankommt.
In dem Film spielt neben Oscar Isaac und Jacob Elordi auch Christoph Waltz. Haben Sie gemeinsame Szenen mit ihm?
Die meisten meiner Szenen hatte ich neben Oscar und Mia mit Christoph. Wir haben uns sehr gut verstanden und sind an drehfreien Tagen öfter miteinander essen gegangen. Wir haben uns viel über den Beruf ausgetauscht und über Wien. Es hat gut getan, in der Ferne jemanden zu haben, der Wien und seine Kultur, die so eigen ist, kennt und versteht. Ein Anker, weil ich ja auch so weit und lange weg war von meiner Familie und meinem Zuhause. Christoph ist ein sehr lustiger, hochintelligenter Kerl, den ich sehr lieb gewonnen habe.
Opernsänger wollten Sie nicht werden? Die Frage liegt nahe, weil Ihre Eltern in diesem Fach Berühmtheiten sind.
Bitte nicht. Auf keinen Fall.
Warum ein so kategorisches Nein?
Weil meine Eltern das schon machen. Andere übernehmen gerne den elterlichen Betrieb, ich nicht. Ich bin froh, dass ich das vermeiden konnte. Vielleicht auch, weil ich gesehen habe, wie es an der Oper zugeht. Die Oper ist ein noch viel größeres Haifischbecken und es ist noch viel härter, in diesem Beruf Fuß zu fassen als im Schauspiel. Beim Schauspiel ist meine Arbeit nicht nur auf die Bühne beschränkt, ich kann zum Beispiel auch singen oder Lesungen abhalten. In der Oper dauert es lange, bis man was wird und selbst dann ist der Erfolg alles andere als garantiert. Noch weniger als im Theater.
Wie war es, als Kind Ihre Mutter auf Tournee zu begleiten, durch die USA, Südamerika oder Japan?
Wenn man vier Jahre alt ist und in den Zoo geht, ist das cool – wenn der Zoo noch dazu in Tokio steht, ist das noch cooler. Ich fand es aufregend, schon als Kind mit vielen anderen Kulturen in Kontakt zu kommen. Es verschafft einem einen komplexeren Blick auf die Welt. Man merkt, dass man vieles nicht weiß und es Verständnis füreinander braucht. Mir hat das viele Reisen damals gefallen und ich liebe es auch heute noch – weil es wortwörtlich den Horizont öffnet.
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